❀ Kapitel 8
»Ich fühle mich als hätte ich meinen Verstand verloren... als würde mein Leben nicht mir gehören.«
(Logic)
TW: Selbstmordgedanken
Das Wochenende ging viel zu schnell rum und der gestrige Spieleabend mit Henry endete möglicherweise zu spät in der Nacht.
'Na schön, vielleicht hätten wir aus den letzten drei Brettspielen nicht jeweils ein Trinkspiel machen sollen. Dann würde es in meinem Kopf auch nicht so hämmern.' Ihre Mimik verzog sich zu einem schmerzenden Ausdruck, als sie vorsichtig ihre Schläfen massierte.
Es war Montag und das hieß, dass sie heute den ersten geglückten Entwurf des Museums sehen durfte, nur leider ebenso auch seinen Entwickler.
Mags konnte immer noch nicht glauben, dass er einfach so abgehauen war. Ihr Brustkorb zog sich aufgrund der Gedanken erneut schmerzhaft zusammen, deshalb beschloss Mags den leeren Küchentisch zu verlassen und sich passend für den Termin zu kleiden.
Als erstes griff sie nach ihrem bunten Streifenrock und schmiss sich passend dazu eine Bluse über den Arm.
'Ich merke jedes Mal, wenn er mich mit seinen herabschätzenden Augen abscannt. Pff, als würde es mich tatsächlich interessieren, was seine Meinung über meine Outfits wäre.'
Trotz ihrer Gedanken bemerkte Mags plötzlich im Spiegel die verwaschenen Pastelltöne an ihrem Körper, die anders als das, was sie sonst trug, dezenter erschienen.
Möglicherweise hatte er wohl doch Einfluss auf ihre Wahl...
Während sie zurück in der Küche nach Aspirin gegen die Kopfschmerzen suchte, saß Aberfeldy bereits ungeduldig vor der Terassentür und beklagte sein Leid.
„Sofort, du Nervensäge."
Natürlich verstand der Kater ihre Forderung nicht, so hallten seine immer lauter werdenden Töne durch ihr Gehör, bis sie letztendlich aufgab und wütend zur Schiebetür stiefelte.
„Dann geh endlich!"
Er nahm ihr den harschen Ton bestimmt übel und verschwand trotzig für ein paar Tage, aber Mags war es von ihrem Haustier eh nie anders gewohnt.
Ein paar Minuten schaute Mags ihren wilden Miniaturtiger hinterher, dann verschwand seine schleichende Gestalt immer weiter auf den Straßen, sodass sie wieder ins Haus ging und die Schiebetür hinter sich fest verschloss.
Gedankenverloren musste sie wieder an das Meeting denken und wollte schon nach einer Ausrede suchen, um es abzusagen. Dennoch, es musste sein.
'Stell dich deiner Angst, Mags.'
Der Weg zum Architekturbüro verlor sich in die Länge, denn Mags kannte jeden einzelnen Schritt, den sie setzte, in- und auswendig.
Man konnte ihr eine Augenbinde umlegen und sie wusste trotzdem, wo selbst der winzigste Kieselstein sich befand. Lustlos schob sie ihren Körper durch den Eingang des Gebäudes, indem sie ihren Rücken gegen die Tür drückte und den Fahrstuhl aufsuchte, was nicht gerade lang brauchte. Oben im Empfang angekommen war Ally das erste Gesicht, das sie an dem heutigen Tag sah.
„Guten Morgen. Ich bin mir nicht sicher, ob bei dir die Worte zutreffen."
Mags fasste sich kurz durch das Gesicht, verbarg den kleinen Funken Panik in ihren Augen.
„Man sieht die Schatten noch, richtig?"
„Nein, das ist es nicht. Du wirkst aber mega angespannt. Alles gut bei dir?"
Mags biss sich auf die Lippen, sie konnte ihr unmöglich vom Treffen erzählen.
„Letzte Nacht mehr oder weniger durchgemacht. Mein Kopf fühlt sich an, als wäre er viel zu lange auf einer Kirmes gewesen, eingesperrt im freien Fall oder sowas."
Ally rührte lasziv mit dem Löffel in ihrem Cappuccino herum und säuberte mit ihren Lippen den von Schaum besetzten Stiel.
„Eine lange Nacht, hm. Mit wem denn?"
„Henry, mein Nachbar."
Ally verbrannte sich an dem heißen Getränk und stellte es genervt wieder zurück auf den Unterteller.
