Auf Freundschafts-Mission
Fiete wartete bereits vor der Bibliothek auf mich, als ich ankam. Er saß da, mitten auf dem Tisch, statt auf der Bank, und hatte seine Füße dort, wo eigentlich sein Allerwertester sein sollte. Es machte mich ganz wuschig, wie rebellisch es ihn aussehen ließ!
Ich fasste mir an die Brust, um mein übereifriges Herz zu beruhigen, und winkte ihm dann zu, obwohl wir keine zwei Autos mehr voneinander entfernt waren.
Er verzog prompt das Gesicht und drehte sich weg.
Ich nahm den Arm wieder runter und hopste die letzten Meter zu ihm hin. „Guten Morgen!"
„Eher nicht." Seine Hände steckten in den Taschen eines oversized Sweaters. Sein Körper ging halb darin unter.
Ich legte den Kopf schief und stellte mir nur ganz, ganz kurz vor, wie es wäre, wenn er meinen Pullover anhätte, ließ es sofort wieder bleiben. Fietes Kleidung war modisch und neu. Meine würde er bestimmt nicht gerne tragen wollen.
„Kannst du mal aufhören, mich anzustarren? Davon kriege ich Gänsehaut." Er hatte seinen halben Kopf wieder zu mir umgewandt, motzig. Ein richtiger Morgenmuffel!
Ich strahlte ihn an. Gute Laune machte schließlich wach! „Schöne oder schlechte Gänsehaut?"
„Es gibt keine schöne Gänsehaut." Er schnaubte und zog den Reißverschluss seines Sweatshirts bis ans Kinn hoch, machte aber keine Anstalten, direkt in die Bibliothek zu wollen. War mir nur recht, dann hatte ich Fiete noch zwei Momente länger für mich allein, ohne die übrigen Studenten, die sich regelmäßig wochenends Bücher ausliehen. Und damit auch zwei Momente länger Zeit, mehr Informationen aus ihm herauszukitzeln.
Ich stopfte meine Hände ebenfalls in meine Hoodietaschen und wippte auf meinen Fußballen vor und zurück. Falls ich mich gut anstellte, durfte ich Fiete am Ende des Tages vielleicht schon als Freund abstempeln, oder zumindest als Bekannten. „Hat's einen Grund, warum du die Hochschule gewechselt hast?"
„Hat dich nicht zu interessieren."
Ich schaute noch eine Portion freundlicher. Vielleicht fiel es ihm leichter, darüber zu reden, wenn ich ihm Antwortoptionen vorgab. „Umzug wegen einem Jobwechsel deiner Eltern? Oder hast du schon allein gewohnt und einen doofen Mitbewohner gehabt? Oder eine doofe Mitbewohnerin? Oder waren die Module auf deiner letzten Hochschule-"
„Geht dich immer noch nichts an."
„Ein Neuanfang, weil deine Kommilitonen blöd waren?"
Er presste die Lippen zusammen. Nicht auf eine Weise, als hätte ich einen wunden Punkt getroffen, sondern mehr auf die Sei still, du Nervensäge-Art. Es war eine ganz besondere Mimik, von der mir Freddy mal gesagt hatte, dass ich bei ihrem Auftreten lieber das Thema wechseln sollte.
„Also ich wohne schon mein ganzes Leben hier", sagte ich deswegen und trat einen Schritt näher an ihn heran. Heute duftete er nach Plätzchen!
„Aha."
„Ja, und", ich zeigte auf ihn, „wusstest du, dass dein Name der Friedliche bedeutet? Oder auch Friedensbringer? Das habe ich gestern gegoogelt."
Jetzt seufzte er. „Und deiner? Der Belästiger? Oder der Anstrengende?"
„Fast!" Ich holte eine Hand aus der Tasche, um mir mit ihr stolz gegen die Brust zu schlagen. „Ich bin der Ausdauernde!"
Fiete blinzelte mich an, langsam und bedächtig, dann kräuselte er die Mundwinkel zu einem schmalen Lächeln. Ich hatte ihn tatsächlich zum Lächeln gebracht! „Na, das passt ja."
