
Kapitel 4 - Adriana
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"Entschuldige, Grana. Was hast du gesagt?"
Ihre Großmutter lächelte, und die Grübchen um ihren Mund wurden zu tiefen Furchen. „Ich hatte dich gefragt, wie es dir geht." Sie legte eine runzelige Hand auf Adrianas Hand, die nicht mit dem Löffel in dem Gobeerenmousse stocherte und sah sie mit ihren trüben, blauen Augen an. Dann erst stockte sie.
"Kind, du hast blonde Haare! Wie ist das denn passiert?"
Adriana musste kichern. Es schwang ein wenig Hysterie mit, die sie nicht unterdrücken konnte. "Das ist dir erst jetzt aufgefallen?"
"Ach herrje! Du weißt, ich bin nicht mehr die Jüngste! Das sieht hübsch aus!"
"Das war ich nicht", stellte Adriana klar und seufzte. "Grana, wenn ich dir sagen würde, dass das ein anderer Essenzmagier war, würdest du es mir glauben?"
"Natürlich nicht!" Grana lachte und schüttelte den Kopf, wobei sich eine weitere Strähne aus dem Dutt löste. Sie nahm einen Löffel vom Gobeerenmousse, sah wieder zu Adriana und stockte dann. Ihr Lächeln verschwand und die Falte auf ihrer Stirn wurde tiefer. "Ich sehe den ernsten Blick, mit dem du mich ansiehst." Sie seufzte. "Ich glaube dir. Möchtest du mir erzählen, was passiert ist?"
Adriana erzählte ihr die ganze Geschichte. Danach lehnte sich ihre Großmutter nach hinten und atmete tief aus, genau wie sie selbst es auf dem Platz getan hatte. Leise murmelte sie vor sich hin. "Die Essenz anderer beeinflusst! Dass ich das noch miterlebe."
Adriana lehnte sich nach vorne. "Grana, weißt du, was das bedeutet? Er hat die Macht über andere Magier! Wenn er seine Kräfte gezielt einsetzt, kann er die Magier des Aldramen - uns - binnen weniger Tage in nutzlose Häufchen verwandeln! Er braucht nur ein großes Stück zu plötzlich abspalten, nur ein kleines bisschen vom Weg abkommen und-" Adriana verstummte und tastete in sich hinein.
"Ja? Kind, ist alles in Ordn- Oh, ich verstehe."
Grana wartete geduldig, bis Adriana wieder zurückkehrte. Sie lehnte sich energisch nach vorne. "Das ist unglaublich! Die Präzision, mit der er das Teilchen abgespalten hat ... Und das nur innerhalb von wenigen Momenten! Bei einem anderen Menschen!" Adriana nahm sich einen Moment, um durchzuatmen. Dieser Mann war vermutlich der beste Magier, dem sie je begegnet war. Und sie war lange niemandem mehr begegnet, der ihren Kräften großartig etwas entgegensetzen konnte. Sie hatte gedacht, sie hatte die Spitze erreicht. Sie hatte gedacht, sie könnte das Zeremonium jederzeit gewinnen, wenn sie es denn wollte. Doch jetzt hatte sich alles geändert.
Träte sie gegen diesen Mann an, hätte sie schon verloren, bevor der Kampf auch nur begonnen hatte.
"Er muss sich eine sehr lange Zeit im Untergrund aufgehalten haben."
Adriana sah wieder zu ihrer Großmutter und nickte. "Auf diesen Gedanken bin ich auch schon gekommen. Die Frage ist nur ... wenn es ihn gibt, gibt es dann noch andere? Vielleicht arbeiten sie schon an einem Plan, den Aldramen zu stürzen!"
Großmutter stand langsam auf, trat um den Tisch herum und legte ihre Arme um sie. "Es ist alles in Ordnung, Kind. Ich weiß, das sind beunruhigende Neuigkeiten, aber lass dich nicht von deinen Gefühlen leiten, in Ordnung?"
Adriana nickte und Großmutter sah lächelnd auf sie herab. "Der Aldrame ist der beste und gütigste, den ganz Aldramyr seit Jahrzehnten gesehen hat."
"Aber er ist kein Bewanderter in der Essenzmagie. Er ist schutzlos. Und falls er fallen sollte, hat er keinen Thronfolgen."
"Und genau deswegen liebt ihn das Volk. Er braucht keinen Schutz, niemand würde es wagen, diese goldene Ära zu beenden. Und genau deswegen braucht er auch weder Kinder, noch Enkel, noch eine Frau. Das Wort des Aldramen ist allgegenwärtig, und wenn er jemanden zum neuen Aldramen ernennt, wird es so geschehen."
Adriana verzog den Mund. "Dein Vertrauen ist endlos, Grana."
Sie lächelte und setzte sich wieder.
"Aber auf der Basis kann und darf ich nicht arbeiten. Ich muss dem Aldramen von dem Magier berichten." Adriana schob ihren Hocker langsam zurück und ihre Großmutter nickte.
"Nichts anderes habe ich von dir erwartet, Liebes. Wenn es dich beruhigt, werde ich meine Ohren offen halten. Komm, ich pack dir noch etwas von dem Mousse ein, du hast ja kaum etwas angerührt."
