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11. Kapitel

Ein heller Schein bricht die Finsternis, der göttliche Zorn schallt kurz darauf durch das Land. Der Wind heult, laut und klagevoll. Ehrfürchtig stoppt Clive auf den Treppenstufen zu Graf Byloms Anwesen. Kurz daraufhin fängt der Himmel an zu weinen, es schüttet plötzlich wie aus Eimern. Bedrohlich leuchten die Wolken immer wieder kurz auf, bevor die Blitze hinuntergeschmettert werden. Gefolgt von dem lauten Donner.

„Wir haben eine höhere Macht erzürnt, Alchemist", bekommt Clive Gesellschaft von Cuno.

„Die Bewohner der Stadt werden Sina für das Unwetter verantwortlich machen", spricht der Alchemist die Tatsache besorgt aus.

„In der Tat, wir sollten schleunigst von hier verschwinden. Selbst der Graf wird den göttlichen Zorn nicht schönreden. Einerseits bin ich froh, dass wir dieses Wetter unter einem sicheren Dach erleben dürfen. Nur mache ich mir Sorgen, wie mein Herr hierauf reagieren wird. Betet zu Gott, dass er seine Meinung nicht ändert. Wenn die Bürger dieser Stadt mitbekommen, dass die Hexe unter uns verweilt, dann wird der Graf von seinem eigenen Volk gestürzt. Dieses Omen hat uns gerade noch gefehlt. Wäre eine Reise durch solch einen Sturm nicht gefährlich, hätte ich dringend zu einer Abreise ohne Abschied geraten."

Clive muss schlucken, Graf Bylom wird Sina doch nicht etwa aufopfern, um die göttliche Macht zu besänftigen. Die Unruhe im Anwesen lässt seinen Magen krampfen, schwere Schritte nähern sich ihnen. Die Soldaten des Grafen stoppen an der Türschwelle, die bleichen Gesichter und die Panik in ihren Augen zeigen dem Alchemisten, wie sehr sie sich vor dem Unwetter fürchten. Ein Blitz lässt die Männer in Blechrüstungen vor Angst schlottern, mit angehaltenem Atem warten sie auf den Schall, der sie wenig später wachrüttelt.

„Der ...der Alchemist ..."

Ein Soldat macht einen großen Schritt rückwärts, als es erneut blitzt. Dabei stößt er mit einen seiner Kameraden zusammen, krachend knutschen die beiden Soldaten den Boden. Cuno seufzt verzweifelt, er kann sich diese Blamage nicht länger ansehen.

„Lasst mich raten, der Graf verlangt nach Clive", spricht er zu den Soldaten.

Die Blechdosen nicken hastig und lassen den Paladin und Alchemisten eintreten. Im Nullkommanichts sind die Tore geschlossen, mit klopfendem Herzen lehnen sich zwei Soldaten gegen die Tür, als müssten sie verhindern, dass ein großes Monster durch den Eingang hereinplatzt.

Selbst den Bediensteten ist die Furcht anzusehen, nach einem langen Fußmarsch durch das riesige Korridorlabyrinth erreichen sie Kasimirs Arbeitszimmer, der stolze Vater trägt seine Tochter in seinen Armen. Seine Nähe beruhigt die kleine Ava, nur kurz blickt der Graf zu ihnen. Schweren Herzens reicht er seinen wertvollsten Schatz an das Kindermädchen weiter und geduldet sich, bis diese mit Ava im Arm den Arbeitsbereich verlässt.

Eine kurze Ansage an seine Soldaten und selbst an Cuno und schon befindet sich Clive allein mit dem Grafen, Kasimir muss sich setzen. Er wirkt sehr erschöpft und macht einen gequälten Eindruck.

„Sag mir, Clive, habe ich Sina verärgert?", möchte der Graf in Erfahrung bringen.

Da Sina nie schlecht von Kasimir redet, versichert der Alchemist ihm: „Nein, das habt ihr nicht. Ganz im Gegenteil."

Ein verzweifeltes Lächeln huscht dem Grafen auf die Lippen.

„Dann, mein Freund, dann haben wir uns Gottes Zorn aufgehalst."

Mit dieser Aussage hat Clive bereits gerechnet, nun wird sich herausstellen, wie der Graf hiermit umgeht.