„Findest du?" Ich rückte noch dichter an ihn heran. „Danke!"
„Das war kein Kompliment."
„Es ist ein Kompliment, was man als Kompliment versteht." Außerdem konnte ich mir nicht vorstellen, dass Fiete irgendetwas ernsthaft böse meinen könnte. Dazu war er viel zu lieb. Den Griesgram spielte er doch nur.
„Du-" Er schüttelte den Kopf. „Egal. Setz' dich einfach hin. Ich will den Mist so schnell wie möglich hinter mich bringen."
„Okay!" Ich ließ mich artig neben ihn fallen – hieß, ich hockte mich auf die Bank und er saß weiter auf dem Tisch herum, gut einen halben Meter über mir, und blickte auf mich herab. Sprichwörtlich!
Hastig presste ich meine Beine zusammen und rieb mir über den Nacken. „Ähm, wollten wir aber nicht eigentlich zur Bibliothek? Für unser Projekt?"
„Gleich." Damit zauberte er eine Zigarettenpackung samt Feuerzeug hervor.
Ich sah nervös zu ihm auf. Es war nicht richtig, dass ich es irgendwie anregend fand, mir vorzustellen, wie er mir Rauch ins Gesicht pustete, mich zwang, ihn einzuatmen, wenn es zu hundert Prozent seinen Lungen schadete! „Ist das nicht ungesund?"
„Das ist, weshalb ich damit angefangen habe." Er friemelte eine Kippe heraus, steckte sie sich zwischen die Lippen und zündete sie an. „Wenn die fertig ist, können wir los."
Wenn er noch zusätzlich so furchtbar grummelig dreinschaute, war er nicht nur ein Militäroffizier, sondern auch ein Mafiaboss – oder der Sohn eines Mafiabosses, der aber mindestens genauso viel zu sagen hatte wie sein Vater. Ein herrischer, unnachgiebiger, strenger-
„Fertig." Die Überreste eines qualmenden Zigarettenstummels landeten zu meinen Füßen, fast bis zum Filter abgebrannt.
Ich sollte mir definitiv einen Wecker stellen, wenn ich das nächste Mal vorhatte, mich in Tagträumen zu verlieren! Mir waren das wie keine zwei Sekunden vorgekommen.
„Okay!" Ich eilte Fiete hinterher, als er vom Tisch stieg und sich in Richtung Bibliothek aufmachte. Jetzt hatte ich den ganzen Samstag über Zeit, ihn kennenzulernen – das hieß, er hatte gar keine Chance, einer Freundschaft mit mir zu entkommen!
DantesBrotherVergil: wie gehts deinen familienangelegenheiten? c:
Eigentlich sollte ich ja besser jede freie Minute nutzen, um Fiete für mich zu gewinnen, aber der hatte uns beide gerade eben zur Online-Literaturrecherche verdonnert, da musste ich die Gelegenheit einfach am Schopf packen und mich bei Christopher melden. Der war schließlich auch wichtig. Und Konzentration war sowieso nichts meins.
UnofficialChris: Scheiße.
Oha, sogar mit einem Punkt dahinter. Dann musste es ernst sein – auch daran ersichtlich, dass er mir sofort antwortete. Ehrlich, damit hatte ich nicht gerechnet, vor allem nicht, nachdem ich bei unserem letzten Gespräch etwas dermaßen Dummes von mir gegeben hatte.
DantesBrotherVergil: ? :o
UnofficialChris: Ist egal
UnofficialChris: Was ist mit deinem guten Ärger?
Er stellte von sich aus Fragen – er interessierte sich. Für mich!
Begeistert blickte ich auf mein hell erleuchtetes Display. In solchen Momenten hätte ich gerne jemanden, mit dem ich über meine Pläne sprechen könnte, aber jeder würde mich nur fragen, warum ich so etwas tat, anstatt die Polizei zu rufen.
DantesBrotherVergil: bin hart am arbeiten und komme meinem ziel immer näher!
UnofficialChris: Und das da wäre?
