❀ Kapitel 2
»Lass Dich vom Himmelblau und Sonnengelb verwöhnen und genieße im Kleinen all das Schöne.«
(Monika Minder)
Der Himmel ähnelte mittlerweile einem niemals enden wollendem Meer aus klarem Blau. Mitten im Granville Loop Park stand eine blonde Frau, gekleidet in einem knallig grünen Rock, der sich perfekt mit der Farbe vom frischen Gras vereinte. Ihre Bluse war weiß und leuchtete förmlich im Sonnenlicht, dabei grinsten einem freche aufgedruckte Limetten entgegen. Um den Hals hatte Magnolia sich das Gurtband ihrer Kamera gelegt und prüfte die geeignete Bildeinstellung.
Vor ihr befand sich eine Brunnenskulptur, die das Wasser sanft in das Becken plätschern ließ und ein Gefühl von sommerlicher Stimmung wuchs in den Köpfen der Menschen drumherum. Aber der ausschlaggebende Grund, weshalb sie dort im Park stand und wartete, war ihr nächster Job. Sie sollte die Kinder ablichten, die ihre Ferien in dem Sommercamp der Theaterschule 'Lights Up' verbrachten.
Ein leichtes Tippen auf ihrer Schulter veranlasste Magnolia dazu sich augenblicklich umzudrehen und im nächsten Moment trafen ihre blauen Augen auf die zierliche Gestalt eines kleinen Mädchens.
„Bist du unsere Fotografin?"
Mags neigte ihre Kamera zu dem Kind herunter und gab ihr dann eine Antwort.
„Ich denke schon. Naja, hoffentlich. Sonst bin ich wohl den ganzen Weg umsonst gelaufen."
Das Mädchen streckte aufgeregt ihre Hände aus und wollte gerade nach der Kamera fassen, als sich eine Stimme aus dem Hintergrund bemerkbar machte.
„Cecilia, warum befindest du dich nicht in deiner Gruppe?"
„Ich wollte unsere Fotografin suchen, damit ich ihr sagen kann, wie sie mich fotografieren soll."
Die Frau mit der Kamera in der Hand schmunzelte und hielt dem Mädchen ihre Hand entgegen.
„Die Fotografin freut sich sehr, Sie kennenzulernen, kleine Miss. Ich trage außer dem Titel Fotografin noch den Namen Mags."
Das Mädchen streckte ihre Hand daraufhin ebenfalls höflich aus und war stolz, dass Mags sich ihr als erstes vorstellte. Die Leiterin und die Kinder traten näher an die lachende Frau heran und warteten nun ebenfalls auf einen Moment zur Begrüßung.
„Mein Name ist Katherine Walker und das sind unsere diesjährigen Schüler, die uns durch die Sommerferien begleiten werden."
„Magnolia Dearing. Es freut mich, dass Ihnen meine Arbeit gefällt."
Nachdem sie den anderen zwölf Kindern die Hand gegeben hatte wies sie diese an, sich um die Brunnenskulptur zu versammeln. Die Kinder waren alle zwischen neun bis dreizehn Jahre alt, Cecilia war tatsächlich die Jüngste von allen. Außerdem waren sie alle bemerkenswert aufmerksam und hörten genau zu, was man ihnen sagte. Durch jede kleine Veränderung wurden die Bilder Stück für Stück besser.
Katherine räumte die Schuhe aus dem Weg, damit sie nicht das Bild störten und dann steckten die Kinder freudig ihre Füße ins Wasser. Tropfen wirbelten durch die Luft und ergaben durch ihren funkelnden Glanz ein Highlight auf den Bildern.
„Kommt, dass letzte Bild. Einmal lächeln!"
Das Klicken der Kamera war zu hören und nach einer knappen Stunde hatten es die Kinder schließlich geschafft. Auch Katherine gab sich mit dem Resultat äußerst zufrieden.
„Sie werden innerhalb der nächsten Tage eine Mail von mir erhalten, der Ihnen Zugang auf die Dateien geben wird. Bezahlen können Sie auch mit PayPal."
