51. Kapitel
Wie ein rhythmischer Trommelschlag schlägt sein Herz. Laut und dramatisch. Unzählige Male geht der Alchemist die nächsten Schritte durch. Immer und immer wieder. Malt sich den Fluchtweg bildlich aus. Fixiert die Scheune mit seinen Augen, wo er von dort einen erneuten Angriff planen wird, sollte dieser hier gelingen. Die Denkfrist endet, schließlich setzen sich die beiden Hexenjäger in den nächsten Augenblicken in Bewegung und handeln. Die beiden erfahren Krieger haben ihn den Rücken gekehrt. Jeff steht näher an Clive heran und wird in dem Moment zur Zielscheibe. Mal davon abgesehen, dass Erik von dem Riesenbär-Klau körperlich eingeschränkt ist, wäre Jeff schneller bei Clive. Die Entfernung spielt hier eine große Rolle. Eine verkürzte Flugbahn des Giftpfeils macht es dem Alchemisten einfacherer.
Mit klopfendem Herzen und zittrigen Beinen erhebt sich Clive, spürt die Struktur der Halme des Bambusrohrs in seiner schwitzenden Hand. Kurz hängt er die Fackel in die vom Bauern angebrachte Halterung. Er gibt sich Mühe ganz leise zu sein, denn seine Gegner haben ein geschärftes Gehör. Kräftig pustet er los und das Geschoss saust voran. Es wären keine Hexenjäger, wenn sie Flugobjekt nicht hören und so drehen sich die beiden um. Aber für Jeff ist es zu spät. Erleichtert beobachtet Clive, wie die Pfeilspitze in den rechten Unterschenkel einschlägt. Ein schneller Griff hinab und schon hält Clive die Nebelfackel in den Händen, die er dank des Feuers entzündet. Der Rauch quillt bereits hervor, hinterlässt beim Wurf eine Wolkenspur zurück und landet nun zwischen den beiden.
Clive schnappt sich den Koffer und springt mit diesem über das Geländer aus dem Stahl heraus, beobachtet dabei, wie die Wirkung des Giftes einsetzt und Jeff zu Boden geht.
„Dieser Mistkerl! Erik! Mich hat es erwischt!"
Die Nebelwand breitet sich aus und verdeckt die Hexenjäger. So begibt sich der Alchemist, so schnell er kann, auf seine Fluchtroute und huscht von Versteck zu Versteck. Dabei lauscht er Eriks schwerem Atem. Der Hexenjäger röchelt und hustet laut.
Genau im richtigen Moment hält Clive an, aber auch nur, weil er einen inneren Kampf mit sich selbst führt, dem Hexenjäger medizinisch zu versorgen. Dieser Gedanke verpufft jedoch, als der Alchemist einen Säbel an sich vorbeifliegen sieht. Eine Waffe, die Clive an einen Stützbalken der Ställe genagelt und mit großer Wahrscheinlichkeit getötet hätte. An diesem Punkt endet Clives Gutmütigkeit und er setzt seinen Weg fort, dabei entkommt er Eriks Fängen. Dieser stolpert aus dem Rauch und stürzt zu Boden. Ein Blick zurück zeigt, dass Eriks Kopf blau-violett anläuft. Er wird ersticken, wenn ihm keiner hilft.
Also bleibt Clive stehen und beginnt mit Jeff zu verhandeln: „Er wird sterben und ich kann ihm helfen! Wenn ihr einfach verschwindet, dann rette ich ihn!"
Er hört Jeff dreckig lachen und für einen Moment fürchtet der Alchemist, dass er den Tod seines Kumpels in Kauf nehmen möchte.
„Na los, rette ihn, Alchemist!"
„Ihr werdet also verschwinden?"
„Das werden wir."
Clive zweifelt an der Ehrlichkeit des Mannes. Es ist ein Gefühl und doch steht er zu seinem Wort. Schließlich muss es schnell gehen.