Da er nur schweigend dasteht, führt Kasimir fort: „Morgen in aller Frühe, sobald sich der Zorn Gottes gelegt hat, möchte ich, dass ihr von hier verschwindet, Clive. So schnell ihr könnt, verlasst dieses Land und kehrt bitte nicht so schnell wieder. Es sei denn, es geht nicht anders. Ich schicke dich wirklich ungern fort, aber dafür steht hier zu viel auf dem Spiel."

„Ich danke für Eure Gastfreundschaft und Güte", vergisst der Alchemist seine Manieren nicht.

Die Züge des Grafen werden weicher, er blickt nun besorgt auf.

„Ich werde euch eine Kutsche mit Nahrung und Wasser beladen, nichts Auffälliges. Zum Schutz vor Banditen, zwar haben diese Verbrecher es auch auf einfache Kutschen abgesehen, doch bevorzugen sie noblere Transportmittel. An deiner Stelle würde ich dein Reiseziel überdenken, Alchemist. Ich habe von der aktuellen Lage der Nachbarländer erfahren, dort wurde mit schweren Ernteausfällen gebüßt. Die Leute verhungern dort, die gesundheitliche Lage ist bedenklich.

Ich würde keinen Fuß zu meinen Nachbarn setzen wollen und ich werde mich darauf vorbereiten, mein Hab und Gut zu verteidigen. Schließlich befürchte ich, dass die anderen Reiche zu den Waffen greifen werden. Vielleicht mag ich mich auch irren und ich kann aufatmen, dennoch muss ich mich vorbereiten. Dank deines Einsatzes, habe ich genug Lebensmittel, dass ich einen Teil an die Betroffenen spenden konnte. Die Frage ist nun, wie wird das Geschenk aufgefasst. Werden sie mir dankbar sein und mich in Ruhe lassen oder fallen sie in dieses Reich ein? Das wird sich nun zeigen, bislang geben viele benachbarte Bewohner ihr Hab und Gut auf und wollen hierher einreisen. Auf Dauer wird dies keine Lösung sein, schließlich werde ich unmöglich alle Flüchtlinge unterbringen und versorgen können. Um diese Stadt herum gibt es noch andere Städte, denen es gut geht und die in der Lage sind zu helfen. Solltet ihr auf Flüchtlinge unterwegs treffen, dann schlägt ihnen doch bitte vor, ihr Reiseziel zu ändern. Somit vermeiden wir große Konflikte. Ich helfe zwar gern und dennoch sind auch meine Ressourcen begrenzt. Um solch ein Unglück hier zu verhindern, wie in den betroffenen Ländereien, muss dementsprechend gehandelt werden."

Dafür hat der Alchemist Verständnis, dennoch will ihm nicht aus dem Kopf gehen, wie Sina die Himbeerpflanze zum Blühen gebracht hat.

„Sina könnte möglicherweise helfen, sie vollbringt Wunder. In nur wenigen Augenblicken ließ sie eine Beerenpflanze erblühen. Die Ernte war sofort genießbar."

Der Graf belächelt diesen Gedanken, bevor er seine Bedenken laut ausspricht: „Die Wunder einer Hexe können für noch mehr Unheil sorgen. Glaubst du die Leute speisen das, was eine Hexe hervorzaubert? Es könne ja vergiftet sein. Sollte aufgrund der Hungersnot doch auf Sinas Ernte zurückgegriffen werden, verbreitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer durch das Land. Dann ist sie nicht länger sicher, die Leute werden unterschiedlich auf sie reagieren. Während die einen sie ..."

Er pausiert, als der Blitz das Zimmer kurz aufhellt.

„...wo war ich nur? Ach ja. Während die einen eine Hexenjagd veranstalten, wird sie von anderen vergöttert. Das, mein Freund, würde kein gutes Ende nehmen."

Verärgert muss sich Clive eingestehen, dass Kasimir Recht hat. Also zerbricht er sich weiter den Kopf nach Möglichkeiten, seine Gedanken werden jedoch mit einem Klopfen unterbrochen. Mit geweiteten Augen blickt er zu Sina, die hineingelassen wird. Wie gut, dass ihre Flügel auch weiterhin unter ihrem Gewand versteckt sind, die Soldaten haben keinerlei Verdacht.

Etwas unsicher tritt die Frau hinein, die Clives Herz schneller schlagen lässt.

