Gehörlos
Achtung: Trigger Warnung - in diesem Kapitel äußern sich einige Charaktere negativ gegenüber Gehörlosen. Wer sich davon angegriffen fühlen könnte, sollte den mit Linien abgegrenzten Abschnitt auslassen.
Der fremde Junge, welcher sich als Kai vorstellte grinste frech in die Runde. Zeitgleich funkelte Lennox ihn finster an. Er schien wenig daran interessiert sich mit Kai zu unterhalten. Alea wollte allerdings nicht unhöflich sein und stellte sich ebenfalls vor. Während Kai Lennox keinerlei Aufmerksamkeit schenkte blieben seine Augen bei Thea hängen. Interessiert musterte er sie von oben bis unten. Thea hingegen fühlte sich unwohl und folgte verunsichert seinen Blicken.
"Willst du dich nicht auch vorstellen oder habe ich dir die Sprache verschlagen?", witzelte er und fuhr sich mit der linken Hand durch sein braunes Haar als stünde er vor einem Spiegel. Dabei kräuselte er selbstverliebt seine Lippen.
Hilfe suchend drehte sich Thea zu ihrer Schwester.
"Was will der Typ von mir?", gebärdete sie verloren. Dabei bewegte sie ihre Lippen stumm. Erschrocken folgte Kai ihren Handbewegungen.
"Moment mal. Sie ist taub?!", zählte er eins und eins zusammen. Bestätigend nickte Alea, woraufhin sich der Junge sofort zu seinen Freunden hinter sich drehte.
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"Hey Leute, dieses Mädchen ist behindert!", spottete er und deutete mit dem Finger auf Thea.
Fragend drehten sich alle zu ihm um und beäugten sie.
"Die ist also so richtig taub, meinst du?", hakte einer der Jungen ungläubig nach. Kai bejahte seine Frage mit einem boshaften Grinsen.
"Das will ich ausprobieren!", meldete sich das Mädchen mit den linken Strähnen aufgeregt zu Wort. Sie beugte sich vor Thea, welche sie mit großen Augen ansah.
"Wann warst du eigentlich das letzte mal beim Friseur? Das kann man kein Haar mehr nennen. Stroh hingegen käme schon eher ran!", beurteilte sie und nahm prüfend einer ihrer Haarsträhnen in die Hand. Augenblicklich schreckte Thea zurück. Für sie war es nicht verständlich was sich das Mädchen erlaubte.
Sofort brachen alle in lautes Gelächter aus. Manche hielten sich die Hand vor den Mund, während andere mit dem Finger auf sie deuteten. Deren Lachen war laut und verurteilend. Sie schienen nicht zu verstehen, dass Thea trotz ihres verlorenen Gehörs ein Mensch war und es verdiente mit Respekt behandelt zu werden. Demzufolge war es schlicht und weg egal ob sie deren Beleidigungen hörte oder nicht.
Empört zog Alea ihre Brauen zusammen. Woher nahmen sie sich das Recht so mir ihrer Schwester zu sprechen? Wut koch in ihrem Bauch hoch und sie merkte wie ihr Blick starr wurde.
"Geht's noch?", zischte sie wütend, "Was gibt es denn da bitteschön zu lachen?". Ihre Stimme wurde ungewollt lauter. Folglich drehten sich einige Fahrgäste zu ihr um. Das war ihr allerdings herzlich egal. Sobald sich jemand über ihre Schwester lustig machte war für sie klar, dass sie einschreiten musste.
Zwischenzeitlich versuchte Kai sich von seinem lauten Lachen zu beruhigen, um wieder normal sprechen zu können. Er legte eine Hand auf den Brustkorb, welcher immer wieder aufzuckte, während er angestrengt nach Luft schnappte. Ein letztes mal atmete er hörbar ein, bevor er sprach.
"Wenn man nichts hört ist man nun mal behindert". Er spuckte das Wort behindert aus als sei es dreckig.
