03 Beta
Als ich Cosimo gestern Abend in seinem Schlafzimmer zurückließ, stellte ich fest, dass sich die Gefühle, die sich in der kurzen Zeit unseres Zusammenseins in mir für ihn aufgebaut haben, nicht so einfach abschütteln ließen. Und wir reden hier lediglich von ein paar Stunden.
Er ist ein netter Kerl und bereit, das Spiel mitzuspielen, in das er hineingezogen wurde. Er ist außerdem stark und packt den Stier bei den Hörnern, in dem er seine Chance mit AJ nutzt, obwohl ihm nicht einmal Liebe versprochen wurde. Und er ist so süß, dass ich ihn den ganzen Tag knuddeln und festhalten möchte. Und letzteres ist wirklich beunruhigend, weil ich selbiges noch nie zuvor so stark für jemand anderen gefühlt habe. Nicht einmal für AJ, der nicht der Kuscheltyp ist, wie bei einem Alpha nicht anders zu erwarten.
Ich liege viel zu früh, viel zu wach in meinem Bett und warte darauf, dass die Zeit vergeht, bis ich endlich aufstehen, duschen und frühstücken gehen kann. Dabei versuche ich, diese neuen Gefühle zu erkunden.
Zwischen mir und Cosimo existiert eine Anziehungskraft, die ich nicht leugnen kann. Wenn ich nicht in einer Beziehung wäre, würde ich nicht zweimal überlegen und mein Glück mit ihm versuchen. Aber ich bin es und meine Gefühle für AJ haben seit gestern kein bisschen nachgelassen. Im Gegenteil, wenn ich sehe, wie er sich um diesen Omega kümmert? Die Art und Weise, wie er ihn ohne zu Zögern zu seiner eigenen Verantwortung macht? Das macht ihn nur noch liebenswerter für mich. Und genau das verwirrt mich über alle Maßen.
Als Doula bin ich an ausufernde und verwirrende Gefühle von schwangeren Omegas gewöhnt, um die ich mich bis zur Geburt und darüber hinaus kümmere. Deshalb sollte ich in der Lage sein, diese Situation zu analysieren. Wie es aussieht, ist es schwieriger als erwartet, wenn es dabei um meine eigenen verdammten Gefühle geht, die meinen Verstand in Chaos versetzen.
Mein Wecker klingelt und ich schüttele die Gedanken ab, um in meinen Tag zu starten. Ich werde wohl einfach abwarten müssen, um zu sehen, wo das hinführt. Diese Überlegungen hebe ich mir besser für einen anderen Tag auf, wenn ich mehr über ihn, AJ, mich und unser neues Zusammenleben herausgefunden habe.
Auf dem Treppenabsatz vor der Treppe nach unten treffe ich auf Cosimo, der anscheinend auf mich gewartet hat und mich mit einem schüchternen Lächeln begrüßt.
"Ich hoffe, es macht dir nichts aus, aber ich bin noch ein bisschen zu nervös, um alleine durch dieses Haus zu laufen. Ich habe gehört, wie du dich fertig gemacht hast. Also habe ich beschlossen, auf dich zu warten, damit wir gemeinsam zum Frühstück gehen können. Um ehrlich zu sein bin ich mir auch nicht sicher, wo ich eigentlich hin muss, obwohl du mir gestern alles gezeigt hast."
So. Verdammt. Süß.
"Du hättest auch anklopfen können. Ich bin für dich da, weißt du?"
Ein weiteres schüchternes Lächeln, aber seine nächsten Worte zeigen nicht die gleiche Schüchternheit. "Das ist gut zu wissen."
Wir reden darüber, wie wir geschlafen haben - beide gut, danke - während wir die Treppe hinunter gehen, nur um am nächsten Treppenabsatz auf AJ zu treffen, der dort auf uns wartet. Es gibt auf seiner Etage viele kleine, gemütliche Räume zum Essen, entspannen und mehr, die ich für dieses private Treffen bevorzugen würde, aber unser Alpha möchte Cosimo nicht direkt mit unserer Nähe überfordern und sicherstellen, dass er sich seiner eigenen Entscheidungsmöglichkeiten bewusst ist.
"Guten Morgen ihr zwei, das ist mal ein schöner Anblick für wunde Augen so früh am Morgen."
Er klingt, im Gegensatz zu sonst, viel zu munter und ich schätze seinen Versuch, die Stimmung für Cosimo aufzulockern, der sich zwischen uns fehl am Platze fühlen muss. Also tausche ich nur einen kurzen Kuss mit meinem Liebsten aus, bevor ich die Führung übernehme, und den Platz neben Cosimo an AJ übergebe, der ihn wie angeboten einnimmt. Als wir das Erdgeschoss erreichen, wissen wir dann auch alle über unseren nächtlichen Schlaf Bescheid, sodass wir das Gespräch auf interessantere Dinge verlegen können.
