❀ Kapitel 21
»Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.«
(Chinesisches Sprichwort)
Ihr Lächeln reflektierte sich im Spiegel, während Mags passende Ohrstecker aus einer kleinen glitzernen Box herauszog und sich anlegte. Im Hintergrund hörte man die zarte Stimme von Sienna, die ihr voller Euphorie eine Sprachnachricht über Leonard schickte, in der sie stolz davon erzählte, dass das Lego-Modell des 'Science World' nun in ihrem Zimmer stand.
Es war Ende August, die Temperaturen fielen langsam zurück, doch Magnolia spürte nach wie vor eine angenehme Wärme in sich.
Seit dem letzten Besuch bei Leonard vergingen zwar einige Tage, doch auf diese Weise hatte sie auch genug Zeit gründlich über viele Dinge nachzudenken. Allen voran kreisten Henrys Worte in ihrem Kopf herum und zogen eine Dauerschleife mit sich. Er hatte das Gefühl, sie würde ihn vernachlässigen und stattdessen durch Leonard ersetzen.
Dabei bedeutete Henry ihr so viel, also überraschte sie ihn zur Abwechslung mit einem alten Ritual ihrer langjährigen Freundschaft.
Gestern zogen sie los, genossen heimlich ein kühles Bier im Ron Basford Park und applaudierten den jungen Schülern zu, die sich von der Lights-Up Theaterschule direkt auf das kleine Amphitheater stürzen sollten. Danach ging es direkt weiter ins Spotlight, dies war ihre liebste Karaoke-Bar und das letzte Mal war viel zu lange her.
Ihr tat es schon fast Leid sich startklar für den nächsten Ausritt zu machen, dachte Magnolia doch gerade nur an Henrys Gefühl der Vernachlässigung, während sie sich für dessen Grund herausputzte.
Leonard rief sie vorgestern zwischen all ihrem Alltagsstress an und hätte seine klare Stimme auf dem Anrufbeantworter nicht plötzlich so unsicher geklungen, wäre er purer Ignoranz zum Opfer gefallen.
Stattdessen griff sie hastig zum Hörer und rief ihn zurück.
Seine Aufforderung raubte ihr schließlich beinahe den Atem. Zögernd hatte er festgestellt, dass er befürchtete aufgrund des Projekts nicht genug Zeit übrig zu haben, um sein ganz eigenes Ritual einzuhalten.
Zusammen mit Becky, ihrem Mann, deren Kindern und sogar der Familie Cormak wollte Leonard seinen normalerweise monatlich stattfindenen Familientag zurück in die Erinnerung holen und alle zu einem Frühstück an der English Bay einladen.
Sie war so froh über seine Einladung gewesen, dass Magnolia nach dem Anruf das Telefon direkt aufs Bett warf und vor Freude anfing zu weinen.
Sie wusste nicht, weshalb ihre Emotionen so mit ihr durchgegangen sind.
Aber es war ihrer Meinung nach eines der schönsten Gefühle, das man erleben konnte, wenn ein tief gefallener Mensch endlich wieder zu Stehen kam.
Erleichterung floss durch ihren gesamten Körper hindurch, nachdem Mags intensiv darüber nachdachte in welch einem Gefühlszustand sie Leonard überhaupt kennengelernt hatte.
Das Ticken der großen Wanduhr verriet, dass sie schon viel zu viel ihrer kostbaren Zeit mit Gedanken verschwendete, also trat Mags munter aus dem Schlafzimmer heraus, schenkte ihrem Kater eine kleine Streicheleinheit und schnappte sich die Handtasche, um einen schönen Tag an ihrer lieblings Bucht zu genießen. Zu ihrem Glück sah sie gerade Henry mit dem Rad verschwinden, als sie kurz aus dem Fenster spähte. Mags wusste, dass sie ihrem Kumpel keine Entschuldigung schuldig war, aber ein kleiner Teil ihres Herzens wusste, dass Henry mit der Vernachlässigung recht behielt. In letzter Zeit redeten die beiden immer weniger miteinander, unausgesprochene Worte erstickten in den verschlossenen Wohnungen und wurden von der Stille eingesaugt.
Bevor der große Deal mit dem Architekturbüro stattfand, ließen die beiden keinen einzigen Tag vergehen ohne zu besprechen, was sie an diesem erlebten.
Die Schritte aus der Wohnung hinunter zur Auffahrt erwiesen sich als schwierig, zu viele Gedanken plagten Magnolia und zerrten an ihren Nerven. Leider gab es keinen Ausweg, um auch nur einen einzigen loszuwerden.
Ihr aufgesetztes Lächeln brannte förmlich auf ihren Lippen, das sie trug, als ihre Füße sie zum stehenden Wagen führten.
„Du glaubst nicht wirklich, dass ich dir das abkaufe, oder?"
Es dauerte keine Sekunde, da schmiss Leonard ihr schon die erste Bemerkung entgegen, dabei hatte sie gerade erst die Tür seines Autos geöffnet.