„Ich könnte sie nun einfach beleidigen und sie würde es noch nicht einmal mitbekommen", fügte er lachend hinzu. Demonstrativ wand er sich zu Thea und ließ einen anstößlichen Kommentar fallen:
"Ging das ganze Geld für ein Hörgerät drauf oder warum sind deine Klamotten so schmutzig?". Theas Kleidung war in der Tat sehr dreckig. Allerdings floh sie tagelang von Zuhause und konnte selbstverständlich keine frische Kleidung mitnehmen.
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Thea sah orientierungslos in die Runde, denn sie verstand nicht warum alle lachten, was die Teenager nur noch mehr amüsierte. Sie musste allerdings nicht hören können um dahinter zu kommen, dass sie über sie selbst spotteten. Plötzlich war von der tuffen Thea nichts mehr zu sehen. Sie senkte ihren Blick und drehte ihren Kopf zur Wand um ihre vermutlich roten Augen zu verstecken.
„Jetzt muss die Arme weinen", belustigte sich das Mädchen von eben.
"Das reicht!", donnerte Alea die Gruppe und sprang warnend auf. Das bereute sie jedoch sofort. Kais breites Grinsen verschwand schlagartig und er reckte sich ebenfalls vor ihr auf. Seine Schultern spannten sich an und Alea selbst reichte ihm gerade mal bis zum Kinn.
"Was denkst du wer du bist?", zischte er. Zeitgleich musterte er sie von oben bis unten, schien aber minder beeindruckt. Eingeschüchtert zitterte Alea. Genau das selbe hatte auch Mura sie gefragt, als sie erfuhr, dass sie nun eine Landgängerin war. Doch diesmal war etwas anders. Heute wusste Alea wer sie war. Sie wusste wozu sie im Stande war und wie stark sie sei.
"Du fragst mich für wen ich mich halte??", wiederholte sie Kais Frage mit einem verächtlichen Unterton. Unterstützend verschränkte sie ihre Arme vor der Brust.
"Ich stolziere nicht selbstverliebt durch die Gegend und mobbe warlos andere Personen", kritisierte sie sein Verhalten weiter.
"Ich lass mir doch von einem Mädchen nicht sagen was ich tun und lassen soll!", konterte Kai aggressiv Aleas Standpunkt. Ungläubig schüttelte sie den Kopf.
"Mein Geschlecht hat nichts damit zu tun! Es geht darum, dass du auf fremden Menschen rumhackst als wären sie ein alter Kaugummi, der bereits seinen Geschmack verloren hat", warf sie ihm an den Kopf.
Kai schien langsam aber sicher jegliche Geduld zu verlieren. Sein Gesicht wurde rot und er ging noch einen weiteren Schritt auf Alea zu. Sie standen einander nah genug gegenüber um den Atem des anderen zu spüren.
Allerdings ließ sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Alea hielt seinem Blick stand und durchbohrte ihn mit ihren grünen Augen.
"Wenn ich du wäre würde ich jetzt gehen", bat sie ihn finster.
Wütend blickte Kai auf sie herab.
"Drohst du mir etwa?", zischte er. Seinen Freunden verging das Lachen ebenfalls und sie beobachteten das Geschehen. Ein zierliches Mädchen, welches sich mit einem Jungen prügeln wollte schien spannender als sich über ihre gehörlose Schwester lustig zu machen.
Nun riss Lennox' Geduldsfaden. Er wollte sich eigentlich zurückhalten, da sie sich noch immer in Deutschland befanden und hier gesucht wurden, allerdings schlug sein innerer Oblivion Alarm. Reflexartig stellte er sich vor Alea. Sein Kiefer schob sich nach vorne, während er die Augen wütend zusammen Kniff.
"Wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst zerreiße ich dich in der Luft", knirschte er. Allen Anwesenden war klar, dass er es ernst meinte. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, während er seine Schultern nach hinten schob. Er würde jeden Moment angreifen wenn nötig.
