❀ Kapitel 13
»Jede Nacht liege ich allein in meinen Tränen, ohne dich an meiner Seite...«
(Kodaline)
Der Nachmittag am Tag zuvor war ein Erfolg gewesen, auch, wenn der Streit mit Henry ihre Freude zuerst verstimmte. Es tat ihr aber gut zusammen mit Leonard über deren Schatten zu springen und einen Ort zu betreten, der beiden nur allzu viel Überwindung kostete.
Er redete.
Zum ersten Mal tat er es mit einer Unbeschwertheit, rannte nicht wieder vor seinen Ängsten weg. Den Abend genoss Mags dann mit ihrem besten Freund, glättete die Wogen und war froh, dass es mit der Stimmung aufwärts ging.
'Fragt sich nur für wie lange noch.'
Unweigerlich musste sie wieder an ihre eigenen Worte denken, die sie einige Stunden zuvor Leonard wissen ließ. Um den inneren Frieden nicht schnell wieder zu verlieren, löschte sie den Konflikt mit Henry vorerst aus ihren Gedanken und freute sich stattdessen auf den Termin mit Leonard.
Aus dem Bad strömten die Töne zu 'Monday Morning' heraus. Ein Song, der einfach zum Montag passte.
Aberfeldy mochte den Krach nicht, deshalb flüchtete er auf seinen Samtpfoten in das Wohnzimmer und rollte sich mehrfach auf dem weißen Fellteppich herum.
In einem anderen Haus, ein paar Straßen weiter in der Pine Street, stand Leonard gerade in seinem kühlen Schlafzimmer und knüpfte sich sein Hemd zu.
Leonard schlief in dieser Nacht nach unzähligen Tagen das erste Mal durch und war nun so spät dran, dass er seine tägliche Runde um den False Creek nicht mehr vor dem Termin schaffte.
Ein gutes Zeichen? Er war sich dem noch nicht wirklich sicher.
Aber eines fiel ihm dann doch auf.
„Wie bist du denn hier reingekommen?" Auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch schlummerte Pheobe und begann zu schnurren, als Leonard ihr durchs Fell strich. Ihm schoss es sofort in den Sinn, dass er extra seine Tür einen Spalt offen ließ, damit die Katze ihm in der Nacht Gesellschaft leisten konnte.
Es war eine Geste, die früher zu seinem Alltag gehörte.
Immer wenn Nell nachts nicht schlafen konnte, weil Oscar ihr irgendwelche Gruselgeschichten erzählte, kam sie zu ihnen ins Schlafzimmer. Paige hatte einen festen Schlaf, deshalb kletterte seine kleine Nell immer auf Leonards Seite.
Um seine Frau nicht zu wecken, flüsterte er mit seiner Tochter unter der Decke. Solange, bis Nell vor lauter Müdigkeit einfach in seinem Arm einschlief.
Er deckte die Wahrheit hinter Oscars Geschichten auf und am nächsten Morgen musste er sich am Frühstückstisch verantworten.
Leonard war zwar genervt, wenn sein Sohn mal wieder seiner kleinen Schwester Angst einjagen wollte, dennoch schätzte er jedes Mal seine blühende Fantasie.
Außerdem, so dachte er immer, hätte Nell irgendwann nicht mehr bei ihm Schutz gesucht, sollte sie Probleme haben. Deshalb war Leonard mehr oder weniger froh, wenn Oscar dafür sorgte, dass sie es immerhin in diesen Momenten tat.
Langsam verblasste dieses Bild... nein, die Erinnerung.
Da war kein Oscar mehr, der schmollend über seine überfüllte Schale Cornflakes hing und nach einer Ausrede suchte.
Auch war keine Nell mehr da, die sich schleichend über das Pakett bewegte, sich unter die Decke ihres Vaters wühlte und ihren kleinen Finger über ihre Lippen presste.
„Pssst. Mom schläft."
Mom. Frau... Paige.
Da war keine Paige mehr neben ihm.
Die Seite des Bettes war seither leer. Leer und kalt...
so lange schon fühlte er diese unaussprechliche Kälte.
Seine Hand presste sich in die Matratze.
Auf dem Nachtschrank stand ein Bild. Daneben eine Schachtel, ihr Ring.
Leonard seufzte, die Last mit einem Mix aus Schuldgefühlen und tiefer Verletzung wogen schwer in seinem Herzen.
