4. Kapitel
Der kühle Wind heult durch die Straßen wie ein dunkler Vorbote. Eine Warnung an den Sklavenhändler, schließlich hat er sich den Zorn der Gesetzeshüter aufgehalst. Eine nach der anderen Laterne wird in der Stadt angezündet. Geschützt in einem Glaskasten brennen die Kerzen und brechen die Dunkelheit, die nach und nach über die Stadt heimfällt. Die Finsternis legt sich langsam wie ein riesiges Tuch über die Stadt. Die frühe Abendstunde bricht an, die Marktschreier haben nun Feierabend. Die Stände werden abgebaut und langsam füllen sich die Kneipen.
Die Stille macht Clive nur noch nervöser, als er ohnehin schon ist. Es ist so leise, dass selbst das Fiepen einer Maus an sein Ohr dringen würde. Das Nachtleben bricht allmählich an, der Alchemist hat seine Entscheidung bereits getroffen. Eine Wahl, die er hoffentlich nicht bereuen würde. Zu seiner Überraschung hat Linus nachgeben, er beteiligt sich sogar an seinem Vorhaben. Zwar mit der Begründung, dass es hierbei immer noch um den Begleitschutz geht und doch ist Clive froh, ihn dabei zu haben.
Vor der Mission hat sich der Graf mit ihm in sein Büro zurückgezogen und sie haben sich der Planung gewidmet. Zu seinem Bedauern ist er für solche Aktionen der falsche Alchemist, er konzentriert sich auf andere Wege. Die Alchemie ist so vielseitig, die richtigen Mixturen können viele Vorteile im Kampf verschaffen. Zwar kennt Clive das eine oder andere Rezept für Ablenkungsmanöver, aber der Einsatz wäre in einer bewohnten Stadt viel zu gefährlich. Wenn er Feuer zum Einsatz bringt, dann könnten Unschuldige an diesem Abend ihr Leben verlieren.
Zum Glück befinden sich viele begabte Talente unter der Führung vom Grafen, acht Katzenpfoten werden nach und nach unbemerkt in das Territorium des Sklavenhändlers Leopold eindringen. Katzenpfoten werden ausgebildete Meisterassassinen genannt, die ihre Aufträge spurlos und lautlos erledigen.
Clive bestand darauf, dass die Assassinen seine Mixtur zum Einsatz bringen, statt die Sklavenhändler zu töten. Sein Mittel sorgt für eine schnelle Bewusstlosigkeit, es werden nur wenige Tropfen auf einem Tuch geträufelt, dass dem Opfer ins Gesicht gedrückt wird.
Eigentlich bestand der Graf darauf, dass Clive im Anwesen ausharren sollte.
Wie könnte er nur?
Mit viel Fingerspitzengefühl möchte er sich dem Gespräch mit der Sklavin annehmen. Sie soll sich sicher fühlen und ihm freiwillig folgen. Er kann niemals verstehen, welchen Horror sie die letzten Tage oder sogar Wochen durchgestanden hat. Gerade deshalb, möchte er mit ihr reden, bevor die Soldaten die Geduld an ihr verlieren und sie mit Gewalt zum Anwesen verschleppen. Aber eins ist sicher, nun endet der Spuk. Er wird sie vor allen Gefahren beschützen, sofern es in seiner Macht steht.
Leise schleichen sie durch die Stadt, um nicht aufzufallen, haben sich die Soldaten in viele kleine Gruppen aufgeteilt. In einem Tunnel suchen sie für einen kurzen Moment Schutz vor den Augen der Sklavenhändler, Clive gibt sich Mühe leise zu atmen. Wäre die Anspannung nur nicht so groß. Sein Blut rauscht bereits in seinen Ohren und sein Herz hat bei jedem noch so kleinsten Geräusch einen kurzen Aussetzer.
Linus weicht geekelt von seiner Seite, Grund dafür sind zwei Ratten, die unter einem Gitterfenster neben ihnen das Gebäude verlassen und davonhuschen.
„Widerliche Krankheitsverbreiter", brummt der Söldner.
„Haben sie dich gebissen?", spricht der Paladin Cuno ihn an.
„Nein, haben sie nicht", versichert Linus ihm erzürnt.
„Dann jammere nicht rum, wegen dir fallen wir sonst noch auf", tadelt der Paladin ihn.
