04 Omega
"Hey, du siehst gut aus. Jetzt gibt es keine Möglichkeit mehr, deine Schwangerschaft zu verbergen, stimmt's?" Mein Om tritt aus dem Haus und auf die Terrasse hinter dem Westflügel von Cavendish Castle, wo ich sitze und die wärmende Sonne sowie den Blick auf die Blumenbeete genieße. Ihm folgt Maurizio, der neuerdings sein ständiger Begleiter ist. Mein Om beugt sich zu mir runter, um mich kurz zu umarmen, was ich erwidere. Als er versucht, meinen Bauch zu berühren, halte ich ihn allerdings mit meinen eigenen Händen davon ab. Meine Verweigerung tut ihm weh, aber er akzeptiert sie. Er weiß sehr wohl, was er mir angetan hat und dass er mein Misstrauen verdient hat. Was er nicht weiß ist, dass es nichts mit ihm zu tun hat, sondern mehr mit mir und meinen Männern. Ich bin so süchtig nach ihrer ständigen Aufmerksamkeit für meinen Bauch und das Baby darin, dass ich jede andere Berührung als störend empfinde. Selbst bei meinem Arzt muss ich die Zähne zusammenbeißen.
"Selber hey, setzt euch. Habt ihr euch schon etwas zu trinken bestellt?"
Maurizio nickt und beide setzen sich, mein Om neben mich und sein Alpha an seine andere Seite. Nach meinem Drei-Monats-Termin im OCC besuchte Maurizio mich zum ersten Mal und war beeindruckt von dem, was er vorfand. Seitdem gab es zwei weitere Besuche von anderen Mitgliedern aus dem Haus de Audley. Wir haben sie genauso freundlich empfangen wie Maurizio. Ich bin gespannt, ob das Oberhaupt ihres Hauses auch einmal kommen wird. Alpha würde sich sehr darüber freuen.
Henno, der vor einiger Zeit als mein persönlicher Assistent angefangen hat, kommt heraus, um die bestellten Getränke zu bringen und zu fragen, ob ich noch etwas möchte, bevor er wieder verschwindet. Ich mag ihn. Er ist ruhig, hört gerne zu, aber hat selbst nicht viel zu sagen. Das totale Gegenteil von meinem Om.
"Wie läuft es denn zwischen dir und Papa?" Papa hat endlich mit AJ gesprochen und mich seitdem zweimal besucht, aber nur kurz und allein. Er hat sein Fehlverhalten zugegeben und mich um Vergebung gebeten. Da ich ihm die bereits gegeben hatte, war es nicht schwer, sie zu wiederholen. Er sorgte auch dafür, dass ich alle meine persönlichen Gegenstände bekam, und ich gab ihm mein altes Handy zurück. Es ist nur ein brüchiger Frieden, aber immerhin.
"Wir haben endlich eine Einigung über unsere Scheidung gefunden und ich werde ihn bis Ende des Monats verlassen." Er seufzt und ich kann Bedauern in seinem Gesicht sehen, aber auch Entschlossenheit. "Nachdem ich endlich den Alpha in meiner Nähe entdeckt habe, der all die Jahre in mich verliebt war, habe ich beschlossen, mein Glück bei ihm zu versuchen. Glücklicherweise hat er nie aufgehört, mich zu lieben, selbst nachdem meine Handlungen mich zu einem Kriminellen haben werden lassen."
Mir gefällt, wie Maurizio Silkos Hand nimmt, um ihn zu unterstützen, aber der Aussage nicht widerspricht. Er mochte nicht, was mir von meinen Eltern angetan worden ist und dass ich jetzt glücklich und zufrieden mit meinem Leben bin, macht das Verbrechen nicht weniger schlimm.
"Er kämpft nicht um dich? Das war zwar zu erwarten, aber ist deshalb nicht weniger traurig, oder?" Papa kämpft auch nicht um mich. Nicht wirklich. Immerhin versucht er auch nicht, mich und meine Entscheidungen zu bekämpfen, worüber ich sehr froh bin. Aber die Bitte, mich regelmäßig besuchen zu dürfen, oder ein Angebot für einen sicheren Platz, falls die Dinge im Haus Cavendish für mich schiefgehen, sind bisher auch nicht erfolgt. Zwischen "nicht hassen" und "lieben" liegt eben noch ein himmelweiter Unterschied.