Es war wohl wieder soweit, sein Verstand erlitt Schiffbruch.
Pheobe schnurrte immer noch auf seinem Stuhl.
'Genieß einfach die Nähe, die sie dir geben wird.'
Fast schon automatisch griff er nach der Katze, hielt sie fest in seinem Arm und saß sich wieder zurück auf das Bett.
Er fühlte die Wärme und sah dieses Lächeln vor seinen Augen.
Das Lächeln und der Schimmer in ihren Augen, als er mit dem Kätzchen aus dem Tierheim kam und es mit einer kleinen Schleife um den Hals seiner Frau überreichte. Es war ihr größter Wunsch gewesen.
Der Mann in dem kalten, stillen Zimmer konnte nicht mehr anders.
Die Tränen sammelten sich wie Bäche in seinen Augen und fielen still hinab wie die fließenden Massen eines Wasserfalls.
Magnolia war für ihre Verhältnisse früh dran, allerdings gegenüber der Bitte Leonards schon viel zu spät.
Deshalb beschmierte sie ihr Knäckebrot mit einem griffbereiten Aufschnitt, stellte ihn zurück in den Kühlschrank und schob sich das Brot zwischen die Zähne. Mit einem Heißgetränk, Tasche und Schlüssel bewaffnet ging sie schließlich aus der Tür und stiefelte hektisch das Treppenhaus hinunter. Der Weg zum Architekturbüro dauerte zum Glück nicht solange. Aber als sie endlich ankam, fiel ihr direkt etwas auf.
Die Lichter.
Diese waren auf den oberen Ebenen alle aus.
„Oh, danke, Leonard! Lässt mich hier mitten in der Nacht antanzen, während du noch schön im Bett liegst!" Das genervte Gemurmel konnte kaum einer hören, sollte überhaupt derzeit eine weitere Gestalt die Straßen irgendwo überqueren.
Zugegeben, es war kurz nach halb sieben.
Magnolias innere Uhr war aber trotzdem noch auf Schlafmodus gestellt.
Genervt holte Mags ihr Handy aus der Hosentasche und tippte ein paar Nachrichten an ihre Freunde. Zudem checkte sie ihre Instagramseite und suchte schon ein paar passende Ideen für die Hochzeitsfotos raus. Ihre Suche nach Inspiration wurde jedoch unterbrochen, nachdem sie einen sanften Druck auf ihrer Schulter spürte. Doch hinter ihr stand niemand.
Mags' Blick wandte sich schlagartig wieder nach vorne und tatsächlich lief nun eine Person an ihr vorbei.
„Wenn du mich schon eine halbe Stunde warten lässt, könntest du wenigstens so nett sein und mich begrüßen, oder?"
„Ich hätte nicht gedacht, dass du tatsächlich pünktlich bist."
Mags lachte verlegen, spürte aber wieder diese kühle Distanz zwischen Leonard und ihr.
Das gefiel ihr ganz und gar nicht. Aber ihn darauf ansprechen?
Es war ein komisches Gefühl durch die leeren Ebenen zu wandern.
Keine Ally, die in der kleinen Küche herumwirbelte und den Kaffee für alle ansetzte.
Kein Adam, der die Lichter anschaltete und für die Kunden alles vorbereitete.
Auch war da kein Andrew, der die Fertigkeiten der Reinigungskraft bemängelte.
Alles war still. Langweilig.
„Also? Was bereiten wir schönes vor?" Eifrig rieb sich Mags die Hände und spürte einen kitzelnden Tatendrang im Inneren, der nicht so wirklich auf Leonard überspringen wollte.
Er gab sich bedeckt, jedoch nicht völlig schweigsam.
„Oben im Besprechungsraum stehen die Getränkekisten. Wir könnten den Tisch decken und dann kannst du ja sehen, was du brauchst, um...- du weißt schon, für dein Shooting." Er wirbelte mit seinem Finger herum, in der Hoffnung, dies hätte die Lücken in seinem Satz füllen können.
Mags schnaufte genervt und verschwand im selben Moment zum Aufzug.
„Es ist nicht mein Shooting, vergessen? Ich bin nicht hier, um für mich ein Portfolio zu erstellen, Leonard."
Seine bissige Art ging ihr an diesem Morgen besonders durch den Strich. Vor allem, weil an dem Tag zuvor noch alles so rosig schien.
