» Kapitel 8 «
Als Lilli und ich auf dem schuleigenen Parkplatz hielten, war schon eine große Menge an Schülern vor der W.-Shakespeare School versammelt. Jeder stand gemeinsam mit seinen Freunden in kleineren Gruppen da. Sie erzählten sich den neusten Klatsch und Tratsch und fragten sich gegenseitig über die Sommerferien aus.
Nachdem wir ausgestiegen waren, steuerten Lilli und ich einen kleinen Schattenplatz unter einem alten, bestimmt schon lange morschen Baum am Rande des Schulhofs an. Dort war unser normaler Treffpunkt mit Sarah und Benjamin und unser Aufenthaltsort in den Schulpausen. Schon von weitem konnte man die etwas korpulentere Sarah vor Benjamin mit ihrem Handy herumfuchteln sehen, sie schien ihm etwas sehr Aufregendes zu erzählen zu haben.
Lilli stupste mich leicht von der Seite an und brauchte mir gar nicht erst ihre Idee mitzuteilen, weil ich bereits wusste, was sie vorhatte. Sie schlich sich an Sarah an und machte ab und zu einen Satz hinter eine Mauer oder einen Baum, wie eine Art Ninja, wenn sie Angst hatte gesehen zu werden. Langsam lief ich ihr hinterher. Ich wusste, es würde nichts bringen sie aufzuhalten. Lilli war in ihrem Element. Dass dieses Element beinhaltete, dass sie sich wie eine Verrückte hinter Bäumen versteckte während sie Sarah immer näher kam, sorgte nur dafür, dass ich sie umso mehr liebte. So war Lilli nun mal.
Ich beeilte mich Lilli hinterherzukommen, weil diese inzwischen nur noch wenige Meter von ihrem 'Opfer' entfernt war. Sie machte einen Satz und erschreckte Sarah, welche nun anfing wie am Spieß zu schreien und als sie den Übeltäter, Lilli, entdeckte, anfing ihr die Meinung zu geigen, so dass sie alle Blicke auf sich zog. Innerlich schlug ich mir meine Hand vor die Stirn und ging behutsam auf meine besten Freunde zu.
Benjamin entdeckte mich als erstes und schloss mich als ich bei ihnen ankam in eine feste Umarmung. Da ich mit meinen 1,70m nur wenig kleiner war als er, hätte ich ihm dabei fast die Brille aus dem Gesicht gehauen, doch er richtete sie schnell und begrüßte mich. Ich hatte ihn fast zwei Monate nicht mehr gesehen und bei genauerem Hinsehen bemerkte ich auch einige Veränderungen an ihm. Seine hellbraunen Haare waren nun kürzer geschnitten und er trug eine neue Brille.
Ich wuschelte ihm durch die Haare, zerstörte damit alles, was man ehemals mal als Frisur bezeichnen konnte und sagte: "Hey Benji, steht dir.". Doch bevor ich ihn in ein Gespräch verwickeln konnte, endete Sarahs Schimpftirade und sie bemerkte mich. Sie schloss mich kurz in die Arme und ich kam gar nicht dazu, sie nach ihren Ferien bei ihrem Vater in Australien fragen zu können, denn sie zückte bereits ihr Handy und öffnete Instagram.
"Lilli, Jess, ihr wart doch Samstag beim Thunder-Konzert oder?", begann sie uns auszuquetschen.
"Ähm, ja.", antwortete ich zaghaft. Weil sie eine meiner besten Freundinnen war, hatte ich sie darüber eingeweiht, dass ich trotz meines Ausgehverbots zu meinem Geburtstag zu dem Konzert von Thunder gegangen war.
"Oha, dann habt ihr unseren neuen Star ja direkt mit eigenen Augen gesehen!" Sarah freute sich wie ein kleines Kind. Lilli warf mir einen alarmierten Blick zu und fragte dann nach: "Welchen neuen Star meinst du denn?".