Kaum sind die Türen geschlossen, konfrontiert Kasimir die Fee mit folgender Frage: „Ist das dein Werk, Sina? Habe ich dich etwa erzürnt?"

Beim genaueren Betrachten erkennt der Alchemist, wie sie am ganzen Leib zittert, sämtliche Farbe ist ihr aus dem Gesicht gewichen.

„Nein, habt Ihr nicht."

„Und das Unwetter?", lässt der Graf nicht locker.

Der Lichtblitz lässt die Fee aufschreckend, augenblicklich klammert sie sich an Clives Arm fest und versteckt sich hinter den Alchemisten. Clive muss schmunzeln, er findet ihre Furcht und Anhänglichkeit ja schon zuckersüß.

„Ich bezweifle, dass Sina damit etwas zu tun hat", spricht er zu Kasimir, als die Fee kein Wort über die Lippen bekommt.

„Ich teile deine Ansicht und doch wollte ich einfach nur sicher gehen."

„Sina, bist du in der Lage auch andere Pflanzen als die Himbeere wachsen zu lassen?", möchte Clive nun wissen.

„Wenn die Bedingungen stimmen", antwortet die Fee verängstigt.

Für ihn spricht sie jedoch in Rätseln, also fragt er nach: „Was für Bedingungen?"

„Meist betrifft es den Boden, aber auch den Standort der Pflanze. Nicht jede Pflanze überlebt in der prallen Sonne. Der Boden muss nährstoffhaltig sein, er darf nicht ausgetrocknet sein."

„Also bist du in der Lage auch andere Pflanzen zu rufen?", bleibt der Alchemist verbissen.

„Ich kenne keine Pflanze, die dieses Unwetter stoppen könnte", versteht sie ihn falsch und wird sogar zickig.

Clive bemerkt die Neugier des Grafen und kommt nun mit folgenden Vorschlag: „In der Wildnis, kurz vor den Städten könnte Sina ertragreiche Pflanzen erschaffen. Damit könnten wir behaupten, im Auftrag von Graf Bylom die Lebensmittel auszuhändigen. Wir können dir einen guten Ruf verschaffen und gleichzeitig helfen. Wenn sich die Pflanzen dort willkommen fühlen, dann könnten wir die Hungersnot in vielen Städten reduzieren oder vielleicht sogar beenden."

„Du läufst auf dünnen Eis, Clive. Die Sache könnte auffliegen und bedenke, wie viel Ernte benötigt wird, um eine Stadt satt zu kriegen. Ich denke, du mutest Sina zu viel zu", äußert sich der Graf skeptisch dazu.

„Sina, die Leute auf unseren Reisen leiden Hunger. Ihre Ernte hat unter den Wetterbedingungen gelitten, im Anblick des Todes können die Menschen grausam werden. Ich möchte eingreifen und helfen, kannst du ertragreiche Pflanzen erschaffen, um den Hunger der Leute zu lindern?", steckt Clive viel Hoffnung in seine Frage.

Sina denkt laut: „Du verlangst ganz schön viel von mir, Clive. Dafür benötige ich Hilfe von Naturgeistern und beim Beschwören bin ich nur mittelmäßig. Ich muss dafür einen Mondstein formen, bis der sich mit genügend Mondlicht gefüllt hat, dauert. Ich kann nichts versprechen, aber ich kann es versuchen. Du hast mir geholfen, also helfe ich dir. Besser ich forme den Stein jetzt und schmeiße ihn in den Himmel, die Energie in den Wolken wird dem Mondstein genug Macht verleihen."

Wirklich, Clive hat nur wenig verstanden. Sie hat einfach nicht aufgehört zu brabbeln und schmiss Begriffe in den Raum, womit er nur wenig anfangen kann.

Mondstein?

Naturgeister?

Was soll es damit auf sich haben?

Bevor er sie darauf ansprechen kann, strafft sich die Fee. Sie tritt entschlossen hervor und wirbelt mit ihren Händen durch die Luft, als wolle sie lernen, Marionettenspieler zu werden. Mit angehaltenem Atem beobachten Kasimir und Clive, wie sich unzählige Sandkörner aus dem Boden erheben und hinauf zu Sina schweben. Unter ihren Händen drehen sich die Körner und formen eine Kugel.