So öffnet Clive neben Erik seinen Koffer und holt ein hohles Bambusrohr hervor. Ein kleines Stück Holz, das zwischen dem Ringknorpel und Schildknorpel eingeführt wird. Eine Methode auf die Clive bislang nur viermal zurückgegriffen hat und wovor der Alchemist großen Respekt hat. Aber zuerst muss der Einschnitt erfolgen und dafür braucht Clive das kleine Messer. Er darf nicht zu tief schneiden. Ein Blick auf den gefährlichen Zustand des Patienten lässt den Alchemisten schnell handeln und so sticht er die Klingenspitze ins Fleisch. Schließlich folgt das Rohr, womit er einen künstlichen Atemweg schafft. Der Zustand wird stabil, Erik bekommt Luft. So kann sich Clive mit der allergischen Reaktion auseinandersetzen. So entscheidet sich Clive zuerst für Adrenalin, das für einen stabilen Kreislauf sorgt. Schließlich folgt ein Antihistaminikum, was die allergische Reaktion schwächt. Calcium und Zink hemmen die Histamin-Produktion. Bei Histamin handelt es sich um einen Eiweißstoff.
Nach Eriks Rettung wischt sich Clive den Schweiß von der Stirn.
„Eukalyptus hilft bei den gereizten Schleimhäuten. Ich habe eine Salbe hier, die unbedingt regelmäßig aufgetragen werden soll."
Sein Fachgespräch wird unterbrochen, schließlich spürt er kalten Stahl an seiner Kehle.
Der starke Geruch von Kautabak und Eisen dringt an seine Nase.
Eine tiefe Stimme voller Hochmut und Verachtung dringt an sein Ohr: „Dein Pech, dass mir diese beiden Pfeifen zwei Städte vorher über den Weg gelaufen sind und wir sind sicherlich nicht die Einzigen. Auf den Kopf der Hexe steckt ein ordentlicher Batzen Gold. Ein ansehnliches Sümmchen und wir waren ihr so dicht auf der Spur. Ich konnte diese stinkende Hexe wittern, bis und die Kunde von ihrem Tod erreicht hat. Wochenlang bin ich durch Geisterstädte gezogen. Die Leichen haben das Ungeziefer angelockt, Krankheiten verbreitet, denn kaum einer hat sich in die toten Städte getraut, um die Leichen zu bergen. Und dann kommt ein dahergelaufener Alchemist. Er bezwingt zwei meiner Männer und es kommt noch schlimmer. Erik hat versagt, aber du rettest sein beschämendes Leben. Der Kerl hätte sterben sollen. Denk an dem Schmach, der ihm blüht. Bezwungen von einem Alchemisten. Die Hexenjäger werden sich kugeln vor Lachen. Wie ist dein Name, Bursche?"
„Clive."
„Du hast gut gekämpft für einen Akademiker. Warst du hier, als die Hexe getobt hat?"
Clive schluckt und fasst Mut: „Du kennst nun meinen Namen, aber Euren kenne ich noch nicht."
Der Fremde lacht laut, sodass Clive es wagt, seinen Kopf zur Seite zu drehen. Breitgeschultert und einen ganzen Kopf größer als Clive. Der Fremde blickt auf den Alchemisten mit seinen wasserblauen Augen hinab. Die schwarze Mähne erinnert Clive an ein Wildpferd, ungebändigt und stürmisch.
„Du bist mutig, Clive."
Der Kerl dreht seinen Kopf weg, um auf den Boden zu rotzen. Etwas, was Clive schon immer angeekelt hat. Leider sieht die Gesellschaft dies etwas anders. Denn selbst in den geschlossenen Räumen wird auf den Boden gespuckt. In Clives Augen ist dies eine Respektlosigkeit für diejenigen, die den Boden mit Mühe und Schweiß säubern. Dennoch ist es für die Gesellschaft eine Unsitte, die Speichel hinunterzuschlucken. Manche spucken für mehr Glück oder verhöhnen Verbrecher am Pranger. Als Lehrling der Kräuter- und Heilkunde weiß er jedoch, was eine Tröpfcheninfektion alles ausrichten kann.
