15. Kapitel
Die feuchte Morgenkälte bringt Clive zum Frösteln, selbst die ersten Sonnenstrahlen, die sich einen Weg zu ihm bahnen, spenden nicht genug Wärme. Müde blinzelt er hinauf zu der bogenartigen Plane, die über seinem Kopf hinweg gespannt wurde. Das Hufgetrappel und der bewegende Untergrund lassen ihn daraus schließen, dass er sich in einer Kutsche befindet.
Um ihn herum befinden sich viele geflochtene Körbe gefüllt mit Lebensmitteln und Decken, aus der Ferne schnattern die Vögel aufgeregt und stimmen in ihre Lieder ein. Gähnend tastet der Alchemist nach seiner Brille, die sich neben ihn auf seiner Tasche befindet. Sein Nacken ist steif, der Untergrund ist alles andere als komfortabel.
Kaum ist die Brille aufgesetzt, wirft er einen Blick zum Kutscher, der sich als Cuno entpuppt. Der Paladin hat ein gutes Gehör, Clive setzt sich nur auf und schon ruht der Blick seines Beschützers auf ihm. Statt irgendwelche Vorwürfe, schenkt sein Freund ihm ein gutgelauntes Lächeln.
„Guten Morgen, Prinzesschen. Endlich aus deinem Schönheitsschlaf erwacht?", ärgert der Paladin ihn.
Wie eine Welle überrollen Clive die Erinnerungen, der Mondstein, der Kuss und zu guter Letzt der Verrat.
Ihre Worte hallen in seinem Kopf wider: „Eine Prise Schlafmohn."
Ein verzweifeltes Lächeln stiehlt sich auf seine Lippen, Schlafmohn, etwas, wovon er selbst häufig Gebrauch macht. Anders wie Sina verwendet der Alchemist den milchigen Pflanzensaft oder die getrockneten Mohnkapseln. Die Pflanze wirkt krampflösend, beruhigend und schlaffördernd. Auch bei Atemwegsproblemen greift Clive gerne darauf zurück.
Der Paladin betrachtet ihn stirnrunzelnd wie eine besorgte Mutter, dabei kann der Alchemist auf Mitleid verzichten.
Bevor Cuno Fragen stellt, kommt Clive ihm zuvor: „Wie lange habe ich geschlafen?"
„Ein paar Stunden, das Reich des Grafen haben wir hinter uns. Wir liegen gut in der Zeit, in wenigen Stunden sollten wir das erste Dorf erreicht haben."
Einmal kurz strecken und schon klettert der Alchemist neugierig unter dem beigefarbenen Himmelszelt hervor und setzt sich neben seinen Wegbegleiter hin. Das imposante Pferd mit dem wallenden Haar zieht die Kutsche allein durch eine artenreiche Wiese. Eine Wohlfühloase für allerlei Insekten, ein Zitronenfalter weckt Clives Aufmerksamkeit. Der Alchemist beobachtet den weißen Schmetterling bei seiner Reise durch die farbenfrohe Welt, an einer Station meldet sich der kürzliche Herzschmerz zurück. Roter Klatschmohn, zwar handelt es sich hierbei um eine andere Mohnart und dennoch kommen ihn die Gefühle hoch.
Wie konnte er sich nur zum Narren machen?
Als hätte Clive irgendetwas zu bieten und doch keimte die Hoffnung, als ihre weichen Lippen seine berührten. Der bittere Geschmack des Verrats liegt ihm auf der Zunge und lässt sich selbst mit einem Schluck Wasser nicht wegspülen.
Cuno unterbricht seine giftigen Gedanken und hinterfragt seine Arbeit: „Sag mal, Clive. Wie kann der Magisterturm deine Prüfung beurteilen? Dich begleitet kein Magister."
Die Miene des Alchemisten hellt auf und er muss sich selbst ermahnen, seine Niederschriften nicht hervorzuholen. Dabei sehnt sich Clive nach einem fachkundigen Gespräch, wie gern möchte er sich mit einem anderen Alchemisten über seine bisherige Reise austauschen.