„Sand, Kalziumkarbonat und Natriumcarbonat", flüstert Sina konzentriert.

Überrascht beobachtet Clive, wie sich auf dem Fußboden plötzlich ein weißer Pulverhaufen des Natriumcarbonats – ein Salz der Kohlensäure türmt und zu der Sandkugel augenblicklich hinzugefügt wird.

Die schwebende Maße sorgt für eine Sprachlosigkeit zwischen den zwei Männern, nun bröselt der Kalk von der Wanddecke hinunter. Damit hat Sina ihr Kalziumkarbonat - eine chemische Verbindung der Elemente Calcium, Kohlenstoff und Sauerstoff.

Die Kugel aus den drei Schichten ist plötzlich von einer enormen Hitze umgeben, die Luft fängt an zu flimmern wie in einem Ofen. Die Kugel dampft und brutzelt vor sich hin, die Masse formt sich zu einer klaren Flüssigkeit. Jedoch so zäh wie Honig.

Die Schweißperlen auf Sinas Stirn glänzen, Clive hat freiwillig Abstand von der gewaltigen Hitze genommen.

„Öffne das Fenster, Clive", fordert die Fee ihn auf.

„Bitte was? Bei dem Unwetter?", der Alchemist glaubt, sich verhört zu haben.

„Mach schon!", duldet sie keine Widerworte.

Kasimir ist schneller, er reißt die Fenster auf und nun hören sie die Fee fluchen.

„Ach verdammt noch mal! So schwer kann das doch nicht sein! Jetzt komm schon her!"

Ein eisiger Hauch bahnt sich einen Weg in das Arbeitszimmer und ummantelt die Kugel, daraufhin erstarrt die zähflüssige Pampe und befindet sich in einem Stadium zwischen flüssig und fest.

„Hexerei!", bringt Kasimir nur über die Lippen.

Sina nimmt mit einem schmerzerfüllten Gesicht die Hände von der Glaskugel, die vor ihr in der Luft schwebt.

„Das war zu heiß! In so etwas bin ich echt nicht gut! Bei Amanda sah das so einfach aus! Egal, das blöde Ding ist fertig! Nun weg damit!", brummt die Fee schlechtgelaunt.

Clive würde ja gerne wissen, wer Amanda ist, nur ist er immer noch etwas sprachlos.

Mit ihrem Zeigefinger deutet sie auf das offene Fenster, die nächsten Geschehnisse passieren so schnell, dass Clive das erst mal verdauen muss. In Windeseile fliegt die Kugel hoch hinaus in den grauen Himmel, bei dem nächsten Blitzschlag wird die diese kurz sichtbar. Unzählige Blitze donnern auf das Glas ein, kurz darauf fehlt jede Spur von dem Unwetter.

Sina dreht ihren rechten Zeigefinger und die Kugel kehrt dampfend zurück, die Fee zögert. Sie betrachtet das Innenleben der Glaskugel, wo das Gewitter in einer Miniversion weiter tobt, nur mit dem Unterschied, dass es keinen Schaden anrichtet. Die Blitze finden keinen Weg hinaus.

„Ähm, okay. Das ist mir neu. Habt ihr ein Tuch oder so? Irgendetwas, was die Kugel verdeckt? Sollte ein dickerer Stoff sein", wendet sich die Fee mit einem verzweifelten Lächeln an den Grafen, der sie mit offenen Mund betrachtet.

„Ist das gefährlich, Sina?", findet Clive zuerst seine Worte.

„Ich glaube nicht."

„Du glaubst?"

„Naja, die Kugel sollte nur nicht zerbrechen."

„Ach wirklich?"

„Ach komm, Clive. Das wird lustig, damit fangen wir das Mondlicht ein. Nach und nach werde ich dann einen Naturgeist beschwören können und den Boden fruchtbar machen. Du wirst staunen."

Am Ende kichert Sina aufgeregt. Darauf weiß Clive einfach nicht zu kontern.


Fragen an euch:

War der Vorgang mit der Glaskugel verständlich oder gab es da Momente, wo ihr nicht folgen konntet und eventuell noch mal nachlesen musstet?

Wünscht euch mehr Einsatz von Magie in dieser Geschichte?

Und was haltet ihr von der Idee bislang?

Liebe Grüße ♥


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