'Was ist los mit ihm? Habe ich gestern etwas falsches gesagt? Ich habe nicht mal viel geredet, das tat überwiegend er und ich habe ihn nicht mal dazu gezwungen.'
Das Besprechungszimmer erstrahlte wie die anderen Räume und Flure zuvor mit Licht, einzig fehlte etwas Frischluft. Mags lief zu den großen Fenstern, atmete die Luft ein und beobachtete draußen ein paar Menschen auf den Gehwegen.
Die Ablenkung tat ihr gut und das Beobachten von dem langsam aufblühenden Leben erweckte sie mit neuem Tatendrang. Leonard konnte ruhig wieder in seine Rolle der Grumpy Cat verfallen, aber das musste ihre Laune nicht zwangsläufig mit herunterreißen. Ihr Kopf neigte sich von der einen zur nächsten Seite.
Die Augen erblickten das Licht der unzählig vielen Straßenlaternen und kleine schattenhafte Gestalten, die in den Gebäuden gegenüber von ihr durch die Räume wanderten. Sie ließ sich die morgendliche Luft um die Nase wehen, neigte sich zum anderen offenen Fenster hin und sah wie Leonard ebenfalls durch dieses blickte und seinen eigenen Beobachtungen nachging.
Er stand ganz still da, fast wie eine Statue.
„Leonard?"
„Nicht jetzt, Mags. Bitte."
Sofort wusste sie, dass er wieder einen Rückschlag erlitten hatte und es tat ihr im Herzen weh, ihm diesen Schmerz nicht einfach abnehmen zu können... wenigstens für einen einzigen Tag.
Mags schloss das Fenster zu und lief zu dem langen ovalen Tisch inmitten des Raums. Die kleinen Glasflaschen klirrten, als Leonard ein paar aus den Kästen herausnahm und sie auf den Tisch abstellte.
„Wir werden acht Personen sein. Tassen findest du im Schrank auf der linken Seite."
Danach war es mit den Worten vorbei und die beiden waren damit beschäftigt schweigend den Tisch zu decken. Nach einer Weile verschwand Leonard für kurze Zeit, um sein MacBook aus dem Büro zu holen und es anschließend mit dem Projektor zu verbinden.
Währenddessen begann Mags sich zu fragen, welches kleine Detail sie vergessen haben konnte.
Die Präsentation auf der Leinwand nahm hingegen ihre volle Aufmerksamkeit ein, sodass Magnolia den Löffeln in ihrer Hand keine Beachtung mehr schenkte und stattdessen das Bild anstarrte.
„Wir haben offiziell ein Konzept?"
„Der letzte Entwurf kam beim Bauamt durch, ich bekam gestern die Genehmigung und Michelle wollte sich nicht mehr dazwischen stellen. Nun kann es also endlich steil aufwärts gehen, für die nächsten zwei Jahre und darüber hinaus."
Der reservierte Mann stand ohne einer Reaktion einfach da, hielt das MacBook locker mit einem Arm fest und setzte einen konzentrierten Blick auf. Magnolia erkannte den Moment sofort und zückte ihre Kamera aus der Tasche.
Leonard wischte mit dem Finger in Dateien herum und checkte diese zusätzlich auf der Leinwand ab.
Es war die Stunde Null.
Das Projekt ging von nun an steil aufwärts und das musste bildlich festgehalten werden. Deshalb wurde der Raum auch für kurze Zeit durch einen hellen Blitz erleuchtet. Leonard war in seiner Sache so vertieft, dass er diesen kaum wahrnahm.
„Schon mal was von einer Einverständniserklärung gehört?" Da war nun wieder dieser spielerische Unterton auf den Mags nur zu gern einging.
„Die hast du mir gegeben, als du mich engagiert hast. Aber keine Angst, die Falten bekomme ich mit Photoshop schon weg."
Sarkastisch lächelnd kam er einige Schritte auf sie zu und nahm ihr die Canon aus der Hand.
„Lass mich mal sehen." Er wollte möglichst locker klingen, aber Magnolia erkannte die Unsicherheit und lachte.
„Siehst du? Gar nicht schlecht, oder?"
„Du kannst mir das nächste Mal trotzdem Bescheid geben."
Magnolia setzte ein breites Grinsen auf.
„Aber dann ist der ganze Effekt weg."
„Welcher Effekt denn?"