„Du vernaschst also den Nachbar von nebenan. Weißt du, tief in mir wusste ich, dass du ein Luder bist."
Mags Lippen trennten sich stutzig voneinander, es kam allerdings kein Ton aus ihrer Kehle heraus.
„Ach, komm. Das war doch nur ein Scherz! Mal was anderes, bist du schon gespannt auf den ersten Entwurf? Adam meinte, dass Leonard sich einen modernen, urbanischen Märchengarten in den Kopf gesetzt hat. Bei seinen visuellen Ideen könnte es ziemlich gut werden, was denkst du?"
Ally wusste genau, wie sie schlüpfrige Gesprächssituationen sofort umlenken konnte.
Sie war definitiv und ohne Zweifel nicht umsonst die Empfangsdame in dem Büro.
„Das klingt es auf jeden Fall. Sitzen sie eigentlich schon oben? Bitte sag mir nicht, dass er bereits wartet!"
Ally sah kurz auf ihren Bildschirm, ihre Nägel tippten zügig auf der Tastatur herum, ehe sie eine Antwort hatte.
„Leonard wird heute nicht erscheinen. Er hat sich krank gemeldet. Aber Adam wird an seiner Stelle das Meeting leiten. Er wird in circa zwanzig Minuten durch die Tür spazieren. Also, Lust auf was Warmes?"
Deutungsvoll hielt sie ihren Cappuccino in die Luft, doch Mags blieb diese beinahe weg.
'Hat er das jetzt wegen mir gemacht? Er ist bestimmt sauer und wegen meiner Blödheit sitzt er jetzt allein da.'
In ihrer Vorstellung hielt sich Mags bereits ihre flache Hand vor die Stirn, sagen tat sie jedoch immer noch nichts.
„Danke für das Angebot, aber ich werde schon nach oben gehen. Wir könnten sonst auch heute Nachmittag einen Kaffee trinken gehen?"
„Natürlich darfst du mich zum Café ausführen."
Ally klimperte unschuldig mit ihren Wimpern, als sie ihre Antwort verkündete.
Die Ebene im obersten Stockwerk glich einer Geisterstadt, denn die Lichter in den Fluren waren ausgeschaltet und sämtliche Räume wirkten verlassen.
Mags wusste, in welchem davon sich Adam befand, also setzte sie vorsichtig ihre Schritte zu seiner Tür, hielt vor dem Klopfen jedoch kurz Inne.
'Wie nah stehen die beiden sich eigentlich? Oh Gott-... vielleicht hat Leonard bereits mit ihm gesprochen!'
Dieser ließ sich immerhin nichts anmerken, nachdem Mags über die Türschwelle trat und erwartungsvoll in den Raum starrte.
„Ich entschuldige mich für Leonards Abwesenheit, aber er fühlte sich heute Morgen nicht besonders fit." Mags lächelte bedrückt, streckte dann neugierig ihren Hals der Zeichnung entgegen.
Es sah im Prinzip aus wie eine gigantische Parkgarage. Die ersten vier Etagen hatten keine Wände, sondern nur hohes Gelände, welches durch verschiedene Pflanzen geschmückt wurde. Einen richtigen Einblick in das Museum bekam man jedoch erst eine Ebene weiter, hier wurde das Gebäude komplett von Glasplatten geschützt und die Ausstellungen konnten von dort aus bestaunt werden.
Alles wirkte hell, fröhlich und einladend.
'Leonards Kunstwerk spiegelt alles wieder, was er selbst nicht ist.'
Mags zögerte nicht lange, holte ihre Kamera heraus und schoss die ersten Fotos vom Konzeptplan, gemeinsam mit Adam.
„Leonard wird wohl nichts dagegen haben, wenn du für heute seine Idee repräsentierst, oder?"
„Er wollte sogar, dass ich den Part übernehme. Leonard verabscheut das Rampenlicht."
„Super, dann warten wir jetzt nur noch auf Michelle."
Es verging keine weitere Minute, nachdem sie es gesagt hatte, schon klopften die spitzen Absätze von sündhaft teuren Stilettos über den Parkettboden.
Michelle sah in ihrem weißen Hosenanzug und dem eleganten Cape, das über ihre blassen Schultern fiel, aus, wie eine dominante, jedoch engelsgleiche Anführerin. Sie schenkte den beiden ein warmes Lächeln, legte ihre Handtasche auf einen der freien Stühle ab und konzentrierte sich auf die Entwürfe, die den Tisch verdeckten. Es dauerte zwar eine Zeit, aber immerhin bemerkte sie das fehlende Teil im Puzzle.
