❀ Kapitel 18
»Das, was in diesem Moment erscheint, ist mein Leben. Es ist immer nur jetzt.«
(Eckhart Tolle)
Leonard schluckte, als seine Finger um das feste Metallgitter griffen und seine Augen sich zur Gestalt wandten, die bereits den Zaun erklomm und sich stöhnend hochzog.
„Pass auf deine Hände auf. Hier oben befinden sich kleine Spitzen."
Mags schwang vorsichtig ihr Bein um den Zaun und ließ sich durch einen Sprung auf der anderen Seite runter. Zufrieden rieb sie sich ihre Hände am Stoff ihrer Jacke ab und schaute amüsiert zu ihrer Begleitung, die noch immer hinter dem Gitter stand und sichtlich mit seinem Gewissen zu kämpfen hatte.
„Jetzt komm endlich, hier ist doch weit und breit niemand. Schnell, bevor sich das ändert!"
Er wusste nicht, weshalb er sich auf diese schwachsinnige Aktion überhaupt einließ, aber bevor er es weiterhin hinterfragen konnte, hatten seine Füße sich schon auf die ersten Gitterstangen niedergelassen, um schleunigst auf die andere Seite zu gelangen. In beachtlicher Geschwindigkeit überwand er das Hindernis und nutzte den Moment, um Magnolia einen wütenden Blick zu zuwerfen.
„Schau mich nicht so an, Wir haben unser Ziel fast erreicht", trällerte sie fröhlich vor sich hin und Leonard begann sich dabei sofort zu fragen, ob sie nicht ein wenig zu viel aus ihrem Flachmann getrunken hatte.
Aber die aufsteigende Wut war schon fast komplett vergessen, nachdem sie ein paar weitere Schritte setzten und dann auf eine stille, harmonische Wasseroberfläche blicken konnten, dessen künstlicher Blauton durch kleine Lichter verursacht wurde.
„Sag mir nicht, dass du noch nie zuvor davon geträumt hast. Ein Freibad, ganz für dich allein."
„Ich bin nicht mal allein."
Mags seufzte, sagte aber nichts, sondern war damit beschäftigt sich ihrer Kleidung zu entledigen. Um Leonard nicht allzu sehr zu verunsichern, behielt sie natürlich ihre Unterwäsche an und verstaute unter dem Klamottenberg ihre Tasche, bevor sie ins schöne lauwarme Wasser hineinsprang.
Er stand derweilen am Beckenrand und wischte sich die Wassertropfen aus dem Gesicht. Seine Pose hatte was von einem strengen Bademeister.
„Los, zieh dich aus und komm mit rein. Sonst verpasst du noch den ganzen Spaß!"
Sie sah den Trotz in seinen Augen, aber irgendetwas schien in seinen grellen Iriden zu strahlen ... das Funkeln, was man meist nur in neugierigen Kinderaugen sah.
Zögernd griff Leonard nach dem Saum seines Hemdes und zog es sich über den Kopf aus. Zusammen mit seiner Hose und allem, was er sonst noch bei sich trug, landete es auf einer einsamen Sonnenliege.
Mags beobachtete ihn und stellte in aller Stille fest, dass er auch ohne seine maßgeschneiderten Anzüge ansehnlich war.
Sein Körper war nicht überzogen von Muskeln, aber dennoch definiert, sportlich.
Viel Zeit zum Beobachten blieb ihr leider nicht, denn er kam näher auf sie zu und konnte so auch ihren Blicken folgen.
„Fein, wir arbeiten diesen Punkt ab. Aber lass es uns schnell machen, ansonsten bekommen wir echt Probleme." Mahnend hielt er seinen Zeigefinger in die Luft, während er noch immer wie ein spießiger Bademeister am Beckenrand stand. Magnolia grinste und stützte sich mit den Armen auf diesem ab.
„Du hast nicht einmal einen Fuß hier rein gesetzt. Los, danach haben wir noch genug Zeit, um zu bereuen."
Kurze Zeit später hallte ein weiteres Plätschern durch die stille Nacht und nun waren da zwei Gestalten in diesem großen Schwimmbecken, nicht wirklich darum bedacht sich ihrer Umgebung bewusst zu werden.
Es sollte ein nächster Lehrpunkt für ihn sein, keine dumme Aktion...
'Leben im richtigen Moment ... denken im Nächsten.'
Mehrmals tauchten sie unter, um sich an die Temperaturen zu gewöhnen. Mittlerweile war es außerhalb des Beckens so kalt geworden, dass sich um sie herum auf der großen Graswiese feiner Bodendunst bildete. Magnolia genoss die Aussicht auf den dunklen Wald hinter dem hohen Zaun, die Bäume neigten sich düster zum dunklen Nachthimmel empor und doch spürte sie anhand des Bildes kein Unbehagen. Es war viel mehr diese Stille, die sie genoss. Gepaart mit den unterschiedlichsten Tierlauten, welche alle paar Minuten die angenehme Stille durchbrachen und Mags daran erinnerten, dass sie sich nicht komplett allein auf dieser Welt befand. Dabei waren es nicht bloß die Rufe der fernen Eulen, die ihr diese Tatsache bewusst werden ließen.
