41. Kapitel
Wie Schlangenköpfe heben sich Luelas Haarspitzen, während dickflüssiges Feuer von ihnen hinab in die hitzige Suppe tropft. Die Adern der Hexe treten im Halsbereich deutlich hervor. Sie leuchten wie erhitztes Metall.
„Was haben dir die Menschen getan, dass du diesen Schritt gemacht hast?", spricht Clive die Hexe an.
Luelas silberfarbene Augen orten den Alchemisten und kurz darauf verdüstert sich ihre Mine. Sie ist ansprechbar, das ist ein gutes Zeichen. Scheint, als würde ihr Tobsuchtsanfall abklingen.
„Alchemist", begrüßt sie ihn mit einem teuflischen Lächeln. „Bist du hier um zu zusehen, wie ich deine Freunde zerquetsche?"
Die Hexe greift in die Luft, ihre Finger bewegen sich, als zerquetscht sie eine Fliege. Dabei erhitzt sie Rebeccas Bombe, die einige Meter über ihren Köpfen explodiert. Luelas Lächeln schwindet, mit Schwung bewegt sie ihren Arm und das heiße Element schwappt nahe Rebecca aus dem Boden, um sich erneut zu türmen. Diesmal entkommen Rebecca und Cuno der brodelnden Gefahr auch ganz ohne Clives Hilfe. Sodass, der Alchemist einen erneuten Versuch startet, um mehr über Luela in Erfahrung zu bringen.
„Eine Hexe hat es nicht leicht unter uns Menschen. Du hast sicherlich einiges in deinem Leben erlebt", versucht Clive, mitfühlend zu klingen.
Luelas Augen werden schmal, ihre Pupille zieht sich zu einem Schlitz zusammen. Mit einem wutverzerrten Ausdruck blickt sie zu ihm hinüber.
„Was weißt du schon, Alchemist!"
„Leider zu wenig." Clive macht einen Schritt auf sie zu. „Aber du wirst sicherlich deine Gründe hierfür haben."
„Hätte ich gewusst, dass du als Geist lästiger bist, dann hätte ich dich vor Ort getötet!"
Der Alchemist belächelt dies und bleibt freundlich. „Ich danke dir, Luela. Ohne dich hätte ich diese interessante Welt nicht kennen gelernt."
Die Hexe lacht böse, denn sie behauptet felsenfest: „Gewöhne dich an diesen trostlosen Ort. Dies ist dein neues Zuhause. Du sitzt dort fest und wirst nie wieder in deine gewohnte Welt zurückkehren."
Sie fängt ein Flugobjekt. Eine Glasphiole gefüllt mit einem gefährlichen Pflanzensaft. Der Riesenbärenklau enthält den Giftstoff Furocumarine und in der Kombination mit Sonnenlicht kann die toxische Wirkung gravierende Folgen haben. Allein der Hautkontakt mit der Pflanze sorgt für verbrennungs- oder verätzungsähnliche Hautreaktionen, oft verbunden mit großen Blasen und vor allem mit starken Schmerzen. Die Wunden heilen nur sehr langsam. Meist bleiben Narben zurück, es kann auch vorkommen, dass Pigmentierungen hinterlassen werden.
Der Riesenbärenklau bevorzugt Standorte, die sehr stickstoffhaltig sind. Die Pflanze kann bis zu vier Meter groß werden. Die Blütenstände sind weiß bis rosa gefärbt. Clive muss beim Ernten sehr vorsichtig sein, ohne Handschuhe geht gar nichts. Der Alchemist arbeitet nur äußert ungern mit der Pflanze zusammen. Jeder noch so kleine Fehler kann fatale Folgen haben.