Der offizielle Salon, um Gäste zu empfangen und zu bewirten, ist unter anderem mit einem Esstisch für bis zu 10 Personen und Anrichten ausgestattet, auf denen bereits ein großes Frühstücksbuffet aufgebaut ist. Weiterhin gibt es einen edlen Lounge-Bereich mit Kamin und großem Fernseher und sogar eine kleine Bar. Der ganze Raum ist nicht sehr heimelig, aber zumindest auch nicht protzig.
Es gibt einen ähnlichen, doch viel größeren Saal im Haupthaus, aber AJ mag kleinere Versammlungen und die Möglichkeit, seinen Vater dabei auszuschließen.
Der Tisch ist nur auf einer Seite gedeckt, für den Alpha am Kopfende und einen Gast auf jeder Seite. So sitzen wir alle nah beieinander, ohne dass zwei Leute eine Front gegenüber dem Dritten bilden. Die Chance dafür, dass sich AJ nicht an den Kopf, sondern auf einen der anderen Plätze setzen und seinen Platz einem anderen überlassen würde, ist normalerweise groß. Ich bin schon jetzt gespannt, wie Cosimo darauf reagieren wird, wenn es eher früher als später passiert. Aber heute scheint AJ darauf erpicht zu sein, seinen rechtmäßigen Platz einzunehmen.
Ein junger Beta ist da, um uns zu bedienen, wenn wir es wollen. Er und sein Om arbeiten nur in diesem Flügel und sind AJ gegenüber sehr loyal. Als wir unsere Speisen und Getränke auswählen, freue ich mich darüber, wie viel Cosimo bereits darüber weiß, welche Lebensmittel man bevorzugt und welche Getränke man in einer Schwangerschaft vermeiden sollte. Es ist nicht verwunderlich, dass er sich in seiner Rolle als zukünftiger Om so leicht zurechtfindet, da er ganz offensichtlich dazu erzogen wurde. Aber es ist gut zu sehen, dass er damit seinen Frieden geschlossen hat, obwohl ihm diese Rolle aufgezwungen wurde.
"Cosimo, ich hoffe, es macht dir nichts aus, aber ich muss heute Morgen die Nachrichten einschalten." AJ hasst es, wenn der Fernseher von den Gesprächen bei Tisch ablenkt und ich mag diese Eigenschaft an ihm. Die 8-Uhr-Nachrichten kündigen sich mit der üblichen Erkennungsmelodie an, dann beginnen sie auch schon mit der neuesten Information des Tages, die nicht nur für uns, sondern auch für die Stadt von größtem Interesse ist.
"Gestern Abend hat Andrew James Cavendish den Vorstand gebeten, die Leitung von Haus Cavendish und seinen Sitz im Vorstand der Stadt zu übernehmen, nachdem er seinen Vater, Robert James Cavendish, in eine psychiatrische Pflegeeinrichtung einweisen lassen musste. Einige seiner jüngsten Entscheidungen machten deutlich, dass sein Unrechtsbewusstsein und die Wahrnehmung der Realität stark eingeschränkt sind. Der Vorstand unserer Stadt stimmte der Einschätzung der Ärzte zu, wünschte Robert Cavendish für seine Zukunft alles Gute und erklärte seinen Sohn Andrew zum neuen Familienoberhaupt."
Als der Nachrichtensender weitere Informationen zu einem späteren Zeitpunkt ankündigt, schaltet AJ den Fernseher aus und lächelt mich so breit an, dass es weh tun muss. Er nimmt meine Hand und sieht mir tief in die Augen.
"Ab sofort gibt es keinen Grund mehr, unsere Beziehung geheim zu halten."
Ich lächle zurück, aber dann wandern meine Augen zu Cosimo hinüber und ich runzle die Stirn. Er sieht unsicher und ein bisschen hilflos aus und ich muss etwas dagegen tun.
"Aber wir müssen es auch nicht direkt von allen Dächern schreien, oder?"
AJs Augen sind meinen gefolgt und sehen Cosimo jetzt nachdenklich an, als ich wieder zu ihm schaue.
"Ich will nicht mehr lügen, aber du hast Recht. Wir können uns Zeit lassen und gemeinsam in unsere Rollen hineinwachsen. Doch hier im Haus sollten wir es auf jeden Fall entsprechend verkünden, denn ich will hier keine Missverständnisse aufkommen lassen. Wir drei sollten hier glücklich so leben können, wie wir es wollen, ohne uns verstellen zu müssen."
Er wendet sich mir zu und lächelt sanft und dankbar, für mein Verständnis. "Solange du weißt, dass ich bereit bin, damit auch an die Öffentlichkeit zu gehen." Ich nicke und er drückt mir einen schnellen Kuss auf die Lippen.
"Alles andere überlasse ich gerne euch beiden."
"Dankeschön!"