UnofficialChris: Nicht, dass es mich interessiert
UnofficialChris: Mir ist bloß langweilig
Ich grinste und linste kurz zu Fiete hinüber. Er hatte scheinbar auch eine kurze Pause eingelegt, um mal eben einen schnellen Blick auf sein Handy zu werfen, aber im Gegensatz zu mir klebte er nicht daran fest, sondern widmete sich gleich wieder dem metallic-matten Laptop, den er mitgebracht hatte.
DantesBrotherVergil: ich bin auf freundschafts-mission <:
UnofficialChris: Mein Beileid für den Betroffenen
Ich schnaufte. Christopher lag so etwas von falsch! Einen loyaleren Kumpel als mich konnte man gar nicht haben. Ich war hingebungsvoll und das wollte ich eigentlich auch gerade antworten, als Fiete zu mir herüberblickte und prompt eine Grimasse schnitt.
„Willst du nicht langsam mal deinen Laptop rausholen und was arbeiten?"
Ich zog die Schultern an und wedelte mit meinem Smartphone herum, nachdem ich Pravitas' Messenger-App geschlossen hatte. „Hab keinen dabei, bin dafür aber mit dem Handy im WLAN drin."
„Aha." Er drehte sich vollständig zu mir um. „Und wo genau schreibst du deine Ergebnisse dann mit? Ich sehe auch keinen Block und Stift vor dir liegen."
Da war etwas dran!
Ich lächelte fröhlich. „Ich dachte, das machen wir im Anschluss zusammen!"
„Großartig." Er schnaubte. „Also bist du nervig und absolut nutzlos."
Es wäre eine Beleidigung – hätte er nicht diesen ganz bestimmten Ausdruck in den Augen, der meine Knie spontan in Butter verwandelte.
Ich rückte mit meinem Stuhl näher an ihn heran. „Am besten ist es immer, mir ganz, ganz genau zu sagen, was ich machen soll."
„Mhm." Schnauben, bevor er mir mein Handy aus den Fingern riss und es auf den Tisch klatschte. „Du sollst recherchieren, kapiert?"
Keine Ahnung, was mit mir nicht in Ordnung war, aber der Nachdruck in seiner Stimme verursachte ein heftiges Kribbeln in meiner Magengegend.
Bestimmt war Fiete im Schlafzimmer ein kleiner Drillsergeant.
Unauffällig ließ ich meinen Blick tiefer zu seinen Lippen wandern, die schon wieder eine schmale Linie darstellten. Oder immer noch, aber wer hing sich schon gerne an Details auf? Ich für meinen Teil konzentrierte mich viel lieber auf ihre hübsche Pfirsich-Farbe.
Ob es okay wäre, ihm dafür ein Kompliment zu machen? Oder bekamen vielleicht-Hetero-Männer nicht gerne welche, wenn sie nicht von Frauen kamen? Ben, den hatte ich mal in der zehnten Klasse gemocht, hatte mich in den Magen geboxt, nachdem ich ihm ein Kompliment gemacht hatte.
Mir entwich ein Seufzen, eines, das vielleicht ein bisschen zu viel preisgab, weil Fiete gleich darauf die Nase kräuselte.
„Konzentrier' dich gefälligst auf deine Aufgabe und hör' auf, mich anzustarren."
Leichter gesagt, als getan, wenn da jemand vor mir saß, der so schrecklich hübsch war wie er!
Ich nickte trotzdem, weil ich artig war, aber meine Augen hingen immer noch an ihm fest, wofür ich gar nichts konnte. Er war eben interessanter als Prüfungsleistungen. Und außerdem hatte ich so viele Fragen an ihn, da fehlte es mir einfach an Aufmerksamkeit für andere Dinge. Und eine dieser Fragen brannte mir schon seit Tagen wie Essig auf der Zunge: „Bist du zufällig schwul?"
Erstmal kam keine Reaktion, dann wandte er sich ruckartig zu mir herum. Wie ein Roboter. „Was hast du gerade gefragt?"
„Ob du auf Typen steht." Ich strahlte ihn an.
Aber er strahlte nicht zurück. „Das geht dich einen Scheißdreck an!"