Leider ist der Fremde zu aufmerksam, sonst hätte Clive einen Versuch gestartet, etwas aus der Tasche zu ziehen.
„Töte den Mistkerl, Felix!", fordert Jeff.
„Viel zu schade! Ich sehe Potenzial in dem Kerl! Ich nehme ihn mit, lass ihn eine Weile im Kerker verrotten und dann beginnt die Ausbildung."
„Er und ein Hexenjäger?"
„Wer liegt denn auf dem Boden, Jeff?", höhnt Felix.
Das Gespräch zwischen den beiden Hexenjägern verschafft Clive Zeit, um nach dem Messer zu greifen. Und so handelt er auf gut Glück und versucht, seinen Entführer zu erdolchen. Noch während Clive das Messer umklammert und zum Schlag ausholt, tritt Felix ihn an der Kniekehle nieder.
„Eine Kämpfernatur, Jeff!"
„Halts Maul und mach das Schwein fertig!"
„Bist du irre? Wir können jeden Rekruten gebrauchen!", weigert sich Felix.
„PASS AUF!", brüllt Jeff.
Daraufhin wirbelt Felix mit seinem Schwert herum und sein Stahl trifft auf ein weiteres Schwert. Es fliegen Funken und es folgt ein schneller Schlagabtausch.
„Scheiße! Wer bist du denn?" Der Hexenjäger mustert Clives Retter. „Ein Paladin? Was hat ein Paladin hier in einem ärmlichen Dorf zu suchen? Kann sich der Pöbel doch gar nicht leisten!"
Statt darauf zu antworten, blickt Cuno zu Clive hinüber und erkundigt sich besorgt: „Geht es dir gut, Alchemist?"
Damit geht Felix ein Licht auf und lacht spöttisch. „Alchemisten werben Paladine also schon als Begleitschutz an? Ich dachte, dafür sind die Söldner zuständig!"
Sein Kiefer spannt sich auffällig an.
„Euch habe ich geschätzt, Paladin. Ehrenhafte Krieger, aber du spielst den Laufburschen!"
Jeffs Stimme rückt näher. „Sieht aus, als kann ich meine Beine wieder bewegen, Felix. Ich helfe dir. Kesseln wir den Milchbuben ein und schlagen ihn zu Brei."
„Pah! Dafür brauche ich deine Hilfe nicht!", knurrt Felix.
Er will noch mehr sagen, pausiert jedoch, als Cuno eine Finte ankündigt. Er springt jedoch zurück und teilt von einer anderen Seite aus. Sein Schwert sticht in den Brustkorb, wird jedoch gebremst.
„Ein Kettenhemd!", erkennt der Paladin.
Der Hexenjäger tritt aus und wirbelt Staub auf. Während Cuno den Arm hebt, um sein Gesicht vor den Partikeln zu schützen, schlägt Felix zu und der Paladin donnert hinab.
Felix holt zum entscheidenden Schlag aus, er plant, Cunos Schädel zu spalten. Nicht mit Clive. Der Alchemist setzt das geladene Bambusrohr an und pustet den Giftpfeil fort. Der Hexenjäger dreht sich jedoch um und zerteilt das Luftgeschoss. Sein triumphierendes Lächeln erblasst schlagartig, als Cuno sein Schwert ertastet und es ruckartig durch Felix linkes Bein rammt. Die Spitze bohrt sich am Oberschenkel heraus. Der Riese schreit, flucht und verdreht die Augen vor Schmerzen. Der Paladin zieht das Schwert mit einem kräftigen Ruck heraus und das Blut spritzt aus der klaffenden Wunde. Cuno steht nun wieder auf den Beinen, dabei hat er jedoch keine Rechnung mit Jeff gemacht. Dieser stürzt mit einem Kampfschrei aus der Nebelwand und droht den Paladin zu überrumpeln.
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