52. Kapitel
Solch schnelle Reflexe, wie Cuno im entscheidenden Moment zur Schau bringt, sind nur zu beneiden. Mit angehaltem Atem beobachtet Clive, wie der Paladin sich zur Seite rollt und mit einer geschmeidigen Bewegung erhebt. Statt sich aufzurichten, verharrt er in geduckter Haltung. So entkommt er Jeffs Wirbelschlag, der den Paladin sonst in zwei Hälften gespaltet hätte. Während Jeff sich dreht, erhebt sich Cuno und sorgt für etwas Abstand. Nuni legt Clives Gefährte viel Wert auf eine lückenlose Verteidigung. Mit Geduld lässt er den Hexenjäger angreifen und pariert jeden seiner Schläge. Clive hat keinen Zweifel, denn bei Cunos scharfer Beobachtungsgabe wird ihm Jeffs noch leicht betäubtes Bein aufgefallen sein. Der Paladin studiert das Angriffsmuster des Hexenjägers, die Schlagabfolge und die Beinarbeit.
Jeffs Spott und seine Provokationen stoßen auf taube Ohren, denn Cuno lässt sich nicht aus dem Konzept bringen. Der Paladin wartet geduldig auf den richtigen Moment, womit er jedoch nicht rechnet ist, dass Jeff zurücktritt und aus seinem Mantel einen dunklen Flaschenbeutel aus Leder hervorholt. Mit den Zähnen öffnet er diesen und kippt den Inhalt über sein Schwert. Clive ahnt, worum es sich hier handelt.
„Vorsicht, Cuno! Das ist Öl!"
„Ja."
Sein Beschützer klingt nicht sonderlich überrascht und greift zu Boden. Mit seiner Hand kehrt er schnellstmöglich ein wenig staubige Erde auf, die er seinem Gegenüber entgegen pfeffert, bevor das Öl seine gewünschte Wirkung entfacht. Cuno schlägt aus, sein Gegner tanzt leichtfüßig an ihm vorbei, um im nächsten Moment auszuholen. Clives Gefährte bremst den edlen Stahl mit seiner Waffe ab und kracht zu Boden. Dem Alchemisten juckt es in den Fingern. Er kann und will nicht mehr den stillen Zuschauer spielen.
Ehre hin und her!
Es ist Cuno, der sein Leben aufs Spiel setzt!
Als Zielscheibe dient der Lederbeutel mit dem Öl. Ein Leck kann für den Hexenjäger gefährlich werden und so mag Clive verhindern, dass Jeff sein Schwert anzündet. So setzt er das Bambusrohr an die Lippen und pustet das nächste Geschoss los. Jeff blickt auf, startet ein Ausweichmanöver, das der Alchemist mit eingeplant hat. Fast glaubt Clive, sein Ziel um eine Haaresbreite verfehlt zu haben, so wie es sein Feind tut, der bereits dreckig grinst und seine hübschen Zähne entblößt. Zu Clives Glück hat sich die Nadel durch die Lederhaut gebohrt und neben der Vorderseite auch den Beutelrücken beschädigt. Das Öl tropft heraus, auf die Kleidung des Hexenjägers, der den Schaden noch nicht bemerkt hat. Der Alchemist sieht das Unglück kommen, als Jeff ein spitzzulaufendes Holzstäbchen hervorholt. Die Spitze ist mit Schwefel beschichtet und vereinfacht den Vorgang, Feuer zu entfesseln. Der Schwefel hat eine niedrige Zündtemperatur und dient somit als Zwischenbrennstoff, da der Holzstab sonst nur verkohlen würde. Die passende Reibungsfläche trägt der Hexenjäger an seinem Gürtel, ein handlicher Stein.
„Nicht!", ruft Clive seine Warnung zu spät aus.
Denn Jeff entzündet die Feuerhilfe und setzt die Schwertklinge in Brand. Clive kann kaum hinsehen, als das Feuer auf die Kleidung des Hexenjägers übergeht. Statt sich von dem brennenden Mantel zu befreien, gerät Jeff in Panik und versucht das Feuer mit seiner freien Hand auszuklopfen. In solch einen Moment die Ruhe zu bewahren rechnet Clive ihm hoch an. Denn obwohl der Hexenjäger erkennt, wie aussichtslos sein Vorhaben ist, konzentriert er sich weiterhin auf sein Versuch, das Feuer zu ersticken. Die Todesangst steht dem Mann ins Gesicht geschrieben, der Angstschweiß trieft aus seinen Poren und doch schreit er nicht. Als wolle er, wenn schon, würdevoll abtreten.