Die Fotografin kam näher auf ihn zu, legte sanft eine Hand an seine Schulter ab und schaute über diese auf das Display der Kamera. Genau wie Leonard musterte sie nun das Bild.
„Siehst du nicht diese Harmonie? Du bist gerade völlig in deinem Element, eins mit deinen Vorstellungen. Du bist der Architekt, der Visionär. Genau das wollen wir den Galeriebesuchern vermitteln."
Der leitende Geschäftsführer stellte sich ihrer Aussage skeptisch gegenüber, dennoch rückte er ebenso wenig einen Zentimeter von ihr weg. Die Nähe zwischen den beiden kam ihm zu vertraut vor, zu angenehm, als das er sie von sich schütteln konnte.
„Eins mit dem Projekt, hm. Hoffentlich fällt das Ergebnis nicht genauso trostlos aus."
Magnolia schenkte ihm ein warmes Lächeln, doch sagte nichts. Ein fester Griff an seine Schulter genügte, dann ließ sie ihm wieder seinen Freiraum. Er wollte ihr vorhin schon keine Antwort geben, warum also versuchen und ihn damit reizen? Stattdessen wählte Mags sich einen freien Platz aus und nahm sich eine Coke von der Mitte des Tisches weg. Leonard setzte sich mit angebrachten Abstand an die Tischkante und reichte ihr den Flaschenöffner, bevor er sein Hemd für das Meeting richtete.
„Bist du immer so aufgeregt, wenn du ein neues Projekt vorstellst?"
„Es ist nicht irgendein Projekt. So ein Museum erweckt schon von einigen die Aufmerksamkeit. Ich will den Leuten das geben, was sie erwarten."
Die Fotografin verstand ihn.
Es lastete ein hoher Leistungsdruck auf seinen Schultern und dabei hatte die Bauphase nicht einmal begonnen. Magnolia stand vom Bürostuhl auf und lehnte sich ebenfalls an der Tischkante direkt neben ihn an. Mags' Kopf sank automatisch gegen seine Schulter, aber wieder tat er nichts. Es fühlte sich an wie eine Geste unter engen Freunden, viel zu lange schon unterdrückte Leonard den Drang nach Nähe oder lief vor dieser weg.
Nein, er rannte regelrecht.
„Das ist aber nicht der einzige Grund für deine beschissene Laune, hab ich recht?"
„Nein."
Selbst wenn er gewollt hätte, seine Erklärung wäre nicht ausführlicher geworden.
Aber immerhin konnte er es nun auf die Tatsache schieben, dass polternde Schritte aus dem Flur zu hören waren und so distanzierte er sich plötzlich von ihr.
„Guten Morgen, Leonard. Hi, Magnolia." Durch die offene Tür kamen Julia und Josh hereingeschneit. Mags atmete erleichtert auf, denn die beiden schienen nichts von der Szene mitbekommen zu haben. Sämtliches Gerede wollte sie nämlich um jeden Preis vermeiden.
Es hätte weder ihr noch Leonard einen Gefallen getan.
„Sucht euch gerne einen Platz und nimmt euch etwas zu trinken, der Kaffee steht bereit."
Sein Blick richtete sich gen Mags, die nur überrascht ihre Augenbrauen hochzog und zügig den hellen Raum verließ, um eine Etage weiter unten die Kaffeemaschine anzustellen.
'Ich wusste, dass ich was vergessen habe!'
Doch aus eben dieser Küche hörte sie bereits lautstarke Geräusche und war sich sogleich sicher, dass das folgende Seufzen von Ally kam.
„Guten Morgen." Mags schielte um die Ecke und flötete Ally ihren nettesten Gruß entgegen.
„Einen wunderschönen. Kaum komme ich mal etwas später, angekündigt wohl bemerkt, kriegt ihr scheinbar nichts auf die Reihe."
„Aber das ist doch gut. So weißt du wenigstens, dass du gebraucht wirst."
Fast bemerkte sie die Kanne nicht, die nun vor ihren Augen an einer Hand baumelte.
„Hier. Braucht ihr sonst noch etwas?"
„Das wär's. Du bist die Beste, Ally."
Allison war ein wahrer Morgenmuffel und sie verwehrte niemanden, keinem einzigen Menschen, dieses Detail.
„Sag das mal lieber demjenigen, der meine Gehaltschecks unterschreibt."
