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Ich hatte das Wochenende mit viel Langeweile überstanden und am Montag war ich dann mit viel Elan zur Schule angetreten.
Heute jedoch war Mittwoch und mal wieder hatte ich eine Untersuchung im Krankenhaus. Meine Mutter musste heute sowieso arbeiten und war ebenfalls im Krankenhaus, mein Vater war kurzfristig in Seattle geblieben, weil es meiner Oma nicht gut ging.
Ordentlich parkte ich mein Auto zwischen zwei VWs und stieg dann aus. Das Wetter heute war unangenehm, denn die Sonne schien erbarmungslos vom Himmel herab und es war keine einzige Wolke am Horizont zu sehen.
Mit schweren Schritten ging ich auf den grauen Klotz vor mir zu und lächelte traurig. Hier hatte sich mein ganzes Leben verändert und hier hatte ich noch nie in meinem Leben gute Nachrichten überbracht bekommen. Schlichtweg verband ich mit diesem Ort nur negative Erinnerungen.
Wie automatisch liefen meine Beine auf den Aufzug zu, der mich in Stockwerk 3 bringen würde, an den Ort wo nur Krebspatienten behandelt wurden. Hier hatte ich schon den ein oder anderen wirklich besonderen Menschen getroffen, aber bisher hatte keiner von ihnen den Kampf gewonnen. Wahrscheinlich wollte ich deshalb nicht kämpfen, weil ich selbst miterlebt hatte wie ein Mensch mit diesem Schicksal gekämpft hatte und trotzdem verloren hatte. Die kleine Sharon war gerade einmal 8 Jahre alt gewesen und ich erinnere mich noch genau an ihr breites Lächeln, wenn ich sie besuchen kam. Shar war einfach so ein Sonnenschein gewesen und wir hatten uns gegenseitig Kraft gegeben, aber vor drei Monaten verlor sie den Kampf gegen den Lungenkrebs.
"Hallo Hope!" Erschrocken drehte ich mich herum und erblickte Mr. Jones, der mich freundlich anlächelte. "Guten Tag, Mr. Jones." Er kam auf mich zu und schüttelte mir zur Begrüßung die Hand. "Wenn du magst können wir sofort anfangen?" Ich nickte bloß und folgte ihm dann in sein Behandlungszimmer. Hier setzten wir uns wie immer an den Tisch und er erklärte mir kurz was wir heute alles machen würden.
"Wir fangen wie immer mit Blutabnahme an und dann möchte ich heute noch einen Scan machen, okay?" Ich hasste es, dennoch nickte ich und antwortete:" Okay." Und dann ging es auch schon los.
"Okay, Hope. Deine Lage ist noch immer die selbe wie beim letzten Mal. Der Tumor ist zum Glück nicht gewachsen, aber kleiner wird er natürlich auch nicht." Ich schaute bedrückt auf meine Hände und nickte bloß, was sollte ich auch sonst tun? "Hope, ich möchte dich um etwas bitten." Überrascht schaute ich meinen Arzt nun an und um ehrlich zu sein hatte ich echt ein bisschen Angst davor was er sagen würde. "Natürlich, worum geht es denn?" Er lächelte leicht und antwortete:" Ich möchte, dass du ein Mal in der Woche her kommst und mit anderen Patienten über dein Schicksal redest. Da du die Operation nicht möchtest, will ich dass du wenigstens das machst." Völlig überfordert mit der Situation nickte ich nur und stand dann auf um mich zu verabschieden. Naja, eigentlich fand ich die Idee von meinem Arzt gar nicht schlecht, auch wenn mir das sicher nicht leicht fallen würde.
Ich war gerade auf dem Weg nach unten als ich plötzlich jemanden entdeckte, der mir mehr als bekannt vor kam. Zwar hätte ich mich noch umdrehen können und einfach gehen können, aber da hatte er mich schon längst entdeckt. Sofort wich ihm alle Farbe aus dem Gesicht und er sah mich an wie als hätte er einen Geist gesehen.
Wider Willen ging ich langsam auf ihn zu und versuchte möglichst freundlich zu lächeln. "Hey.. Hope." Ich nickte und sagte dann leise:" Hey, David. Was tust du denn hier?" Schüchtern schaute er auf seine Schuhe und mied meinen Blick. Vielleicht war er doch nicht so der Badboy wie immer alle dachten. "Meine Schwester wird hier behandelt." Oh Shit. "Das tut mir leid, David. Wie alt ist die Kleine denn?" Er schüttelte den Kopf und sofort stiegen ihm Tränen in die Augen. "Emma ist 5. Aber was machst du eigentlich hier?" Oh verdammt! Was sollte ich denn jetzt antworten? Ich wollte nicht dass er es wusste, dann würde es bald die ganze Schule wissen, also brauchte ich eine Plausible Ausrede. Aus dem Augenwinkel entdeckte ich nun meine Mutter und sofort wusste ich was ich sagen konnte, auch wenn es mir irgendwie ja auch leid tat ihn anzulügen. "Meine Mom arbeitet hier.. Sorry, ich muss jetzt leider gehen. Wir sehen uns morgen in der Schule!" David fuhr mit seiner Hand durch seine Haare und sagte dann:" Machs gut, Hope."