"Warum sollte er auch? Es gab Zeiten, in denen ich dachte, er überwacht mich, weil er wirklich eifersüchtig ist, aber das war er nie. Alles, was er im Kopf hat, ist der Untergang von Haus Richmond und wie er ihn verhindern kann. Um die Wahrheit zu sagen, bin ich an einem Punkt, an dem ich ihm das wünsche." Die Verbitterung in seiner Stimme ist nachvollziehbar, aber ich lenke trotzdem ein.
"Sag das nicht. Er hat wirklich viele Fehler gemacht, aber er hatte auch eine Menge Pech in seinem Leben. Und er ist immer noch mein Vater."
"Es tut mir leid, du hast recht. Und das habe ich auch. Fehler gemacht, meine ich. Ich hätte ihn zur Rede stellen und selbst um eine gleichberechtigte Scheidung bitten sollen, anstatt dich zu benutzen, um zu bekommen, was ich will. Das war total egoistisch von mir und ich bereue es von ganzem Herzen."
Damals dachte er, dass er keine andere Wahl hatte, aber er hat es auch nie in Frage gestellt. Im Nachhinein hat sich herausgestellt, dass er immer einen Platz im Hause de Audley hat, wie ich übrigens auch, überraschenderweise. Mein Vater hat alles dafür getan ihn diesbezüglich zu entmutigen, aber mein Om hat das auch zugelassen. Für alles was meine Eltern getan haben gibt es gewisse Gründe, aber das ändert nichts daran, dass sie ihren Anteil an Schuld tragen. Mein Om hat das bisher weit mehr begriffen, als mein Papa.
"Das Haus de Audley ist mit eurer Entscheidung einverstanden, zusammen und außerhalb eines Hauses zu leben?" Maurizio lacht und meine Om kichert. Auch ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen.
"Die haben dabei nichts zu sagen. Sie können uns höchstens aus der Familie schmeißen, wenn sie mit Maurizio und mir als Paar nicht einverstanden sind, aber das haben sie bisher nicht getan und wir rechnen auch nicht damit. Ich wurde nicht auf dieselbe Weise von ihnen verraten, wie ich es mit dir getan habe, weißt du? Es war meine eigene Entscheidung, den großen Richmond zu heiraten. Und da ich unfruchtbar bin, birgt meine Beziehung mit Maurizio auch keine Gefahr in Sachen Inzucht."
"Weißt du, dass du vielleicht nicht völlig unfruchtbar bist?"
"Oh, glaube mir, das bin ich. Der Eierstock ist zerstört und kann nicht ersetzt werden."
Mein Blick fällt auf die andere Frau von Cavendish Castle, die im Blumenbeet vor uns arbeitet. Es stellte sich heraus, dass sie durchaus zufrieden hier ist, weil Frauen im Hause Cavendish nicht einfach als Huren für die Betas dienen müssen, wie es in anderen Häusern durchaus vorkommt. Selbst unter der Führung von RJ waren sie dahingehend geschützt. Aber als Frau bekam sie auch keine andere Aufgabe zugeteilt und durfte vor allem keine Arbeit verrichten, die als schwer eingestuft wurde. Sie arbeitete jedoch leidenschaftlich gerne im Garten und vermisste das sehr. Wir konnten das Problem recht einfach lösen, zumal es unter den Gärtnern viele freie Arbeitsplätze gab, da diejenigen, die das Haus beim Machtwechsel des Familienoberhaupts verließen, überwiegend aus dieser Gruppe stammten. Und aus der Gruppe der Wachen. Darüber verlor sie auch ihre Angst. Jetzt ist sie glücklich und ein gutes Vorbild für andere Mitglieder, vor allem in niederen Positionen.
"Wie hat Emily es ausgedrückt? Ach ja. Du hast auch einen Schwanz, den du benutzen kannst." Ich spüre, wie meine Haut feurig zu glühen anfängt, aber ich halte es aus und deute mit meinem Kinn in Richtung der Frau zwischen den Blumen.
"Ähm, nein! Kann ich nicht!", schüttelt mein Om den Kopf.
