9. Kapitel
Aufgeregt zwitschern und hüpfen die kleinen Meisen um Sina herum, die winzigen Vögel sind ihr gegenüber sehr zutraulich. So schön der Anblick auch ist, hat Sina mal wieder die Fenster geöffnet. Jeder Idiot kann sie nun sehen, ob Gärtner, Bedienstete oder sonst wer.
Warum kann sie die Fenster nicht zu lassen und die Vorhänge geschlossen?
Clive trägt den schweren Tontopf voll mit Erde zur Fensterbank, für ihn erweist sich diese Aufgabe als große Herausforderung. Anders wie andere Ritter hier, die Rede ist von Cuno, fehlen dem jungen Alchemisten die Muskeln. Während der Paladin mit Muskelkraft arbeitet, benutzt Clive lieber seinen scharfen Verstand.
Kaum schreitet er durch die Tür, entdeckt Sina ihn. Freudig steht sie auf und nimmt ihm den Blumentopf ab.
„Oh danke, danke, danke, Clive", freut sie sich und stellt den Tontopf auf die Fensterbank.
Ein Danke hätte ihm auch gereicht.
„Wofür brauchst du den denn?", möchte er in Erfahrung bringen.
Er wird jedoch gekonnt ignoriert, Sina lächelt ihren tierischen Freunden zu und spricht sogar zu ihnen: „So, meine Kleinen. Gleich könnt ihr euch die Bäuche vollhauen."
Sie umfasst die Tonschale mit ihren Händen, Clive tritt respektvoll zurück, als ein Leuchten aus der Erde dringt. Etwas fängt in der Erde an zu keimen, zuerst entsteht eine kleine Pflanze, die stetig wächst.
„Oh, hast du ...", mehr braucht Sina nicht sagen.
Clive handelt schnell genug, er dreht sich um und greift nach einem langen Stock, den er bereits vor dem Topf organisierte. Er steckt die Rankenhilfe in die Erde und hilft schnell nach, bevor die Pflanze umknickt.
Mit Sinas Wundermagie schlingt sich die Pflanze so um den Stock, dass sie nicht festgebunden werden muss. Auch wenn ihre Magie das Unmögliche möglich macht, würde er am Ende doch noch nachhelfen und die Pflanze an den Stab schnüren. Nur zur Sicherheit. Es mag vielleicht für den Anfang ausreichen, aber auf Dauer geht dies nicht gut. Nur ungern möchte er die kleinen Dornen in seiner Haut stecken haben.
Innerhalb kurzer Zeit erwacht eine prächtige Himbeerpflanze im Topf mit bereits reifen Früchten.
Hexerei!
Anders kann er sich das nicht erklären.
Sina kichert vergnügt, bevor sie sich eine reife Himbeere in den Mund steckt und sich an dem Geschmack erfreut. Schließlich fängt sie an, die Vögel mit den Beeren zu füttern.
„Wie machst du das? Du sagst, du wärst keine Hexe, aber ...", will er sie darauf ansprechen.
„Ganz Recht! Ich bin eine Fee! Das ist einfache Magie, Clive. Nichts, wofür du so ein verwundertes Gesicht ziehen musst. Hast du so etwas wirklich noch nie gesehen?", fragt sie ihn.
„An deiner Stelle würde ich so etwas nicht in der Öffentlichkeit machen. Wenn dich einer sieht, dann wirst du für Hexerei angeklagt", warnt er sie.
„In was für eine Welt bin ich nur gefallen", ärgert sich Sina leise.
„Gefallen?", wiederholt er überrascht.
„Ja! Wir wurden angegriffen und ein Angreifer packte mich und warf mich über den Rand der Insel. Er ist mich durch ein Portal losgeworden, ich gehe davon aus, dass er es geöffnet hat. Das ist auch der Grund, warum ich nicht glaube, dass du mir helfen kannst, zurück nach Hause zu kommen. Oder kannst du etwa Portale öffnen?", kaum spricht sie zu Ende, rückt sie ihm verdächtig auf die Pelle.