Viel mehr war es wohl die Flut an Wassertropfen, die sie von der Seite angriffen.
Vewirrt wischte sie sich das Chlorwasser aus den Augen und wandte ihren Blick zur Seite, wo sie einen grinsenden Leonard vorfand. Bevor sie einen Gegenangriff starten konnte, schwamm er schon zum sicheren Beckenrand der gegenüber liegenden Seite und ließ ihr keine Chance auf Rache.
Er war ein begnadeter Schwimmer.
Langsam kam sie auf ihn zu, unschuldig. Nicht darum bedacht, es ihm heimzuzahlen.
Jedenfalls nicht auf exakt dieselbe Weise.
„Du scheinst ja doch deinen Spaß zu haben."
„Ich will ja nicht, dass du denkst deine Liste wäre unnötig. Das würde nur deinen kindlichen Verstand enttäuschen."
Leonard hatte eine äußerst sarkastische Ader, wenn es darum ging, seinen Humor zu zeigen, aber zu seinem Glück konnte Magnolia dies gut ab und lächelte seine Bemerkung einfach weg.
„Meine kindischen Einfälle scheinen deinem spießigen Dasein wohl gut zu gefallen, wenn du schon bei allem mitmachst, was ich so vorschlage."
Entspannt zog er weiter seine Bahnen im Schwimmbecken. Langsam folgte sie ihm, bewegte sich mit den Füßen vorwärts, die den Boden des Beckens gerade erreichen konnten. Noch ehe sich Leonard zu ihr umdrehen konnte, hatte sie schon ihren Arm um seinen Nacken gelegt und drückte ihn mit all ihrer Kraft in das beleuchtete Wasser hinein.
Sie lachte, während er wieder zur Oberfläche auftauchte und ihr einen bösen Blick zuwarf.
„Du bist angefangen!"
Natürlich blieb ihre Rache nicht ohne Folgen, aber bevor Leonard etwas tun konnte, wurde er urplötzlich von seinem Handeln unterbrochen.
„Scheiße, da ist jemand! Los, los! Raus aus dem Becken!"
Leonard nahm ihre Hand und zog sie stürmisch hinter sich her, dabei war Magnolia ganz überrascht von der Tatsache, dass sein Wortschatz über derartige Wörter überhaupt verfügt hatte.
„Hey! Verschwindet von der Anlage!" Eine weitere Stimme erhob sich durch die Stille der Nacht, jedoch klang sie nicht ganz so amüsiert wie die beiden anderen zuvor.
Leonard und Magnolia erreichten die Treppenstufen und verließen mit plätschernden Geräuschen das Becken, während Leonard zur Sonnenliege hetzte und sich sein Portemonnaie schnappte.
„Halt, nicht weiter! Ihr habt keine Befugnis hier zu sein!" Der Wachmann stand noch immer an der anderen Seite des Freibads und leuchtete mit seiner Lampe die Anlage an.
„Wenn er uns erkennt, haben wir ein verdammtes Problem!"
Natürlich machte sich Leonard vor allem Sorgen über seinen guten Ruf als seriöser Geschäftsführer.
„Los, schnell zum Zaun. Vergiss deine Klamotten, davon hast du eh genug."
Diesmal zog Magnolia ihn hinter sich her und zwang Leonard über den Zaun zu steigen. Er schaffte es sogar noch schneller als beim ersten Mal auf der anderen Seite zu gelangen und half Mags, die Probleme hatte mit ihren nassen Füßen Halt auf den Metallstangen zu finden.
Aber egal, wie misslich deren Lage auch zu sein schien, Mags konnte ihr Lachen nicht mehr unterdrücken und es wurde nur noch schlimmer, nachdem sie Leonards panischen Blick sah. Der Wachmann war näher gekommen und das Licht der Taschenlampe erleuchtete ihren Weg immer intensiver, sodass die beiden schnell eine Lösung für einen Fluchtweg finden mussten.
Leonard hatte als erstes einen Gedankenblitz und wartete nicht länger damit ihn mit Mags zu teilen.
„Komm, ich weiß eine Abkürzung zu mir nach Hause!"
Einige Minuten und eine Abkürzung durch einen Vorgarten später sah man zwei Gestalten die Pine Street runterrennen, in nichts weiter bekleidet als der nassen Unterwäsche, die sie trugen.
Die Nacht war für einen Juli ziemlich kalt, aber durch den spontanen Sprint gepaart mit Adrenalin, welches durch ihre Venen pumpte, nahmen sie dieses Detail kaum wahr.
Die Rufe des Wachmanns waren schon lange verklungen und nun war es still und dunkel, einzig das Licht von drei einsamen Straßenlaternen bestrahlte in weiteren Abständen die lange Straße.
Leonard hielt Magnolia fest an seiner Hand, während sie die letzten Meter zu seinem Haus zurücklegten.
Nachdem die Gefahr aufzufliegen vorbei war, konnte auch er sich nicht mehr halten und brach in schallendes Gelächter aus, in welches Mags nur zu gerne einstieg.