„Wo ist Leonard? Er wollte uns doch seinen Entwurf erklären?"
Adam informierte sie über seinen Gemütszustand, während Michelle besorgt klang und Mags sich daraufhin fragte, ob sie nicht eher den Zeitverlust betrauerte.
„Wenn Sie möchten, würde ich gerne ein Foto von Ihnen, Mr Cormak und dem Entwurf machen. Eine Art Metapher zum Grundstein, sollten Sie sich für das Design entscheiden."
Die Museumsdirektorin nickte zustimmend und beachtete Mags Vorschläge zum Posieren, während das Blitzlicht der Kamera immer wieder ein grelles Strahlen durch den Raum abgab.
Michelle verließ das Treffen kurzerhand mit der Bitte, um einen neuen Termin.
Natürlich sollte Leonard bei diesem persönlich dabei sein. Adam versicherte ihr zu ihrem Glück, dass Leonard nicht ernsthaft erkrankt sei und ein weiteres Treffen sogar noch in derselben Woche stattfinden konnte.
Danach verabschiedete Michelle sich von den beiden und Adam suchte nach passenden Worten, um seine Tätigkeiten wieder aufnehmen zu können.
„Ich würde dich gerne noch nach unten begleiten, allerdings habe ich einen Termin und die Kunden sind jetzt schon da. Aber bei Ally wirst du gut aufgehoben sein. Machs gut, Mags."
Die Angesprochene ließ ihre Augen hell erstrahlen, als sie ihm zum Abschied zunickte.
Es war immer noch leer in der obersten Etage.
Mags mochte dieses Gefühl der einsamen Weite nicht gerne um sich herum haben, das war auch der Grund, weshalb sie in den ganzen Jahren noch nie auch nur einen einzigen Nationalpark besucht hatte.
Ein Detail brannte sich dennoch in ihren Blick fest und ließ alle anderen Gedanken sofort verschwinden.
'Das ist doch das Hemd, welches ich ihm versaut habe.' Plötzlich schoss ihr eine Idee in den Kopf, je näher sie der geöffneten Tür von Leonards Büro gekommen war.
Aber durfte sie diesen Schritt überhaupt wagen? Auf der einen Seite dachte Mags nicht das erste Mal darüber nach, sein Hemd in die Reinigung zu geben. Schritte kamen aus dem entgegengesetzten Flur, versetzten Magnolia daraufhin in die Flucht und sie unternahm keine Anstalten mehr, sich das Hemd zu holen. Niedergeschlagen biss sie sich auf die Unterlippe, ihre Zähne hinterließen schon beinahe einen feinen Riss in der sensiblen Haut.
'Tja, dann nächstes Mal, bevor die mich noch für einen fanatischen Geek halten.'
Mags Schritte waren unschlüssig, immer wieder überlegte sie doch in das Büro zu gehen und ihren Plan durchzusetzen.
Vielleicht musste sie sich einfach nur eine zweite Meinung einholen und wer war dafür wohl besser geeignet als die sarkastische Ally, zwei Etagen unter ihren Füßen?
„So früh fertig mit der Besprechung?"
Ally legte gerade das Telefon aus ihrer Hand zurück in die Station und begutachtete Magnolia mit einem fragenden Blick. Letztere kam im selben Moment um die Ecke gestiefelt.
„Michelle möchte noch ein Treffen mit Leonard. Adam hat es immerhin versucht, aber man merkt, dass er mit den fremden Gedanken und Vorstellungen hadert. Selbst mit Stichpunkten."
Ally fixierte ihren Blick voll und ganz auf Mags, die ungeduldig vor ihrer Theke stand und allem Anschein nach von einem Gedanken geplagt wurde.
„Irgendwas rattert da gerade in dir. Ich kann das qualmende Rad förmlich sehen. Worüber denkst du nach?"
Mags Augen starrten Ally verzweifelt an, aber was nützte es, wenn sie die Frage für sich behielt?
„Leonards Büro stand offen und da fiel mir ein kleines Detail auf."
„Aha, welche schmutzigen Einzelheiten hast du denn über unseren Einsiedlerkrebs herausgefunden?"
