Müll der Menschheit
„Männlich oder weiblich?"
„Männlich. Denke ich. Ist wer aus dem Internet, könnte also auch ein Mädchen sein."
„Du hast vielleicht Nerven. Reicht dir die Auswahl hier nicht?" Freddy seufzte und knabberte an seinem Gemüse herum. Er hatte gefühlt fünfundzwanzig Frühstücksboxen jeden Tag dabei, weil Grünzeug halt nicht satt machte und er sich weigerte, Tiere zu essen. Oder tierische Produkte.
„Das Risiko zieht mich eben magisch an." Ich schaukelte ein bisschen mit meinen Beinen herum und machte es mir auf dem Holztisch vor der Bank, auf der er gerade hockte, etwas bequemer.
„Willst du auch eine?" Mir wurde eine Cocktailtomate vor die Nase gehalten.
Ich hob sofort abwehrend die Hände. „Du weißt, ich esse nichts, was nicht vorher einen Herzschlag hatte."
„Warum bin ich noch gleich mit dir befreundet?"
„Weil du mich liebhast." Ich zwinkerte ihm zu. „Deswegen hast du dich heute Morgen auch dafür eingesetzt, dass der Neue weggeht! Obwohl du das freundlicher hättest sagen können. Ich meine, er hat es sicher total schwer, weil er niemanden kennt und-"
„Kannst dich ja an meiner Stelle bei ihm entschuldigen", unterbrach er mich und deutete mit einem knappen Nicken zu seiner rechten. Ich folgte der Bewegung und entdeckte besagten neuen Jungen am Eingang zum Campusgelände.
„Gute Idee!" Meine Hände fanden einen Ärmel von Freddys Jacke und zupften daran herum. „Vielleicht können wir uns ja sogar mit ihm anfreunden, wenn wir das Missverständnis aufgeklärt haben."
„Mhm, vielleicht."
„Super! Dann bring ich ihn her!" Ich ließ wieder von Freddy ab, sprang von dem Tisch herunter und eilte auf den Neuen zu. Er hatte ein Buch in der Hand, das er einfach so im Gehen las. Ziemlich gefährlich, wenn man mich fragte. Und eine prima Art, unverfänglich in ein Gespräch zu geraten.
Also schummelte ich mich gut versteckt zwischen den anderen Studenten hindurch und kam erst vor ihm zum Stehen, als es für ihn schon zu spät war, mir auszuweichen.
Das Hardcover schlug auf meinem Brustbein auf.
Er sah eine Sekunde lang überrumpelt aus, bis er realisierte, was passiert war. Dann schaute er plötzlich ganz komisch. „Du bist mir im Weg."
„Macht nichts!" Ich lächelte ihn extra-fröhlich an. „Ich wollte mich für heute Morgen entschuldigen und mich vorstellen, weil ich das noch nicht gemacht habe, obwohl man das eigentlich immer zuerst machen sollte. Ich bin Dante."
Er beäugte meine ausgestreckte Hand, ohne zuzugreifen. „Fiete."
Ich ließ meinen Arm in der Position. Vielleicht wollte er ja erst gleich Händeschütteln. „Den Namen habe ich noch nie gehört. Woher stammt er?"
„Von meinen Eltern."
Ich grinste ihn an. Es war toll, dass er so schnell auftaute und schon anfing, Witze zu reißen! „Was für ein Zufall, mein Name stammt auch von meinen Eltern. Vielleicht finden wir ja noch mehr Gemeinsamkeiten!"
„Kein Bedarf."
„Du brauchst nicht schüchtern zu sein!" Ungefragt packte ich ihn am Oberarm und zerrte ihn hinter mir her. Er wehrte sich ein bisschen, also lag ich mit meiner Vermutung richtig. Er genierte sich, weil er hier keine Freunde hatte. Aber ich würde ihm dabei helfen, indem ich gleich sein erster wurde.
„Darf ich vorstellen?" Ich parkte Fiete vor unserer Bank. „Das ist Freddy, meine bessere Hälfte. Er ist der, neben dem du heute früh in Grundkurs Didaktik kurz gesessen hast."
„Mit bessere Hälfte meint er übrigens bester Freund." Freddy verdrehte die Augen, während er den Kopf schüttelte. Er hatte dermaßen festes Styling Gel in den Haaren, dass sein Undercut sich keinen Millimeter bewegte. Das faszinierte mich ein bisschen.
