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10. Kapitel

Das fröhliche Gelächter und die vielen Gespräche hallen in dem riesigen Festsaal wieder, an solch einer prachtvollen Feier hat Clive bislang nie teilgenommen. Er fühlt sich fremd am Platz, denn für gewöhnlich wird er als Alchemist nicht so geschätzt wie von Graf Bylom. Zwar erlebte er die eine oder andere Feier im Magisterturm und dennoch war sie nicht mal annähernd so pompös gehalten.

Überall, wohin er blickt, befinden sich viele hübsche Frauen gekleidet in den feinsten Kleidern, ihre Haare sind aufwendig hochgesteckt und die Röcke ihrer Kleider sind so voluminös. Selbst Sina darf an dem Fest teilnehmen, aber auch nur, weil sie am nächsten Morgen in aller Frühe abreisen werden.

Der samtweiche Stoff ihres mitternachtsblauen Kleides schmiegt sich elegant an ihren Körper und betont ihre Kurven, der Rock ist mehrlagig gerafft und auf ihrem Rücken ruht eine voluminöse Schleife. Um die Tätowierungen zu verstecken wurde ein Kleid mit langen Ärmeln und einem eleganten, hohen Kragen gewählt. Ihr strahlendes Lächeln versüßt ihm den Abend, er freut sich für sie. Schließlich hat sie den ganzen Tag ungeduldig auf diese Feier hin gefiebert.

Rustikale Kronleuchter, harmonischer Blumenschmuck und glänzendes Silberbesteck lassen dem kaminbefeuerten Saal glänzen. Plötzlich starren ihn zwei jadegrüne Augen an, sie erinnern ihn stark an Kasimir. Auch der Graf hat solch ausdrucksstarke Augen wie die halbe Portion vor ihm, das kleine Mädchen mit den rabenschwarzen Haaren heißt Ava. Ihr Name bedeutet Kraft, Clive ist so dankbar, dass er ihr helfen konnte. Sie ist bereits putzmunter und seit wenigen Tagen kaum aufzuhalten. Sie strotzt vor Elan und Tatendrang. Immer wieder hat er Rebecca an ihrer Seite zu Gesicht bekommen. Der Langfinger scheint sich gut mit Graf Byloms Tochter zu verstehen.

Ein Strauß leuchtender goldgelber Rosen weckt seine Aufmerksamkeit, die kleine Ava hat ihm einige Blüten der Friesia' gepflückt. Überrascht blinzelt er die Kleine an, die Bedeutung dieser Pflanze ist ihm bekannt. Ein ganzer Strauß von ihnen ist ein Zeichen der Freundschaft, Dankbarkeit und Freude. Diese Rosen werden nicht für romantische Anlässe verschenkt, sondern für Freunde. Als einzelne Rose steht sie jedoch für Untreue, abnehmende Leidenschaft, Zweifel und Eifersucht.

Der starke, liebliche Duft der Friesia' steigt ihm bereits in die Nase.

„Nimm schon, die sind für dich. Ich danke dir, jetzt bin ich wieder gesund", spricht Ava mit einem breiten Lächeln zu ihm.

„Hast du auch keine Schmerzen mehr?", fragt er sie.

„Mir geht es gut, wirklich. Mir fehlt nichts", versichert sie ihm.

„Und die Rosen sind wirklich für mich?", möchte er sich vergewissern.

„Nein, du, Dussel. Das ist Futter für dein Pferd ..."

Sie muss herzlich darüber lachen.

„...natürlich sind die für dich. Es wäre unhöflich, wenn ich mich nicht bei dir bedanken würde", erklärt sie sich.

Wie ihr Vater beliebt sie gerne zu scherzen.

„Nun ja, ich denke, es wäre unhöflich, wenn ich den Strauß nicht annehmen würde", am Ende schenkt er ihr ein freundliches Lächeln.

Sie erwidert sein Grinsen und versichert ihm anschließend im gespielt strengen Ton: „Dann wäre ich beleidigt."

„Das wäret Ihr, ich danke Euch, Mylady. Die Rosen sind wunderschön", gibt er nach und nimmt den duftenden Strauß entgegen.

„Hast du schon die Trauben probiert? Sie sind so köstlich", schwärmt Ava und bedient sich an den Weintrauben vor ihm.

Bevor sie die süße Frucht in den Mund stecken kann, wird diese von dem Langfinger Rebecca stibitzt. Frech lässt Rebecca die Traube in ihrem Mund verschwinden und muss bei Avas „Hey" amüsiert grinsen.

„Ätschibätsch. Ich war schneller wie du", ärgert sie die gräfliche Tochter.

„Soll ich sie verhaften und einkerkern, Fräulein Ava?", tritt Cuno hervor.

Clive bemerkt den kleinen Vogel, der ihm überallhin folgt, selbst zu dieser Feier. Sina hat dem Vogelweibchen den Namen Mina gegeben.

„Ein Trottel, wie du es bis, Cuno, kann ja mal gern sein Glück versuchen", provoziert Rebecca den Paladin.