Nickend begab sich Magnolia aus dem Minenfeld heraus und freute sich schon auf das Ende des Meetings, wo sie hoffentlich wieder auf eine besser gelaunte Ally stoßen würde.
Oben im Besprechungsraum saßen die drei anderen gegenüber voneinander am Tisch und plauderten. Scheinbar konnte wenigstens Leonard über seinen finsteren Schatten springen und strahlte langsam immer mehr. Mags überlegte, ob es ein gut einstudiertes Schauspiel war.
„Ich kann es kaum erwarten, wenn das Museum endlich steht. Der Entwurf sieht briliant aus!"
„Den Worten schließe ich mich an. Michelle wird sich freuen."
Michelle hatte ihm zugesichert, dass dieser Entwurf nicht mehr verändert werden musste, dennoch war sie bekannt dafür ihre Meinung kurzerhand wieder zu ändern. Nie schien ihr ein Ergebnis zu genügen.
Leonard kannte das Gefühl nur zu gut, leider kannte er auch die Nachteile, die es mit sich zog.
„Sie wird es mich schon früh genug wissen lassen. Aber jetzt genießen wir erst einmal einen frischen Kaffee."
Er sah gerade aus seinen Augenwinkeln wie Magnolia durch den Flur flitzte und mit einer dampfenden Kanne gerüstet in die Tür einbog.
Es verging eine Weile in der immer mehr Gesichter erschienen. Da kam zuerst Adam mit Andrew im Schlepptau. Kurze Zeit später hieß Leonard einen fremden Mann willkommen, jedenfalls aus Mags' Perspektive.
„Ashton Dunkin. Er wird die Bauarbeiten leiten und helfen die Steine richtig zu stapeln."
Beide Männer klopften sich als Zeichen der Anerkennung gegen die Schulter.
Magnolia spürte den Respekt, der dieser Ashton für Leonard übrig hatte.
'In seinem Umfeld genießt er trotz seiner Distanz so viel Respekt und Wärme. Wer ist er? Wer ist Leonard Tremblay wirklich?'
Nachdem Ashton allen anderen im Raum höflich die Hand reichte, kam auch schon Michelle hinzu.
Der Absatz ihrer Stilettos verriet ihre Ankunft, noch bevor sie den ersten Schritt durch die breite Tür setzen konnte.
Die Anzahl der Personen im Raum sank mit jeder weiteren Minute. Sämtliche Vorgehensweisen wurden besprochen, beschlossen und einer Umsetzung stand nichts mehr im Weg.
Tatsächlich war Leonard der erste mit einer Entschuldigung, damit er fluchtartig den Raum verlassen konnte.
„Da schwirren wohl wieder haufenweise Ideen in seinem Kopf herum, die für seine Hektik sprechen."
Adam tauschte einen Blick mit Ally aus. Sie kam gerade mit einem Tablett bewaffnet in das Besprechungszimmer herein und zeigte mit dem Daumen über ihrer Schulter direkt zum Flur.
„Jetzt, wo Michelle offiziell zum Start geschossen hat kann er sich endlich austoben."
„Zum Glück habe ich schnelle Reflexe. Wegen seines Enthusiasmus wäre Monet fast von der Wand gefallen."
Adam grinste verschmitzt, trank den letzten Schluck seines kalten Kaffees aus und stellte die Tasse auf das Tablett ab.
„Sag ihm das bloß bei Gelegenheit. Ist sein Lieblingsbild, bringt sicherlich Bonuspunkte." Nach seinen Worten entschuldigte auch er seine Abwesenheit und ging wie Andrew einige Minuten zuvor schon, zurück in sein Büro.
Bis auf Ally und Magnolia war keiner mehr da.
„Jetzt beginnt wohl der aufregende Part." Euphorisch spielend klatschte Ally sich in die Hände und nahm der Fotografin das Tablett aus den Händen, um es zurück in die kleine Küche zu stellen.
Ein kleines 'Bye' entkam noch ihren Lippen, bevor sie sich aufmachte und die Fotografin im Raum alleine ließ.
Hastig packte sie ihre Kamera ein und drückte leise den stählernen Griff nach unten, um die Tür hinter sich zu verschließen.
Im Flur fiel ihr wieder etwas ein.
Der Reihe nach widmete sie sich jedem Bild an den Wänden im Flur und hielt Ausschau nach Monet. Insgesamt waren drei von ihm ausgehängt.