Linus ist so kurz davor, die Beherrschung zu verlieren und mit seiner Faust auszuholen. Der Söldner sieht bereits rot, seit ihrer ersten Begegnung verhalten sich die beiden wie Katz und Maus. Nun hat Cuno Öl in die Flamme gegossen und ein düsterer Ausdruck lässt den Söldner furchteinflößend aussehen.
Die Anspannung zwischen ihnen ist deutlich fühlbar, Clive steht genau zwischen den Fronten. Es fühlt sich an, als würden beide Seiten nach ihm zerren. Die erdrückende Stille wird nun von einem Geräusch ganz in ihrer Nähe unterbrochen, panisch schnellen die Blicke auf. Die Befürchtung, sie wären aufgeflogen, schnürt dem Alchemisten die Brust zu. Gescheitert und das am Anfang ihrer Mission, ein Gedanke, der Clive wahnsinnig macht.
In dem kleinen Lichtspalt einer Kerze blitzen gesunde Zähne hervor, ein böses Lächeln formt sich auf dem schmalen, zierlichen Gesicht einer Fremden. Cuno blickt um die Ecke und atmet erleichtert auf, als die Sklavenhändler von dannen gezogen sind.
Ein junges Mädchen in engen Hosen und einem Leinenhemd springt von einem Fass, herausfordernd baut sie sich vor ihnen auf. Ihre wilde Mähne und die Tatsache, dass sie kein Kleid trägt, lassen den Alchemisten dumm aus der Wäsche aussehen. So etwas sieht Clive nicht alle Tage, für gewöhnlich tragen die Frauen Röcke und Kleider.
„Rebecca! Verschwinde!", zischt Cuno die Fremde an.
„Wow, begrüßt man so eine Freundin?", abwehrend hebt das Mädchen die Hände nach oben.
„Geh woanders spielen!", will der Paladin sie fortschicken.
„Wer sind deine Freunde?", fragt Rebecca ihn interessiert.
Eine Diebin!
Clive erkennt Langfinger immer daran, dass sie einem Gegenüber erst nach Wertgegenständen absuchen, bevor sie ihm in die Augen blicken. Grimmig betrachtet er das freche Gör, dass den Plan gefährdet.
„Cuno! Sie kommen zurück!", erspäht ein Soldat die Gefahr.
„Improvisieren! Nehmt den Langfinger in Gewahrsam!", beschließt der Paladin auf die Schnelle.
„Hey! Kommt nicht auf dumme Gedanken!", Rebeccas mausbraune Augen blitzen auf, als sie ihre Lage erkennt.
Sie tänzelt tatsächlich lachend an dem Paladin vorbei, sie ist flink. Zu schnell für Clives Auge, fluchend sieht der Alchemist auf, als er feststellen muss, dass der Langfinger seinen Koffer gestohlen hat.
„Haltet den Dieb!", rufen die Soldaten und nun fliegt die Deckung komplett auf.
Rebecca rennt den Sklavenhändlern in die Arme, so wirkt es auf dem ersten Blick. Doch das Mädchen weiß sich zu helfen, sie teilt mit dem Koffer aus und benutzt den zweiten Sklavenhändler als Springbock. Cuno hat die Verfolgung bereits aufgenommen, auch Clive verschafft sich einen Überblick.
Rebecca ist ein kleines Kletteräffchen, sie nutzt ihre Umgebung zu ihrem Vorteil, mit nur wenig Anlauf und dem einen oder anderen Sprung befindet sie sich schnell auf den Dächern.
„Linus! Fang sie auf! Ich schieße sie ab!", beschließt der Alchemist.
„Bitte was?", Linus traut seinen Ohren kaum.
„Uns bleibt nicht viel Zeit", erinnert Clive ihn an ihr Zeitproblem.
Stumm läuft der Söldner an ihm vorbei, nun holt Clive ein Bambusrohr hervor, das mit einem Betäubungspfeil geladen ist. Rebecca ist nicht die Erste, die seinen Koffer gestohlen hat. Mit der Zeit hat sich der Alchemist einiges einfallen lassen. Seine eigene Art, das zu beschützen, was ihm wichtig ist. Das Rohr ist unterwegs immer an seinem Oberschenkel mit einem Gurt befestigt, da der Alchemist immer hiermit rechnen muss.
