46. Kapitel
Die Anemone, auch Windröschen genannt, steht für Erwartung und Hoffnung und passt damit gut zu Rebecca. Clive zweifelt keine Sekunde daran, dass Rebecca mit leeren Händen zurückkommen wird. Die Diebin langweilt sich bereits in dem kleinen Dorf. Hier wird sie nur unnötig versauern. Clive hat große Pläne mit den gestohlenen Königskindern, er möchte sie zurück in ihre Reiche bringen. Das wird nicht einfach, denn die Kinder haben verlernt zu sprechen. Geduld und Feingefühl ist hier erforderlich.
Während Clive, Sina und Cuno sich um die Kinder kümmern und sie in unterschiedlichen Gebieten lehren und unterrichten, wird Rebecca zurück zum Grafen reisen. Clive steckt viel Hoffnung in seine Bitte, denn ihm allein wird es nicht möglich sein, alle Kinder nach Hause zu bringen. Clives Route steht bereits fest und auf den Weg in die nächsten Reiche wird der Alchemist zwei Kinder mitnehmen können. Um wen es sich bei den neun Kindern dabei handelt, wird sich noch zeigen. Noch können die Kinder nicht mal ihren Namen nennen. Aber Clive hat große Hoffnung in die nächsten Wochen. Er und seine Freunde werden die Kinder wie kleine zierliche Pflänzchen aufpäppeln. Der Magisterturm hat bereits das Einverständnis gegeben, dass Clive sich um die Verwundeten und um die Kinder kümmern darf. Sie wissen von der Existenz und der Vernichtung von Luela. Wie die Schwarzhexe bezwungen wurde, hat der Alchemist jedoch verschwiegen.
Um Rebeccas Sicherheit macht er sich keine Sorgen, Cunos Kindheitsfreundin kann gut auf sich aufpassen. Zum Dank für die Rettung erhielt die Gruppe vom Stahlmeister eine prächtige Schimmelstute. Diese ist bereits gesattelt und wartet nur noch auf Rebecca zwischen all den Mohnblumen. Dabei lässt sich das Pferd das saftige Gras schmecken, während Clive sich als Letzter bei Rebecca verabschiedet. Am frühen Morgen ist es ein wenig frisch, aber sobald die Sonne oben am Himmelszelt steht, folgen die sommerlichen Temperaturen. Der Wind pustet ihnen durchs Haar. Rebecca hat schon lange aufgegeben, ihre wilde Mähne im Griff zu kriegen. Bereit für ihre Reise steht sie da und beobachtet, wie die Köpfe der Blumen im Wind tanzen. Abschiede mochte sie noch nie und Gefühle zu zeigen, fällt ihr schwer. Dabei weiß Clive, dass hinter der eisernen Maske einer Kriegerin sich eine gute Seele versteckt.
Rebecca lauscht seinen Schritten und entdeckt sein Abschiedsgeschenk. Eine gefächerte Ledertasche, deren Inhalt die Diebin sicherlich erfreuen wird.
„Eigentlich stelle ich ungern solche Waffen her, aber ich weiß, dass ich dir das Schwarzpulver mit gutem Gewissen überreichen kann. Du hast dich wacker im Kampf gegen Luela geschlagen."
„Sehe ich anders. Das Biest hat mich zu lange aufgehalten."
„Sei nicht so streng mit dir", rät Clive und überreicht ihr die Tasche.
Rebecca öffnet diese und blickt auf den gefährlichen Inhalt, ein wahres Set zur Selbstverteidigung mit bösen Überraschungen für den Angreifer. Da wäre nicht nur das Schwarzpulver, sondern auch andere Flüssigkeiten aus giftigen Pflanzen, die Rebecca nun auch vertraut sind. Die Geste zaubert ihr ein Lächeln auf die Lippen.
„Du bist sicher, dass du deine Nase noch länger in Bücher stecken und von dieser alten Schachtel rumgescheucht werden möchtest?", fragt sie, obwohl sie die Antwort kennt.
„Gertas Wissen könnte uns noch nützlich werden."