Aber die Fotografin wusste sofort, welches das Richtige war.
An einem kleinen goldenen Etikett unter dem Gemälde stand die Lösung.
'Spaziergang über die Felsen von Pourville - Claude Monet, Jahr 1882.'
Dieses Bild in seinen hellen, frohen Farben, die endlose Freiheit, die durch das Meer und dem Horizont unterstrichen wurde. All das-
'-all das ist etwas, was Leonard nicht ist.'
'Aber eigentlich sein will...'
Magnolia lächelte, ließ das Gemälde außer Acht und lief den Flur abwärts, geradewegs in das Büro von Leonard.
Dieser saß wie ausgestopft an seinem Schreibtisch und kritzelte wirres Zeug in sein Notizblock. In dem hellen und distanzierten Raum war es entgegen aller Räume ziemlich kühl.
„Deswegen musstest du also schnell verschwinden wie ein Phantom? Um sinnfreie Kritzeleien zu malen?"
„Das freie Zeichnen aus simplen Gedanken, ist nie sinnfrei. Es steckt immer ein Beweggrund hinter jedem Strich."
Magnolia sah den grauen Vorhang vor seinen Augen und verstand an diesem Tag die Welt nicht mehr. Also platzte es auch ohne weiteres aus ihr heraus.
„Was ist los, Leonard? Habe ich gestern irgendwas falsch gemacht? Wenn ja, sag es mir gefälligst."
Er antwortete ihr nicht, stand einfach nur stillschweigend von seinem Stuhl auf und stellte sich an das Fenster, eine Hand in die Hüfte stemmend.
'Die perfekte Pose eines Geschäftsmanns.'
Magnolia lief zur Garderobe, hing ihre Tasche auf und lief geradewegs zum zweiten Fenster im Raum, die Arme selbstbewusst vor ihre Brust verschrenkt.
Neugierig starrte sie zur Plattform und der Feuertreppe, eine kleine Welle der Panik brach aus.
'Er sollte besser keinen direkten Zugang zum Dach haben.'
Das Fenster war jedoch verschlossen. Jemand anderes besaß den Schlüssel. Adam?
„Es ist okay, wenn du nicht reden willst. Sag mir einfach nur, ob ich schuld bin oder nicht."
„Guck mal, die ganzen Leute da draußen auf den Straßen."
Magnolia blickte zerknirscht zu ihm herüber, wütend, dass er ihrer Frage so gleichgültig auswich.
„Leonard."
„Die Familie, die da gerade läuft. Siehst du sie?"
Einatmen... ausatmen.
Es war nicht leicht der Versuchung zu widerstehen, ihn vom Fenster zu reißen und kräftig durchzuschütteln.
„Ja, ich kann sie sehen."
„Aber du siehst nicht, was ich sehe."
Die Fotografin wurde zunehmend genervt, drehte sich vom Fenster weg und stellte sich neben Leonard. Er wich ihr entschieden aus, setzte sich fluchtartig hinter seinen Schreibtisch und hielt seinen Kopf zwischen den angewinkelten Armen fest, dessen Ellbogen sich auf dem Holztisch abstützten. Ihre Absätze klopften über das Parkett, in langsamen Schritten. Leonard wusste, dass sie sich nun direkt vor seinem Tisch befand, dennoch löste er sich nicht aus seiner Position.
Die Verzweiflung kroch in seinem Körper herum und nagte an seiner Seele. Er wollte sie ausspucken, aber soweit kam er noch nie.
„Sag mir bitte, was los ist."
„Herr Gott, Magnolia! Ich sehe sie! Ich sehe dutzende Familien, jeden Tag. Okay? Ich sehe sie und in mir wächst dieses verdammte Fragezeichen. Nenn mich egoistisch, aber wenn ich sie so sehe-, versteh mich nicht falsch, ich freue mich über deren Glück, weil ich weiß, wie die Schattenseite aussieht. Aber ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich mir noch nie gwünscht habe, dass es stattdessen sie getroffen hätte.
Dann hätte ich meine Familie nämlich noch!"
Er hatte also einen erneuten Rückschlag erlitten... einen wiederkehrenden Niederschlag.
Hat Henry vielleicht recht gehabt, als er sagte, dass man ihm nicht helfen kann?