Die Sache mit David im Krankenhaus beschäftigte mich noch eine ganze Weile. Zuhause setzte ich mich in meinem Zimmer auf den Sessel, der am Fenster stand, und dachte nach. Was wenn David gar nicht so war wie er immer tat? Vielleicht war er gar kein Vollidiot und eigentlich sogar ziemlich nett, nur dass er sich hinter einer Fassade versteckte, damit niemand sah wie sehr ihn das mit seiner kleinen Schwester beschäftigte. Ich glaubte langsam, dass er vielleicht echt ganz nett sein könnte.
Unten wurde nun die Haustür geöffnet und einige Minuten später rief meine Mutter:" Hope, ich bin Zuhause!" "Bin in meinem Zimmer!" Vorsichtig stand ich aus dem Sessel auf und ging auf mein Bett zu, da wurde auch schon die Tür geöffnet. Der blonde Lockenkopf meiner Mutter erschien nun im Türrahmen und ich lächelte sie leicht an. "Was hat der Arzt gesagt?" Seufzend ließ ich mich auf mein Bett fallen und legte meine gefalteten Hände in den Schoß, erst dann antwortete:" Alles beim Alten." Meine Mutter nickte bloß und setzte sich dann neben mir aufs Bett. Einige Sorgenfalten waren deutlich auf ihrer Stirn zu sehen und ich fragte sofort:" Mom, was ist los?!" Das konnte einfach nichts Gutes bedeuten. Sie seufzte nun und fuhr sich mit der rechten Hand durch ihre Locken, dann nahm sie meine Hände in die ihren. "Hope, dein Vater hat mich gerade eben angerufen. Er hat Grandma heute Morgen ins Krankenhaus gefahren und es sieht nicht gut aus." Völlig geschockt sah ich nun meine Mutter an und hoffte einfach, dass das alles hier nur ein schlechter Witz oder ein Traum war. Aber nein, weder fing meine Mutter an zu lachen, noch wachte ich auf. "A-aber..das wird doch wieder?" Warum fragte ich überhaupt? So wie meine Mutter mich ansah, hätte es mir doch klar sein müssen.
Nachdem ich mich etwas beruhigt hatte, fragte ich mit schwacher Stimme:" Kann ich nach Seattle fahren?" Erst sah meine Mom mich entgeistert an, doch dann nickte sie. "Aber ich möchte, dass Sofia mit dir fährt. Ich rufe ihre Mom und die Schule an." Mit zusammengepressten Lippen nickte ich und meine Mom verließ mein Zimmer. Als erstes nahm ich mir mein Handy und schrieb Sofia.
H: Sof, wir fahren nach Seattle.
So: Was? Wer? Und warum?
H: Ja. Du und ich. Weil es meiner Grandma nicht gut geht.
So: Aber das wird doch wieder?
H: Ich weiß nicht.. Wir fahren morgen früh, ok?
So: Klar. Meine Mom telefoniert glaube grad mit deiner, kann das sein?
H: Ja. Und sie ruft in der Schule an.
So: Okay, wie lange bleiben wir?
H: Sonntag, wenn dir das nichts ausmacht?
So: Nein, nein. Alles in Ordnung. Schreib mir später noch wann du mich abholst.
Frustriert ging ich zu meinem Schrank und packte alles was ich brauchen würde in einen Koffer. Danach setzte ich mich wieder auf mein Bett und starrte einfach nur an die Wand vor mir.
Ich würde es nicht ertragen, wenn meine Oma es nicht schaffte. Sie war einfach immer für mich da gewesen und hatte mich an der Hand genommen, wenn ich gefallen war. Nachdem ich die Diagnose bekommen hatte, war sie direkt nach LA gekommen und war bei jeder Hauptuntersuchung bei mir gewesen, während meine Eltern arbeiteten. Oma hatte mich zum Lachen gebracht, wenn es mir schlecht ging und sie hatte mich aufgemuntert, wenn ich einen schlechten Tag gehabt hatte. Sie war doch gerade einmal 70 Jahre alt und jetzt lag sie im Krankenhaus? Sie war der gesündesten Mensch, den ich kannte und ich konnte das einfach nicht begreifen beziehungsweise ich wollte es nicht begreifen.