"Das fragst du noch? Ich meine natürlich Alex! Wenn sie mit dieser Stimme nicht mal noch ganz groß herauskommt, fress' ich 'nen Besen!"
Erschrocken schnappte ich nach Luft und Lilli rammte mir leicht ihren Ellenbogen in die Seite.
"Alex?", fragte sie zögerlich nach.
"Ja, Alex. Sie ist jetzt schon eine Internetberühmtheit und hat sicher schon einige Anfragen für Plattenverträge!"
"Was!?", rutschte es mir jetzt doch raus, doch Sarah war zum Glück viel zu sehr mit Instagram beschäftigt um das richtig zu bemerken. Sie tippte etwas in ihr Handy ein und drehte es dann zu Lilli und mir. Auf ihrem Bildschirm lief ein Video.
Nein, nicht nur irgendein Video.
Ein Video von mir aka Alex. Auf der Bühne. Als ich mit Thunder gesungen hatte.
Es war ziemlich weit entfernt und somit konnte man mich auch kaum erkennen, was mich aufseufzen ließ, aber meine Stimme tönte aus ihren Handylautsprechern. Neugierig drehte sich auch Benjamin zu uns und schaute interessiert auf Sarahs Handy.
"Mach mal lauter, man hört ja kaum 'was.", bat er sie und sie stellte den Ton etwas lauter. Ich warf Lilli einen total überforderten Blick zu und sie schaute mir kurz in die Augen bis sie sich wieder an Sarah wandte: "Du sagst, sie ist eine Internetberühmtheit. Wie meinst du das?"
"Naja, jede bekannte Gesangsseite auf Instagram hat das Video repostet und es ist auf gefühlt jedem Social Network in den Trends. Sogar Scarlet Maniac, die berühmte Sängerin hat es auf Twitter retweetet und irgendetwas von wegen 'unglaubliches Talent' dazu geschrieben."
Geschockt sah ich in die Runde. Ich? Eine Internetberühmtheit? Und noch besser: keiner wusste wer ich war? Ich war komplett durch den Wind und total erleichtert als Lilli in den Raum warf, dass wir beide vor dem Unterrichtsbeginn nochmal schnell auf die Toilette wollten. Lilli und ich verabschiedeten uns von unseren Freunden und Lilli zog mich ins Schulgebäude. Nachdem wir die Damentoilette erreicht hatten, versicherte sie sich, dass sich hier niemand außer uns aufhielt und lehnte sich dann neben mich an die Wand.
"Scheiße, Lilli.", stöhnte ich. "Das ganze Internet kennt mich."
"Na na, nicht verzweifeln. Sie kennen nicht dich, sie kennen Alex und das ist auch gut so, sonst wären schon alle über dich hergefallen.", tröstete sie mich und fragte vorsichtig nach: "Hast du dich eigentlich schon entschieden?"
"Was denkst du warum ich so aussehe?", gab ich bissig zurück, bekam aber direkt ein schlechtes Gewissen: "Entschuldige, ich wollte dich nicht so anfahren. Mir... mir wird das nur einfach alles zu viel und ich weiß nicht, was ich tun soll. Eigentlich hatte ich vor heute Nachmittag mit Mrs. White zu telefonieren."
"Und jetzt willst du das nicht mehr?", besorgt schaute mich Lilli aus ihren großen, eisblauen Augen an.
"Doch, eigentlich schon. Ich weiß es doch nicht."
Ich warf einen Blick auf die Uhr.
"So ein Mist", fluchte ich. "Der Unterricht hat vor zwei Minuten begonnen und ich hab in der ersten Stunde Mathe bei der Sanderson. Die bringt mich um, wenn ich heute schon zu spät bin."
Ich drückte Lilli einen Kuss auf die Wange und rannte.
