-9- Niall, Mitarbeiter bei Dr. Sommer
Zögerlich nahm ich den Hörer entgegen und drückte ihn an mein Ohr.
"Harry", meldete ich mich.
"Hier ist Mum. Wie ist es so auf Alderney?", fing meine Mutter an, aber sie hatte sich geschnitten, wenn sie jetzt meinte, dass ich einen auf Happy Family machen würde.
"Ach, jetzt, wo ich weg bin, willst du auf einmal wieder mit mir reden?", meinte ich patzig und verdrehte die Augen. Vielleicht war ich etwas schnell gereizt, aber in dem Moment war mir das egal.
"Junger Mann, pass' auf deinen Ton auf!", kam sofort zurück.
"Aber es ist doch so! Du hast kaum mit mir geredet, aber sobald ich weg bin, kommst du wieder angekrochen." Ich war wütend auf sie, keine Frage. Immerhin hatte sie mich nach hier geschickt und schaffte mich so aus dem Weg. Sie lief einfach vor den Problemen weg, machte es sich so einfach wie möglich.
"Aber wenn ich dann versuche, etwas zu machen, kommt von dir direkt wieder Gegenwind! Da kann ich gar nichts machen!", wurde meine Mum nun etwas lauter.
"Du hast mich abgeschoben! Dachtest einfach, dass andere deine Arbeit machen könnten. Mich nämlich zu erziehen!", keifte ich zurück und lehnte mich tiefer ins Sofa.
"Was hätte ich denn machen sollen? Mensch, Harry! Du bist echt nicht zum Aushalten!"
Diese Worte taten weh. Wenn mir ein Freund sowas sagen würde, wäre es eine Sache, so etwas von seiner eigenen Mutter zu hören, versetzte mir aber einen Stich ins Herz.
"Leck' mich!", schrie ich aufgebracht, legte auf und warf das Telefon auf den Tisch.
"Wie war das?", hörte ich die gereizte Stimme meiner Oma, "Du kannst sowas doch nicht zu deiner Mutter sagen! Geht's noch?" Ich presste wütend die Lippen aufeinander.
"Sie hat es nicht anders verdient. Du hast ihre Worte ja nicht gehört." Damit verließ ich das Zimmer, rannte die Treppen hoch und knallte die Zimmertüre hinter mir zu.
Ich raufte mir die Haare und versuchte, mich zu beruhigen. Der Tag war so schön gewesen. Ich hatte gelacht, war bei Louis, erlebte etwas. Und sobald meine Mutter anrief, stritt ich mich mit ihr und kochte vor Wut. Ich ballte die Hände zu Fäusten. ließ mich auf's Bett fallen und prügelte auf mein Kissen ein.
"Scheiße man!"
Ich hatte es echt verbockt mit meiner Mutter. Aber sie brachte mich immer zur Weißglut und dann sagte ich Sachen, die ich eigentlich gar nicht so meinte. Ich brauchte jetzt einfach jemanden zum Reden.
Wie von selbst wählte ich Nialls Nummer und schaltete auf Lautsprecher, aber es ging niemand dran.
"Hi, an die Person, die gerade anruft. Der Kobold Niall ist gerade bei seinem Gold und kann deshalb nicht sprechen. Bei einem Notfall findet ihr mich am Ende des Regenbogens", hörte ich die Standartnachricht von einem gut gelaunten Niall durch mein Handy rufen. Verzweifelt legte ich auf. Dann, wenn man ihn mal brauchte, war er nicht da. War ja klar. Ich lehnte meinen Kopf ins Kissen und dachte nach, wen ich noch anrufen könnte. Aber kaum zehn Sekunden später klingelte es neben mir und mein bester Freund rief an.
"Niall?", fragte ich.
"Hi Harry! Ich hoffe, es ist wichtig, denn ich war grad duschen und bin klatschnass und nackt durchs halbe Haus gelaufen, weil du angerufen hast. Wenn es nicht wichtig ist, bekomme ich einen Anfall." Das war Niall. Ich meine, jeder normale Mensch wäre entweder unter der Dusche geblieben oder hätte sich ein Handtuch genommen, aber nein, er rannte nackt durchs Haus.
"Ja, ist wichtig", begann ich, musste jedoch auch etwas über meinen Iren lächeln. Er war es einfach, den ich brauchte, wenn es mir schlecht ging. Er war der, der immer für mich da war, selbst, wenn er nackt war. Gruselige Vorstellung übrigens.
