Special - Erste Schritte
Nachdenklich schaute Aleks in die Ferne. Der Wind blies durch seine Haare und für einen Moment war es ruhig. Es ist nun schon zehn Jahre her. Zehn Jahre, dass die Prophezeiung der Verdammnis sich erfüllt hatte, seit er zum Gott der Zeit geworden war.
Er schloss die Augen, sah, wie Sai in etwas Entfernung mit Lyric spielte. Aleks wusste, dass es Zeit wurde, dennoch hielt ihn etwas zurück. Er hat meinen Groll verdient. Dennoch hatte sich besagte Person in den letzten Jahren stark bemüht. Seine Faust ballte sich und er stand auf.
Langsam lief er zu Belials Arbeitszimmer. Er klopfte an und die Stimme seines Gefährten erklang, woraufhin er eintrat.
Belial bemerkte sofort, dass sein Herz etwas bedrückte. Er stand auf und lief zu seinem Liebsten. „Was liegt dir auf der Seele, Tsuka?", fragte er, fuhr mit den Fingern über die Wange seines Engels.
Er wollte ihm wehtun, ihn töten. Die Bilder standen ihm nach wie vor vor Augen.
Belial entwaffnete Raphael und griff an, doch der Erzengel riss sich aus der Erstarrung und wich zurück. Mit glühenden Augen schaute er Aleks an. „Zeit, diese Farce zu beenden", sagte er mit kalter Stimme. Seine Handfläche begann erneut zu leuchten und eine kleine Kugel erschien in seiner Handfläche.
Sein Vater hatte sein Herz töten wollen. Hätte er die Kugel nicht abgefangen, wäre Belial gestorben. Danach hatte er ihn in den Himmel entführt und ihn dort festgehalten. Raphael hatte seine Mutter sterben lassen.
All das konnte er nicht vergeben. Dennoch, würde dieser Groll ewig währen, würde Sai niemals seinen Großvater kennenlernen – einen Teil der Familie, die den Untergang der Welt verhindert hatte. Raphael hatte alles daran gesetzt, eine Welt zu schaffen, in der Sai friedlich leben konnte.
„Du bist wach", sagte der Erzengel und Aleks nickte nur stumm. Schweigen. „Ich bin nur hier, um dir zu sagen, dass du, dein Gefährte und mein Enkel, jederzeit im Himmel willkommen seid."
Aleks schaute ihn betreten an. Für die anderen war ein Jahr vergangen, doch nicht für ihn. Es war nur wenige Stunden für ihn her, seit er aus dem Himmel entkommen und schwer verletzt worden war. „Ich bedanke mich für das Angebot, doch ich weiß nicht, wann und ob ich es jemals annehmen werde. Ich brauche Zeit und ich möchte dich so lange nicht in meiner Nähe haben, ebenfalls nicht in Sais Nähe. Bitte geh jetzt."
Raphael nickte nur stumm.
Seit diesem Zeitpunkt, hatte der Erzengel sich zurückgezogen, hatte sein Versprechen gehalten. Er würde verpassen, wie Sai aufwuchs. Das nehme ich ihm. War es eine gerechte Strafe? Ja. Dennoch: Aleks' Herz schmerzte. Er hat schon verpasst, wie Zack und ich aufwachsen.
Belial sah, dass sein Liebster eine Entscheidung getroffen hatte. „Bel, ich werde in den Himmel gehen. Ich werde mit ihm sprechen."
Er wusste sofort, wovon Aleks sprach. Er ist also bereit, ihm zu vergeben. Liebevoll zog er Aleks an sich. „Ich stehe hinter deiner Entscheidung, wie auch immer sie ausfällt, Tsuka", erwiderte er und er küsste Aleks auf den Scheitel.
Nach wenigen Minuten löste sich Aleks und trat zurück. Entschlossen wanderte seine Hand durch die Luft – ein Portal öffnete sich. Als Gott hatte er nun Zutritt zum Himmel. Ein letztes Mal durchatmen und er trat hindurch.
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Raphael spürte es in dem Moment, als die Aura wie eine sanfte Welle durch den Himmel wanderte. Er ist gekommen. Zehn Jahre hatte er ausgeharrt, im Verborgenen seinen Sohn und Enkel beobachtet. Nun war er hier.
Er stand auf und lief nach draußen. Seine silbernen Schwingen entfalteten sich und er flog auf das Dach seines Anwesens. Von weitem sah er bereits hellblonde Haare, die vom Wind in alle Richtungen flogen. Mit leisen Flügelschlägen landete er neben seinem Sohn, der am Rand des Daches saß und in die Ferne schaute.
Hunderte Engel flogen oder liefen nachhause, keiner bemerkte ihn. Ein leises Flattern erklang, dann setzte sich ein Mann mit kurzen weißen Haaren neben Aleks.
Schweigend saßen sie, schauten in die Ferne. Bin ich bereit dazu? Er wusste, dass Raphael warten würde, bis er sich öffnete.
„Hast du sie geliebt?"
Raphael schaute in die Ferne. „Ja. Mehr als alles andere. Dass ich an diesem Tag nicht bei ihr war, bereue ich mehr als alles andere. Es ist eine Schuld, die ich nicht von mir waschen kann." Sayenne war gestorben, er hatte sie verloren.
„Weshalb warst du nicht dort?", fragte Aleks, er musste die Wahrheit wissen.