Ihrem Blick zu urteilen, erwartet sie eine Antwort. Doch all die Informationen, die er gerade eben erfahren hat, muss er erst noch verarbeiten. Enttäuscht nimmt sie von ihm Abstand, aber nur kurz. Sie kehrt zurück zu ihm und richtet ihm die Fliege.
„Deine Schleife saß schief", teilt sie ihm nun mit.
„Danke", bringt er immer noch verwundert hervor.
„Gern geschehen", am Ende lächelt sie wieder freudig, bevor sie die nächste Himbeere nascht.
Bevor er sie etwas fragen kann, fängt sie nun an, ihm zu erzählen: „Naja weißt du, vielleicht bereue ich meine Rolle. Ich bin keine Kriegerfee, ich beschäftige mich eher mit der Pflanzenkunde und habe eine gute Beziehung zu Tieren. Ehrlich, eine Kriegerin wäre nie aus mir geworden. Ich bin da zu tollpatschig und viel zu laut. Ach, Clive. Siehe mich doch nicht an, als wäre ich ein Geist."
Am Ende kichert sie wieder.
„Entschuldige", seufzt er.
„Hat sich etwas ergeben? Hast du eine Antwort von diesem Turm?", fragt sie ihn neugierig.
Wenn er zurückkehrt, dann unterhalten sie sich viel. Sie weiß bereits viel von seiner Ausbildung und von der Reise, auch er konnte in Erfahrung bringen, dass diese Kunstwerke auf ihrer Haut zu ihren Bräuchen gehören. Je nachdem, für welche Richtung sich eine Fee entscheidet, bekommt sie die entsprechende Tätowierung.
Tatsächlich hat er eine Antwort vom Magisterturm erhalten, diese teilt er schließlich mit: „Die Reise wird fortgesetzt."
„Du wirkst erleichtert darüber", erkennt sie.
„Gerade in einem Kriegsgebiet kann ich mich als Alchemist beweisen, aber damit bringe ich dich in Gefahr", berichtet er ihr von seinem Zwiespalt.
„Ach mache dir keine Sorgen um mich, ich kann ja etwas helfen", sieht sie es etwas lockerer.
„Nicht vor anderen, wenn du Magie wirkst, bringst du uns in Schwierigkeiten", erinnert er sie mit strengem Ton.
„Spielverderber", flüstert Sina etwas gedankenverloren, während sie ihre Tierfreunde beobachtet.
„Ich verstehe, dass es nicht leicht ist, solch eine Gabe zu verstecken. Aber die Sicherheit geht vor", äußert er sich dazu.
Wie ein trotziges Kind legt sie den Kopf in den Nacken, bevor sie ihn schroff erinnert: „Wir hatten bereits darüber gesprochen, Clive. Hab etwas mehr Vertrauen."
Er möchte nur zu gern kontern, jedoch klopft es an der Tür.
„Ähm, Cuno, nicht wahr?", spricht Sina an Clive vorbei und lächelt dem Besucher freundlich an.
Sie steckt sich sorglos die nächste Himbeere in den Mund, während der Paladin eintritt. Cuno schließt mit einem vorwurfsvollen Blick die Türen, bevor er wortlos an ihnen vorbeischreitet. Gezielt zu den Fenstern, bis er die vielen Meisen im Raum entdeckt.
„Wie in aller Welt sind die vielen Vögel hier reingekommen?", fragt er verblüfft nach.
„Sie leisten mir Gesellschaft und haben Hunger. Hier möchtest du eine Himbeere?", bietet sie ihm mit unschuldiger Mine an.
Cuno wendet sich verzweifelt von ihr ab, er atmet laut aus.
„Clive? Versteht ihr den Ernst eurer Lage? Hatten wir nicht über die Türen und Fenster gesprochen?", wendet sich der Paladin vorwurfsvoll an den Alchemisten.