Die Kinder stöhnten alle erleichtert auf und erhoben sich rasch von den Steinplatten, die eine gerade Linie durch das Brunnenbecken zogen. Magnolia lachte und packte mit zufriedener Miene die Kamera zurück in ihre Tasche.
Sie liebte ihren Job, dennoch genoss Mags es mehr, wenn ein Auftrag vorbei war und sich Selbstzweifel in Zufriedenheit verwandelten. Plötzlich konnte man wieder richtig aufatmen, jedenfalls bis der nächste Auftrag rief. Als sie sich von der Parkbank erhob, von der sie zuvor den Vögeln lauschte, war bereits eine weitere halbe Stunde vergangen und da sie für den heutigen Nachmittag keine Termine mehr hatte, entschied Magnolia sich selbst für das gelungene Fotoshooting zu belohnen und nutzte die Gelegenheit, um einen kurzen Snack zu genießen.
Im Restaurant angekommen begrüßte sie ein Kellner, während er zwei Tische weiter die Kunden bediente. Der Mann hieß Dave und Magnolia kannte ihn nicht nur, weil die beiden dieselbe Highschool besuchten und er zusammen mit ihr die Klasse teilte. Sie kannte ihn vor allem deshalb, weil er sie damals täglich mobbte und ihm erst Jahre nach dem Abschlussball verzeihen konnte. Inzwischen waren beide erwachsen geworden und trotz mulmigen Gefühl entschied Magnolia vor knapp einem Jahr trotzdem seine Hochzeitsfotos aufzunehmen.
Nachdem er die Getränke alle sorgfältig auf dem Tisch verteilt hatte, schwang er das leere Tablett unter seinen Arm und begrüßte Mags.
„Hey, Dave. Die Ehe tut dir wohl gut, du strahlst ja richtig!" Der Mann lächelte und bat sie, ihm zu einem leeren Tisch an einem Fensterplatz zu folgen.
„Was soll ich sagen, Judy macht es einem echt leicht glücklich zu sein. Was ist denn mit dir? Irgendwelche neuen Aufträge?"
„Komme gerade aus dem 'Loop'. Ein kleines Fotoshooting mit den Kindern, die dieses Jahr das Sommercamp unsicher machen werden."
Daves Lippen verzogen sich zu einem spitzen Lächeln, bevor er seine Worte herausließ.
„Ich hoffe doch, dass du dieses Mal die Kamera aufgeladen hast."
Beide grinsten sich gegenseitig an und dachten unabhängig voneinander an den Moment in der Kirche zurück, als Dave überglücklich mit seiner Frau in der Hand durch die Eingangstüren schwebte und beide ihre verschlossenen Hände in die Luft hielten. Erstmal draußen wurden sie auch schon mit weißen Rosenblüten übergossen, welche durch die Luft schwebten und das Ehepaar umhüllten. Dutzende Blicke waren auf Mags gerichtet, die nur mit einem Smartphone bewaffnet aus sämtlichen Blickwinkeln gelungene Momentaufnahmen geschossen hatte. Die Eltern der Braut waren äußerst empört über diesen Anblick gewesen, hatten sie nur Gutes über die Resonanzen der Frau gehört, waren nun alle Erwartungen die Rocky Mountains hinabgestürzt.
Jedenfalls, bis man die Bilder bestaunen durfte.
„Also ich finde es nach wie vor toll, dass ich einen Beitrag dazu geleistet habe, euren großen Tag noch unvergesslicher zu machen." Dave lächelte und reichte ihr die Karte. Das Gespräch verlief ab da im Sande, viel mehr freute sich Mags auf seine Rückkehr mit ihrer Bestellung. Während sie so da saß und die Leute beobachtete, kam ihr erneut der Gedanke in den Sinn, der sie schon seit Tagen beunruhigte. Eine gewisse Michelle Shae, eine namenhafte Galeristin, beauftragte sie damit digitale Kunstwerke tauglich für lokale Magazine zu machen sowie das Team hinter dem Bauprojekt zu begleiten. Alles klang so spannend, wenn da nicht ihre hartnäckigen Selbstzweifel wären.