Mags schüttelte grinsend den Kopf, konnte es nicht vermeiden ihre Augen zu verdrehen. Allys Hauptthema in Gesprächen drehte sich meist nur um ein und dieselbe Sache.
„Leonard hat das Hemd noch an seiner Garderobe hängen, das ich ihm versaut habe."
Ally zuckte nur desinteressiert mit ihren Schultern und schob sich gelangweilt ein Stück ihres Apfels in den Mund.
„Wow. Und jetzt?"
„Es ist eine lange Geschichte, aber ich will es einfach in die Reinigung bringen. Als gute Geste und um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Ist das komisch?" Beinahe hatte Ally sich an das Stück Obst in ihrem Hals verschluckt, doch ein hastiger Schluck Wasser half, um lautes Husten zu umgehen. Die Tränen sammelten sich in ihren Augenwinkeln.
„Fernab davon, dass er genug Geld besitzt, um das Reinigen seiner schmutzigen Wäsche selbst zu bezahlen, hat er auch noch unsere fleißige Putzfee Martha. Aber sie wird dich wohl dazu ermuntern, ihr die Bürde abzunehmen."
Mags überlegte kurz, es klang nicht, als hatte Ally etwas gegen ihren Gedanken einzuwenden.
„Eine kleine Frage, Mags."
„Die wäre?"
Es lag auf der Hand, dass Ally nach den passenden Worten suchte, demnach musste ihre Frage eine tiefere Bedeutung haben.
„Ich habe irgendwie ein komisches Gefühl, also werde ich direkt sein. Willst du was von ihm?"
Nun war Magnolia es, die einen Kloß im Hals spürte, welcher drohte ihr die Luft abzuschnüren. Nachdem, was er ihr Freitagnacht anvertraute, konnte sie solche Gefühle kaum für ihn empfinden. Nicht, wenn er tief in sich bedeutsame Menschen betrauerte.
'Moment-... auch sonst nicht!'
Ihr entging vor allem nicht der ernsthafte Ton mit dem Ally ihre Frage aussprach. Diesen hörte man eher selten aus ihr heraus.
Sie wusste bestimmt mehr und hatte nun den Drang seine brüchige Seele vor noch mehr Kummer schützen zu müssen.
„Nein, keine Sorge. Wirklich nicht. Es geht mir einfach nur um einen netten Gefallen, um die Wogen zwischen uns zu glätten. Vielleicht schätzt er die kleine Geste. Schließlich steht die Tür schon offen, ist nicht so, als würden wir einbrechen."
„Wir?"
Beide Frauen nahmen den Fahrstuhl, um Zeit zu sparen und mehr Ausdauer darin zu verschwenden, den langen Korridor eilig zu überqueren, damit Adam von dem Vorhaben nichts merkte.
Vorsichtig schob Mags die Tür auf, doch schnell stand fest, dass der Raum komplett menschenleer war. Ally wusste sofort, wo das gesuchte Hemd sich verbarg, nahm es von der Garderobe ab und übergab es an Mags. Ihre Hände griffen dankend nach dem Stoff, aber das unangenehme Kribbeln in ihrem Bauch nahm nicht ab.
Selbst als sie das gesuchte Hemd in ihren Händen hielt.
Unentschlossen lief sie durchs Büro, ihre Beine waren am Zittern, als sie einen kurzen Blick zum Schreibtisch warf.
„Ally-... hat Leonard eigentlich einen Grund genannt, weshalb er krankgeschrieben ist?"
„Wieso willst du das wissen? Selbst, wenn er ins Detail gegangen wäre, könnte ich dir das nicht einfach so sagen. Komm jetzt, wir gehen lieber raus."
Mags wollte der Anweisung Folge leisten, aber aus irgendeinem Grund gaben ihre Beine dem unguten Gefühl nach und fanden den Weg zu seinem Schreibtisch.
„Mags! Das ist seine Privatsphäre. Wir sollten gehen, Adam könnte jeden Moment auftauchen."
Ally wurde zunehmend ungeduldig, vor allem als sie beobachtete, wie Mags ihre Finger über einen geschlossenen Brief streifen ließ und diesen aufhob.
„Mags!"
Der Blick der Angesprochenen wich sofort zu Ally, aber diese sichtbare Angst in ihren Augen ließ das Gemüt von ihr blitzschnell kippen. Stattdessen näherte sie sich ebenfalls dem Tisch und begutachtete den Brief.
Es stand einfach nur 'Für Adam' drauf.
Ally wusste sofort, dass es Leonards Handschrift gewesen war.