Respektvoll nimmt Clive Abstand von der Hexe und wagt einen Blick hinauf zum Himmelszelt, wo die Sonnenstrahlen in einem schrägen Winkel auf diesen Ort hinab fallen und somit sind alle Bedingungen erfüllt für die toxische Wirkung. Mit der Steinschleuder lässt Rebecca das Gefäß in der Hand der Hexe zerspringen. Der Pflanzensaft und die Scherben treffen Luela selbst im Gesicht und auf dem Oberkörper. Die Hexe blickt hinunter, bevor sich die Wirkung entfaltet. Zuerst verzieht Luela ihr Gesicht vor Schmerzen, bis ein klagender Laut aus ihrer Kehle dringt. Clive kann es ihr nicht verübeln, der toxische Wirkstoff wird schwere Verbrennungen auf ihrer Haut zurücklassen. Auf menschlicher Haut, ob dies auch bei der Hexe zutrifft, wird sich zeigen.
Clive kann kaum hinsehen, als sich Luela mit ihren Händen durchs Gesicht streicht. Sie versucht, den Pflanzensaft aus dem Gesicht zu wischen, verteilt ihn jedoch und macht die Sache weitaus schlimmer. Zumal ihre Hände ebenfalls getroffen wurden. Als Alchemist verspürt er das Verlangen, dieser Frau zu helfen. Hier würde nur kaltes Wasser und Seife helfen, er könnte ihr zur Not ein Schmerzmittel verabreichen. Ansonsten wären auch ihm die Hände gebunden. Auch wenn Luela schreckliche Dinge getan hat, bereut Clive, dieses Mittel Rebecca vorgestellt zu haben. Die zittrigen Hände hält Luelas vors Gesicht, sie schreit und windet sich in dem Flammenmeer. Eisen schmilzt in ihrer Nähe, also kann Clive ihr keinen Gnadenstoß verpassen.
Fieber, starke Schweißausbrüche, Atemnot oder einen Kreislaufzusammenbruch. Clive rechnet mit allem, schließlich brutzelt die Hexe in der Sonne und ist damit der ganzen toxischen Wirkung ausgesetzt.
„Was ist denn mit ihr passiert?", wird der Alchemist angesprochen.
Clive dreht sich um und blickt auf das Kind hinab, das von Jelko gesteuert wird.
„Bist du fertig?"
„Ja, jetzt müssen wir sie nur noch zum Loch locken."
Plötzlich erwischt es Jelko, Cuno schnappt sich das Kind und reißt es hoch.
„Keine Chance, Bursche! Du richtest nicht erneut Schaden an!", spricht der Paladin zu ihm.
„Lass mich runter, Blechbüchse!"
„Sieh an, es kann reden!"
Jelko tobt in Cunos Armen.
„Clive! Nun mach schon! Kümmere dich um die Hexe!"
Cuno betrachtet den Geisterbesessenen verwundert. „Was sagst du da?"
„Wie soll ich das bitte anstellen? Die Hexe steht in Flammen!", hält Clive ihr vor Augen.
Jelko ignoriert Cuno und brüllt seinen Geisterfreund an: „Ich dachte, du hättest was auf dem Kasten, Alchemist! Benutze deinen Kopf! Die Flammen schaden dir nicht! Oder verwende die Geisterkralle!"
„Die Geisterkralle?", wiederholt Clive verwundert.
Jelko brummt laut und ärgert sich laut: „Alles muss man allein machen!"
„Sag mir doch einfach wie", fordert der Alchemist ihn auf. „Ich bin noch nicht so lange ein Geist!"
„Denk an die Spinne!", hilft Jelko ihm auf die Sprünge. „Die wirft ihre Fäden los, das kannst du als Geist auch!"
„Sag mal, Bursche, ist Clive unter uns?", erhofft sich Cuno Antworten.
Jelko blickt grimmig zu ihm, was dem Paladin nicht ganz geheuer ist.
„Nerv nicht!"
„Ganz schön unverschämt!", kontert Cuno.
Während Clive sich vor Augen ruft, wie die Spinne ihre klebrigen Fäden losschießt, kommt dem jungen Kommandanten ein Geistesblick.
„Du, Paladin. Du könntest der Hexe die Arme abschneiden, sobald sie das Feuer verlassen hat. So kann sie nicht mehr hochklettern."