Ich blinzelte. Er klang angegriffen. Vielleicht nahm er es mit seiner sexuellen Orientierung sehr genau, und ich hatte die falsche erwischt. „Dann bi?"
„Was verstehst du unter Scheißdreck nicht?" Mittlerweile war er aufgestanden, schaute mit zusammengebissenen Zähnen auf mich herab und, hui, hatte der Anblick etwas! Wie er über mir thronte und-
„Pansexuell?", nuschelte ich und rutschte etwas in meinem Stuhl herum, damit die Hummeln in meinem Magen Ruhe gaben.
„Spreche ich eine andere Sprache?" Er grollte, ich schauderte.
„Asexuell?" Mir war vollkommen gleich, was er war, solange es für ihn okay wäre, mal ab und zu meine Hand zu halten und mit mir zu kuscheln. So anspruchsvoll war ich schließlich nicht. Wenn ich denn überhaupt eine Chance bei ihm hatte.
„Willst du mich verarschen?" Er packte mich am Kragen. „Wenn ich dir sage, dass es dich nichts angeht, dann geht es dich verdammt nochmal nichts an!"
Ich fühlte mich fiebrig. Das Gesagte drang überhaupt nicht richtig zu mir durch. Mein Fixpunkt lag immer noch bei diesem feurigen Ausdruck in seinen Augen, der mein gesamtes Skelett schmelzen ließ. „Wenigstens bi-curious?"
Bei seiner Mimik erwartete ich eigentlich jede Sekunde eine Strafpredigt, aber dann fuhr er doch bloß herum und stampfte aus dem Zimmer. „Ich gehe aufs Klo!"
Ich starrte ihm nach. Meine Jeans spannte ein bisschen.
Ob es okay wäre, ihm zu folgen? Oder galt das bereits als sexuelle Belästigung?
„Besser auf Nummer sicher gehen!" Ich nickte mir selbst zu. Immerhin könnte ich Fiete auch weiter erobern, wenn er von den Toiletten wieder zurück war. Die fünf Minuten Warten konnte ich aushalten!
Es war acht Minuten später, als Fiete am anderen Ende der Bibliothek auftauchte und über den Flur zurück zu unserem Gruppenarbeitstisch marschierte. Ich richtete meine Aufmerksamkeit sofort auf ihn und wartete geduldig ab, bis er sich auf seinen Stuhl gesetzt hatte, als er auch schon die Fäuste ballte und zu mir blickte.
„Wieso hast du meinen Laptop?"
„Achso!" Ich drehte ihm den Bildschirm zu. „Du wolltest doch, dass ich auch arbeite, da hab ich ihn mir kurz geliehen, während du pinkeln warst."
Ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie er die Hände ausgestreckt und ihn sich wieder unter den Nagel gerissen hatte. „Das habe ich dir nicht erlaubt!"
„Oh." Ich kratzte mich am Hinterkopf. „Entschuldigung. Mit Freddy teile ich mir auch immer alles, ohne nachzufragen. Das ist wie ein Automatismus!"
Er sagte nichts dazu, starrte einfach böse auf sein Display und schloss hier und da ein paar Tabs.
Ich räusperte mich etwas unbeholfen. Ich hätte nicht erwartet, dass es ihn verärgern würde, wenn ich kurz seinen Laptop benutzte. „Wollen wir aufschreiben, was wer von uns bei der Beratung sagen soll? Dann müssen wir das für das Video nur noch auswendig lernen."
„Von Wollen kann nicht die Rede sein", brummte er und verschränkte die Arme vor der Brust.
Wären wir Hunde, würde sich die ganze Kommunikation viel einfacher gestalten. Ich schaute im Fernsehen gerne Der Hundeflüsterer, also wusste ich genau, was ich tun müsste, um ihm zu zeigen, dass ich bloß sein Freund sein wollte. Oder mehr. Einmal auf den Rücken drehen und den Bauch präsentieren, meine verwundbarste Stelle zeigen. Als Mensch war das schwerer. Mich jetzt einfach hinzulegen, wäre vermutlich keine gute Idee. Keine Ahnung, wonach das dann aussehen würde, aber Fiete würde es hundertprozentig missverstehen. Das tat er ständig, obwohl er doch eigentlich erkennen müsste, was für ein friedliebendes Wesen ich war!
