56. Kapitel
Silene Capensis - auch bekannt als Traumwurzel ist ein nichtweit verbreiteter und noch unbekannter Schatz. Die Wirkung versteckt sich in der Lebensader und soll für lebendige Träume, sowie außerkörperliche Erfahrungen sorgen. Etwas, dass Sina am eigenen Leib erfahren hat. Nur dank ihr befindet sich Clive wieder unter seinen lebenden Kameraden. Ohne ihren Mut wäre der Alchemist Bestandteil der Geisterwelt. Ein Ort beherrscht von Kälte und Einsamkeit. Obwohl Clive nicht erpicht darauf ist, so schnell seine Fleischhülle zu verlassen, bleibt ihm keine andere Wahl. Denn noch besteht kein Vertrauen zu dem Sprachrohr der beiden Welten. Denn obwohl Luelas Kater Amon an der Grenze zwischen dem Hier und Jetzt wandelt, muss sich das sprechende Tier sein Vertrauen verdienen.
So steckt Clive Hoffnung in die exotische Pflanze. Die Einnahme der puren Wurzel kann unterschiedlich erfolgen. Gerta empfiehlt, diese zu pulverisieren. So wird verhindert, dass diese bitter schmeckt und somit eine deutlich angenehmere Variante zu dem Zerkauen des Wurzelstückes ist. Seine Lehrmeisterin berichtet ihm, dass die Knolle einige Minuten vom Speichel durchtränkt werden muss, damit sie eine weiche Struktur erhält und breiartig wird.
Kurz gesagt: Es klingt eklig.
Clive mag auf diese Erfahrung verzichten und zu seinem Glück wird die Traumwurzel mit anderen Zutaten vermischt.
Je näher sie Gertas Haus kommen, je nervöser wird der Alchemist. Seine Hände werden ganz schwitzig und ein flaues Gefühl im Magen verstärkt sich. Die Übelkeit kündigt sich an. Noch immer verfolgt ihm die erste außerkörperliche Erfahrung und die Sorge, er kehrt nicht heil zurück in seine Hülle, ist groß. Der Gedanke, Amon trickst ihn aus, verpestet seine Gedanken. Das Misstrauen will nicht verschwinden und drängt sich in den Vordergrund seines Bewusstseins. Die Möglichkeit, dass eventuell Hexenkraft in der Bestie steckt, besteht und macht das Tier umso gefährlicher. Gertas Kräutergarten ist bereits in Sicht und seine Kehle so ausgedorrt, als wandern sie bereits Stunden durch eine glühend heiße Wüste.
Der Teufel seiner Gedanken nimmt Form an. Schnurrend liegt das schwarze Fellknäuel auf Sinas Schoss und lässt es sich gut gehen. Ungeachtet von dem stärkeren Druck, den die Fee unbewusst ausübt, als sie ihren ausgebüxten Kameraden entdeckt. Vorwurfsvoll ruht ihr Blick auf den Brillenträger. Ihre Lippen sind zu einem schmalen Strich geformt und ihre Haltung ist ganz steif. In ihren Augen lodert das Feuer ihres Charakters. So oder so, der Wachhund wird sie ohne eine Erklärung nicht vorbeilassen. Die unangenehme Stille zwischen ihnen ist die Ruhe vor dem Sturm.
Sina ist entzückt von der Niedlichkeit. Zwar wird Clive dem Kater oder anderen unschuldig blickenden Tieren keinerlei Konkurrenz machen und doch setzt er das herzallerliebste Lächeln auf, was er in diesem Augenblick zustande bekommt. Kein leichtes Unterfangen, wenn er bedenkt, was ihm nach dieser Hürde erwarten wird. Die Fee ist ebenfalls nicht überzeugt. Ihre Stirn kräuselt sich verdächtig und das leichte Zucken ihrer rechten Augenbraue deutet Clive als ein Alarmsignal.