„Was bitte meinst du?" Beide tauschten einen kurzen Blick miteinander aus, die Musik aus dem Radio durchbrach in sanften Klängen die Stille. Leonard schwieg zur Magnolias Erwartung noch immer, zog bloß wissend seine Augenbraue hoch und fuhr rückwärts von der Auffahrt herunter.
„Ärger im Paradies, hm? Was ist diesmal Henrys Problem?"
Seine Stimme hallte gegen die Frontscheibe, denn er blickte keine Sekunde zu Mags herüber. Man hätte auch denken können, es interessierte ihn nicht wirklich, was sie letztendlich zu sagen hatte.
'Wieso fragte er dann?'
„Ich bin wohl eher die mit dem Problem. Ich hasse es einfach ihn hängen zu lassen. Vielleicht hat er einfach recht, in letzter Zeit kamen seine Bedürfnisse viel zu kurz."
Ein Paar sturmgrauer Augen starrte amüsiert in den Rückspiegel, blickte dann aber wieder konzentriert auf die Fahrbahn.
„Ich dachte, ihr seid nicht in einer Beziehung."
Seine Stimme ließ keine unnötige Gefühlsinterpretation seinerseits zu, aber seine Anmerkung klang für Magnolia zu unsinnig, als das sie ihm keinen abwertenden Blick zuwerfen konnte.
„Sind wir auch nicht."
Ein freches Schnalzen durchbrach die Anspannung in dem Wagen, möglicherweise mischte sich heimlich auch ein Gefühl der Erleichterung hinzu.
„Dann ist es auch nicht deine Aufgabe dich rund um die Uhr um seine Bedürfnisse zu sorgen."
Beide wollten es eigentlich bei dem Statement belassen, aber Mags konnte nicht anders. Ihr Kopf lehnte sich gegen die Stütze, während sich dieses Mal ein ehrliches Lächeln auf ihren Lippen bemerkbar machte.
„Du bist wirklich ein zi-..."
Erwartungsvoll zog er eine Augenbraue hoch, doch zu seiner Überraschung verlor Mags kein weiteres Wort mehr. Er empfand es als merkwürdig, doch Magnolia winkte ab und hielt ihre Bemerkung für überflüssig.
„Das war eine tolle Idee, Leonard. Die beiden werden heute Abend schnell einschlafen."
Zufrieden blickte Becky über ihre Schulter hinweg und beobachtete ihre Kinder dabei, wie sie mit den beiden älteren Jungs von Adam Frisbee spielten. Magnolia hörte bei all den Gesprächen um sie herum kaum zu, stattdessen lauschte sie den brechenden Wellen und genoss die warmen Sonnenstrahlen, die sich einen Weg durch die kühlende Luft bahnten. Die hohe Konzentration gemischt mit dem Versuch die Geräuschekulisse zu ignorieren verursachte schon ein kurzes, stechendes Empfinden in ihrem Kopf.
Aber als Leonard seine Stimme erhob, schüttelte Mags die Umgebung beiseite und konzentrierte sich auf den Architekten, der um die richtigen Worte bemüht war.
„Danke, dass ihr gekommen seid. Das Treffen bedeutet mir wirklich viel." Auch, wenn ihm das Aussprechen dieser Worte nicht leicht fiel, bekam Leonard ein aufrichtiges Lächeln zustande, während Adam anerkennend nicken musste. Es war noch immer nicht leicht die Ereignisse aus den letzten Wochen zu vergessen, aber gleichzeitig verschlechterte sich die Situation auch nicht länger. Er musste Vertrauen in seinen alten Freund haben, doch das setzte etwas voraus, was Adam kaum besaß.
Geduld.
Die Kinder spielten noch den ganzen Vormittag am Strand, ließen die Erwachsenen mit ihren scheinbar langweiligen Gesprächen allein. Zur Überraschung aller zog es allerdings auch Leonard zum Strand hin, wo ihm direkt eine Frisbee zugespielt wurde. Auf fremde Menschen wirkte dieses Bild normal und nicht sonderlich erwähnenswert, aber seine Freunde saßen wie versteinert auf der großen Picknickdecke und beobachteten mit großer Freude dieses Ereignis.
„Das ist das erste Mal, dass Lenny mit den beiden spielt. Hier draußen, meine ich."
Becky wandte ihren Blick als erste vom Szenario ab und stopfte sich beherzt ein Stück ihrer Mandarine in den Mund. Immer wieder rätselte sie, wie es Magnolia überhaupt gelingen konnte, Leonard wieder aus seinem Loch herauszuholen.
Hätte sie es nicht eigentlich sein müssen, die ihrem Bruder aufhalf?
So wie er es damals unzählige Male tat, nachdem Becky das Fahrradfahren lernte und bei jedem Versuch wieder herunter fiel.
Es war immer schon ihr großer Bruder gewesen, der sich um sie kümmerte und ihr half wieder aufrecht zu stehen. Wieso konnte sie es also nicht für ihn tun?
War diese Frage überhaupt berechtigt?
Becky schämte sich schon fast für ihre Empfindungen, schließlich half Magnolia ihrem geliebten Bruder wieder auf die Beine und zurück zu einem gesunden Leben.