"Dann hau' raus. Ich sitze hier gut."
"Also, ich war ja heute mit Louis unterwegs und war dann halt nachher noch bei ihm zu Hause-"
"Ihr habt euch geküsst!", unterbrach mich Niall freudig, "Ich wusste es!"
"Nein, ich habe nur-"
"Ihr wart zusammen duschen!"
"Nein, wir haben bloß-"
"DU HAST ES IHM BESORGT?!", schrie er nun in den Hörer und ich hielt mein Handy automatisch einen Meter von meinem Ohr weg.
"Nein, man, seh ich so notgeil aus?"
"Ich kann dich gerade schwer sehen, mein Lieber."
Gott, war er dämlich!
"Als ob ich es ihm sofort- nein, das mach ich nicht!", verzweifelte ich und lehnte meine Stirn gegen rechte Handfläche.
"Du warst halt schon lange nicht mehr in einer Beziehung und dann wird man unten rum halt etwas, nunja, staubig. Dann hat man seine Hormone nicht mehr unter Kontrolle. Dafür musst du dich nicht schämen."
War ich hier jetzt bei 'Dr. Sommer' oder was?
"Niall, darum geht es gar nicht. Außerdem weißt du doch gar nicht, wann ich das letzte mal hatte. Im Gegensatz zu dir teile ich das nämlich nicht jedem mit."
"Du bist ja auch schwul und das möchte halt nicht jeder wissen. Das verläuft ja dann doch etwas anders ab als bei Heteropärchen."
Jap, er könnte wirklich bei 'Dr. Sommer' arbeiten.
"Ich will auch nicht wissen, wie das bei dir abläuft!", musste ich nun doch lachen.
"Du hast halt keinen Geschmack."
"Vielleicht solltest du auch mal deine Erfahrungen mit einem Jungen machen, dann wirst du feststellen, wer hier keinen Geschmack hat."
"Junge, jetzt hab ich Kopfkino!", kreischte Niall ins Telefon.
"Wer hat hier denn mit dem Thema angefangen? Also ich bestimmt nicht."
"Ist ja gut, du hast gewonnen. Ich lasse dir deinen Spaß und du mir meinen, okay?"
"D'accord."
"Ich kann kein Französisch", tat er auf beleidigt.
"Du bist echt so blöd wie ein Stück Toast, weißt du das? Du hattest das Fach zwei Jahre als Wahlpflichtfach."
"Das war in der achten und neunten Klasse."
Okay, wie kam ich auch drauf, dass er das jetzt noch wüsste? Er besaß ja ein Spatzenhirn, hatte ich total vergessen. "Harry, also falls es dir nichts ausmacht, würde ich jetzt auflegen, weil ich die ganze Couch nassmache und noch Shampoo im Haar habe. Dein Problem hätten wir ja geklärt."
"Äh, okay. Bye", sagte ich verwundert.
"Bye." Und schon hörte ich das Tuten. Ich hatte gerade offiziell das komischste Gespräch meines Lebens. Mein 'Problem', wie es Niall ausdrückte, war für ihn behoben, obwohl es gar nicht erst zum Thema kam. Der Kerl hatte doch echt einen an der Klatsche. Aber trotzdem fühlte ich mich jetzt besser und war nicht mehr wütend. Klar, ich könnte meine Mutter immer noch gegen die Wand klatschen, doch ich war jetzt nicht mehr auf hundertachtzig und das alles, weil mein kleiner Ire so bescheuert war.
Aber alleine dieses Bild im Kopf:
Niall saß nackt und klitschnass auf der Couch mit dem Handy am Ohr, hatte wahrscheinlich noch die Beine überschlagen und trank genüsslich Tee und machte einen auf Seelsorger.
Das würde ich nie mehr aus meinem Kopf bekommen.
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Gespräche von Jungs sind wirklich etwas, nunja, anders. Ich hab' mal eins meiner besten Freude mitbekommen und kann sagen: Danach seid ihr meistens verstört, habt Kopfkino und denkt plötzlich ganz anders von ihnen.
An der Stelle grüße ich die vier Jungs mal und kann sagen, dass sie daran Schuld sind, dass ich verdammt zweideutig denke. Ob ich es will oder nicht.
Ich hoffe aber trotzdem, dass euch das Kapitel gefallen hat. Kommentiert fleißig und dann bis zum nächsten Kapitel :)
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