„Ich führe täglich Tagebucheinträge, dort verewige ich meine Einkaufslisten, Standorte von Kräuterhändlern, Fundstellen, Rezepte, ..."
Schockierend wird dem Alchemisten bewusst, dass er sich in seine Erzählung zu sehr hineinsteigert. Dabei möchte er Cuno unter keinen Umständen langweilen, also fasst er sich anschließend kurz.
„...alles, was mit meiner Arbeit zu tun hat, ist niedergeschrieben und wird am Ende vom Magisterturm überprüft."
„Beeindruckend, das hört sich nach viel Arbeit an."
Cuno klingt alles andere als gelangweilt, er zeigt aufrichtiges Interesse an Clives Ausbildung.
„Das ist nichts im Vergleich dazu, was ein Paladin leistet."
Sein Begleiter belächelt diese Aussage, bevor er sich dazu äußert: „Die meisten Soldaten können nicht lesen und schreiben, sie wissen wie eine Waffe geführt wird und befolgen einfach nur ihre Befehle. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie lästig die Niederschrift sein kann. Aber als Paladin gehört das Dokumentieren zu meinen Aufgaben. Ich danke für deinen Auftritt, mein Freund. Damit hast du eine nette Abwechslung in meinen öden, monotonen Alltag eingebracht. Die Jagd auf die Sklavenhändler war eine nette Abwechslung statt meiner gähnenden Routine, Graf Bylom hat sich ein friedliches Örtchen ausgesucht. Es gibt dort nicht mal annähernd so viele Verbrechen als in anderen Städten. Dieser Ausflug erweist sich als ein neues Abenteuer."
Der Paladin hatte noch viel mehr auf dem Herzen, jedoch setzt er einen Schlussstrich und sein Gesicht wird schlagartig ernster.
„Stimmt etwas nicht?", spricht Clive ihn an.
Cuno drückt ihm die Zügel von dem schönen Friesen in die Hand und springt von der Kutsche, dabei behält er aufmerksam die Gegend im Auge. Daraufhin hält der Alchemist die Droschke an, sein Beschützer rät ihm mit einem Handzeichen davon ab, auszusteigen.
Schließlich nähert sich Cuno mit gezogener Klinge einem Baum, als plötzlich eine Gestalt von diesem springt und sich auf den Paladin stürzt. Mit angehaltenem Atem beobachtet der Alchemist, wie sein Begleiter sein prachtvolles Schwert durch die Luft schwingt und Rebecca auf der flachen Klinge landet. Im Nachhinein wirkt es auf Clive wie ein eingeübtes Kunststück, nur der verärgerte Gesichtsausdruck von dem Schwertkämpfer lässt ihn daran zweifeln. Rebecca will in die Hocke gehen, nicht mit Cuno. Der Paladin reißt ihr das Schwert unter den Füßen weg und verstaut mit einem finsteren Ausdruck seine Waffe, während Rebecca hinunterfällt, wo sie sich rechtzeitig auf dem Boden abrollt.
Amüsiert erhebt sich die Diebin und wirft Clive unbekümmert einen Luftkuss zu, Cuno greift ihr schlagartig in den Nacken.
„Sag mal, spinnst du eigentlich? Was ist aus unserem Zeichen geworden, wenn du dich annäherst? Ich habe dich für einen Feind gehalten!", bekommt sie eine Standpauke von ihrem Kindheitsfreund aufgedrückt.
„Ich wollte dich doch nur ärgern", äußert sie sich unbeeindruckt dazu.
Cuno boxt sie genervt gegen die Schulter, bevor er sie mit lauter Fragen konfrontiert: „Du bist verletzt! Wie kannst du dich so bewegen? Was ist eigentlich passiert? Und wo ist Sina?"
Der Langfinger rollt mit den Augen, bevor sie sich brummend abwendet: „Mann, du nervst, Cuno!"
Sie reißt sich los und ignoriert sein lautes Aufseufzen.