„Okay ..." Fiete sah nicht wirklich danach aus, als würde er sich gerade besonders wohlfühlen, aber aller Anfang war schwer. Also schubste ich ihn auf die Bank und schmiss mich direkt neben ihn, sodass er zwischen uns eingepfercht dasaß.
„Erzähl was über dich", fing ich an und beugte mich ein kleines Stück in seine Richtung. „Irgendetwas. Ich finde alles interessant!"
Er musterte mich. Er hatte hübsche Augen. Blau oder grau oder ein Farbton dazwischen. „Ich habe dir aber nichts zu erzählen."
„Unsinn! Jeder hat etwas zu erzählen. Hau einfach raus, woran du gerade denkst."
„Danny." Freddys Stimme klang müde. „Du bist gerade extrem aufdringlich."
„Bin ich?" Verwundert musterte ich Fiete, seine Körpersprache, und Tatsache, er saß zum Bersten angespannt da. Seine Finger umklammerten sein Buch fest genug, dass seine Sehnen weiß hervortraten, und das sollte schon etwas heißen, weil er echt helle Haut hatte. Wie Porzellan, nur ungesünder. Außerdem hatte er den Blick wieder von mir abgewandt und die Lippen zusammengepresst. Das könnte allerdings auch daran liegen, dass ich ihm unbewusst derart nahegekommen war, dass meine Nase beinahe seine Wange streifte.
Hoppla.
„Sorry." Ich lehnte mich zur Seite weg, gab ihm etwas mehr Freiraum. „Ich hab's nicht so mit Distanzzonen."
„Das habe ich gemerkt." Fiete rutschte an den Rand der Bank, als wollte er möglichst bald verduften.
Was definitiv für einen Taktik-Wechsel sprach, immerhin waren wir hier am Kontakte-Knüpfen. Mit mir. „Was liest du?"
Er stoppte seinen indiskreten Fluchtversuch und knitterte die Brauen zusammen. „Die Sache mit Christoph."
„Wie?"
Er hielt das Buch hoch, auf dem in dicken, blauen Buchstaben Die Sache mit Christoph stand. Darüber, weniger auffällig und in gelb: Irina Korschunow.
„Ist das eine Romanze?", fragte ich und wollte mir den Klappentext durchlesen, als er einfach mir nichts, dir nichts zurück auf den löchrigen Asphalt des Campusbodens hüpfte.
„Im Gegenteil", murmelte er noch, dann nahm er hastig Reißaus.
Und ich war nicht schnell genug, um ihn daran zu hindern. Mir blieb nur, ihn bei seinem Abgang zu beobachten, ihn und seine schmale Gestalt mit dem wuscheligen, dreckig-blonden Haar. „Ich glaube, ich mag ihn."
Freddy nahm die Karotte, von der er eben abbeißen wollte, wieder aus seinem Mund und warf mir einen ungläubigen Blick zu. „Der Typ hat eben im Seminar ausgesehen, als hätte er in eine Zitrone gebissen."
Ich nickte bekräftigend. „Ich weiß! Total niedlich, oder?"
Es war immer von Vorteil, keinen Krach zu machen, wenn man nach Hause kam. Ich wollte meine Eltern nicht stören. Sie hatten genug um die Ohren.
Ich drückte ganz, ganz leise die Haustür auf.
Einer der Mieter vergaß regelmäßig, den Haken nach unten zu drücken, der verhinderte, dass jeder einfach nach drinnen kam. So, wie ich gerade. Für mich war das unheimlich praktisch, weil ich meinen Schlüssel immer ganz tief in meinem Rucksack vergrub. Ich brauchte jedes Mal Ewigkeiten, bis ich ihn fand.
„Ach, hallo, Dante!" Kaum hatte ich die Tür aufgestemmt, stand da Frau Geisinger mit ihrem Rollator direkt im Eingangsbereich. Links und rechts neben ihrem Fahrgestell standen zwei enorme Einkaufstüten, die allein vom Aussehen schwerer wirkten als ihre Besitzerin.
Sie war das Abbild einer Frau, die ihr Leben lang hatte Schwerstarbeit leisten müssen.
Ich ging auf sie zu und nahm beide Taschen in die Hände. „Einmal nach oben tragen?"
„Sei so gut, Junge. Der Aufzug ist schon wieder kaputt."
Eigentlich hatte er noch nie funktioniert.