Das Problem jedoch ist, dass die Diebin schnell ist. Zum Glück schreckt sie einen Schwarm Tauben auf und kommt somit kurz zum Halt. Clive kann nicht glauben, welche waghalsige Aktion sie gestartet hat. Nur ein falscher Schritt und sie wird stürzen. In eine Tiefe, die ihren sicheren Tod bedeuten würde.
Für den Umgang mit dem Bambusrohr ist Geduld und Zielgenauigkeit gefragt, darin war der Alchemist schon immer gut. Mit Absicht richtet er das Rohr nicht auf die Diebin, er plant die Entfernung ein, die sie mit ihrem Sprint hinter sich legen wird. Seine Nerven flattern, auch wenn er diese Waffe nicht zum ersten Mal benutzt, hat er wenn überhaupt nur zwei Versuche. Misslingt ihm dies, ist sein Koffer für immer weg.
Seine Hände fangen bereits an zu Schwitzen, er muss sich konzentrieren und darf die Zeit nicht aus dem Auge verlieren.
Jetzt oder nie!
Zielsicher schießt er los, mit klopfendem Herzen beobachtet er die Flugbahn. Die Sekunden verstreichen wie Stunden, eine gefühlte Ewigkeit. Rebecca kommt schlagartig zum Stand, fluchend beißt Clive die Zähne zusammen. Dann beim genaueren Betrachten fasst sich die Diebin an den Nacken, dabei hatte er schon befürchtet, dass er verfehlte.
Jetzt ist Linus Einsatz gefragt, das Mädchen stürzt aus einer schwindelerregenden Höhe. Der Aufprall ist tödlich, Clive kann kaum hinsehen. Er möchte nur ungern Schuld an ihrem Tod sein, aber Linus wird sie nicht fangen. Er steht falsch, da ist sich der Alchemist sicher.
Warum erkennt der Söldner das nicht?
Cuno eilt herbei und macht seinem Ruf als Held alle Ehre, das Mädchen landet sicher in seinen Armen. Einer der Soldaten fängt sogar Clives Koffer, erleichtert atmet der Alchemist auf. Er nähert sich dem Soldaten und muss den Inhalt einmal überprüfen, vorher findet er keine Ruhe. Zum Glück ist nichts zu Bruch gegangen, das grenzt schon fast an ein Wunder
Die Diebin lächelt gequält und interessiert sich für die Wahrheit: „Verdammt! Ich war fast weg! Was hat mich getroffen? Wer hat mir das angetan? Mein Körper gehorcht mir nicht mehr!"
„Der Zustand endet in spätestens einer Stunde", versichert Clive ihr.
„Du also? Was für eine Blamage! Von allen verlorenen Seelen auf dieser Welt haut mich so eine Bohnenstange um", am Ende muss der Langfinger kichern.
„Was hast du hier zu suchen, Rebecca?", Cuno klingt schon fast vorwurfsvoll.
„Soll das ein Scherz sein? Eine große Veranstaltung und feine Gesellschaft, das riecht nach einer fetten Beute", antwortet sie dem Paladin amüsiert.
„Ich kann das nicht ignorieren, Rebecca. Ich muss dich in Gewahrsam nehmen! Wieso lernst du nicht daraus? Du hast so geschickte Finger und du bist schnell! Du konntest etwas Besseres aus deinem Leben machen!", verzweifelt Cuno an dem Mädchen.
„Was? Etwa für die feinen Herren arbeiten, so wie du es tust? Diese Leute blicken auf uns nieder, sie betrachten uns wie Gewürm. Sie zerquetschen uns, wenn ihnen danach ist", reagiert Rebecca mit Zorn.
Cuno atmet verzweifelt aus, bevor er sie daran erinnert: „Der Graf ist anders!"
„Der Graf mag eine Ausnahme sein, aber siehe dir den Rest doch an. Sie tummeln sich alle in diesem Zelt und kreisen wie die Geier um die Gefangenen. Wer ....", der Langfinger möchte sie in die Sache reinsteigern.
Cuno hält ihr jedoch den Mund zu und funkelt sie warnend an.
„Shhh, Leopolds Leute hören dich sonst noch", warnt er sie leise.
Kaum nimmt er seine Hand von ihrem Mund, fordert sie ihn auf: „Mir egal! Sollen sie mich doch hören! Greife in meine Hosentasche, da findest du die Käfigschlüssel. Ich wollte dir helfen, ein Fehler. Weißt du, dass ist der letzte Gefallen für dich. Du ..."
Sie bricht ihren Satz ab, als Cuno amüsiert lächeln muss.
„Woher weißt du davon? Hast du mir wieder nachspioniert?", fragt er schließlich mit einem deutlich ernsteren Gesicht.
„Wie eine Horde wildgewordener Kühe seid ihr durch die Stadt marschiert, ...ich war ..."
Das Mädchen sucht nach den richtigen Worten.
„...nur etwas neugierig. Die Wachen am Anwesen taugen nichts, es war keine große Herausforderung", am Ende lächelt Rebecca.
„So viel Potenzial und leider verschwendet", murmelt Cuno und holt die Käfigschlüssel hervor.
„Dir ist schon klar, dass ich diese nicht einfach rausrücke. Als Paladin verdienst du doch gut, also werden die dich ganz schön was kosten", stellt der Langfinger die Sache klar.
„Wie wäre es damit, ich sorge dafür, dass du ungeschoren davon kommst und eine warme Mahlzeit erhältst", schlägt er vor.
„Sobald das Mittel ...", will sie ihm widersprechen.
Doch Cuno unterbricht sie erneut: „Vergiss nicht, an meiner Seite ist ein fähiger Alchemist. Solltest du meinen gütigen Vorschlag ausschlagen, fangen wir dich erneut ein und die Strafe fällt viel härter aus."
Clive gefällt es überhaupt nicht, in die Sache hineingezogen zu werden.
Überschätzt der Paladin ihn nicht ein wenig?
Rebecca erkennt ihre Lage und setzt ein verzweifeltes Lächeln auf: „Wir sind uns einig."
„Wie immer ist es mir eine Freude, Geschäfte mit dir zu machen", provoziert Cuno das Mädchen und reicht sie einem Soldaten, „Bringt sie bitte ins Anwesen und unterrichtet unseren Grafen von ihrem Talent. Vielleicht schafft er es, ihren Kopf zu waschen."
Nickend nimmt der Soldat die Diebin entgegen und verschwindet mit ihr.
„Du hast gerade einen Mann fortgeschickt, den wir gut gebrauchen könnten!", tadelt Linus den Paladin.
„Dank ihr haben wir die Schlüssel", erinnert Cuno ihn grimmig.
„Einen Dieb schneidet man besser die Hand ab oder ihr Ohr", erinnert Linus ihn.
„Sie ist kein schlechter Mensch und wenn es sich vermeiden lässt, dann möchte ich sie für unsere Sache gewinnen", verteidigt der Paladin die Diebin.
„Du missachtest das Gesetz!", wirft der Söldner ihm die Tatsache vor dem Kopf.
„Ich rate dir zu schweigen!", knurrt Cuno ihn an.
„Ich werde dich anschwärzen, die Leute sollen erkennen, was für ein ach so toller Paladin du doch bist!", beschließt Linus.
„Versuche es doch!", mehr hat Cuno nicht zu sagen.
„Die ach so tollen Gesetzeshüter!", provoziert der Söldner ihn weiter.
Der Paladin wollte davon schreiten, nur wenige Schritte später kommt er zum Halt.
Mit verengten Augen blickt er zurück, woraufhin Clive seinen Begleiter bittet: „Belasse es bitte dabei, Linus."
„Pah! Dem Kerl solltest du nicht trauen, Clive! Der nutzt seine Stellung ganz schön aus", rät der Söldner ihm.
Besorgt blickt Clive zu dem Paladin, dessen Halsschlagader bereits deutlich hervortritt. Cuno ist so kurz davor, sein Schwert zu ziehen und die Sache auszufechten. Damit würde er den Plan gefährden, aber Linus legt es ja auch drauf an. Wenn Clive doch nur Einfluss auf den Söldner hätte, zu seinem Bedauern spricht dieser seine Gedanken immer laut aus. Das mag wie in dem Fall nicht immer vom Vorteil zu sein.
Erleichtert atmet der Alchemist aus, als der Paladin den Weg fortsetzt.
Bevor es jedoch weitergeht, besteht Clive darauf: „Linus, das ist genug. Klärt das meinetwegen später, aber nicht jetzt."
Der Söldner belächelt dies spöttisch und schreitet allein weiter fort.
Das macht den Alchemisten so rasend vor Wut, Clives Griff um den Henkel seines Koffers wird so feste, dass sich seine Knöchel weiß färben.
Wenn das so weitergeht, dann ist die Mission zum Scheitern verurteilt!
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