„Ich weiß nicht wieso, aber seit ich den ersten Schritt in dieses Büro trat, fühle ich mich komisch. Entweder wir geben diesen Brief genau jetzt an Adam weiter oder wir werden ihn öffnen. Keine Widerrede."
Adam befand sich nach wie vor in einem wichtigen Kundengespräch und es wäre unklug gewesen vor fremden Gesichtern Panik zu verbreiten.
Ally nahm also den Brieföffner aus dem Halter und riss eine Öffnung in den Briefumschlag.
„Sollte es sich hier um ein wichtiges Detail seitens des Unternehmens handeln und er merkt, dass jemand ihn zuvor geöffnet hat, dann-..."
„-aber was, wenn es etwas ernsteres ist, wir hier aber rumstehen und die Zeit verloren geht?"
Die nervösen Finger der Frau holten den Brief aus seiner Hülle. Er wirkte unauffällig. Schlicht.
Auf jeden Fall kein Geschäftsbrief.
Ally drehte das ausgefaltete Blatt herum und überflog Zeile für Zeile. Immer und immer wieder.
Ihr Verstand konnte es nicht fassen.
Magnolia hingegen reagierte schnell, tief in ihr wusste sie, was sie erwartete.
„Ally, wir müssen auf der Stelle zu ihm nach Hause! Hast du die Adresse?!"
„Ja. I-... in meinem Kopf, ich weiß sie."
Mags zog Ally an ihrem Ärmel aus dem Büro hinaus, dessen Tür sie sperrangelweit offen ließen.
Feste Schritte polterten über den Boden, ein paar fragende Köpfe reckten sich aus den anderen Büroräumen hervor, doch keiner von ihnen kümmerte es weiter.
„Nichts wie los, wir nehmen den Dienstwagen von Adam!" Als sie den Fahrstuhl erreichten, hatte Ally ihre Fassung wiederhergestellt.
An ihrer wackelte Mags nun mit ihren Beinen, versuchte verzweifelt nicht den Halt zu verlieren. Das Gefühl tief zu sinken floß jedoch schon sekundenlang durch ihren Köper.
'Verdammt, das kann doch nicht wahr sein! Er kann das unmöglich durchziehen! Scheiße, Ally und ich müssen schneller sein!'
Ihre Gedanken schwankten hin und her, genauso wie die panischen Schritte in dem kleinen Fahrstuhl. Mags' Hände verknoteten sich in ihren Haaren, die Handflächen pressten sich gegen ihre Ohren und versuchten das penetrante Piepen zu unterdrücken.
„Mags, dreh' mir nicht durch! Komm schon, wir fahren los und du wirst sehen... er hat bestimmt nicht-"
Ally wollte ihren Gedanken nicht zu ende bringen, denn sie war sich über die Realität selbst unsicher. Konnte er das wirklich bringen?
Die beiden Freundinnen verschwanden in die Tiefgarage und suchten panisch nach dem passenden Nummernschild.
Es dauerte nicht lange, schon strahlten die Scheinwerfer eines Audis über die Auffahrt und quietschende Reifen sorgten bei den Passanten auf dem Bürgersteig für Empörung.
„Beeil dich, Ally!"
„Ich breche hier schon sämtliche Verkehrsregeln. Wir sind sofort da!"
Der Wagen rollte noch langsam über die Auffahrt, als Mags die Tür aufriss und hinaussprang. Ihre Eile endete fast mit einem aufgeschürften Knie auf den Pflastersteinen, aber sie konnte ihr Gleichgewicht gerade noch halten und stolperte direkt zur Haustür.
„Leonard? Leonard!"
Das harsche Klopfen gegen die Tür schreckte einzig die ganzen Vögel in naher Umgebung auf, die sich in den dichten Baumkronen versteckten.
Aus dem Hintergrund hörte sie nur noch ein Rauschen und ganz entfernt nuschelte Ally, dass sie eine Idee hätte.
„Wir gehen durch die Terrassentür!"
Magnolia fühlte sich gefangen in einer surrealen Welt.
Die schlechteste Version davon.
Alles drehte sich, die ganzen Farben um sie herum verliefen in einander und ergaben zum Schluss ein tiefes Schwarz.
Neben ihr stand Ally und inspizierte die gekippte Schiebetür. In ihrer Hand hielt sie den Verbandskasten aus dem Auto.
„Was hast du vor?"