Trotz meines Marathonlaufs schaffte ich es nicht mehr vor Mrs. Sanderson in den Mathe-Kurs, aber sie schien heute gut gesinnt zu sein, deshalb schickte sie mich einfach auf meinen Platz. Naja, mein Platz war gut. Dort hatte nämlich schon ein mir unbekannter, verdammt gut aussehender Junge Platz genommen. Trotzdem war das mein Platz!
Genervt ließ ich meine Tasche neben meinem - oder seinem ? - Platz fallen und er blickte mich fragend an.
"Das ist mein Platz.", verkündete ich. "Komisch, ich sehe gar kein Namensschild.", erwiderte er grinsend und fuhr sich mit einer Hand durch seine sowieso schon zerzausten, dunkelbraunen Haare. "Haha, du bist ja ein Komiker. Würdest du jetzt bitte Platz machen?". Ich hatte keine Lust auf eine längere Diskussion, weil ich Mrs. Sandersons neue Freundlichkeit nicht aufs Spiel setzen wollte.
"Guck mal, neben mir ist auch noch ein Platz frei, da kannst du dich doch hinsetzen. Ist ja immerhin fast dein Platz. Ich bin wenigstens nicht zu spät gekommen.", er deutete auf den Stuhl neben sich und als mich ein strafender Blick meiner Mathe-Lehrerin streifte, seufzte ich, hob meine Tasche an und ließ mich auf den Platz neben ihn fallen.
Mrs. Sanderson klatschte laut um die Aufmerksamkeit von allen zu bekommen und begann dann uns in diesem Schuljahr willkommen zu heißen: "Also, liebe Schüler. Ein neues Schuljahr liegt vor uns und es gibt viel zu tun. Aber zunächst möchte ich euch noch unseren Neuzugang vorstellen: Jordan Reed. Jordan, vielleicht stellst du dich einfach mal selbst vor. Aber beeil dich, bitte."
Der Junge neben mir erhob sich.
Oh nein, er war neu hier...
Kein Wunder, dass er nicht wusste, wie wir letztes Jahr saßen. Ich machte mich immer kleiner, als Jordan zu sprechen begann: "Also, hi Leute! Ich bin Jordan, aber das wisst ihr ja schon. Ich bin 18 Jahre alt, bin im Sommer aus North Tamerton hergezogen, das ist ein fünf Stunden entferntes Kaff, und wurde schon wunderbar begrüßt.". Er warf mir ein Grinsen zu und ich wünschte mir einfach nur im Boden versinken zu können.
"Ich freue mich auf das Schuljahr mit euch."
Er lächelte nochmal und verbeugte sich dann, worauf er tosenden Applaus erntete und sich wieder setzte.
Die nächsten Minuten versuchte ich zu verdrängen, wie ich mich eben blamiert hatte und starrte stur gerade aus. Als ich dann doch einen kurzen Blick auf ihn warf, sah ich, dass er mich beobachtet hatte und nachdem er meinen Blick bemerkte, fing er wieder an zu grinsen.
Konnte der eigentlich nichts anderes außer Grinsen?
Trotzdem hatte ich mir vorgenommen mich zu entschuldigen, also drehte ich mich erneut zu Jordan und flüsterte, damit Mrs. Sanderson nichts bemerkte: "Hey, du. Das wegen vorhin tut mir leid. Ich wusste nicht, dass du neu bist."
"Ach, alle anderen behandelst du aber so?", er lächelte. Ich verdrehte die Augen.
"Ich bin Jessica. Aber nenn mich bitte nicht so. Jess oder Jessi passt."
"Okay, Jess oder Jessi. Ich bin Jordan.", antwortete er und fing schon wieder an zu grinsen.
"Sag mal, hast du irgendeine Störung, so dass du die ganze Zeit grinsen musst?", fragte ich etwas belustigt nach.
"Nein, das tue ich nur in Gesellschaft von hübschen Mädchen."
Ich wollte mich gerade für das Kompliment bedanken, als er neckend fortfuhr: "Und das Mädchen hinter mir sieht echt nicht schlecht aus."
"Touché." Und jetzt grinsten wir beide.
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