Ich stopfte meine Hände unter meine Oberschenkel, damit ich ihn nicht versehentlich anpackte und damit irgendwie unbewusst triezte. „Wir können es gerne so machen, wie du es magst. Ich passe mich an."
Er grummelte kurz, bevor er Word öffnete. „Wir müssen uns erstmal eine Person ausdenken, die wir beraten können. Für den Steckbrief, der mit ins Exposé soll."
„Mein Angebot steht noch." Ich kippelte ein bisschen mit meinem Stuhl. „Wir können gerne mich nehmen, auf die Weise sparen wir uns die Biographie und das alles." Und außerdem lernte er mich so auch gleich bis ins kleinste Detail kennen. Zwei Fliegen mit einer Klatsche!
„Mh." Er schien kurz zu überlegen, zuckte dann mit den Schultern. „Gut, meinetwegen. Dann stelle ich dir jetzt Fragen und du beantwortest sie."
Ich nickte fest. „Okay!"
Er warf mir einen prüfenden Blick zu, wartete ab, aber ich verhielt mich weiterhin vorbildlich, bis er sich wieder seiner Tastatur zuwandte. „Alter?"
„Zwanzig. Geworden. Ich habe sogar schon den Führerschein! Das heißt, ich kann-"
„Danach habe ich nicht gefragt", unterbrach er mich und schickte prompt Eiswasser meine Wirbelsäule hinab. Wenn das gesamte Gespräch in der Manier verlaufen würde, bräuchte ich zwischendrin eine kurze Pause, um meiner vorschnellen Schwärmerei in einer abgeschirmten Ecke einen Klaps zu verpassen.
„Familie?"
„Hab eine!" Ich verhaspelte mich etwas, von dem eisernen Ausdruck in seinen Augen abgelenkt. Dieses Mal wollte ich alles richtig machen.
„Und ich dachte, du wärst ein Alien und wurdest in einem Reagenzglas gezüchtet", murmelte er und tippte sichtbar ungeduldig auf dem Mauspad herum. „Irgendwelche Geschwister?"
„Ne, bin Einzelkind. Aber ich hätte irre gerne welche, nur wird daraus leider nichts, weil meine Eltern-"
„Und Hobbys?"
Ich schüttelte den Kopf. Die ständigen Unterbrechungen schleuderten mich etwas aus der Bahn, aber vielleicht wollte Fiete mich damit auch bloß testen. Meine Anpassungsfähigkeit erforschen, gucken, ob ich Freundschaftsmaterial war. Fester-Freund-Material.
Ich zog meine Griffel unter meinen Oberschenkel hervor und wischte sie an meiner Jeans trocken. Wenn ich nervös wurde, hatte ich schnell mal arg glitschige Hände. „Chick-Flicks. Es gibt keinen, den ich nicht kenne! Oh, und ich esse gerne. So ziemlich alles, aber am liebsten Fleisch."
Fiete schrieb nicht mehr mit. Die Art, wie er dabei seufzte, gab mir seltsamerweise das Gefühl, ich würde es gerade gehörig verbocken.
„Wenn du willst, kannst du auch etwas anderes aufschreiben", schlug ich vor und zog die Mundwinkel hoch. „Ich bin flexibel in meinen außerschulischen Aktivitäten. Mit Freddy gehe ich sogar manchmal Bouldern oder ins Kino oder in diese Fastfood-Kette in der Innenstadt. Er ist zwar Veganer, aber die haben dort auch Zeug ohne-"
„Redest du immer so viel?" Er zischte.
Ich verstummte, ein bisschen überfordert. „Nur, wenn ich jemanden beeindrucken möchte."
„Beeindrucken womit?"
„Mit meinen sozialen Fähigkeiten! Stell dir doch mal vor, wie unangenehm es wäre, wenn man auf einem Date ist und dann herrscht da Stille. Fändest du das nicht furchtbar?"
Ächzen, bevor er sich durchs Haar fuhr. „Größe?"