Magnolia war schon als Kind fasziniert von der künstlerischen Darstellung gewesen. Sie hatte schon recht früh ein Auge für Details entwickelt und wie man sie perfekt in einem Foto darstellen konnte.
Malen war zwar nie ihre Stärke gewesen, aber dafür war die Kamera ihr Pinsel.
Große Persönlichkeiten wie Andy Warhol oder auch ein Helmut Newton hatten ihre Faszination bereits vor Jahren geweckt.
Nachdem Mags das Restaurant verließ, waren die Sonnenstrahlen noch immer intensiv genug, um den Heimweg barfuß anzutreten. An diesem Abend wollte sie den Sonnenuntergang beobachten und gemütlich ein Glas Wein vor ihrer Feuerschale genießen.
Bevor sie wieder in der Spruce Street ankam, klingelte plötzlich ihr Handy, die Nummer war ihr allerdings nicht bekannt.
„Guten Tag, Sie sprechen mit Mags Dearing. Was kann ich für Sie tun?"
„Hallo, Mrs Dearing. Mein Name ist Adam Cormak. Ich melde mich im Namen von Leonard Tremblay bezüglich der Fotokampagne für die Galerie von Mrs Shae." Magnolia sog scharf die Luft ein und lauschte noch Sekunden später der Stille am Ende der Leitung, jedenfalls bis sie ihre Worte wiederfand, um dem peinlichen Schweigen ein Ende zu bereiten.
„Freut mich von Ihnen zu hören, Mr Cormak. Wären Sie von der Zusammenarbeit also überzeugt?"
„Das wird sich noch herausstellen. Mr Tremblay erwartet Sie jedenfalls Morgen gegen zehn Uhr in seinem Büro. Lässt sich der Termin einrichten?"
Am nächsten Tag standen keine neuen Aufträge an und die Fotos vom jüngsten Shooting wären vermutlich noch in der Nacht fertig, da funktionierte ihr Verstand jedenfalls am besten.
„Richten Sie ihm aus, dass ich Morgen erscheinen werde und mich über seine persönliche Einladung freue." Bevor das Telefonat endete, verabschiedeten sich beide voneinander. Danach war wieder Stille eingekehrt.
Magnolia sah für einen kurzen Moment niemanden mehr um sich herum und war einfach nur dankbar, dass sie einen neuen großen Auftrag dazu gewinnen konnte. Ihre Faust schwang glücklich in die Luft, als sie Gott und die Welt für diese Gelegenheit dankte.
Zurück in der Wohnung bildete sich noch immer ein perfektes Bild des Chaos in ihren Augen. Zu allem Überfluss bemerkte Magnolia, dass sie die Fensterfront zum Balkon mal wieder reinigen sollte. Ihre Augen verdrehten sich bei dem Gedanken, doch immerhin konnte sie sich dazu aufraffen die Kissen auf der Couch wieder in eine ordentliche Reihe zu bringen.
Der Wechsel in gemütlichere Kleidung musste sie jedoch erstmal vertagen, denn der Laminatboden glich durch die ganzen Klamotten eher einem Mosaik, deshalb sammelte sie sämtliche Oberteile ein und nahm den Stoffberg mit hinaus, um ihn an den Wäschekorb loszuwerden. Doch gerade als sie ein paar Meter durch ihren Flur lief, kam sie ins Stolpern und die gesamten Kleidungsstücke lagen erneut auf dem Boden verteilt. Genervt wagte sie einen Blick hinter die Schulter und bemerkte ihre Schuhe.
'Tolles Prinzip der Ordnung, Mags. Ganz toll.'
Erneut sammelte sie die Klamotten vom Boden auf und war erleichtert, als diese endlich im Wäschekorb verschwanden.
Minuten verflogen, nachdem Magnolia es endlich auf den Balkon schaffte und ein leises Geräusch zu ihrer rechten wahrnahm.