„Entschuldige ...", will Clive beginnen.
„Du musst dich nicht für mich entschuldigen, Clive! Ich allein habe die Fenster geöffnet", unterbricht Sina ihn.
„Und ich habe die Türen vergessen", erinnert er sie sanft.
Sina legt ihren Kopf schief, bevor sie amüsiert lächelt.
„Du hast Recht, wir beide waren kopflos", am Ende kichert sie freudig.
„Keine Haustiere", spielt Cuno den Spielverderber.
Seine Worte richten sich gezielt an Sina, die ihn beleidigt anblinzelt.
„Ist ja gut", bringt sie schmollend hervor.
Der Paladin will gerade zu Clive sprechen, da landet ein Vogel auf seiner Schulter. Sina muss lachen, als Cuno sich zum Affen macht. Er bekommt den Vogel nicht verscheucht, stattdessen hüpft die Meise immer näher zu seinem Gesicht, um sich gegen seine Wange zu drücken. Als der Paladin nach dem Vogel greifen möchte, fliegt diese auf die andere Schulter.
Schnell gibt sich Cuno geschlagen, woraufhin Sina sich ihm nähert. Das scheint dem Paladin nicht geheuer zu sein.
Er droht ihr: „Wenn du mich verhext, dann schmeiße ich dich aus dem Anwesen."
„Ich bin keine Hexe, ich bin eine Fee", berichtet sie ihm augenrollend.
„Was ist eine Fee? Ein Narr unter den Hexen?", eine ernstgemeinte Frage von Cunos Seite.
Zornig blitzen ihre Augen auf.
„Ich bin keine Hexe!", erinnert sie ihn wütend daran.
„Schwer vorstellbar", brummt der Paladin.
Sina nimmt mit erhobenen Händen ruckartig Abstand von ihm und beschließt: „Gut, das reicht mir. Ich wollte dir den Vogel von der Schulter holen, jetzt ist es mir egal. Die kleine Vogeldame hat dich gern und schon länger im Auge, du wirst sie so schnell nicht los."
„Was? Du erlaubst es dir zu scherzen", der Paladin ist empört.
„Nein, ganz und gar nicht. Es tut mir nur für den Vogel leid, dass sie sich in so einem Brummbär verliebt hat", spricht sie ihre Gedanken laut aus.
Hilfesuchend blickt der Paladin zu Clive, der Alchemist versucht schließlich sein Glück. Doch der Vogel lässt sich einfach nicht einfangen, selbst mit einer Beere nicht. Woraufhin Cuno in dem Punkt aufgibt.
„Das Gefieder muss hier raus, Hexe! Und lass die Fenster zu und die Vorhänge geschlossen!", tadelt er Sina.
Sie erwidert seinen zornigen Blick, bevor sie sich bei den Vögeln verabschiedet. Ihre Vogelfreunde fliegen tatsächlich davon, alle außer der gefiederten Dame auf Cunos Schulter. Widerwillig schließt Sina das Fenster und zieht die kirschroten Samtvorhänge zu.
Hoffnungsvoll blickt der Paladin auf, als die Vogeldame zu der Himbeerpflanze fliegt. Seine Hoffnung wird schnell niedergeschmettert, seine Verehrerin kehrt mit der Beere zurück und hält ihm diese vor der Nase.
„Hat er gar nicht verdient", spricht Sina zu der Meise.
„Ich will auch nicht", gesteht Cuno etwas verbittert.
„Du musst! Es ist ein Geschenk nur für dich, ein Ausdruck ihrer Zuneigung", betont Sina streng.
„Bitte sag mir, dass ich träume, Clive", verzweifelt der Paladin.
„Nimm die Beere jetzt entgegen", spricht Sina mahnend zu ihm.
„Die Himbeere ist sicherlich lecker", will Clive ihn dazu ermutigen.
„Wirklich? Schon gekostet? Du vertraust der Hexe doch, also bitte koste doch vor", kommt der Paladin ihm so.