Oha, jetzt ging er aber ran! Da erwähnte ich bloß das Wort Date und er fragte gleich danach?
Ich schielte nach links und rechts, aber da hockten keine anderen Personen in unserer unmittelbaren Hörweite, also hatte ich freie Bahn. Und klatschnasse Achseln.
„Dreizehn Komma Sechs Zentimeter", flüsterte ich. „Ansonsten circa sieben. Da habe ich aber nicht richtig nachgemessen, weil das bis jetzt noch nie wen interessiert hat."
„Was?" Fiete runzelte die Stirn. „Wovon redest du? Du bist mindestens über einen Meter Achtzig groß."
Ah.
Ich legte mir eine Hand in den Nacken und kicherte bedröppelt. „Da habe ich wohl etwas missverstanden."
„Wieso missverstanden? Was kann man an Größe denn bitte falsch verstehen?" Fiete hielt inne, dann klatschte er mit der flachen Hand fest auf die Tischoberfläche, nur knapp an dem Aluminiumgehäuse seines Laptops vorbei. „Warum, zum Fick, sollte ich dich nach deiner Schwanzlänge fragen?!"
Ich zog den Kopf ein.
Hatte Fiete das Gefühl, ich wäre ihm gegenüber sexuell übergriffig geworden? Ich wollte nicht einer dieser Menschen sein!
„Es tut mir leid!" Leicht panisch griff ich nach seinem Knie. „Normalerweise rede ich überhaupt nicht über Penisse, ehrlich nicht! Und ich wollte auch nicht mit irgendetwas angeben, was auch total schwachsinnig wäre, weil ich komplett im Durchschnitt liege, außerdem hat mir Annabelle – mit ihr war ich letztes Jahr dreimal aus, aber sie mochte mich dann doch nicht so – erzählt, dass große Penisse beim Sex wehtun können, deswegen ist es vielleicht sogar besser, wenn sie kleiner sind. Womit ich gar nicht sagen will, dass meiner dadurch irgendwelche Vorteile im Gegensatz zu größeren hat. Allgemein geht es beim Sex nicht darum, sondern um Nähe und Liebe und ... ich meine, nichts gegen Leute, die zum Spaß mit anderen schlafen! Jeder kann machen, was er will, solange er keinem anderen damit schadet, und-"
„Kannst du aufhören, ständig über Schwänze zu sprechen?" Fiete packte mein linkes Handgelenk und wischte meine Finger grob von seinem Bein. „Und lass gefälligst dieses ständige Gegrapsche bleiben!"
„Aber-"
„Halt die Klappe. Halt einfach die Klappe."
„Bist du böse auf mich?"
Er atmete tief ein und aus. „Sprich mich nicht an."
Seufzend verschränkte ich die Arme auf dem Tisch und versteckte meinen Kopf zwischen ihnen.
Immer musste ich alles versauen!
DantesBrotherVergil: wie kann man einen doofen ersten eindruck wieder gutmachen? :c
Ich klopfte mit dem Daumen auf meiner Handyhülle herum. Christopher war gerade nicht online und ich fühlte mich völlig aufgelöst und mies. Fietes Ausbruch war mittlerweile fast zehn Minuten her und er ignorierte mich weiterhin, obwohl ich direkt neben ihm saß.
DantesBrotherVergil: ich mag diesen jungen und ich glaube, ich habe ihn
Stopp, ich hatte ja noch gar nicht herausgefunden, ob Christopher Homo- oder Bisexuelle gut leiden konnte. Lieber keine Risiken eingehen.
Schnell löschte ich den Text und fing wieder von vorne an.
DantesBrotherVergil: ich mag dieses mädchen und ich habe die ganze zeit nur über brüste geredet und jetzt hält sie mich für einen idioten
Irgendwie klang das auch nicht richtig. Ich wüsste aber auch nicht, wie ich es anders umschreiben könnte.
DantesBrotherVergil: hilf mir! ó.ò
Vibrationen – war Christopher etwa online gekommen?
UnofficialChris: Wtf?
UnofficialChris: Das will ich gar nicht wissen
UnofficialChris: Ich schwöre, ich bin nur von Wichsern umgeben. Im Internet und im Reallife
Das klang nicht gut.