„Ja, blödes Ding", meinte ich und lief eilig die Treppen in den vierten Stock hinauf, um die Tüten vor ihrer Haustür abzustellen und wieder nach unten zu hasten. Sie würde es zwar nie laut aussprechen, aber sie brauchte auch mit ihrem Rollator ein bisschen Entlastung. Mit den Jahren hatte es sich eh eingebürgert, dass ich ihr Zeug nach oben schleppte, wenn ich sie traf, und ich traf sie oft. Vermutlich hatte sie ihren Shoppingrhythmus meinem Semesterplan angepasst. Aber ich hatte absolut nichts dagegen, weil sie mich danach immer zu sich einlud.
„Ach, das brauchst du doch nicht! Das schaffe ich auch allein."
„Ich mache das gerne." In der einen Hand trug ich ihre Gehhilfe, mit der anderen stützte ich sie. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie nicht mehr selbst laufen könnte und ausziehen müsste. Aber daran würde ich nicht denken, bis es so weit war.
„Danke." Sie wirkte erleichtert, als wir gemeinsam in Slow Motion die Stufen hinaufgingen. Sie erzählte mir ein bisschen von ihrer Tochter, die den Kontakt zu ihr schon vor Jahren abgebrochen hatte. Angeblich wegen ihrem Freund. Ich wusste zwar nicht, ob das stimmte, aber ich fand den Gedanken furchtbar, von der eigenen Familie verstoßen zu werden.
„Als sie noch nicht mit ihm zusammen war, da hat sie für mich eingekauft. Aber seit sie diesen Dirk kennengelernt hat ..." Sie schüttelte den Kopf, ich machte ein zustimmendes Geräusch. „Trägst du mir noch die Sachen in die Küche, Dante?"
„Klar." Ich betrat die Wohnung, ein enges Quadrat bestehend aus zwei Zimmern. Der Boden war übersät von Staub und langen, grauen Haaren. Kein Wunder, sie konnte kaum noch laufen und schleppte einen krummen Buckel mit sich herum.
„Erzähl mal, Junge. Wie geht es dir?" Frau Geisinger trippelte mit ihrem Rollator bewaffnet neben mir her. Das Braun ihrer Augen leuchtete immer ein klein wenig heller, wenn ich sie besuchte, obwohl ich gar nicht ihr eigenes Kind war.
„Sehr gut." Ich verdrängte den Gedanken und lächelte. Sie erwiderte es. Ich mochte es, wie die tiefen Furchen um ihre Lider und ihren Mund herum dabei so viel präsenter wurden. Sie sah aus wie eine richtige Großmutter. „Wir haben einen neuen Kommilitonen bekommen."
„So spät noch?" Sie hob verwundert beide Brauen. „Hat das Halbjahr nicht schon vor zwei Monaten angefangen?"
„Vor zwei Wochen", verbesserte ich und zuckte im gleichen Atemzug mit den Schultern. „Vielleicht ist er frisch hergezogen und deswegen später dran, keine Ahnung."
„Ist er denn nett?" Ihr runzeliges Lächeln wurde eine Nuance frecher.
Ich rieb mir über den Nacken. „Freddy sagt, er ist nicht nett, aber ich mag ihn jetzt schon. Er hat hübsche Augen."
„Und einen hübschen Hintern?"
Ich wurde rot und blieb ihr eine Antwort schuldig, weil man Menschen nicht einfach dorthin schauen durfte, wenn man vorher nicht um Erlaubnis gefragt hatte. Deswegen wusste ich auch gar nicht, ob er flach, rund oder überhaupt vorhanden war. War schließlich auch nicht wichtig. Auf die inneren Werte kam es an!
„Soll ich Ihnen die Sachen gleich noch einräumen?", wechselte ich das Thema und wackelte mit ihren Tüten in meinen Händen herum. Meine Ohren brannten immer noch.
„Das würde mir viel Arbeit abnehmen." Sie dackelte an mir vorbei. „Ich mache dir dafür einen warmen Kakao."
„Oh, das klingt gut!" Ich ging an die Arbeit, wuselte mit beladenen Armen von der Küche ins Badezimmer und von dort ins Wohnzimmer. Ich kannte mich aus, wusste genau, in welchen Schrank was gehörte.
Ich räumte gerade die letzte Kekspackung in ihre Süßigkeitenschublade im Wohnzimmer, als sie mit zwei Tassen in den Händen in meine Richtung schlurfte. Ich kam ihr auf halbem Weg entgegen, nahm ihr die Getränke ab und stellte sie auf dem Tisch in der Mitte des Raumes ab, der umringt war von einer altmodischen Ledercouch, bei der im Sommer ständig meine Haut kleben blieb, wenn ich zu lange in derselben Position verharrte.