Die Wahrheit schwang in jedem Wort. „Weil ich in einer Erzengelkonferenz war. Als Erzengel kann ich den Himmel nur für eine bestimmte Zeit verlassen. Ich habe Verpflichtungen, die ich nicht niederlegen konnte. Wann immer es mir möglich war, war ich bei euch. Nur an diesem Tag nicht, an dem Tag, an dem ich nicht nur meine Liebe verloren, sondern auch noch meine Söhne."
Söhne. Er hatte den Plural verwendet. Er sieht Zack also auch als seinen Sohn, auch wenn er nicht dessen Vater ist. Das rechnete er dem Erzengel hoch an.
„Wie stehst du zu meinem Bund mit Belial?", fuhr er fort.
Raphael wählte seine Worte mit Bedacht. Er wusste, dass ein Fehler alles zunichte machen konnte. „Der Bund, den ihr teilt, ist der heilige Seelenbund. Eure Seelen sind füreinander bestimmt und nichts kann ihn trennen. Das respektiere ich. Er liebt dich aufrichtig und macht dich glücklich, mehr kann ich mir nicht wünschen." Er hoffte, dass dies ausreichte. In der Zeit, als Aleks geschlafen hatte, hatte er einen anderen Blickwinkel auf den Dämon erhalten. Er tat alles, um seinen Gefährten und Sohn zu beschützen. Diese tiefe Bindung hatte ihn ergriffen.
Belial hatte Sai nicht von ihm ferngehalten, auch wenn er jedes Recht dazu gehabt hätte.
„Es ist Aleksanders Entscheidung, ob er dich in unserem Leben haben will. Solange werde ich warten."
Das hatte der Dämon gesagt.
„Ich bin in einem Waisenhaus aufgewachsen. Schwester Maria hat mich auf den Treppen der Kirche gefunden und aufgenommen. Ich... war glücklich, doch all die Zeit habe ich nach etwas gesucht. Wieso hatte ich keine Familie? Wo waren meine Eltern? Wieso war ich dort auf den Stufen abgelegt worden? Niemand konnte mir diese Fragen beantworten.
Mein ganzes Leben habe ich nach einer Antwort gesucht, wer ich bin. In dem Moment, als ich auf Belial traf, erhielt ich die Antwort, nach der ich gesucht hatte. Es war der Moment, als er meine Hand nahm. Ich habe mich in ihn verliebt, ohne dass ich von diesem Gefährtenbund wusste. In jeder Situation stand er an meiner Seite und schließlich wurden wir mit dem größten Geschenk gesegnet."
Raphael hörte schweigend zu. Sein Sohn öffnete sich, sprach über seine Kindheit. Reue überkam ihn. Er war nicht bei ihm gewesen, hatte ihn nicht finden können. Sein Sohn schaute ihn an. „Du hast mich nicht aufwachsen sehen können, doch bei Sai ist es noch nicht zu spät. Ich will ihm sein Erbe nicht vorenthalten, auch wenn er ein Dämon ist. Doch kann ich dir vertrauen? Kann ich dir das Leben meines Sohnes anvertrauen, Raphael?"
In diesem Moment wusste der Erzengel keine Antwort. „Ich werde Esai beschützen, denn er ist nicht nur Sayennes Vermächtnis, er ist dein Sohn, mein Enkel. Er ist ein Wunder, dem kein Leid geschehen darf." Die Rasse war egal, das hatte ihm dieser kleine Dämon selbst vor Augen geführt.
Raphael stand neben seinem schlafenden Sohn. Belial saß am Bett und Sai lag auf Aleks' linken Flügel, rieb sein Gesicht in diesem. Klagende Laute gab dieser von sich, denn seine Mutter schwieg. Er konnte sie nicht erreichen.
„Willst du ihn halten?", fragte Belial, ohne den Blick von seinem Gefährten abzuwenden.
Raphael schaute überrascht zu dem Dämon. „Ja."
Sai drehte sich, schaute ihn mit den himmelblauen Augen an. Er griff unter die Arme des Kleinen und zog ihn in seine Arme. Zunächst schaute er ihn fragend an, als mustere er ihn, dann legte sich eine kleine Hand an seine Wange.
Der Erzengel erstarrte, denn die Umgebung verschwamm. Er tauchte in ein Meer aus Farben, spürte tiefe Gefühle. Es war, als falle er und alles Gewicht falle von ihm, als schwebe er. Das Gefühl unschuldiger Liebe durchdrang ihn und er wusste, dass es das war, was Sai für seine Mutter empfand.
Langsam löste Sai die Hand und Raphael schaute seinen Enkel an. „Ich spüre dasselbe, Esai", flüsterte er.
Aleks atmete durch. Manchmal bedurfte es nicht vieler Worte, um einen Konflikt zu lösen, manchmal reichten alle Worte der Welt nicht aus. Dennoch ist es ein Anfang. Sie würden kleine Schritte machen müssen und hatten einen langen Weg vor sich.
Raphaels Sohn erhob sich. „Sai und ich werden dich bald besuchen. Er soll den Himmel kennenlernen."
Raphaels Augen leuchteten. Aleks' Flügel entfalteten sich und er ließ sich über die Kante fallen. Der Wind ließ ihn nach oben steigen und ein Portal aus Licht umschloss ihn. Sein Sohn war fort, doch er würde zurückkehren.
„Er ist wie du, Sayenne. Er hat dein Herz." Ein Herz, das ihn errettet hatte, ihm eine Familie geschenkt hatte. Für einen Moment glaubte er ihr Lachen zu hören. Der Wind trug es mit sich, wie die silberne Feder, die langsam zu Boden segelte.
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gewünscht von Draco-Granger
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