"Doch, kannst du. Du brauchst zwar eine Frau dafür, aber du bist definitiv nicht unfruchtbar."
Maurizio ist verblüfft, aber mein Om lässt nicht von seiner Meinung ab.
"Ich mag Frauen aber nicht, da gibt es keine Anziehungskraft zwischen uns und keine Möglichkeit, bei ihrem Anblick hart zu werden. Manche Dinge kann man nicht ändern, und ich mag Männer. Das werde ich immer tun." Als Maurizio hustet, zieht er den Kopf zwischen die Schultern und grinst ihn an. "Okay, ich mag einen Mann." Das bringt ihm einen flüchtigen Kuss ein. Das ist gut für die beiden. Maurizio hat ein bisschen Glück verdient, und wenn es mit meinem Om ist, bin ich damit einverstanden. Es ist ja nicht so, als ob er damit eine Familie zerstört oder meinem Vater die Liebe seines Lebens raubt. Also warum nicht?
"Es ist schon komisch, weißt du?", beginne ich damit, mein Fachwissen zu teilen, das ich durch meine Recherchen erlangt habe. "Als unsere Vorfahren mit dem offiziellen Projekt Omega begannen, erklärten die meisten Männer in der Stadt, sie seien heterosexuell, was bedeutet, dass sie sich nur zu Frauen hingezogen fühlten. Aber die meisten von ihnen konnten dem Geruch eines Omegas in Hitze nicht widerstehen. Man wusste schon damals, dass Sexualität ein Spektrum ist und sich sogar im Laufe eines Lebens ändern kann, aber so fanden sie heraus, dass es genauso wenig rein heterosexuelle Männer gibt, wie rein homosexuelle. Die meisten Menschen sind bi mit unterschiedlich starken Tendenzen zur einen oder anderen Seite, können sich aber zu beiden Seiten hingezogen fühlen, wenn der richtige Partner kommt."
Mein Om legt den Kopf zurück, schließt die Augen und erinnert sich. "Es gibt Betas, die so sind ... hetero ... das kann ich dir sagen. Ich habe mit ein paar von ihnen geflirtet und sie haben nie eine Reaktion gezeigt. Und es war nicht nur Selbstdisziplin und Unterdrückung ihrer Gefühle. Sie bevorzugten es einfach weich und gemütlich." Er erschaudert und ich lache laut auf.
"Wenn ich Emily heutzutage zur Begrüßung umarme, fühlt es sich so verrückt an. Als wäre etwas im Weg, das einen daran hindert, sich wirklich nahe zu kommen."
Er sieht mich neugierig an. "Spürst du eine sexuelle Anziehung?"
Ich schaudere wie er vorhin und wir lachen beide. "Nein, nie. Aber manchmal, wenn meine Hormone mich wieder grundlos zum Heulen bringen, mag ich es, wie warm und weich sie mich halten kann."
Wir sitzen eine Weile schweigend da, und das ist etwas Neues an meinem Om. Er wackelt mit einem Bein und spielt mit Maurizios Fingern, aber wenn er den Mund öffnet, dann nur, um sich mit der Zunge die Lippen zu befeuchten oder an der Unterlippe zu knabbern. Ewig hält er das natürlich nicht aus. "Und? Bist du glücklich, Cosimo?", fragt er ganz ernsthaft, und ich weiß, dass er es nicht nur tut, um sich weniger schuldig zu fühlen. Er liebt mich wirklich, er hat es nur in einem schwachen Moment vergessen. Das macht es nicht leichter, ihm wieder zu vertrauen, aber es heilt mein gebrochenes Herz nach seinem Verrat ein wenig.
"Ich bin glücklicher als je zuvor!", gestehe ich offen und zeige es auch.
Es gibt ein paar Dinge, die mich noch glücklicher machen würden, aber darüber möchte ich mit niemandem außer meinen Männern sprechen. Ich denke, ich werde sie bald wissen lassen müssen, was in mir vorgeht. Ich schiebe es vor mir her, weil ich mir nicht sicher bin, welche meiner Gefühle echt und welche hormonell bedingt sind. Aber plötzlich habe ich das Gefühl, dass ich nicht warten kann, bis das Kind geboren ist. Ich muss es ihnen bald sagen.
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