„Danke", sagte ich artig und hockte mich hin. Das quietschende Geräusch, das meine nackten Unterschenkel erzeugten, als ich es mir bequem machte, bescherte mir eine Gänsehaut quer über die Unterarme.
„Ich muss dir danken." Sie seufzte laut und setzte sich sehr, sehr langsam neben mich. „Du tust so viel für mich."
„Nicht der Rede wert." Ich griff nach meinem Kakao und nahm einen großen Schluck, fuhr mit der anderen Hand die feine Musterung des Tisches nach. Er war einer von dieser Sorte, die kleine Schnörkel und Bildchen eingearbeitet hatte, sehr altmodisch. Allgemein sah die gesamte Inneneinrichtung aus, als wäre die Wohnung vor fünfzig Jahren designt worden. Das Zimmer hier zierten riesige Holzschränke in dunklen Brauntönen mit vergoldeten Schlüssellöchern, im Flur stand eine kleine Kommode, die über und über mit Engelsfigürchen zugestellt war, und die Küche bestand aus bunt zusammengewürfeltem Mobiliar, das wirkte, als könnte es jeden Moment auseinanderbrechen.
Ich fühlte mich total wohl bei ihr.
„Ich habe noch ein paar Plätzchen da, wenn du möchtest."
„Ah, nein, danke. Wirklich, ich bin pappsatt." Ich klopfte mir auf den Bauch. „Freddy und ich waren in der Mittagspause einen Burger essen." Zumindest ich hatte zwei gefuttert. Er hatte eher zugeschaut, ganz der pflichtbewusste Veganer.
„Oh, und wie geht es ihm? Ich habe ihn lange nicht mehr gesehen."
„Wir sind momentan öfter bei ihm, weil-" Ich brach ab und horchte auf. Es war fast schicksalshaft, dass genau in der Sekunde die Ruhe durch die lauten Stimmen meiner Eltern unterbrochen wurde. Die Wände waren dünn wie Pergament. Manchmal hörte ich auch die Nachbarn von unten streiten.
„Möchtest du ein bisschen Radio hören?" Frau Geisinger wartete meine Antwort gar nicht erst ab, sie wanderte bereits zielstrebig zum anderen Ende des Raumes, wo im großen Schrank mittig ein kleines Radio mit Antenne sein Zuhause hatte. Direkt neben ein paar Bildern ihrer Tochter, als sie noch Kontakt zueinander gehabt hatten.
Kurz darauf dudelten die ersten Charthits zur mir herüber.
„Ein fetziges Lied, oder? Das hört ihr jungen Leute doch heutzutage!"
Ich lachte leise. „Genau."
Zufrieden drehte sie das Radio nochmal eine Stufe lauter und dann saßen wir nebeneinander auf der Couch, tranken unseren Kakao und unterhielten uns übers Studium, über Freddy, altersbedingte Gebrechen und über ihren Ehemann, der vor dreiundachtzig Monaten an Krebs verstorben war. Es war ein gutes Gespräch, weil es Zeit totschlug und die lauten Stimmen meiner Eltern bereits verstummt waren, als ich die wenigen Meter von Frau Geisingers Tür zu meiner eigenen überquerte.
Mein Vater war per se nicht abhängig. Er kippte sich nur einen hinter die Rübe, wenn er sich besonders heftig mit Mama stritt. Dass das in letzter Zeit häufiger vorkam, war bloß ein Zufall. Und das Ergebnis dieses Zufalls lag gerade ziemlich weggetreten auf der Couch.
Ich beugte mich vorsichtshalber zu ihm runter und kontrollierte flüchtig, ob es ihm den Umständen entsprechend gutging. „Neben dir auf dem Boden steht eine Wasserflasche. Trink ein bisschen was davon, okay?"
„Danke, bist 'n klasse Sohn." Er war schon gar nicht mehr richtig anwesend.
Ich richtete mich wieder auf. „Schlaf dich aus. Du weißt, dass Mama nur noch wütender wird, wenn sie dich so sieht."
„Ich weiß, ich weiß." Er seufzte und schloss die Augen. Wenn er betrunken war, streckte er immer alle Viere von sich wie eine Ziege, die sich totstellte. Manchmal hatte ich Angst, dass er nicht nur tat als ob.
„Bis nachher."
Er grummelte etwas in seinen wuchernden Bart hinein und ließ sich von mir zudecken. In solchen Momenten stellte ich mir oft vor, wie es andersherum wäre – wenn er abends von seinem Job käme und sich um mich kümmern müsste, weil ich am Wochenende feiern gewesen wäre. Aber das war ein dämlicher Gedanke, weil ich keinen Alkohol trank und auch nicht feiern ging. Viel zu teuer.