„Manchmal bildet Youtube dich mehr als ein Studium."
Ally nahm das elastische Verband heraus und band in der Mitte eine feste Schlaufe. Danach schob sie vorsichtig den Stoff durch den offenen Spalt hindurch, versuchte so mit den beiden Enden des Verbands den geknoteten Ring zu navigieren und über den Griff zu legen, bis dieser zur Drehmitte aufrutschte.
„Hilf mir! Wir müssen versuchen die Tür zu schließen. Dafür musst du konzentriert sein, Mags!"
„Okay. Was soll ich machen?"
Ally legte ihre Fingerspitzen an die Innenkanten des Flügelrahmens und ermunterte Magnolia dasselbe zu tun. Anfangs rutschte sie aufgrund des Zitterns ab, doch als sie realisierte, weshalb die beiden überhaupt in einem fremden Garten standen, überwand sie ihre Angst für ein paar Sekunden und konzentrierte sich auf die Aufgabe.
„Perfekt, sie ist dicht. Jetzt sollte es klappen."
Der Verband lag stramm in ihren Händen, als Ally an dem Ende ihrer linken Hand zog und durch die Spannung am Griff, dieser zur Seite gerissen wurde. Erleichterung war der einzige Ausdruck, den die beiden zustande bringen konnten, nachdem die Tür sich endlich zur Seite schieben ließ.
Alle Räume in der Wohnung waren abgedunkelt, bislang scherrte sich keiner darum die Vorhänge hochzuziehen. In der Küche wurde durch die Bewegung das Licht automatisch aktiviert, was es einfacher machte sich in dem großen Haus zurechtzufinden. Gemeinsam klapperten sie fast jeden Raum ab, die lauten Herzschläge konnte ein Außenstehender mit Sicherheit hören.
Zuletzt gelangen sie zu Leonards Schlafzimmer, tauschten einen verunsicherten Blick miteinander aus, wollten nicht wissen, was sich hinter der Tür abspielte... aber irgendwie auch schon.
Ally kam kaum hinterher, denn nachdem Mags den Namen des Architekten lautstark aus der Kehle brüllte, war sie schon in der Dunkelheit des Zimmers verschwunden.
Der Mann vor ihren Füßen war kaum ansprechbar, allerdings stand er aufrecht, wenn auch schwankend.
Er war am Leben.
Leonard hatte es nicht geschafft seinen Plan durchzusetzen.
Mags stand vor dem Betrunkenen, hielt ihn fest und versuchte durch leichte Klapse auf seine Wangen Aufmerksamkeit zu erlangen.
„Leonard? Hörst du mich?"
Er seuselte wirres Zeug, dann gaben die Beine einfach nach und sein Körper sank zu Boden. Mags reagierte sofort und bewahrte Leonards Kopf davor hart auf dem Parkett aufzuschlagen, indem sie ihn sanft auf ihren Schoß niederließ, als sich ihr Körper mit ihm niederließ.
Allys Augen observierten den Raum, fanden eine verdächtige Medikamentendose auf dem Nachttischschrank und steuerten ihre Beine dorthin. Die Aufschrift deutete auf Temazepam hin. Leonard bekam es vor knapp einem Monat verschrieben, soweit sich Ally an den Zettel erinnern konnte, den sie an einem Nachmittag auf seinem Tisch vorgefunden hatte.
Mags versuchte weiterhin Leonard aus seinem komatösen Zustand zu bekommen, zum Glück atmete er noch.
Ihr Bild, noch zehn Minuten zuvor im Kopf, sah düsterer aus.
Das Geräusch von rasselnden Pillen brachte Magnolia dazu ihren Blick kurz von ihm wegzubewegen und stattdessen Ally zu beobachten. In ihrer Hand zählte sie die Pillen durch, um sich zu vergewissern, dass Leonard seinen Tod tatsächlich nicht herbeigeführt hatte.
Die Zeit im Zimmer verging im Stillen, Mags besänftigte sich selbst, indem sie Leonard durch das Haar strich und Ally war mit dem Zählen von weißen, runden Tabletten beschäftigt, die vereinzelt immer mal aus ihrer Hand fielen und auf den Boden kullerten.
Letztendlich folgte die Erleichterung.
„Es fehlen sechs Stück. Die Tabletten hat er schon seit drei Wochen. Möglicherweise hat er heute gar keine genommen." Um ihre These zu stützen, hielt Ally eine leere Whiskyflasche in die Luft und hoffte, dass Leonard einfach nur volltrunken in einen Ausnüchterungsschlaf gefallen war.