Clive wollte kontern, doch Sina stoppt neben ihm. Sie hält ihm eine Himbeere vor die Nase. Ihrem Blick zu urteilen, duldet sie keine Widerworte. Also greift er danach und hofft, diesen Snack zu überleben.
Zögernd landet die rosa Beere in seinem Mund, wo sich ihre Süße sofort bemerkbar macht. Es zaubert ihm ein Lächeln auf die Lippen, Sina nickt ihm zufrieden zu. Sie tätschelt ihm über den Kopf wie bei einem Tier, woraufhin er auffallend räuspert.
Cuno ist ebenfalls überzeugt und nascht die vom Vogel geschenkte Beere, woraufhin die Meise glücklich um ihn herum flattert.
„Hexe, sag mir ...", will er beginnen.
„Sina!", fällt sie ihm ins Wort.
„Na schön, Sina. Woher kommst du?", möchte der Paladin in Erfahrung bringen.
„Von weit, weit und noch weiter her", antwortet sie ihm frech.
Er seufzt und geht vom Falschen aus: „Also eine halbe Weltreise."
„Sag mir, Brummbär, weißt du, was ein Portal ist?", fragt Sina ihn herausfordernd.
„Bitte was?", auch Cuno scheint mit dem Begriff nicht viel anfangen zu können.
Sie lächelt verzweifelt und beschwert sich im Nachhinein: „Ich bin verloren."
„Sie ist eine Hoffnärrin oder eine Märchenerzählerin oder?", fragt Cuno den Alchemisten.
„Sie sagt, sie wäre eine Fee", antwortet Clive ihm.
„Was ist eine Fee?", kommt der Paladin ihm nun so.
„Ich bin kein Mensch, kein Dämon, kein Geist und keine Hexe. Habe ich etwas vergessen? Wir Feen beherrschen den Umgang mit Magie, wir konzentrieren uns auf viele Gebiete. Unsere Kraft beziehen wir aus der Energie, die uns umgibt", erklärt Sina ihnen.
„Ich verstehe kein Wort", gesteht der Paladin.
„Das war zu erwarten", seufzt Sina erschöpft.
„Kann man dich töten?", möchte Cuno in Erfahrung bringen.
Sina ist empört, auch Clive bereitet diese Frage Magenschmerzen. Anscheinend weiß Cuno nichts mit Sina anzufangen und er schüchtert sie unbewusst mit seinem kalten Kriegerherzen ein.
„Bist du immer so unhöflich?", konfrontiert sie den Paladin.
„Das ist keine Antwort auf meine Frage", gestattet Cuno keinen Themawechsel.
Sina kommt jedoch auf etwas anders zurück: „Ein Portal ist eine Tür in eine andere Welt. Stellt euch vor, ihr öffnet diese Türen und landet in einer völlig fremden Welt ohne Menschen."
„Gut, du hast mich überzeugt. Du kannst den Leuten unterwegs Märchen erzählen, du hast eine blühende Fantasie", reagiert der Paladin anders wie erwartet.
Da sich Cuno zu den Türen begibt, fragt Sina ihn: „Wohin gehst du?"
„Verzeih mir, wenn ich mir nicht den ganzen Tag hier deine Märchengeschichten anhören kann. Ich habe noch einiges zu tun, entschuldigt mich bitte", verabschiedet sich der Paladin.
Sina steigt die Zornesröte ins Gesicht, sie beobachtet genervt, wie Cuno hinter den Türen verschwindet.
„Glaubst du mir wenigsten, Clive?", fragt sie den Alchemisten hoffnungsvoll.
„Selbstverständlich", versichert Clive ihr.
„Er ist gemein", schimpft sie.
„Er ist ein ehrvoller Krieger, ein Beschützer des Volkes und sehr pflichtbewusst. Du änderst deine Meinung sicher noch über ihn", ist er optimistisch.
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