Ich kaute auf meiner Unterlippe herum. Vielleicht war es nicht unbedingt schlau gewesen, Christopher deswegen anzuschreiben. Heute gelang mir aber auch gar nichts!
DantesBrotherVergil: ich wollte nicht nerven
DantesBrotherVergil: sorry :c
Danach war er direkt wieder offline.
Enttäuscht packte ich mein Handy weg und kickte mit meiner linken Schuhspitze gegen das Tischbein rechts von mir.
Jetzt hatte ich sie beide verärgert.
Erst weitere Achtundzwanzig Minuten später guckte Fiete schließlich nicht mehr wie Drei-Tage-Regenwetter-mit-Gewitterwarnung.
„Ich wollte dich nicht ärgern. Ich bin nur nicht gut mit Worten", fing ich an, aber mein Entschuldigungsversuch wurde sofort von ihm unterbunden.
„Egal jetzt. Lass uns den Mist einfach hinter uns bringen. Je eher ich dich wieder loswerde, desto besser." Er rümpfte die Nase, ich ließ die Schultern nach unten sacken.
Keine Ahnung, warum ich es nicht schaffte, ihn dazu zu bringen, mich zu mögen. Dabei gab ich mir doch alle Mühe.
„Gut." Fiete rieb sich kurz über die Augen. „Weiter im Text. Machst du sonst was, das ich erwähnen könnte? Nebenjobs, oder so?"
„Ähm." Ich nickte zögerlich. „Hab zwei Stück. Am Wochenende kellnere ich in einer kleinen Pizzeria und dienstags trage ich Zeitungen aus. Das ist zwar nicht cool, aber es macht Spaß und man ist viel an der Sonne und-"
Ich verstummte, als ich Fietes Blick bemerkte, wie er über meinen Körper tanzte – oder eher über meine Anziehsachen.
Unwohl zupfte ich mein Oberteil zurecht. Eigentlich machte ich mir persönlich nicht viel aus Geld und es war mir auch schnuppe, ob sich jemand Markenkleidung oder einen umfunktionierten Kartoffelsack überwarf, aber eigentlich wurde ich auch nicht mit regelrechten Röntgenblicken malträtiert.
„Ich, also", er starrte mich immer noch an, „ich spare auf ein Auto."
„Mh." Noch ein letztes Blinzeln, dann war er mit seiner Begutachtung fertig und ich konnte wieder durchatmen, obwohl das komplett unsinnig war. Meine Klamotten hatten weder Flecken noch Löcher, waren frisch gewaschen und dufteten sogar nach Weichspüler. Sie waren eben nur etwas älter und aus dem Discounter, aber das hieß nicht, dass sie deswegen schlechter waren als andere.
Ich ließ von meinem Shirt ab und scannte nun im Gegenzug Fietes Sachen ab – Levi's Pulli, eine modische Jeans, blitzeblanke Nikes und an den Knöcheln prangten die Schriftzüge von Puma-Socken.
Unmöglich, da mitzuhalten. Er spielte in einer vollkommen anderen Liga.
„Alles klar, mehr brauche ich nicht." Fiete klappte seinen Laptop zu und lehnte sich in seinem Stuhl nach hinten. „Den Rest dichte ich mir zusammen."
Ob er mich langweilig fand?
Ich schüttelte den Kopf und drückte den Rücken durch. Von so etwas Banalem wie nicht existentem Vermögen würde ich mich nicht runterbuttern lassen! Das war, wie gesagt, sowieso nebensächlich. Man sollte sich in den Menschen und nicht in dessen Besitz verlieben. Außerdem hatten mir Disneyfilme beigebracht, dass finanzielle Unterschiede einer Freundschaft nicht im Weg stehen konnten! Und einer Liebe erst recht nicht!
Okay!
„Wollen wir uns dann jetzt ans Beratungsskript machen?"
„Leider ja." Er moserte ein bisschen, aber es klang nicht mehr wütend, nur müde, und das war ein gutes Zeichen. Es bestand also noch Hoffnung auf eine Freundschaft!
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