Rebecca schüttelt ungläubig den Kopf. „Traumforschung? Ich bezweifele es."
„Ihre Wissenschaft hat mich in meinen Körper zurückgeholt", erinnert Clive sie.
„Mag sein." Rebecca zuckt mit den Schultern, bevor sie laut ausatmet. „Du wirst schon wissen, was du machst."
„Sei vorsichtig, Rebecca."
„Ich weiß, du wirst mich vermissen", reagiert sie keck.
„Redest du von mir oder Cuno?", lässt sich der Alchemist auf das Spiel ein.
„Ah, Cuno." Rebecca tritt einen Stein von sich. „Lass dich von dieser Spaßbremse nicht ärgern. Ich glaube, ihm wird mein Fehlen kaum auffallen. Er hat nun einige neue Rekruten, die ihn brauchen. Er hat es schon immer geliebt, zu protzen und den Befehlshaber raushängen zu lassen."
Der Paladin hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Kinder und einige freiwillige Dorfbewohner der Schwerkunst zu lehren.
Sie wird ihn vermissen – ist der erste Gedanke, der Clive heimsucht.
„Ja. Er ist in seinem Element. Aber die Kinder lieben ihn und haben Spaß seinem Training zu folgen."
Rebecca nickt zustimmend. „Ich bringe ihnen, sobald ich zurück bin, einige Tricks bei. Aber zuerst schauen wir, ob der Graf uns weiterhelfen kann."
„Ich verlasse mich auf dich, Rebecca."
„Ich weiß." Sie grinst wissend. „Auf wen sonst? Auf eine Pfeife wie Cuno oder einen Tollpatsch wie Sina? Haha. Ich bin deine einzige Hoffnung."
Rebecca macht Anstalten, sich dem Pferd zu nähern, als sie plötzlich stehen bleibt. Clive legt den Kopf schief, seine Gefährtin ist ganz nervös. Sie trommelt mit ihren Fingern auf der Tasche und kämpft mit einer Entscheidung. Als sie sich plötzlich umdreht und ihm zum Abschied feste in den Arm nimmt, wirkt sie etwas unbeholfen und steif. Auch für Clive ist dieser Moment etwas befremdlich. Er erwidert die Umarmung, woraufhin sich Rebecca mit einem glücklichen Lächeln entfernt, sich geschmeidig in den Sattel schwingt und in Windeseile davon reitet.
Clive blickt ihr nach und freut sich bereits auf ihre Rückkehr. Der Alchemist bekommt Besuch von Gertas Haushilfe.
Violante pausiert das Fegen und fragt ihn: „Glaubt Ihr, sie kehrt auch wirklich wieder zurück? Sie könnte auch mit dem Schimmel verschwinden und nie wiederkehren."
Clive schüttelt seinen Kopf. Er zweifelt keine Sekunde an Rebecca. „Nicht Rebecca."
Violante wirkt weniger beeindruckt und widmet sich wieder ihren Hausarbeiten zu.
Noch bleibt Clive etwas Zeit, bevor Gerta für ihn Zeit findet und so begibt sich der Alchemist durch die Schmetterlingswiese. Er folgt dem lieblichen Gesang und genießt den Anblick der glückseligen Welt, in der sich Sina zurzeit befindet. Die Fee ist umgeben von lauter verschiedenen Vogelarten - Meisen, Zaunkönige, Rotkehlchen und Amseln. Neben dem hübschen Gesang pflanzt die Fee Samen, die sie wie durch Magie einfach aus dem Ärmel schüttelt. Sie wirkt glücklich, zufrieden, in Sicherheit gewogen und ausgeschlafen.
Clives Anwesenheit verschreckt die Tiere. Einige ergreifen die Flucht und fliegen davon, während andere weghüpfen und sich im hohen Gras verstecken. Sina wirft einen Blick über ihre Schulter, schenkt Clive ein herzerwärmendes Lächeln.
Ein amüsierter Laut verlässt ihre Kehle. „Ihr seid solche Feiglinge."
„Sind das die besprochenen Pflanzen?", erkundigt sich Clive bei ihr.