„Hilf mir, ihn in die Wanne zu tragen."
Sie ließ sich das nicht zwei Mal sagen, griff nach seinen Beinen und wartete bis Mags ihre Arme unter seine gelegt hatte und in einem festen Griff hielt.
„Okay, ganz vorsichtig."
Langsam ließen sie seinen Körper in die Badewanne sinken, warteten aber kurz, bevor sie die Brause anschalteten.
„Am besten lauwarme Temperatur, nicht, dass wir noch einen Anfall riskieren."
Es dauerte eine kurze Weile, aber diese reichte aus, um Leonards Bewusstsein wieder in Gang zu bringen. Er nuschelte kaum verständliche Sätze, ließ dennoch weiterhin zu, dass Ally das Wasser sanft über seinen Körper fließen ließ.
„Er scheint tatsächlich zu viel getrunken zu haben. Denkst du, wir kriegen das ohne weitere Hilfe hin?"
„Es wird noch ein paar Stunden dauern, bis er komplette Sätze sprechen kann. Fahr wieder zur Arbeit. Ich passe auf ihn auf."
Der Vorschlag klang nicht sonderlich unlogisch, dennoch hielt Ally inne.
„Was sage ich Adam?"
Es war zwar eine kurze Frage gewesen, erforderte trotzdem eine lange Zeit zum Nachdenken.
„Verbreite mit dem, was du sagst keine Panik. Was den Brief betrifft ... Leonard wird sich mit der Zeit selbst erklären."
Magnolia behielt den Brief in ihren Händen, war unschlüssig über die Weitergabe und den Folgen, die es nach sich ziehen konnte. Ally machte allerdings keine Anstalten ihn ihr abnehmen zu wollen.
„Vielleicht sollten wir tatsächlich erst warten, was er selbst zu sagen hat."
Nachdem Ally das Haus verlassen hatte und zuvor dabei half ihren Chef aus der Wanne zu kriegen, saß Mags nun alleine da.
Dort, am Fußende von Leonards Bett.
Sein Körper fing nach einigen Minuten zu zittern an, deshalb nahm Mags den Bademantel vom Haken an der Tür weg, packte Leonard in den Stoff ein und legte zum Schluss die Decke drüber.
„Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass du friedlich aussiehst. Nur sind die Umstände deswegen echt beschissen."
Er antwortete ihr nicht.
Die einzige Hoffnung auf ein gutes Ende, waren die Zuckungen in seinem Gesicht. Reaktionen, die sein Unterbewusstsein produzierte. Während er still in seinem Bett lag und leise atmete, entschied sich Magnolia dazu die leere Alkoholflasche aus dem Schlafzimmer zu entfernen und den Boden vom Müll zu befreien.
Ihr Blick haftete sich an den Pillen fest.
Es konnte wirklich sein, dass er keine Tabletten geschluckt hatte.
Der Wunsch zu sterben war nie in seinem Herzen, er wollte einfach nur inneren Frieden zurück.
Um weitere Versuche vorbeugen zu können, nahm Mags die Pillendose an sich und versank die ganzen Tabletten ein paar Sekunden später in der Toilette.
Als sie das Badezimmer verließ, um wieder nach Leonard zu sehen, saß dieser tatsächlich aufrecht und begutachtete mit fragendem Blick seine nasse Kleidung unter dem Bademantel. Eine Gabe im Gedankenlesen brauchte man nicht, um den Schmerz, den er fühlte, wahrzunehmen.
Er hielt sich immer wieder seine Hand gegen die Stirn, um den pulsierenden Druck in seinem Kopf zu vertreiben. Der Versuch misslang, war abzusehen.
Mags wusste, was darauf geschah, nahm den Papierkorb und hielt ihn unter Leonards Nase, bevor er sein ganzes Erbrochenes im Bett verteilen konnte.
„Magnolia?"
Er sah die Frau verwirrt an, versuchte aufzustehen, doch seine benebelten Gliedmaßen machten ihm einen Strich durch die Rechnung.
„Selbst, wenn du im Sterben liegst, erlaube ich dir nicht mich so zu nennen."
Mags versuchte es mit Humor, aber Leonard konnte seine Verfassung gar nicht richtig einschätzen. Also setzte Magnolia sich wieder aufs Bett, strich ihm eine einsame Haarsträhne aus dem Gesicht und ermunterte ihn sich wieder hinzulegen.
