40. Kapitel
Begleitet von Rauchschwaden surrt die Feuerpeitsche durch die Luft. Der Qualm setzt sich tief in die Atemwege und lässt Rebecca husten, dabei weicht Clives Gefährtin der unterschätzten Bedrohung, so gut es geht, aus. Die gefährlichen Dämpfe versperren ihr und dem Geist die Sicht auf die wirkliche Gefahr, die dampfende Hexe. Luelas Bewegungen sind unüberlegt, der Zorn blendet ihren Verstand. Das Teufelsweib sieht rot und doch sollte sie nicht unterschätzt werden.
Unbewusst hat die Hexe dem Alchemisten die Arbeit abgenommen, das Kind von den Fesseln zu befreien. Ihre Feuerpeitsche hat den Baum gestreift und das Seil vielleicht sogar nur angehaucht. Dennoch hat es gereicht, der Strick ist ab. Der Junge hat sich erhoben und der Baum lodert. Eine Tatsache, die Clive mit Entsetzen betrachtet. Wütet Luela weiter, dann wird von dem Wald und deren Bewohner nicht viel über bleiben. Es graut ihm vor dem Waldbrand. Ihre Feuerpeitsche hat eine viel zu große Reichweite. Als hätte die Dürre nicht bereits genug angerichtet, wird dieser Ort nun auch mit solch einer Krise konfrontiert.
Rettung naht. Baff beobachtet Clive, wie das Kind den brennenden Baum samt Wurzeln mit einem kräftigen Ruck aus dem Erdreich zieht und den gewaltigen Stamm leichtfertig wie eine Axt schwingt. Ein Wurf. Ein Treffer. Während Rebecca sich unter dem gewaltigen Holz hinweg duckt, reißt der brennende Baum Luela zu Boden. Geschrei und wildes Gezappel erinnern an ein wütendes Tier.
Rebecca nähert sich der Hexe, während Jelkos Stimme aus der Kehle des Kindes dringt. „Das hält sie nur kurz auf, Alchemist. Lenke sie ab. Ich grabe hier das Loch und verlasse mich auf dich."
Clive nickt ihm entschlossen zu.
Jelko lässt die kleinen Fäuste zu Boden donnern, in einem zügigen Tempo versinkt er im Boden. Es mag primitiv wirken, dennoch spricht das Ergebnis für sich. In Windeseile entsteht ein dunkler Tunnel – ein Eingang in das Erdreich. Der Geruch von feuchter und nasser Erde steigt dem Alchemisten in die Nase, als er den Durchmesser des Tunnels inspiriert. Das Loch ist groß genug für die Hexe, sie wird fallen und so steil, wie es dort bergab geht, wird der Fall nicht abgebremst. Leider ist es zu dunkel, um irgendwelche Möglichkeiten auszumachen, woran sich Luela festhalten könnte.
Vor seinem inneren Auge spielt sich Luelas Fall ab, ungehindert zieht die Schwerkraft an ihr. Das Tageslicht wird sie nicht lange zu Gesicht haben, diesen Horror durchlebt sie allein. So mächtig die Hexe auch ist, sie wird sich fürchten. Angst vor dem Ungewissen. Vor dem Fall. Vor der Möglichkeit, zu sterben. Allein zu sterben. Clive weiß, dass wenn sie Luela nicht aufhalten, der Schaden und die Verluste enorm sind. Die Zeit hängt ihnen im Nacken.
Ein Blick zu Luela lässt den Alchemisten an den Plan zweifeln, auch wenn sich die Hexe wie eine wilde Bestie verhält, empfindet Clive Mitleid mit ihr.
Was hat Luela so geprägt, dass sie sich so menschenfeindlich verhält?
Dass sie solch schreckliche Taten vollbringt.
In diesem Moment wünscht sich der Alchemist, mehr über die Hexe zu wissen. Ihre Vergangenheit. Ihre schönsten und schrecklichsten Erlebnisse, die sie zu dem gemacht haben, was sie heutzutage ist.
War sie schon immer so gegrämt?
Könnte Sina ebenfalls zu solch einer Kreatur werden?
Eine grauenvolle Vorstellung. Sina hat zwar ihre Launen und ist mit dieser wunderbaren Kraft gesegnet, wofür Clive sie beneidet, aber dennoch schätzt der Alchemist sie als ein Wesen ein, das auf Gewalt verzichten möchte. Hoffentlich wird sich dies nicht ändern.
Ein ungutes Gefühl quält Clive, als der brennende Baum, der Luela auf dem Boden gefangen hält, sich vor seinen Augen in einen Haufen Asche verwandelt. Die Hexe setzt sich auf und gräbt ihre Finger in den Boden. Rebecca hat Abstand genommen, nachdem sämtliche Klingen in Luelas Nähe zerschmolzen sind. Die Hexe steckte einige Bomben ein, von ihr hätte nichts über bleiben dürfen. Aber die Materie, woraus sie nun besteht, setzt sich immer und immer wieder zusammen und formt ihren Körper neu, sodass auch die Diebin an ihr verzweifelt. Frust steigt in Rebecca auf, dabei sieht Clives Gefährtin die Bedrohung nicht kommen. Der Alchemist läuft seiner Gefährtin entgegen, fühlt seine Finger kribbeln. Unter keinen Umständen möchte er, nur einen einzigen Wegbegleiter verlieren.
Eine Flut geschmolzenes Feuer dringt aus dem Boden und türmt sich zu einer gewaltig hohen Welle auf, die Rebecca zu verschlingen droht. Die glutheiße Macht verschlingt selbst den ältesten und höchsten Baum in diesen Wald. In ihr leuchten warme Farbelemente und lassen diesen Ort Temperaturen erleiden, die in einem Glutofen zu fühlen sind. Die Luft beginnt zu flirren, die Hitze treibt jeden einzelnen den Schweiß auf die Stirn. Die Luft ist so heiß, selbst in der Welt der Geister, dass Clive fürchtet, die heiße Luft nimmt Schaden an seinen Atemwegen.
Die Diebin reißt die Augen weit auf, betrachtet die meterhohe Masse mit offenem Mund. Rebecca setzt sich kurz darauf in Bewegung und sucht das Weite. Cuno läuft ihr entgegen, schreit ihren Namen. Doch selbst in Rebeccas Tempo wird sie der heißen Bedrohung nicht entkommen. Clive hebt unbewusst den Arm und hofft darauf, zu helfen. Er erinnert sich an die beeindruckenden Mauern, die Großstädte vor Schaden bewahren sollen. Nun wünscht sich Clive solche Mauern, die seine Gefährten beschützen. Die feurige Monsterwelle droht zu verschlingen, als sie plötzlich abgebremst wird. Was es auch ist, Clive kann nicht mit Gewissheit sagen, ob er Einfluss hat. Denn für sein menschliches Auge ist nichts zu sehen und doch trifft die Welle mit Wucht gegen eine Barrikade und fällt in sich zusammen. Luela erhebt sich schwer atmend. Wie ein Wolf knurrt sie die Menschen an.
Die feurige Masse kehrt zu ihr zurück, überschwemmt den Boden und reicht bis zu Luelas Knien. Das hitzige Element scheint ihr nicht zu schaden. Es dampft und glüht, trotz allem verzieht die Hexe keine Miene.
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