Selbst als sie seine Haustür erreichten, war die Laune noch immer an ihrem Höhepunkt. Doch dann blickte Magnolia auf die verschlossene Tür und rechnete mit einer Hiobsbotschaft. Leonard schien ihre Sorge zu bemerken und griff deshalb mit gelassener Mine unter seinen Briefkasten und schob eine kleine, schiebbare Platte zur Seite. Sogleich fiel ein metallener Schlüssel zu Boden. Mags zeigte sich begeistert über dieses Versteck.
„Oscar hatte die Idee, mein kleiner Erfinder."
Seine sanften Worte trafen Mags direkt ins Herz und die Angst wuchs, dass seine Stimmung wieder schwanken würde, doch zu ihrer Überraschung verlor er ein trauriges Lächeln, welches Magnolia erwiederte.
Es war ein kleiner Schritt nach vorne und das war es, was zählte.
Der Schlüssel drehte sich im Schloss herum, die Tür stieß Leonard ohne weiteres auf, aber da es mittlerweile so kalt war, drängelte Mags sich an ihm vorbei und landete zuerst in dem leeren Flur.
Leonard tauchte direkt hinter ihr auf, nachdem er den Schlüssel noch einmal im Schloss herumdrehte und diesen dann auf seinem kleinen Beistelltisch ablegte.
Beide waren sich durch Magnolias plötzlichem Überholmanöver so nahe, dass sie seinen Atem spüren konnte. Eine ganze Zeit lang schauten sie sich einfach nur an, nichts passierte.
'Wieso macht er nichts?'
Die innere Sanduhr in Mags Verstand verlor ihren letzten Sandkorn, doch zum gewünschten Moment kam es nicht.
„Ich mache-...ich denke, ich mache uns einen Tee."
Die Aufregung war deutlich in seiner Stimme zu hören, was Mags äußerst amüsant fand. Ohne zu antworten folgte sie ihm in die Küche, welche mit seinem Wohnzimmer verbunden war.
Nach dem aufregenden Abend sah die Couch aber deutlich gemütlicher aus als einer der Küchenstühle, deshalb nahm sie sich die Wolldecke und rollte sich wie ein Burrito in diese ein, bevor sie sich auf die Couch legte und entspannte.
„Was hälst du von einem Earl Grey?", rief er von der Küchentheke, Mags brachte jedoch nur ein schwaches „Mhmm" zustande, was Leonard ein Lächeln auf die Lippen legte. Dieses Mal hielt eindeutig sein Tatendrang länger an als ihrer.
Den Wasserkocher schaltete er wieder aus, stellte die Holzbox mit den verschiedenen Geschmackssorten zurück an ihren Platz und gesellte sich zu seinem Gast auf die Couch. Der Stubentisch war noch ganz bedeckt von all den Zetteln, auf denen Leonard neue Entwürfe kritzelte. Manchmal griff er lieber klassisch zum Block und ein paar Stiften, statt wie gewohnt sein Grafiktablet zu benutzen. Normalerweise würde er auch die ganzen Blätter beiseite räumen, für Ordnung sorgen, die ihm stets wichtig war.
Doch das Rascheln der Blätter hätte zur Folge, dass Mags wach werden würde.
Er hatte einen anderen Plan, schließlich war es schon früh am nächsten Morgen und er hatte noch einen halben Arbeitstag vor sich. Leonard rieb sich müde durch sein Gesicht, bevor er vorsichtig unter Mags schlafenden Körper griff und sie behutsam in seinen Arm nahm. Leise und darauf bedacht mit seinen Schritten nicht allzu viel Lärm auf dem Laminatboden zu verursachen, lief er direkt zu seinem Schlafzimmer.
Mags hatte mitlerweile so einen tiefen Schlaf erreicht, dass sie es nicht einmal bemerkte, wie Leonard ihr vorsichtig die Wolldecke vom Körper nahm und ihr seinen Bademantel anzog, der wie gewohnt über dem Paravent hing. Seine Bettdecke sollte ebenfalls zu einer wohligen Wärme beitragen. Ihre nassen Haare lagen nach wie vor in dünnen Strähnen über ihre Stirn.
Leonard lehnte noch kurz gegen den Türrahmen, beobachtete, wie ihre Brust sich im Rhythmus hob und wieder senkte.
"Gute Nacht, Sleeping Beauty", sanft erklang sein Flüstern durch den abgedunkelten Raum, ehe Leonard das gedämmte Licht ausschaltete und die Tür leise hinter sich zu zog. Die Frau in seinem Bett allerdings-...nein, sie bekam von seinen Worten nichts mehr mit.
Hallööchen 🦦
... diese Woche hatte ich mal wieder einen ordentlichen Schwung, sodass jetzt passend zum Ende der Woche noch ein Kapitel bzw. eher die Fortsetzung von Kapitel 17 folgt... 🌸
Es hat mir ordentlich Spaß bereitet und mit knapp über 2.000 Wörtern ist es mir endlich mal gelungen, mich kürzer zu fassen... 😂
Genießt alle noch den Sonntag,
Xx ✨🕊
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