Ich warf einen letzten prüfenden Blick auf ihn und trat dann aus dem Schlafzimmer meiner Eltern in meins hinüber. Es war ein winzig kleiner Raum, gerade groß genug für ein schmales Bett, einen Kleiderschrank und einen Miniaturschreibtisch, alles in hellen Tönen gehalten. Vor zwei Jahren zu meinem achtzehnten Geburtstag hatte ich mir mitten in meiner Grunge-Phase eine schwarze Einrichtung gewünscht und die Wände von Weiß in Grau streichen wollen, aber irgendwie hatte die Idee sich im Sand verlaufen. Und das nötige Kleingeld hatte auch gefehlt. Glücklicherweise, denn sonst wären die roten Striche neben dem Türrahmen verschwunden, mit denen meine Eltern, als ich noch ein Kind gewesen war, meinen Wachstumsfortschritt gemessen hatten. Bis sie irgendwann in der Grundschule damit aufgehört hatten, um die Zeit herum, in der mein Vater angefangen hatte, abends Kneipen zu besuchen.
„Okay, ran ans Werk!" Ich knackste mit den Fingern und machte es mir mit meinem Laptop auf den Oberschenkeln auf meinem Bett bequem. Es war der perfekte Zeitpunkt, um mich mit HumanTrashAssistant zu beschäftigen. Ich meine, immerhin hatte er sich bei mir melden wollen!
Ich wartete einen kleinen Moment, bis alles hochgefahren war, und loggte mich anschließend auf Pravitas ein. Dieses Mal musste ich nicht voller Enttäuschung auf ein gähnend leeres Postfach schauen. Kaum war ich online, flog mir die erste Nachricht entgegen.
HumanTrashAssistant: Ich bin nicht einer dieser Idioten, die sich unüberlegt mit wildfremden Männern aus dem Internet treffen
Oh, er wollte mich kennenlernen, bevor wir zur Sachen kamen! Das war fantastisch, das wollte ich nämlich auch! Ohne ging es sozusagen gar nicht.
Letskillsometime: trifft sich gut. ich bin einer dieser idioten, die anderen wochenlang hinterherrennen, bis man sich doch mit ihnen trifft c:
Eigentlich fand ich den Satz irre charmant, ich meine, er war regelrecht entzückend. Nur schien Trashy das anders zu sehen.
HumanTrashAssistant: Ich mag keine aufdringlichen Menschen
Ich schob die Unterlippe vor.
Letskillsometime: ich korrigiere: Ich bin einer dieser idioten, die anderen wochenlang UNAUFDRINGLICH hinterherrennen, bis man sich doch mit ihnen trifft c:
HumanTrashAssistant: Aha
Irgendwie machten mich Leute, die ohne Smileys schrieben, nervös. Aus Buchstaben konnte man so schwer Emotionen herauslesen. Zumal ich ihn ja überhaupt nicht kannte. Er könnte auch durchgehend auf einer sarkastischen Schiene unterwegs sein und ich hätte keinen blassen Schimmer davon und würde alles missverstehen.
HumanTrashAssistant: Stimmen die Angaben in deinem Profil?
Ich setzte die Finger wieder an die Tastatur.
Letskillsometime: klar. ich bin eine verdammt ehrliche haut <:
Drei kleine Pünktchen tauchten auf, zeigten an, dass er gerade am Schreiben war – und verschwanden wieder.
Ich kaute auf den Innenseiten mehr Wangen herum. So wurde das Ganze doch nichts.
Letskillsometime: hast du voice?
HumanTrashAssistant: Das zum Anrufen?
Letskillsometime: japp!
Er schien sich für einen kurzen Moment nicht sicher zu sein, ob ihm die Frage geheuer war, bevor er mit einem vagen Möglich antwortete. Aber das war in Ordnung, ein Möglich war nur ein Ja mit misstrauischem Unterton. Damit konnte ich arbeiten!
Letskillsometime: darf ich dich anrufen?
Es verging wieder ein bisschen Zeit, dann öffnete sich auf meinem Bildschirm eine Anfrage zu einem Sprachtelefonat.
Heilige, es kam sogar von ihm aus! Er initiierte die Interaktion! Dass die Idee ursprünglich auf meinem Mist gewachsen war, tat dabei absolut nichts zur Sache.