Clive holt schnell seinen Koffer hervor. Da Rebecca verletzt ist, möchte er seinen Job erledigen. Also springt er von der Kutsche und nähert sich dem Langfinger.
„Zeig mir bitte deine Verletzung, Rebecca. Ich kümmere mich darum."
Ihr langes Lächeln wirkt verdächtig auf ihn, aus heiterem Himmel durchwuschtelt sie frech seine Haare und drückt ihn gegen ihre Brust.
Mal abgesehen von ihrem schnellen Herzschlag und dem Schnaufen, steigt ihm dieser vertraute Duft in die Nase. Nun entdeckt der Alchemist den Verband.
„Salbei."
„Ganz Recht, ich wurde von einem Rudel Wölfen angegriffen. Lästige Biester, ich wäre fast draufgegangen", berichtet sie ihm aufgeregt von ihrem kleinen Abenteuer.
Clive löst sich aus ihrem Griff und nimmt Abstand von ihr, ein Blick zurück auf Rebecca und schon macht er große Augen. Sie hält plötzlich seinen Münzbeutel aus schwarzen Leder in ihren Händen, da gleitet ihm sein Koffer aus den Händen und er tastet schockiert sich nach seinem bereits verschwunden Beutel. Während Rebecca einen Blick hineinwirft.
„Du hast ja viel Kohle", staunt die Diebin.
Cuno entreißt ihr Clives Geldbeutel und kneift ihr erbost in die Wange, der Alchemist nimmt dankend sein Gold an sich. Er staunt jedoch, wie Rebecca ihren Kindheitsfreund weiterhin frech angrinst und sämtliche finsteren Blicke des Paladins abwehrt.
„Das ist meine letzte Warnung, Rebecca. Beim nächsten Mal entledige ich dich deiner rechten Hand, du sollst nicht stehlen und schon gar nicht vor meinen Augen!", ärgert sich Cuno lautstark.
„Du wolltest wissen, wo Sina ist oder?", wechselt sie das Thema.
Der Paladin atmet erschöpft aus, bevor er sich beschwert: „Hör mir gefälligst zu, wenn ich mit dir rede! Verstehst du überhaupt den Ernst deiner Lage?"
„Wusstet ihr, dass Sina eine starke Bindung zu der Tierwelt hat? ..."
Ein Blick zu ihrem Kindheitsfreund und sie muss amüsiert kichern, schließlich hat Cuno immer noch einen Verfolger. Die Vogeldame Mina hat es sich auf dem Kopf des Paladins gemütlich gemacht.
„...Oh stimmt ja, der Vogel. Haha, Cuno, du hast einen Vogel auf deinen Haaren."
Clives Beschützer brummt warnend, mit schmalen Augen betrachtet er den Langfinger und verschränkt abwehrend die Arme vor der Brust.
„Hat Sina die Wölfe auf dich gehetzt?", macht sich Clive Sorgen.
Rebecca sieht überrascht zu ihm, einen langen Moment sieht sie ihm einfach in die Augen.
„Du hast versagt, Rebecca! Du bist mit leeren Händen zurück! Ich bin bitter enttäuscht!", provoziert Cuno sie nun.
„Was erlaubst du dir eigentlich?", reagiert sie mit Empörung.
Der Alchemist betrachtet dies etwas anders: „Rebecca hat für ein Gespräch ihr Lebens aufs Spiel gesetzt, sie wurde meinetwegen angegriffen. Soweit durfte es gar nicht erst kommen."
„Jetzt wartet doch mal!", zischt die Diebin und verfolgt mit ihrem Blick Cuno, der sich auf den Posten des Kutschers hinpflanzt.
„Was schulde ich dir, Rebecca? Brauchst du etwas gegen die Schmerzen?", möchte Clive sich erkenntlich zeigen.
Rebecca stampft erbost mit ihrem Fuß auf und betrachtet die beiden warnend.
„Jetzt haltet mal die Luft an und hört mir zu oder ich werde sauer!"
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