Sein Verstand schreit ihn an: „Lauf, du Narr! So schnell und so weit dich deine Füße wohl tragen mögen!"
Sein Herz hingegen ermahnt ihn streng: „Lass es besser bleiben! Du kennst die Folgen! Wie groß soll der Spalt noch werden? Stehe deinen Mann und begrabe alles, was zwischen euch steht!"
Wäre da nicht mörderische Blick auf dem zierlichen Gesicht der Fee, dann würde Clive nicht schlucken.
Clive konzentriert sich auf die neuen Informationen. Leider ist seine Stimme weniger kraftvoll, als er zum Sprechen ansetzt. Ein Kloß hat sich in seinem Hals gebildet.
„Es gibt da etwas, dass wir besprechen müssen, Sina."
Er pausiert, um seinen Gegenüber zu betrachten. Die Fee wirkt unverändert bedrohlich und einschüchternd. Das macht die Sache nicht gerade einfacher, sodass Clive unsicher und eingeschüchtert klingt.
„Ich kann die nächste Entscheidung nicht allein fällen. Wir müssen uns mit Cuno und Rebecca beratschlagen. Aber zuerst greife ich auf die Traumwurzel zurück."
Kaum fällt die Traumwurzel, zuckt Sina zusammen. Ihr starrer, zorniger Blick verändert sich und so wirkt seine Gefährten für einen kurzen Augenblick abwesend. Bis zu dem Augenblick, als ihre strahlendschönen Augen ihn erfassen und sie sich an die Wut im Bauch erinnert. So erhebt sich Sina mit dem Kater. Als sie Amon feste an sich drückt, hört Clive das Tier nach Luft keuchen. Die Augen quellen hervor und so windet sich das Fellknäuel in ihrem Armen. Doch Sina ist zu abgelenkt, um seinen Fluchtversuch zu bemerken, ihr Blick liegt starr auf den Alchemisten. Ihre Augen werden schmal.
„Du hast mich ausgetrickst!", tönt es nun giftig aus ihrem Mund.
Zum Glück meldet sich Gertas Ungeduld und Schwächeanfall. Die alte Frau atmet bereits schwer und ihr Zittern wird stärker. „Kindchen, können wir das nicht drinnen klären? Ich bin alt und gebrechlich."
Schlagartig verpufft Sinas Zorn und wird gegen einen Anflug von Sorge ausgetauscht. Wie hypnotisiert setzt sie Amon am Boden ab und eilt herbei, um Gerta ins Haus zu helfen, wo die Hausherrin in ihrem geliebten Schaukelstuhl verschnaufen kann. Eine Pause, die dringend nötig ist. Clive macht sich sofort nützlich und eilt mit einem Stärkungstee herbei. Einen Tee, den die alte Dame vor gebrüht hat und auf der Kochstelle warm gehalten wird.
Die dampfende Tasse stellt er ihr auf den Beistelltisch und lauscht ihren Worten: „Danke, Jungchen. Vielleicht solltest du dir ebenfalls eine Tasse gönnen. Ich sehe doch, wie nervös du bist."
Ertappt lächelt Clive. Es ist ihm unangenehm, dass Sina hiervon Wind bekommt. Schließlich mustert die Fee ihn beunruhigt. Nur einmal mag der Alchemist sie beeindrucken wollen. Er kommt sich so schwach in Cunos und Rebeccas Nähe vor. Ein Gelehrter, der nicht viel zu bieten hat. Meister Edin würde mit dem geschärften Verstand kontern, aber all das Wissen kann nicht in jedem Fall die fehlende Muskelkraft ausgleichen. Nur zu gern interessiert es Clive, wie Sina über ihn wirklich denkt.