Ich nahm hastig an und ruckelte mich auf meinem Bett zurecht, als könnte er mich irgendwie sehen, was natürlich absoluter Blödsinn war – mich allerdings nicht daran hinderte, meinen Körper in Stellung zu bringen.
„Hat es geklappt?", ertönte es kurz darauf auch schon aus den Lautsprechern und ich zog meinen Laptop ein bisschen zu stürmisch an mich heran. Ich haute ihn mir sogar gegen die Rippen.
Voice war eine sichere Art, im Forum miteinander zu kommunizieren. Man hörte nicht die eigentliche Stimme des Gegenparts, sondern eine künstlich veränderte. Wenn man das Programm auf seinem Rechner installierte, bekam man zwischen zwanzig und dreißig Stimmvarianten aufgetischt, aus denen man sich eine aussuchen konnte, die dann während den Telefonaten als die eigene herhalten musste.
Trashy hatte sich für eine sanfte Klangfarbe entschieden.
„Mhm!", flötete ich zurück. „Hübsche Stimmauswahl übrigens. Gefällt mir."
„War die erstbeste, die mir angezeigt wurde."
Lügner. Die ersten Möglichkeiten waren irgendwelche verzerrten Abklatschte von Jigsaws Gekrächze.
„Na dann." Ich machte es mir wieder etwas bequemer, gab meine höchst erotische Pose auf. „Erzähl mal. Warum willst du ... na, du weißt schon?"
„Hat keinen bestimmten Grund."
Ich hob eine Braue. „Dann willst du das einfach nur zum Spaß machen?"
„Natürlich nicht! Es ... ist aber vollkommen egal, weshalb. Das geht dich sowieso 'nen feuchten Dreck an!"
Da hatte vielleicht jemand Feuer unterm Hintern. Was super war, weil Feuer unterm Hintern Lebenswillen zeigte! „Ich bin aber neugierig und wir wollten uns doch vorher kennenlernen."
Er schnaubte und kurz erstarb unsere Konversation, während ich mich fragte, ob es überhaupt angemessen war, solche Themen direkt anzuschneiden. Ich wusste nicht, wie die anderen Leute auf dieser Plattform das machten. Dazu kam noch, dass ich selbst allgemein-
Huh, er redete schon weiter!
Ich schüttelte den Kopf und konzentrierte mich wieder auf ihn.
„... Letskillsometime geplant doppeldeutig?"
„Ah, ja", meinte ich etwas verzögert und grinste in mich hinein. „Ich fand's witzig, dass man es gleichzeitig mit Lass uns Zeit totschlagen und Lass uns irgendwann töten übersetzen kann."
„Mh." Das blöde an Voice war nur, dass man ähnlich wie beim Schreiben keine Gefühle heraushören konnte. Das Geräusch klang auf jeden Fall nicht unbedingt begeistert – hieß das, dass er mein Wortspiel doof fand?
„Und", ich spielte mit meinen Fingern herum, „wofür steht dein Name?"
„Ich unterstützte den Müll der Menschheit dabei, ihre abnormen Gelüste zu befriedigen, indem ich mich von ihnen umbringen lasse."
Ich brauchte zwei Anläufe, um hinter die Birne zu kriegen, dass er mich gerade indirekt als Müll beschimpft hatte. Nicht dass mich das wirklich beleidigte. Ich war da ein wenig ... speziell.
„Wart' mal kurz." Ich klickte mich durch die Seite zu meinen Einstellungen, änderte meinen Namen und schrieb ihn direkt an, damit er es auch sehen konnte.
MüllderMenschheit: so besser? <:
Wenn mich nicht alle Sinne täuschten, hörte ich ihn tatsächlich zwei Wimpernschläge lang lachen.
„Passt", meinte er schließlich, bevor er wieder einen Schlenker in einen anderen Sektor machte. „Warum willst du unbedingt wen töten?"
Ich zögerte kurz. „Ist schwer zu erklären ..."
„Also willst du, dass ich dir verrate, warum ich sterben will, aber du selbst willst mir nicht sagen, warum du so scharf drauf bist, mich kaltzumachen?"
„Ähm." Ich rang mit meinen Händen und schüttelte hastig den Kopf, obwohl er es nicht sehen konnte. „Es ist nur, dass-"
Im Hintergrund ertönten Geräusche. Klopfen, eine fremde Stimme, unverständliches Gebrabbel, als würde er sein Mikro zuhalten, und dann war er einfach weg.
Ich starrte auf den Bildschirm, enttäuscht.
So viel zu unserem ersten Treffen.
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