Wenn alle sich dazu entschieden hatten vorwärts zu gehen, setzte Leonard lieber zwei Schritte nach hinten.
Aber Mags war nicht so.
Sie wählte den Weg nach vorne und wenn es sein musste, dann hätte sie ihn eben hinter sich her geschliffen bis er sich endlich in die richtige Richtung bewegte.
„Stattdessen stehe ich hier, allein. Sie sind tot! Was bringt mir dieses Leben?" Sein Finger zeigte abwertend an seinem Körper herunter. Magnolia entschied sich einen wärmeren Ton anzuschlagen, dennoch blieb sie eisern und wickelte ihn nicht unnötig in Watte ein.
„Was bringt es denn zu sterben ... wenn man nichts für eine Besserung versucht hat?"
Er schaute ihr direkt in die Augen, drauf und dran ihr eine Antwort entgegen zu feuern, doch Mags war schneller darin neue Worte zu finden.
„Angenommen, es gibt nur dieses Leben. Was bringt es dir, genauso enden zu wollen wie sie? Würden sie dasselbe empfinden? Das wäre ihr Wunsch, dass du vorzeitig dein Leben wegwirfst, ohne zu wissen, welch tolle Momente dich noch erwartet hätten?
Die Liebe, die dich immer noch so fürsorglich umgibt, möchtest du einfach wegwerfen."
Er trommelte ungeduldig mit seinem Fuß auf dem Boden herum, verstand nicht von welcher Liebe sie da noch sprechen konnte, wenn alles, was er so innig liebte schon lange fort war.
„Die Liebe von der du gerade sprichst ist erloschen an dem Tag, wo sie-..."
Magnolia wandte sich von ihm ab, konnte den Schmerz in seinen tiefblauen Augen einfach nicht verkraften.
Stattdessen zog sie Kreise im Büro herum, blieb vor dem großen Bild der 'Route 66' stehen und dachte nach.
Es vergingen schweigsame Sekunden bis sie das Bild vorsichtig von der Wand nahm und fest in den Händen hielt.
Leonard wollte gerade protestieren, doch weit kam er nicht.
„Stell dir vor, es gäbe noch einen Weg. An einer bestimmten Stelle der steinigen Straße warten sie. Fragen sich, wann du sie erreichen wirst und freuen sich auf dich. Sie halten aus, Leonard. Bis du sie erreichst vergehen vielleicht Stunden oder Jahre. Aber wenn sie könnten, Leonard, würden sie dich anflehen nicht einfach aufzugeben.
Du sollst diesen Weg bis zum Ende gehen, ihn genießen und aus deinen ganz persönlichen Herausforderungen wachsen. Bis du schlussendlich bei ihnen allen angekommen bist.
Leonard, die die es nicht mehr können, wollen, dass du für sie lebst..."
Mags kam mit dem Bild in den Händen auf den Architekten zu.
„überlebst..."
Seine zittrigen Hände griffen nach dem Bild, was die Fotografin ihm soeben symbolisch überreicht hatte.
„Weiterlebst."
Er fixierte sich völlig auf das Bild, während Mags ihm langsam zunickte und mit leisen Schritten die Garderobe erreichte, um ihre Tasche wieder an sich zu nehmen.
Sie sagte nichts mehr, als sie still und heimlich verschwand.
Draußen fielen dicke Regentropfen auf die Gehwege hinab, doch Mags kümmerte dies nicht. Sie konzentrierte sich lieber auf die sieben simplen Wörter, die Leonard ihr über Whatsapp schickte, kurz nachdem sie aus dem Gebäude gestürmt war.
„Ich freue mich auf Samstag, bis dann."
Ihr Blick wanderte hinauf zur obersten Etage und auch wenn sie ihn nicht sehen konnte, war Mags sich sicher, dass er an seinem Fenster stand und auf sie hinabsah.
Also winkte sie ihm zu und spannte ihren
farbenfrohen Regenschirm auf.
Huhu 🌸
Sooo ... es ist Mittwoch und deswegen habe ich beschlossen wieder ein neues Kapitel zu veröffentlichen.
Ich tue mich schwer, wenn es darum geht immer zuverlässig ein "Upgrade" hochzuladen, aber ich versuche es einfach mal durchzusetzen.
Soo ... Das war's dann auchj schon von meiner Seite, ich hoffe es hat euch soweit gefallen. ✨
Xx 🕊
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro