34. Kapitel
Die eisige Kälte vertreibt sämtliche Wärme, die Clive jemals verspürte. Frisst sich in seine Knochen und hinterlässt nur einen Wunsch, die Augen zu schließen, um Kraft zu tanken. Auch wenn es bedeuten würde, nie mehr zu erwachen. Die Finsternis vernebelt seine Sicht, trübt seinen Kopf und nimmt ihn den Fluchtinstinkt. Der Alchemist schert sich nicht mehr um seine Pläne, seine Ausbildung und seinem alten Leben. Dieser Ort hier, so finster er auch sein mag, wirkt auf Clive wie die perfekte Ruhestätte. Als wäre es sein Schicksal, hier weiter zu versinken.
Ganz langsam schließt sich der Vorhang und die Müdigkeit hat ihn fast überwältigt, als plötzlich zwei Hände nach ihm greifen. Benommen blickt Clive zu Jelko, der über ihn schwimmt und ihn vorwurfsvoll anblickt. Jelko versucht, zu ihm zu sprechen und doch erreichen seine Worte nur gedämpft Clives Gehör. Was der junge Kommandant auch sagt, der Alchemist kann es unmöglich wiedergeben. Jelko rüttelt an ihm, verzieht sein Gesicht, als schreie er Clive an.
Versteht sein Geisterkumpane denn nicht, dass es Zeit ist, aufzugeben und endlich zu ruhen? Clive wollte gerade seine Augen schließen, als Jelko ihn kräftiger rüttelt. Die Hand des Kommandanten gräbt sich in Clives Hemd, als fürchtet er, den Alchemisten zu verlieren. Den anderen Arm hält er ausgestreckt. Mit Jelkos konzentriertem Blick folgt eine Druckwelle, die seine ausgestreckte Hand verlässt und an Clive vorbeirauscht. Eine Druckwelle, die für Antrieb sorgt und womit die beiden Geister hinauf befördert werden, sodass sie nur noch wenige Meter vor der Bodenfläche treiben.
Kaum verlassen die beiden die Dunkelheit, wird Clives Kopf klar. Im Nachhinein ärgert sich der Alchemist tierisch darüber, dass er überhaupt ans Aufgeben gedacht hat. Jelko hat ihm seine Lebensfreude geschenkt. Den Wunsch, zu sterben, vertrieben. Nur hat dem jungen Kommandanten diese Aktion sämtliche Kraft gekostet. Jelkos farbloses Gesicht kündigt den Schwächeanfall an und nun sind es seine Augen, die müde zufallen.
Über ihren Köpfen trennen sich Clives Gefährten, Rebecca und Cuno lassen Sina allein zurück. Sie stürmen davon und der verzweifelte Blick der Fee zeigt, wie aufgeschmissen sie sich fühlt. Luelas Bestie befinde sich nah an der Fee, zeigt jedoch keinerlei Interesse an ihr. Der Alchemist ist sich sicher, dass die Kreatur nach Jelko und ihm sucht. Da das Monster aber nicht findig wird, läuft es davon. Eine Chance, die Clive wahrnehmen möchte. Noch während er und Jelko sinken, versucht sich der Alchemist daran zu erinnern, wie sein Geisterfreund diesen Antrieb zusammenbrachte.
Die Erinnerungen und das Gefühl aus dem kleinen Gefecht mit Luela helfen ihm, bei seiner nächsten Aufgabe. Bis er Kräfte wie Jelko wirken kann, benötigt Übung und Erfahrung. Dennoch kündigt sich die Kraftwelle an, das Druckgefühl wandert durch seinen Arm. Seine Muskeln drohen zu zerreißen und sein Arm zu brechen, dennoch reicht seine Druckwelle aus, um zurück an die Erdoberfläche zu gelangen. Wie eine Kanonenkugel werden sie achtlos zu Boden gedonnert, fallen nicht durch die Bodenschichten zurück ins Wasser oder womit auch immer diese Ebene gefüllt war. In seiner Welt wäre seine Kleidung gefühlt tonnenschwer und klitschnass, aber als Geist sieht dies anders aus. Denn Clive war niemals wirklich nass, dennoch fühlt er sich befreit an. Hier oben fühlt es sich an, als würde ein schrecklich schweres Gewicht von ihm fallen. Eine Last, die ihm am Atmen gehindert hat.
Als wäre Clive aus den Tiefen des Wassers aufgetaucht, keucht und hustet er. Seine Lungen fühlen sich gierig mit Luft wie bei Jelko. Sein Geisterkumpel macht zwar einen erschöpften Eindruck und doch ist er anwesend. Als Clive zu ihm herübersieht, entgeht ihm nicht, wie Sina sich in Bewegung setzt. Mit einem verzweifelten Ausdruck begibt sie sich zu Clives Körper. Die zierliche Fee kämpft mit seinem Gewicht. Mit hochrotem Kopf schleift sie seine müden Gebeine zu einem angeleinten Pferd – einen weißen Schimmel. Das Tier steht vor einer Tränke und war gerade dabei, Wasser auf sich zunehmen. Sina spricht zu der Stute, beruhigt sie mit einigen Worten. Schließlich hebt sie mit Ach und Krach Clives Körper auf das Pferd, nur um im nächsten Moment große Augen zu machen.
Sinas Kopf dreht sich einem Zaunstück, wo der Sattel hängt.
„Aber", stammelt die Fee verzweifelt. „Ich habe keine Ahnung, wie ich dich satteln soll. Kann ich nicht einfach ein Seil nehmen und ihn an dich festbinden?"
So wie das Pferd wiehert, hört es sich schon fast an, als hätte es gelacht.
„Das findest du lustig?" Sina rauf sich die Haare. „Ich nicht, ich bin maßlos überfordert hiermit. Okay, du musst mir helfen. Ich nehme meinen Freund hinunter und sattel dich. Aber du musst mir erklären wie!"
Der klägliche Versuch, Clives schlafender Körper vom Pferd zu holen, endet damit, das Sina mit dem Gewicht zusammenbricht. Sie konnte ihr Gleichgewicht nicht ausbalancieren und liegt nun im Matsch und auf ihr der Gefährte.
Der Geist des Alchemisten ist schwach und müde, noch scheitern seine Versuche, sich zu erheben. Dabei würde er Sina nur allzu gern helfen. Er kann dankbar sein, dass der Weg aus lehmigem Boden besteht und kein Kopfsteinpflaster ist. Ansonsten wäre der Sturz nicht ganz so glorreich ausgegangen. Die Schimmelstute hingegen amüsiert sich prächtig und wiehert laut, sodass Sina beleidigt aufsieht. Ihre Wangen glühen vor Scham und ihr Kopf fängt an, zu dampfen wie ein Kessel mit kochendem Wasser.
Beleidigt dreht sie ihren Kopf fern. „Ja, lach du nur!"
Zwei Bauern haben es auf die Straße gewagt und betrachten das ganze Spektakel mit gefrorenen Gesichtern.
„Hübsch ist sie ja, aber verrückt", nuschelt der eine.
„Das sind die Besten", kommentiert der andere. „Aber sag mal ist das nicht Freds Stute?"
„Du glaubst doch nicht", beginnt der eine Bauer und bricht ab, als sein Freund nur sorgenvoll nickt.
„Doch, die will das Pferd stehlen", versichert er ihm. „Wir müssen sie aufhalten."
„Ja, besser ist es."
Die beiden laufen an Clive vorbei, der seine Gefährtin nur gern warnen möchte.
„Sina, sei vorsichtig", es ist jedoch mehr ein Flüstern, was seine Lippen verlässt.
Es war zu erwarten, dass Sina ihn nicht hört und seine nächsten Versuche sind ebenfalls armselig. Seine Stimmbänder sind geschwächt, wie sein körperlicher Zustand.
Die beiden Bauern erreichen Sina, die nun auf sie aufmerksam wird.
„Hey, Mädchen! Was machst du da?"
Sina betrachtet die beiden Bauern eher dankbar. „Ah, hallo. Wisst ihr, wie man ein Pferd sattelt?"
„Du böses Mädchen", beginnt nun der eine Mann und muss darauf fies grinsen.
Sein Freund beginnt boshaft zu lachen und nun betrachten sich die beiden Dorfbewohner mit einem dunklen Ausdruck. Sina hingegen runzelt die Stirn, bevor sie sich wieder darauf konzentrieren möchte, den Sattel anzulegen.
Das Pferd schnaubt, bevor es mit der Hufe austritt. Der Bauer war gerade dabei etwas zu sagen, da tritt ihn das Tier tief in den Matsch. Sein Freund staunt kurz, bevor über ihn lacht.
„Da hat dich der Gaul umgehauen!", macht sich der Bauer lustig.
„Sturer Esel!", schimpft die matschige Gestalt.
„Pferd", korrigiert ihn sein Freund.
Der auf dem Boden liegende Bauer brummt laut. „Was hast du gesagt?"
Sein Freund zeigt auf das Pferd und erklärt sich mit einem frechen Grinsen: „Das, mein Freund, ist kein Esel, sondern ein Pferd."
„Könntet ihr mir mit dem Sattel helfen?", wendet sich Sina an die beiden.
„Klar, Schätzchen", beginnt der Kerl nahe ihr und überlegt kurz. „Ne, Moment! Du willst den Gaul klauen! Verschwinde besser!"
„Oh je", gibt Sina einen verzweifelten Laut von sich.
Nun tritt die Stute erneut aus und der Kerl donnert gegen seinen matschigen Freund. Zufrieden schnaubt das Tier.
Unter Stress friemelt Sina an dem Sattel und schafft es endlich, diesen anzubinden. Ihr Körper reagiert auf ihre Lage, das Adrenalin verleiht ihr Kraft, sodass sie sich diesmal nicht blamiert. Mit dem ersten Versuch legt sie Clives Körper in den Sattel.
„Du weißt, wo die Frau ist?", spricht die Fee zu der Stute.
Das Pferd bewegt auffällig den Kopf und läuft in einem Tempo davon, dass Sina ihre Beine in die Hand nehmen muss.
„Nicht so schnell!",hört Clive die Fee noch rufen, während die Bauernfreunde sich gegenseitigbeschimpfen und untereinander die Schuld weiterschieben.
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