In nur wenigen Augenblicken wird aus dem Jäger eine brennende Fackel und dank Cunos Güte, folgt ein kurzer und schmerzfreier Tod. Denn der Paladin macht kurzen Prozess und enthauptet Jeff. Die Blutfontäne trifft Clives Wegbegleiter im Gesicht, bevor der kopflose Leichnam dumpf zu Boden schlägt. Angewidert von dem warmen Plasma, startet Cuno einen Versuch, sich dieses aus dem Gesicht zu wischen. Bei dem ganzen Geschmiere wirkt es auf Clive schon fast als Kriegsbemalung. Im hohen Bogen läuft sein Gefährte an Jeff vorbei und blickt hinüber zu Erik, der zwar atmet und die Welt um sich herum kaum mitbekommt.
„Hast du wirklich geglaubt, du kannst es mit Hexenjägern aufnehmen?"
Der Vorwurf ist nicht zu überhören.
Entrüstet betrachtet der Alchemist seinen Freund, bis er sich verteidigt: „Sie hatten vor, die Tochter des Pferdebauers zu töten."
Cuno schüttelt grimmig den Kopf und fordert: „Dann spitze Mal deine Lauscher und sag mir, was du hörst?"
Mit einem überraschten Ausdruck konzentriert sich Clive auf die Geräuschkulisse. Es ist verdächtig still und zuerst weiß der Alchemist nicht, worauf der Paladin hinaus möchte, bis Clive von einem Geistesblitz erschüttert wird. Wie von Bienen gestochen stürmt der Alchemist zum Haus des Pferdebauers. Es bleibt keine Zeit, um die Tür zu verschonen, schließlich geht es hier um Leben und Tod. So startet er den Versuch, die Tür einzutreten, was die Barrikade zu seiner Patientin nicht gerade beeindruckt. Die Tür hält dem Gewaltakt unbeschadet stand und selbst als der Alchemist scheitert, diese einzurammen, wirkt sie unverändert. Cuno kann sich das nicht mitansehen und schiebt ihn zur Seite, dabei nuschelt er leise etwas, das klingt wie: „Geh zur Seite, bevor du dich noch verletzt."
Beschämt von der fehlenden Kraft in seinen Muskeln schlägt der Alchemist die Augen nieder. Cuno muss nur einmal feste zutreten und schon gibt das Monster von Tür nach. Staub wirbelt auf, als das lange Brett ins Heim fällt. Ein Startsignal für Clive, der trotz der eingeschränkten Sicht ins Haus schreitet.
Katharina ist schnell gefunden, sie liegt im Bett und trotz des Thymians ist die Atemnot eingetreten. Mit Wut in Bauch steht Clive da, blickt in das blaurote Gesicht. Zögernd lässt er seinen Koffer fallen und fühlt nach dem Puls, der nicht vorhanden ist. Sie ist schon länger tot und ein Blick auf die Leiche lässt ihn das bereits wissen. Hier sind ihm die Hände gebunden. Die Toten kann er nicht auferstehen lassen. Der Zorn gilt ihm selbst. Nur ihm allein. Seinem Scheitern! Sein Kiefer spannt sich an und der Alchemist nimmt eine verkrampfte Haltung ein.
Wie soll er Feline nun in die Augen schauen?
Hätten ihn die Hexenjäger nicht aufgehalten, dann bestände die Möglichkeit, Katharina zu retten.
Vielleicht hätte Clive aber auch öfter nach seiner Patientin sehen müssen.
Der bittere Geschmack der Enttäuschung liegt wie ein pelziger Belag schwer auf seiner Zunge. Der Verlust dieses jungen Mädchens bringt, wie ein einzelner Tropfen Wellen schlagen kann, seine Selbstsicherheit als Alchemist ins Schwanken. Dieser Misserfolg stellt für diesen Augenblick seine Berufung und seine Fähigkeiten in Frage.
Hätte er vielleicht doch ein anderes Handwerk in Betracht ziehen sollen?
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