Die Neugier siegte, deshalb spähte sie herüber, in der Hoffnung zu erkennen, womit Henry sich die Zeit an diesem herrlichen Tag vertrieb. Tatsächlich lag ihr bester Freund aber in seiner Hängematte mit einem Buch über seinen Bauch liegend und schlief. Magnolia schüttelte lächelnd den Kopf und holte ein paar Kaffeebohnen aus ihrer Dose, welche auf ihrer Küchentheke stand. Als sie den Weg zurück zum Balkon fand versteckte sie sich hinterm Bambus, um nicht gleich von Henry entdeckt zu werden. Mehrmals trafen die kleinen Bohnen Henry gegen den Kopf. Manche purzelten aber auch an seinem Körper herunter oder verfehlten komplett das Ziel.
Irgendwann reichte dann die letzte Kaffeebohne aus, um ihren schlafenden Nachbarn aus seinen Träumen zu verbannen. Henry öffnete die Augen und starrte in einen vollkommen blauen Hinmel, dessen Strahlen ihn blendete. Er konnte seine Nachbarin zwar nicht sehen, aber die Attacke sah Mags ähnlich.
„Nur du schaffst es, die Träume eines Mannes zu zerstören, Gnolly."
„Du sollst mich nicht so nennen!" Nach der donnernden Stimme folgte das Auftauchen ihrer Gestalt aus dem Versteck hinter dem dichten Bambus.
„Also, weshalb musstest du mich aus meinem Nickerchen reißen?"
„Na, erstens scheint die Sonne und das sollte man ausnutzen und zweitens dachte ich, wir könnten heute Abend zu einem netten Feuer einen guten Wein genießen." Henry sah skeptisch über das Gelände seines Balkons hinweg und überlegte kurz, weshalb seine Nachbarin und langjährige Freundin in solch einer feierlichen Laune war.
„Wie gut ist er denn?"
„Wie wäre es mit einem Moulin de Duhart?"
Provozierend hielt Magnolia zwei Weingläser in die Luft und gab Henry mit einer simplen Handgeste zu verstehen, dass er zu ihr rüberkommen sollte.
Dies tat er letztendlich auch.
Beide saßen nach einer weiteren vergangenen Stunde endlich an der brennenden Feuerschale und beobachteten den Sonnenuntergang aus weiter Ferne. Die Flammen des Feuers tanzten in der warmen Luft und immer wieder hörte man das Knistern von verbranntem Holz.
„Was feiern wir heute Abend eigentlich?"
„Wie Horaz es einst zu sagen pflegte, Henry. Carpe Diem."
Die letzten intensiven Strahlen der Sonne reflektierten sich in dem Weinglas, welches Mags zu einem Toast gen Himmel streckte.
„Heißt das also, du hast den Auftrag für die Fotokampagne bekommen?" Henry hielt sein Glas noch zurück, während er seine Frage stellte.
„Das werde ich frühestens Morgen gegen zehn Uhr wissen."
„Na schön, überzeugt. Darauf trink ich!" Die Gläser klirrten sanft aneinander, ehe das vertraute Pärchen sich die rote Flüssigkeit wieder an die Lippen führte.
"Ein kleiner Hinweis für dich wäre es, morgen keinen dummen Ausrutscher passieren zu lassen. Der Leiter des Büros soll ein ziemlich mürrischer Mistkerl sein. So wie die meisten Genies eben."
„Keine Sorge, Henry. Ich werde das Eis schon brechen", das Versprechen murmelte Magnolia zwar mehr in sich hinein, doch ihr Entschluss stand trotzdem fest.
Sie wollte diese Kampagne unbedingt für sich gewinnen, sollte der Chef auch so launisch sein wie er wollte. Ein letzter Gedanke von ihr an diesem Abend war es ebenfalls, Henry zu beweisen, dass sie nicht nur von einem Missgeschick ins nächste rennen konnte, sondern das unmittelbar in der Nähe der ganz große Goldschatz auf sie wartete.
Dabei konnte noch nie jemand wirklich vorhersagen, in welch einer Form.
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