Die Augen zu schließen. Schlafen.
Leonard brauchte Ruhe, damit er sich sammeln konnte. Nachdem er wieder fest schlief, holte Mags einen nassen Lappen aus dem Badezimmer und reinigte durch sanfte Bewegungen sein Gesicht.
Der Tag schritt um drei weitere Stunden vorwärts, in denen Magnolia sich nicht rührte.
Sie saß immer noch auf dem Fußende des Bettes und beobachtete den Mann als wäre sie ein Wachhund.
Er sah viel besser aus, die gequälten Zuckungen im Gesicht wurden weniger, stattdessen lag er einfach vollkommen friedlich da.
„Oh, wer bist du denn?"
Vor ihren Füßen setzte sich die wohl niedlichste Katze auf Erden hin und leckte sich ihr Fell, bevor sie zu Miauen begann.
'Sorry, Aberfeldy. Aber du würdest dasselbe denken.'
Die rotgetigerte Katze hatte scheinbar hunger, denn es vergingen etliche Stunden und Leonard hatte ihr in seinem Rausch bestimmt nicht den Napf gefüllt. Mittlerweile schlief er so gut, dass leises Schnarchen seine Atemzüge begleitete.
Mags entschied, dass er auf dem Weg der Besserung war, deshalb nahm sie die Katze auf den Arm und lief mit ihr in die Küche.
Zugegeben, es war ein fremdes Haus und es fühlte sich irgendwie merkwürdig an durch die Räume zu laufen als würde man darin schon seit Ewigkeiten wohnen.
Ihre Anwesenheit war jedoch nötig.
Was wäre wohl nur passiert, wenn Ally und Mags nicht gekommen wären?
Vielleicht hätte er es dann ja doch noch geschafft sich die Pillen einzuwerfen oder einfach mehr zu trinken und letztendlich an einer Alkoholvergiftung zu sterben.
Pheobe miaute nur vor sich hin, in der Hoffnung, Magnolia erwachte bald aus ihren Tagträumen, damit sie stattdessen ihr Katzenfutter suchte. Die Schranktüren wurden alle nacheinander geöffnet und so leise wie möglich wieder geschlossen. Mags war erleichtert, als sie in einem der Hängeschränke endlich das fand, wonach sie suchte und die Katze somit aufhörte laut zu sein.
Danach zog sie ihr Smartphone aus der Tasche, checkte ihre Nachrichten und empfing ein Video von Henry, das er vermutlich auf TikTok entdeckt hatte.
'Hoffentlich löscht dieser Schwachkopf die App bald wieder. Er schickt ja nur noch so eine Scheiße.'
Sie war so verloren darin ihren Newsfeed auf dem Handy zu prüfen, dass sie nicht die Gestalt wahrnahm, die in die Küche gelaufen kam und die fremde Frau genaustens inspizierte.
„Wieso wusste ich, dass gerade du hier auftauchen wirst."
Mags schreckte auf, ließ aufgrund der plötzlichen Bewegung beinahe ihr Handy fallen.
„Was bitte meinst du?"
Sie versuchte so normal wie möglich zu klingen, wollte damit warten, ihn für seinen frechen Ton zu verurteilen. Immerhin war sie den ganzen Tag damit beschäftigt gewesen sich Sorgen um ihn zu machen.
„Der Brief. Er war für Adam, aber ich wusste es. Entweder du oder Ally, eine von euch beiden hätte ihn gelesen."
Magnolia war erleichtert, denn seine Stimme veränderte sich, klang fast schon amüsiert über diese Feststellung.
„Findest du das etwa witzig? Ich bin nicht ohne Grund hier in deinem Haus. Leonard, verdammt! Wir dachten, dass wir dich hier tot auffinden würden!"
Mags kam ihm näher und wollte am liebsten ihre Fäuste gegen seine Brust schlagen, aber er erkannte ihr Vorhaben schnell und umschlang mit seinen Fingern ihre Handgelenke, hielt sie im Griff.
Sanft. Wollte sie nicht verängstigen.
„Danke."
Das Wort erreichte ihre Ohren mit einem wohltuenden Klang, als ihre Augen sich trafen. Er lächelte und Mags konnte nicht anders als es auf ihren Lippen reflektieren zu lassen.
'Ich werde dir helfen, Leonard. Ich finde einen Weg. Versprochen.'
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