Im Zug wurde es ruhig. Niemand - noch nicht einmal die anderen Fahrgäste - sagten etwas. Alle warteten Kais Antwort ab. Da blieb der Zug stehen, woraufhin sich die linken Türen öffneten. "Komm Kai, hier müssen wir raus", erinnerte eines der Mädchen ihn. Er rührte sich jedoch kein Stück. Weiterhin sah er auf Lennox herab und durchbohrte ihn mit seinen Blicken. Die beiden schienen mental bereits miteinander zu kämpfen.
"Na komm schon", zerrte der jüngere Junge an seiner Schulter.
Langsam drehte er sich um.
"Du hast Glück, dass ich gehen muss", nuschelte er agresiv, während er ausstieg.
"Nein, du hast Glück, dass ich dich gehen lasse!", rief Lennox ihm überlegen hinterher. Daraufhin verzog der Junge genervt das Gesicht und verließ den Zug. Aufatmend ließ sich Alea auf ihren Sitz fallen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie bisher die Luft anhielt. Lennox entspannte sich ebenfalls und setzte sich neben Alea. Die verstörten Blicke der Fahrgäste ignorierte er dabei gänzlich.
"Kann mir bitte jemand erklären was gerade passiert ist?", forderte Thea. Sie schien noch immer sehr aufgelöst, erwartete aber eine Antwort. Alea schnaufte laut.
"Dieser Junge hat sich über dich lustig gemacht", erklärte sie so knapp wie möglich.
"Aber Alea hat dich verteidigt", ergänzte Lennox. Dabei gebärdete und sprach er gleichzeitig. In seiner Stimme war Anerkennung, aber auch Wut, beziehungsweise Besorgnis zu erkennen.
"Danke", äußerte sich Thea. Alea machte eine wegwerfende Handbewegung.
"Ich habe dich nur in Schutz genommen. Lennox war bereit sich mit diesem Idioten zu prügeln", wehrte sie bescheiden ab.
"Ich habe mich nur zum Kampf bereit gemacht, weil der Typ Stress suchte. Du, Alea, hast dich mit ihm angelegt, weil er sich über deine Schwester lustig machte. Ich habe lediglich reagiert - du hast agiert!", sprach Lennox sich in Rage. Beeindruckt sah Thea zu Alea. Diese wich ihrem Blick verlegen aus.
"Geht es euch gut?", hörte sie auf einmal hinter sich. Sie drehte sich um und hoffte es war niemand dieser nervigen Gruppe von eben. Als sie die Person beäugte erkannte sie einen Jungen. Anders als die anderen zuvor wirkte er deutlich ruhiger und um einiges freundlicher. Er hatte kurzes blondes Haar, trug einen blauen Hoodie und dunkle Jeans.
"Uns geht's gut, danke", versicherte Lennox ihm und drehte sich desinteressiert wieder um.
"Lass dich von diesen Idioten nicht runterziehen. Nur weil man Gehörlos ist muss man sich nicht alles gefallen lassen", gebärdete der Fremde Thea zu und zwinkerte verschlagen. Alea verstand leider nicht alles, was er sagte. Er gebärdete deutlich schneller als sie selbst und schien darin sehr geübt.
"Du kannst Gebärdensprache?", wunderte sich Thea und gebärdete ebenfalls schneller. Vermutlich freute sie sich sich mit jemandem richtig unterhalten zu können. Der Junge lachte.
"Ja, meine Mutter ist ebenfalls gehörlos", erklärte er, während er sich neben Thea setzte.
Lennox schien skeptisch. Ihm gefiel die Idee, dass sich jemand weiteres zu ihnen nach dem Vorfall gesellte eher weniger. Als er jedoch sah wie zufrieden Thea sich mit ihm unterhielt schien er es dabei belassen zu wollen.
"Als ich mitbekam was Kai zu dir sagte wollte ich bereits dazwischen gehen. Deine Freunde waren aber schneller als ich", scherzte er. Er sprach den Namen aus als sei es das normalste auf der Welt. Vermutlich bekam er während der Konfrontation mit wie er hieß.
"Trotzdem danke", antwortete Thea daraufhin mit roten Wangen.
Irgendetwas schien ihr an ihm zu gefallen.
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