Hochkonzentriert fixiert Clive seine Finger an. Nichts passiert. Was erwartet Jelko auch? Es grenzt an einem Wunder, das Clive bereits so viel als Geist interagiert hat. Als würde ihm auch der nächste Trick gelingen. Luelas ist kaum wieder zu erkennen, vom Kopf bis zu den Armen haben sich auf der Haut große Blasen gebildet. Die mit Wundwasser gefüllten Blasen können die Größe eines Apfels erreichen, noch sind sie klein und wachsen.
Clive wollte einen erneuten Versuch starten, Luela aus den Flammen zu holen, als plötzlich Sinas Stimme seine Ohren erreicht. Zuerst als Wispern, bis ihre Stimme immer lauter und besorgter klingt. Sie ruft ihn beim Namen und ein Blick auf seine Arme zeigt, dass er immer transparenter wird. Besorgt blickt er zu Jelko, der jedoch mit Cuno diskutiert. Was auch mit Clive passiert, der Alchemist muss jetzt handeln. Noch kann er helfen, also wendet er sich an Luela. Die Hexe hebt erst beim vierten Ruf ihren Kopf, sie wimmert und kann kaum die Augen öffnen.
„Luela, sieh her. Ich glaube, dein Plan geht nicht ganz auf. Ich kehre zurück in meinen Körper."
Die Hexe bewegt sich tatsächlich in einer gekrümmten Haltung auf ihn zu.
„Nein, das lasse ich nicht zu! Schön hier geblieben, Alchemist!"
Ihre Stimme ist schwach, ihre Bewegungen lahm.
Clive hört Jelko schreien, also dreht er sich um. Dabei kann er verfolgen, wie Cuno an ihm vorbeistürmt. Er hat Jelko fallen lassen und zieht während seines Sprints das Schwert. Die Hexe hebt die Arme, Feuer kriecht unter ihrer Haut hervor und sammelt sich um ihre Krallen. Es wirbelt in kreisartigen Bewegungen durch die Luft und wird immer größer. Bevor die Gefahr auf Cuno niederhagelt, grätscht er unter den ersten Arm der Hexe hinweg und schlägt ihr diesen ab. Die Blutfontäne schießt an ihm vorbei, ergießt sich über den Rasen. Cuno bremst rechtzeitig vor dem Feuermeer ab, dreht sich um und bevor die Hexe sich an die Wunde packen kann, folgt der nächste Schnitt.
Die Hexe fällt schreiend auf die Knie, während Cuno staunend sein Schwert betrachtet.
„Na los, beende es!", brüllt Jelko den Paladin an.
Cuno blickt auf, scheint ihm zu vertrauen. Er schwingt sein Schwert erneut, gerade dann, als die hitzige, wabernde Masse aus den Wunden der Hexe fließt und neue Arme zu formen beginnt. Doch als Clives Wegbegleiter ihr den Kopf abschlägt, fällt die instabile Masse der Arme in sich zusammen und verteilt sich auf dem Boden.
Jelko begibt sich an Clive vorbei und verabschiedet sich: „Ich beneide dich für deine zweite Chance. Genieße dein Leben, so lange du kannst. Koste all die Vorzüge als Mensch aus. Mach dir keine Sorgen wegen Luela, ich habe noch ein paar Tricks auf Lager. Wie du bei deinem Freund gesehen hast, kann ich eine Schutzschicht beschwören, die uns vor Schaden wie zum Beispiel durch das Feuer, bewahren kann. Gilt zwar nur ein paar Minuten, aber das reicht aus."
Clive folgt ihm und auch Cuno wird misstrauisch, als Jelko den dampfenden Kopf der Hexe aufhebt.
„Bursche! Warte!", spricht der Paladin den Geisterbesessenen an. „Was hast du vor?"
„Ihr Körper wird sich in wenigen Minuten zusammensetzen, aber nur an der Stelle, wo ihr Kopf steckt. Also werfe ich den Kopf in das Loch hinein."
„Und das klappt?", interessiert es Clive.
Bevor er jedoch eine Antwort erhält, erstrahlt seine Geistererscheinungen in einem gleißenden Licht. Der Alchemist ist gezwungen seine Augen zu schließen, um nicht zu erblinden.
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