Special - Schwester Maria
Die Glockenklänge erfüllten die Kirche und eine Ruhe legte sich über den Saal. Nach und nach verließen die Gläubigen diese und kehrten in ihren Alltag zurück, während Schwester Maria weiterhin kniete, die Hände um das Kreuz an ihrer Halskette geschlungen. Ihre warmen, braunen Augen waren geschlossen, während sie zu Gott betete. Sie betete für die Seelen der Waisenkinder, die sie betreute. Sie betete, dass sie bald liebevolle Familien bekommen würden – ein Zuhause, das man ihnen genommen hatte.
Leise Schritte erklangen und jemand setzte sich neben sie. Als sie aufschaute, sah sie ein helles Leuchten, als die Sonnenstrahlen, die durch die Fenster drangen, auf hellblonde Haare trafen. Sie schaute in zwei hellblaue Augen, in denen eine tiefe Wärme stand.
Es war nur ein Moment, doch sie konnte sie sehen. Die silbernen Flügel, die dieser junge Mann neben ihr auf dem Rücken trug. Neben ihr saß ein Engel, welchen sie damals auf den Treppen der Kirche gefunden hatte. „Aleksander", hauchte sie.
„Hallo Schwester Maria", begrüßte der Engel sie.
Langsam richtete sie sich auf, setzte sich auf die Bank. Sie konnte den warmen Blick sehen, der in den Augen des jungen Mannes stand, der nicht einen Tag gealtert war. Sie hatte ihn das letzte Mal vor sechs Jahren gesehen. Er war mit seinem Gefährten erschienen – einem Dämon mit schwarzen Haaren und grünen Augen.
„Wie geht es dir?", fragte Aleks.
Sie brauchte einen Moment. „Mir geht es gut und dem Waisenhaus auch. Wie geht es dir und deinem-", sie brach ab, sprach es nicht aus.
Ein Lächeln erschien auf dem Gesicht von Aleksander. „Meinem Herzen geht es gut." Einen Moment schaute er nach vorne. „So oft habe ich hier gesessen, habe mir eine Familie gewünscht. Habe mir gewünscht, dass sich warme Arme um mich schließen, die mir bis zu meinem letzten Atemzug zur Seite standen." Bis zu seinem Auszug war er jeden Tag hier gewesen. „Gott scheint meine Gebete erhört zu haben."
Maria betrachtete den jungen Mann, sah den Blick, in dem tiefe Liebe stand. In diesem Moment legte sie die Zweifel ab. Aleksander war glücklich, hatte ein Zuhause gefunden, eine Familie. So würde sie nichts dagegen sagen. Ihr Herr hatte es so entschieden.
„Weshalb bist du hier, Aleksander?" Sie spürte, dass mehr dahinter steckte. Aleks hatte diese Welt verlassen, das wusste sie.
Der Engel schaute zu ihr. „Ich habe es gesehen. Deine Zeit soll heute enden, doch es ist noch nicht so weit. Ohne dich wären so viele Seelen im Unglück versunken, also werde ich es nicht zulassen."
Ein Ruck ging durch den Raum. Erschrocken stand die Schwester auf, hielt sich an der Bank fest. Schatten stiegen aus dem Boden empor, rissen ihre Mäuler auf und fauchten. Aleks stand auf, stellte sich in den Mittelgang der Kirche. „Ihr könnt ihre Seele nicht haben, sie steht unter meinem Schutz", sagte er und in seiner Stimme schwang eine Macht mit, die Schwester Maria den Atem raubte.
Aleks' Gestalt flimmerte und silberne Flügel entfalteten sich, die sich in Feuer verwandelten. In seiner Hand erschien ein silbernes Schwert. „Hiermit richte ich über euch." Für einen Moment schien die Zeit still zu stehen. Aleks' Gestalt verschwamm und er tauchte vor den Schatten auf. Das Schwert wanderte durch die Schatten und ein helles Licht verschlang diese und ihre Schreie.
Schwester Maria musste sich festhalten, konnte ihren Augen nicht trauen. Als sich der Engel zu ihr drehte, sah sie eisblaue Augen mit einem quecksilberfarbenen Ring. Die Flügel und das Schwert verschwanden und auch die machtvolle Aura löste sich auf.
Bevor sie etwas sagen konnte, hörte sie ein lautes Lachen und schnelle Schritte. Ein kleiner Junge mit schwarzen Haaren und himmelblauen Augen sprang durch den Gang auf Aleks zu. Er ging auf die Knie und empfing diesen mit offenen Armen. Der kleine Junge warf sich lachend in seine Arme und er hob ihn hoch.
„Was machst du hier Esai? Bist du deinem Vater ausgebüchst?"
Aus dem hinteren Teil trat eine weitere Person – schwarze Haare und grüne Augen. Schwester Maria erkannte ihn sofort und wusste auch, wer der kleine Junge war, bevor Aleks auch nur ein Wort sagte.
Aleks trat mit dem Kleinen zu der Schwester und ein strahlendes Lachen erschien auf seinem Gesicht. „Schwester Maria, darf ich dir meinen Sohn Esai vorstellen?"
Der Dämon trat hinter Aleksander, schlang den Arm um diesen. Mit einer respektvollen Verbeugung begrüßte Belial sie. „Schwester Maria."
Sie gehören zusammen. Sie konnte das goldene Band sehen, das diese verband – ein Bund, der Gottes Segen trug. Sie musste die Tränen unterdrücken. „Es freut mich, dich kennenzulernen, kleiner Engel", sagte sie zu dem Jungen, der seine Hand nach ihr ausstreckte. Als Sai die Hand an ihre Wange legte, sah sie plötzlich Bilder in ihrem Kopf. Ein weites Feld und Wolken überall. Wilde Blumen und zahlreiche Engel, die über den Himmel flogen. Ist das der Himmel? Hatte dieser kleine Junge ihr gerade den Himmel gezeigt?
„Sai, wir hatten das doch. Keine Bilder an fremde Leute", tadelte Aleks den Kleinen.
In Schwester Marias Gesicht trat ein Ausdruck tiefer Zufriedenheit. „Ich danke dir", flüsterte sie.
„Tsuka, wir müssen gehen", erklang die Stimme des Dämons.
Aleks nickte, drehte sich ein letztes Mal zu der Nonne. „Ich danke dir für alles. All diese Seelen, die du gerettet hast und noch retten wirst, können es dir nicht verdanken, doch ich versuche es. Lebe wohl, Schwester Maria." Mit diesen warmen Worten verabschiedete sich der Engel von ihr.
„Leb wohl, Aleksander. Möge Gott über dich und deine Familie wachen."
Ein Grinsen trat in das Gesicht des jungen Mannes, den sie hatte aufwachsen sehen. „Keine Sorge, das werde ich."
Ein helles Licht erstrahlte um die drei und im nächsten Moment waren sie verschwunden. Es gab keine Spur, keinen Hinweis, dass sie hier gewesen waren. Als sie sich drehte, sah sie, wie etwas glänzte. Eine einzelne silberne Feder lag auf der Bank – Aleks' Abschiedsgeschenk. Mit Ehrfurcht nahm sie diese an sich, drückte sie an ihr Herz.
„Werde glücklich, Aleksander."
Mit einem Lächeln kehrte sie schließlich in das Waisenhaus zurück.
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gewünscht von Thunderbird70
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