Adriana spazierte grübelnd durch die Straßen, vorbei an den Holz- und Steinhäusern, dessen Dächer golden von der Sonne angestrahlt wurden. Heute war ein ereignisreicher Tag gewesen. In dem ganzen Trubel hatte sie kaum die richtige Entscheidung treffen können. Sie hätte diesem Mann nicht von der Seite weichen dürfen. Nun hatte sie jegliche Spur zu ihm verloren; wer wusste schon, ob er noch einmal auftreten würde? Vielleicht hatte er ja ihre Kleidung erkannt und gewusst, dass sie für den Aldramen arbeitete. Andererseits war das in der Menschenmenge bestimmt schwer zu erkennen gewesen.
Adriana wich ein paar Bewohnern aus, die einige Netze voller Gemüse trugen und sich fröhlich unterhielten, und steuerte in die nächste Gasse. Zuallererst musste sie dem Rat - und vor allem ihrem Vater - berichten, was sich zugetragen hatte. Wie konnte das nur möglich sein? In all ihren Studien, in allem, was ihr Vater ihr beigebracht und zu lesen beauftragt hatte, hatte es nie einen derartigen Fall gegeben, indem geschildert wurde, wie man die Essenz einer anderen Person beeinflusste. Hatte der Mann das selbst herausgefunden? Oder steckte ein Clan dahinter? Der Clan der Dreißig-Sieben?
Adriana blickte erst auf, als drei Männer direkt vor ihr stehenblieben.
"Na, wen ham wir denn hier", krächzte der eine und legte den Kopf schief. Seine Gesichtszüge waren hart und sein Grinsen ebenso stählern.
"Ooooh, feine Adelskleidung. Jemand wie Ihr sollte nicht allein nachts unterwegs sein", meinte ein anderer, der sich die Lippen leckte.
"Es ist nicht Nacht", antwortete Adriana und machte eine ausladende Geste. "Abgesehen davon stellt ihr keine Bedrohung dar, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit."
"Oooooh die Kleine gefällt mir, die hat Schmackess!", sagte der Schmächtige und alle drei fingen an, zu lachen. Adriana tastete für wenige Augenblicke in sich hinein. Zum Glück hatte sie den Raben wieder in sich vereint, sonst hätten die drei tatsächlich ein Problem dargestellt. Mit einem ihrer inneren Fühler streckte sie sich langsam zu dem Teil aus, den sie meistens für diese Zwecke abspaltete. Sie tastete sich voran und bemerkte die kleine, kaum wahrnehmbare Rille, die die Abgrenzung markierte. Je öfter man die selben Teile spaltete, desto tiefer wurden diese Rillen. Adriana reckte das Kinn, während einer ihrer Fühler sich zu der Rille streckte. Währenddessen zu sprechen war sehr schwer, und es verlangsamte die Fühler. Adrianas Stimme klang gepresst. "Ich gebe euch eine letzte Chance, zu fliehen und mit dem Leben davonzukommen. Drei."
"Was denkst du eigentlich, wer du bist?", fauchte der eine wütend.
"Zwei."
Der Kreis um sich verengte sie.
"Eins."
Sie spürte eine Hand auf ihrer Schulter. Ihr Fühler schnappte zu und spaltete das Teilchen, schneller als wenn sie ihre Vögelchen formte. Beide bedienten sich zwar derselben Essenzmagie, jedoch war die Energie der kleinen Wesen viel weicher und zaghafter, als die rohe Gewalt ihres inneren Feuers. Sie spürte, wie sich die Hitze einen Weg nach draußen bahnte, sich um sich selbst drehte und dann gierig die Hand an ihrer Schulter zerfraß. Das Feuer loderte hell und der Mann, zu dem die Hand gehörte, schrie auf und stolperte einen Schritt zurück.
Die anderen beiden ließen sich nicht so schnell einschüchtern. Unter dem Ärmel des Mannes mit den harten Gesichtszügen funkelte ein Messer hervor, dann sprang er geübt auf sie zu. Adriana stieß ihm ihre Wut entgegen. Wie können sie es wagen! Der Mann fluchte. Sahen sie nicht ihre Kleidung? Wussten sie nicht, was das Zeichen an ihrer Schulter bedeutete?
Adriana ließ dem lodernden Feuer Platz und ein heißer, gieriger Feuerball flog auf den Mann mit dem Messer zu. Er hinterließ ein breites Loch an der Stelle, wo sein Bauch sein sollte.
Blitzschnell, bevor der dritte Mann auch nur zu fliehen gedachte, wandte sie sich zu ihm um. Sie stieß ihn hart gegen eine Hauswand. In seinen Augen spiegelte sich das züngelnde Feuer in den ihren.
"B-bitte", wimmerte er mit entsetzter Miene.
Adriana legte ihm eine Hand auf die Brust. Dann fuhr ein greller, grässlicher Schmerzenslaut durch die Gasse und ließ einige Tauben erschrocken zum Himmel fliegen. Der Gestank nach verbranntem Fleisch stieg ihr in die Nase, während sich ihre glühende Hand einen Weg durch seine Haut bahnte.
Wie konnten sie es wagen.
Adriana fühlte etwas unter ihren Fingerspitzen panisch pulsieren.
Sie würde es ihnen lehren.
Dass sie sie nicht bedrohen konnten.
Mit einer einzigen, fließenden Bewegung riss sie dem Mann das Herz aus der Brust. Langsam, und mit weit aufgerissenen Augen sank er zu Boden.
Die Straßenlaternen sprangen mit einem leisen Klicken an, und die Gasse erhellte sich. Adriana wischte das Blut von ihren Händen und setzte ihren Weg zum Schloss fort, während die leeren Augen des Mannes die untergehende Sonne spiegelten.
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