"Maus? Dein Vater möchte nicht, dass ihr mit dem Auto fahrt", sagte plötzlich meine Mutter und ich erschrak, weil ich nicht bekommen hatte dass sie in mein Zimmer gekommen war. "Und jetzt?" Wo war denn bitte das Problem, dass wir mit dem Auto fuhren? Sofia und ich konnten uns doch abwechseln! "Ihr werdet heute Nacht fliegen. Sofias Mom fährt euch zum Flughafen." Völlig geschockt sah ich meine Mutter an und fragte dann fassungslos:" Ist das nicht voll teuer?!" Mom schüttelte den Kopf und sagte:" Mein Chef hat einen Jet und sein Sohn wollte sowieso übers Wochenende zu einem Kumpel nach Seattle, da hat er angeboten dass ihr mitfliegen könnt." Dieser Typ kannte uns nicht mal und trotzdem erlaubte er es, dass wir bei ihm mitflogen? Na auf den war ich mal gespannt. "Okay, ich geh dann mal duschen." Mom ging wieder zur Tür, bevor sie jedoch den Raum verließ, lächelte sie mich liebevoll an und sagte leise:" Ich hab dich lieb, Hope." "Ich dich auch, Mom."
"Danke nochmal, dass du uns gefahren hast, Sarah", bedankte ich mich bei Sofias Mom, nachdem wir am Flughafen angekommen waren. Sarah strich sich lächelnd durch die roten Haare, die Sofia eindeutig von ihr geerbt hatte, und antwortete:" Immer wieder gerne, Hope. Ich hole euch dann am Sonntag wieder ab." Mit einer letzten Umarmung verabschiedeten wir uns dann und gingen dann zum Schalter um endlich zu unserem Flugzeug zu können.
Nachdem wir durch die Kontrollen waren, ging alles auch recht schnell. Ein Mann holte uns im Warteraum ab und führte uns dann zu einem Shuttle, das uns zu unserem Jet brachte, der im dunklen der Nacht hell beleuchtet war. Noch nie hatte ich eines dieser Flugzeuge von innen gesehen, und umso mehr freute ich mich darauf.
Wir stiegen die Treppe hinauf und gelangten dann in das Innere. Insgesamt gab es 8 Plätze, die alle mit hellem Stoff bezogen waren. Unter der Decke hingen LEDs, die den Innenraum in ein warmes Licht tunkten. Neben mir tippte mir plötzlich jemand und ich drehte mich verwirrt um. Sofia schaute mich fassungslos an und zeigte dann auf einen Jungen, der draußen stand und mit dem Piloten redete. "Ach du scheiße", murmelte ich, denn ich wusste ganz genau wer der geheimnisvolle Fremde war. "Ist das etwa..", begann Sof den Satz und ich sagte:" David Mitchell." Und unwillkürlich musste ich mal wieder daran denken, wie er mir mit Tränen in den Augen noch heute Morgen erzählt hatte, dass seine Schwester Krebs hatte. Sofort bildete sich wieder ein Klos in meinem Hals und ich fühlte mich nicht im Stande irgendwas zu sagen, auch nicht als er selbst das Flugzeug betrat und uns beide begrüßte. Ich starrte ihn bloß an und musste immer wieder daran denken, wie traurig er ausgesehen hatte.
Plötzlich wedelte eine Hand vor meinem Gesicht herum und ich sah zu Sofia, die mich amüsiert musterte. "Alles klar bei dir?" Ich setzte ein falsches Lächeln auf mein Gesicht und murmelte:" Alles super." Davids Augen klebten auf mir und er sah mich mit einem undefinierbaren Blick an.
Ein Knittern ertönte und die Stimme des Piloten sagte:" Herzlich Willkommen an Bord. Bitte nehmen Sie jetzt auf Ihren Plätzen platz, damit wir starten können. Wir wünschen Ihnen eine angenehme Reise nach Seattle."
Ich nahm ohne ein weiteres Wort auf einem Sitz in der letzten Reihe platz und schnallte mich an, dann holte ich mein Handy hervor und schrieb noch schnell Shawn eine Nachricht bevor es los ging.
H: Ich weiß, du liegst bestimmt schon schlafend im Bett, aber ich wollte dir nur sagen, dass ich auf dem Weg nach Seattle bin, zu meiner Oma. Ich schreib dir die Details morgen. Schlaf gut!
Dann schaltete ich mein Handy komplett aus und steckte es zurück in meine Jackentasche. Mein Blick richtete sich nun nach links und das Flugzeug begann zu rollen. Irgendwann sah ich dann unter mir nur noch die immer kleiner werdenden Lichter der Stadt, die ich mein Zuhause nannte.
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