„Ja, dein eigener Kräutergarten. So wie du ihn dir wünschst", versichert Sina ihm. „Rebecca ist fort?"
Clive nickt, woraufhin Sina das letzte Erdloch zu buddelt und eine Pause einlegt.
„Ich bin mir sicher, Rebecca ist schnell zurück", daran zweifelt sie nicht.
Da er schweigt, blickt die Fee zu ihm auf. Dabei macht es Clive sich im hohen Gras gemütlich und legt seinen Kopf in den Nacken. Der friedvolle Anblick des wolkenlosen Himmels schenkt ihm Kraft für den Tag.
Eine Ruhe, die gestört wird. Zuerst landet ein kleiner Stein vor seinen Füßen, dem der Alchemist keinerlei Beachtung schenken möchte. Aber als ihn dann ein weiterer Stein trifft, sieht sich Clive verwundert um.
„Hast du ...nein, unmöglich", richtet er das Wort an Sina, als er den Stein aufhebt.
„Ich habe was?", erkundigt sie sich etwas frech.
„Kannst du knicken, selbst mit diesem komischen Gestell auf seiner Nase sieht er dich nicht", hören die beiden diese bekannte Stimme.
Staub wird nahe ihnen aufgewirbelt. Clive erhebt sich und spürt, wie Sina sich ihm besorgt nähert. Dabei tritt der Alchemist näher an die Geräuschquelle und greift hinab. Seine Finger erfüllen das weiche Fell und im nächsten Augenblick hebt Clive den schwarzen Kater Amon aus dem Gras. Zu ihrem Glück ist das Tier auf Normalgröße geschrumpft und handlich.
„Ist das?", erkennt Sina den Kater wieder.
„Luelas Katze."
„Kater", korrigiert Amon ihn. „Und ich war Luelas Kater. Nun bin ich dank euch ein Streuner."
Sina lächelt freudig. „Darf ich, Clive?"
„Bist du sicher? Er gehörte zu der Hexe?"
„Ich bin mir sicher." Sina nimmt das Tier glücklich entgegen. „Siehst du nicht, dass er ein neues Zuhause sucht? Einen Ort, wo er willkommen ist. Niemand ist gern einsam."
Amon genießt die Kopfmassage und fängt an zu schnurren, während Clive das Ganze mit Besorgnis betrachtet. Dabei wirken Sina und Amon wie ein Herz und eine Seele.
Als sich Amon schüttelt und Sina die Kuschelzeit unterbricht, berichtet der Kater dem Alchemisten: „Seit Tagen versucht ein Mann namens Jelko Kontakt zu dir aufzunehmen, Clive."
Clives Augen weiten sich. „Jelko?"
Sina erinnert sich: „Der Geist, der dich begleitet hat?"
„Ja", antwortet Clive und sieht sich um.
Die Fee lächelt milde, ihre bleiche Haut verrät, dass sie von Geistern nichts hören möchte.
„Ist er uns feindlich gesinnt?", fragt sie vorsichtig nach.
„Nein. Er möchte nur reden", versichert Amon ihm.
Der Alchemist seufzt erschöpft. „Das bedeutet, ich muss auf die Trauwurzel zurückgreifen."
Er hatte gehofft, auf eine weitere außerkörperliche Erfahrung verzichten zu müssen. Vielleicht reicht aber auch eine Dosis für Halluzinationen. Zeit, um sich mit Gerta zu beratschlagen.
Bevor Clive jedoch geht, bittet er die Fee besorgt: „Sei vorsichtig, Sina. Vergiss nicht, dass diese Katze Luela gehörte. Behalte das im Hinterkopf und wenn du in Schwierigkeiten steckst, dann komm auf Cuno oder mich zurück."
Amon rollt die Augen. „Kater! Wie das nervt!"
„Geh schon." Sina winkt ihm zu und lächelt sanft. „Ich komme zu Recht."
Widerwillig lässt Clive sie bei dem Tier allein und hofft, er kann sich auf ihr Urteilsvermögen verlassen.
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