Eigentlich sollte sie doch froh sein... 'Eigentlich.'
Der Rest des Vormittags verlief zwar friedlich, doch dieser eine Gedanke sollte Becky noch spät bis in den Abend begleiten.
Das Licht der Straßenlaterne flackerte und beleuchtete im regelmäßigen Takt die Steine der Auffahrt zum Wohnblock. Der Tag verging wie ein Wimpernschlag und nach viel Spaß und guten Gesprächen stand Magnolia nun alleine auf der Auffahrt, schaute dem fahrenden Wagen hinterher und fragte sich, wann die Straßenlaterne an der Spruce Street endlich wieder im vollen Licht erstrahlte.
So viele Gedanken und Termine gingen ihr durch den Kopf.
Da war die Fotoauswahl mit Henry für das Magazin Vancity. Dann erfuhr sie noch von Leonard, dass die Ausstellung in der Galerie immer näher gerückt war. Michelle hatte das Tempo wohl erhöht, sie brauchte also dringend neue Fotos und Leonards Team dringend neuen Fortschritt.
'Wann wollten Henry und ich eigentlich die Fotos heraussuchen?'
Es war pure Erleichterung endlich in die Wohnung zu gelangen und dort die ungemütlichen Schuhe an den Schrank loszuwerden. Aberfeldy saß derweilen geduldig vor der Terrassentür und bat um Einlass. Seine Tatzen klopften energisch gegen das Glas, was Mags genervt aufstöhnen ließ, denn erst gestern investierte sie viele Stunden, um diese zu reinigen.
„Komm, rein hier."
Der Kater legte sich flach auf den erwärmten Fußboden, streckte seinen Körper und neigte wohl kurz seinen Kopf zu seiner Besitzerin, die anders wie sonst nicht wirklich viele Worte über sein Verhalten verlor.
Nach dem langen Nachmittag fühlte Magnolia sich einfach erschöpft, vermutlich hätte ein heißer Tee und eine warme Kuscheldecke dabei geholfen die kalte Luft vom Nachmittag aus ihren Knochen zu vertreiben, doch gerade als der Abend in Richtung Gemütlichkeit steuern sollte, klopfte es an ihrer Tür. Quälend wühlte sie sich aus der Decke heraus, schritt lustlos zu ihr herüber und wusste bereits, wen sie noch erwarten durfte.
„Jetzt sag nicht, dass du es vergessen hast..."
Ihr Gesichtsausdruck bestätigte bloß seine Befürchtung.
„Du wolltest mir doch bei der Auswahl der Fotos helfen. Für das Magazin, schon vergessen?"
„Ich- ähm..."
Sie fand kaum die passenden Worte, aber Henry war schneller und stiefelte zum kleinen Küchentisch rüber.
„Keine Sorge, vergeben und vergessen. Ich habe Vorarbeit geleistet, es sind jetzt nur noch fünf Favoriten. Die Misswahl sollte also nicht zu lange dauern."
Die Stuhlbeine rutschten über den Laminatboden, das kurze Quietschen hallte noch immer in Mags Ohren umher.
Aber nach wie vor bewegte sie sich kein Stück von der Stelle.
„Mags? Alles okay bei dir?"
Sie fühlte sich wie festgewurzelt, konnte sich bloß in die Richtung der wohlbekannten Stimme bewegen. Erneut hallte das Quietschen der Stuhlbeine durch ihre Ohren.
Alles andere blendete sie hingegen aus.
Jedenfalls bis zum Moment, wo Henry direkt vor ihr stand und sie den Druck seiner Hände deutlich auf ihren Schultern spüren konnte.
„Keine Sorge, verstanden? Wir setzen uns jetzt auf die Couch und dann telefoniere ich ein wenig."
Sie verstand nicht, weshalb ihr Freund mit ihr redete als sei sie ein Kind, aber als er sie sanft zu ihrem Sofa führte und dann hektisch nach ihrem Telefon griff, ahnte sie böses.
„Hallo, Henry Hall hier. Ich melde mich von der Spruce Street 2552, Apartment 24 b. Wir brauchen einen Notarzt. Es ist dringend!"
Moin 🌟
Und damit erscheint heute wieder ein neues Kapitel... und ich bin so froh darüber! Erstens, weil ich nach Monaten (👉🏼👈🏼) endlich wieder ein Update veröffentlichen kann und zweitens, weil dieses Kapitel nun eine wichtige Brücke im Buch bilden wird. ☺️
Normalerweise hätte ich mit dem Ende des Kapitels noch gewartet, aber damit ich am Ende nicht auf über 200.000 Wörter komme, habe ich beschlossen, die Handlung ein wenig schneller voranzutreiben. Außerdem besitzt dieses Kapitel nun ca. 1.900 Wörter... somit steigert sich vielleicht auch euer Leseerlebnis, damit es sich nicht alles in die Unendlichkeit zieht. 😅🙊
Ich hoffe, es hat euch gefallen. ☺️
Xx🌸
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