In Windeseile befindet sich Sina mit einer Tasse Tee neben ihm und drückt diese in seiner Hand. Ein Handgriff und sie hält zwei der smaragdgrünen Sitzkissen in der Hand aus feinster Seide. Kaum liegen diese vor Gertas Füßen, setzt sich die Fee zu Boden. Sie winkelt ihre Beine an, umarmt diese und stützt ihr Kinn auf den Knien. Erwartungsvoll ruht ihr Blick auf die alte Frau und erinnert Clive an ein Kind, das sehnsüchtig nach einer guten Geschichte giert. Die Ehre der alten Generation, die ihr Wissen und Erfahrungen mit den Jüngsten teilen und sie in eine packende Geschichte reißen.
Mit einem Lächeln auf den Lippen setzt sich Clive auf das zweite Kissen nieder, das bequemer ist, als es aussieht.
„Du darfst keine zu hohen Erwartungen haben, junger Alchemist. Dein Kopf muss frei sein, damit sich die Kraft der Traumwurzel entfalten kann. Sonst verzögerst oder blockierst die Wirkung. Ich kann dir keinen Erfolg versprechen, denn das Ergebnis hängt allein von dir ab. Hegst du Zweifel, dann gebe die Aufgabe an jemand Geeigneteren ab", rät ihm seine Lehrmeisterin.
Doch Clive schüttelt seinen Kopf. „Ich glaube an die Wirkung. Mein Verständnis gegenüber dem Paranormalen hat sich an nur einen Tag drastisch erweitert. Ich halte dieses Erlebnis für keinen Traum, sondern als eine Art von Erleuchtung. Es ist nur, dass dieser Ort, den ich aufsuchen möchte, kalt und einsam ist. Ein Erlebnis, worauf ich ungern zurückkommen möchte."
Gerta beugt sich neugierig vor. „Aber?"
Clive umklammert die Tasse fester und spricht voller Entschlossenheit: „Aber ein Freund bietet um ein Gespräch und als könne ich dies ignorieren."
Das verzauberte Lächeln neben ihm entgeht ihm nicht. Verwirrt über die Stimmungsschwankungen der Fee betrachtet Clive seine Gefährtin. Sinas Augen funkeln verdächtig und wenn sich der Alchemist nicht irrt, dann bewundert sie ihn in diesem Augenblick. Eine absurde Wendung, wenn er bedenkt, wie sie ihn noch vor wenigen Augenblicken angestarrt hat. Sina wird immer mehr zu einem großen Mysterium. Die Wut, die sie ihm gegenüber hatte, ist wie fortgespült oder hält sie diese einfach nur zu gut versteckt?
Die Stimme der alten Frau unterbricht seine Grübeleien: „Ein Geist hat sich an deine Fersen geheftet und versucht, Kontakt zu dir aufzunehmen. Das kann nicht immer gut enden. Lädst du ihn ein und erschaffst eine Verbindung, dann wirst du ihn nicht mehr so schnell los. Sei dir die Risiken bewusst."
Eine professionelle Warnung und Tatsachen, die Clive bewusst verdrängt hat, weil er Jelko vertraut. Nur ist die Geisterwelt unerforscht und wer kann ihm schon sagen, wie dieser trostlose Ort einen Mann wie Jelko verändert. Dennoch hat dieser junge Kerl sie im Kampf gegen Luela unterstützt und der Alchemist kennt Geschichten, wo Geister in Frieden kommen.
„Jelko ist ein Held. Er hat tapfer gegen Luela gekämpft", äußert sich der Alchemist dazu.
Gerta schüttelt wissend ihren Kopf: „Du sprichst von Heldentum, ich rede von einem Rachezug. Rache macht uns blind, sturköpfig und entschlossen. Dabei ist dieser Zustand mit Vorsicht zu genießen. Dieser Antrieb lässt dich zu sehr in der Vergangenheit leben, dem hinterher trauern, was einmal war. Die Entscheidungen manipuliert und der Verstand geblendet. Ist das Ziel erreicht, was bleibt dann zurück? Eine Leere. Wie wird Jelko diese Leere wohl ausfüllen?"
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