„Schon gut, Cuno. Ich drücke ein Auge zu", gibt Ava Entwarnung.

Der Alchemist versucht sein Glück und pflückt eine Traube, die er zu Mina hinhält, die Vogeldame blickt tatsächlich zu ihm. So schnell wie der Wind schnappt sie ihm die süße Frucht weg und ist in Windeseile an Cunos Seite zurückgekehrt.

Der Paladin nickt der Grafentochter zu, bevor er Rebecca warnend betrachtet.

Als könnte er es dabei belassen, schließlich kommt er dem Langfinger mit einer Warnung: „Ich behalte dich im Auge, Rebecca. Glaubst du, ich sehe nicht, wie aufmerksam du die Leute hier musterst. Wenn nur ein Schmuck- oder Goldstück fehlt, mache ich dich persönlich dafür verantwortlich!"

Frech, wie sie ist, streckt Rebecca ihm die Zunge heraus, worauf Ava nicht anders kann, als zu kichern. Cuno dagegen wirft seiner Kindheitsfreundin Todesstrahlen zu, die sie herausfordernd kontert.

Ihr Blickduell wird jedoch unterbrochen, schließlich wird Cuno aus der Ferne gerufen. Der Paladin folgt dem Ruf, er zieht schweigend davon und nun brechen Ava und Rebecca in schallerndes Gelächter aus. Als sich Rebecca beruhigt, bemerkt sie den Rosenstrauß.

„Sieh an, Clive. Rosen? Du bist ja ein richtiger Frauenheld", will sie ihn ärgern.

„Es handelt sich hier um gelbe Rosen und keine Roten, Rebecca", verteidigt sich Clive höflich.

„Gelb oder rot, was spielt das für eine Rolle?", reagiert der Langfinger schulterzuckend darauf.

„Sie drücken meine Dankbarkeit aus, denn der Alchemist hat mir das Leben gerettet", erklärt sich Ava glücklich.

Rebecca kann nicht anders, als Ava durch das Haar zu wuscheln, womit sie die aufwendige Frisur durcheinanderbringt. Schnell wie der Blitz sucht Rebecca das Weite und Ava lässt sich tatsächlich auf das Fangspiel ein.

Eine ganze Weile sitzt er nun dort als stiller Beobachter, sämtliche Eindrücke und die feierliche Atmosphäre lässt er auf sich einwirken. All die Sorgen um die anstehende Reise sind für diesen Abend vergessen. Der ruhige Moment endet, als der Graf ihm kumpelhaft auf die Schulter klopft.

„Ich sehe, meine Tochter hat dir den Strauß überreicht", freut sich Kasimir.

„Das ist wirklich lieb von ihr", äußert sich Clive dazu.

Er freut sich über diese schöne Geste, damit hat er schließlich nicht gerechnet.

„Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie dankbar ich bin, dass sie wieder munter durch die Welt läuft. Du warst unsere Rettung, mein Herz hätte ihren Verlust nicht verkraftet."

„Ich bin froh, dass ich helfen konnte. Mit Mutterkorn ist nicht zu spaßen, das hätte übel ausgehen können."

„Wohl wahr. Oh ich sehe, du musst unbedingt mehr trinken, Clive. Du bist ja noch bei deinem ersten Bier", bemerkt der Graf.

„Mir ist nicht nach trinken", gesteht der Alchemist.

Kasimir erwischt ihn dabei, wie Clive kurz zu Sina blickt. Besorgt, um ihre Sicherheit und verzaubert von ihrer Schönheit.

„Geh zu ihr, mein Freund. Tanz mit ihr und amüsiert euch", rät er dem Alchemisten.

Doch Clive sieht das etwas anders: „Sie hat sich so sehr auf den Abend gefreut und sie scheint sich zu amüsieren. Wir hatten bereits so viel Zeit miteinander verbracht, dass sie sich bestimmt nach einer Auszeit von mir sehnt."

„Also gut, dann stoßen wir jetzt auf unsere Freundschaft an. Wird Zeit, dass du mehr Alkohol zu dir nimmst", will Kasimir nicht weiter drauf eingehen.

Eigentlich würde Clive nur zu gern widersprechen, doch wie könnte er den Wunsch des Grafen ausschlagen. Kasimir kann wirklich trinken wie ein Loch, umso dankbarer ist der Alchemist, als Sina zu ihnen schreitet, woraufhin der Graf sie mit einem verschwörerischen Lächeln allein lässt.

Zum Glück kennt Sina die Bedeutung der gelben Rosen und als sie die Geschichte dahinter erfährt, ist sie gerührt. Sie entpuppt sich mal wieder als wahre Naschkatze, als sie sich über das Obst hermacht. Schließlich fackelt die Fee nicht lange und entführt ihn zur Tanzfläche, dabei duldet sie keine Widerworte.

Zu seinem Bedauern ist er kein großer Tänzer und wahrscheinlich unterhält er so einige Gäste, aber das ist alles nebensächlich. Sina lacht und hat Spaß und das ist alles, was zählt. Solange sie glücklich ist, ist die Welt für ihn heil.

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