Cosimo und ich sprechen den Dank zur gleichen Zeit aus, was uns alle breit grinsen lässt und die Spannung, die sich zuvor über uns gelegt hatte, bricht. Eine Weile unterhalten wir uns locker über Belanglosigkeiten, aber nachdem das Frühstück beendet und das Geschirr abgeräumt ist, richtet AJ sich auf, strafft seinen Rücken und sieht uns ernst an. Es ist nicht zu übersehen, dass er weitere, schlechte Neuigkeiten für uns hat.
"Ihr müsst heute erneut zu einem Großteil auf mich verzichten. Nachdem wir mit unseren Leuten gesprochen haben, was ich gerne mit euch gemeinsam tun würde, muss ich noch etwas Büroarbeit erledigen und mich am Nachmittag noch einmal mit dem Vorstand treffen, um mich dort allen als einer von ihnen vorzustellen. Außerdem wird es heute Abend um acht eine Pressekonferenz geben, um dasselbe bei den Menschen in Albetome City zu tun."
Ich kann nicht glauben, dass es endlich passiert, aber ich unterbreche AJs Rede nicht, dessen Aufmerksamkeit jetzt wieder voll und ganz auf Cosimo gerichtet ist. Zum Feiern wird sich später noch eine Gelegenheit ergeben.
"Aber zuerst muss ich dir noch ein weiteres Geheimnis meiner Familie verraten, das deine kommenden Entscheidungen beeinflussen könnte."
Er holt tief Luft, nimmt eine von Cosimos Händen in seine eigenen und beginnt dann, ihm von seinem Om zu erzählen, der ihn zwar austragen konnte, aber dann an etwas erkrankte, dass seinen Körper dazu brachte, seine Geburtsorgane abzustoßen. Jedes betroffene Organ musste komplett entfernt werden und sein Om für den Rest seines Lebens schwere Medikamente einnehmen, um weitere Abstoßungen zu vermeiden und ihn am Leben zu erhalten.
"Es ist eine spezielle Krankheit, die auf einem genetischen Defekt basiert, unter dem nur Omegas direkt leiden müssen, also musste ich mir nie Sorgen um mich selbst machen. Aber es ist erblich. Der Ehemann meines Großvaters hat es in meine Familie gebracht und es könnte unseren Sohn betreffen, entweder als Träger dieses Defekts wie ich oder, schlimmer noch, sollte Junior ein Omega sein."
AJ stellt sofort klar, dass es ihm, anders als man es von einem Alpha erwartet, vollkommen egal wäre, ob sein Sohn ein Alpha oder Omega ist, wenn da nicht diese Gefahr drohen würde.
"Ich habe einige Nachforschungen angestellt, nachdem mein Om mir auf seinem Sterbebett davon erzählt hat, und mich testen lassen. Dabei habe ich genug erfahren, um mich gegen die Zeugung eines Kindes zu entscheiden. Aber mein Vater hat es nun erzwungen und so womöglich unseren Sohn zum gleichen Schicksal verdammt wie meinen Om."
Schweigen breitet sich am Ende seiner Rede aus und lastet schwer auf unseren Schultern. Dieses Kind zu haben, wäre hilfreich für AJs Karriere. Die meisten Alphas hätten dieses Geheimnis für sich behalten. Die meisten Alphas würden die Liebe zu mir ebenfalls geheim halten. Sie würden den Omega heiraten und ihn und sein Kind so lange benutzen, bis sie sich als Oberhaupt und Vorstandsmitglied ausreichend etabliert hätten, und sich anschließend nicht mehr darum kümmern, was mit ihnen geschieht.
AJ ist nicht wie die meisten Alphas und ich glaube ihm, wann immer er mir sagt, dass es andere wie ihn gibt. Deshalb liebe ich ihn und folge ihm, selbst wenn er die Alpha-Maske aufsetzt, um in der großen Politik mitzuspielen, die Albetome mit festgefahrenen Hierarchien von oben herab regiert, statt in einem gerechten Miteinander. Es herrschen Stärke und Angst statt Demokratie und Fürsorge.
"Danke. Ich schätze deine Ehrlichkeit und Offenheit. Jetzt muss ich erst mal selbst recherchieren."
Cosimos Haltung hat sich verkrampft, vollkommen überwältigt von all den Veränderungen, die auf ihn einstürzen, aber als seine Blicke auf meine treffen, sehe ich in ihnen ein Feuer brennen, das seine Kampfbereitschaft für sich selbst anzeigt. Also beantworte ich seine Frage, ob ich ihm bei der Entscheidungsfindung helfe, nur zu gern mit Ja. Und das ist keine Aufgabe, bei der ich Angst haben muss, ihm aufgrund von Interessenkonflikten Unrecht zu tun. Als Doula spricht meine Stimme normalerweise für das ungeborene Baby, das nicht für sich selbst sprechen kann und in zweiter Linie für den Om. Aber ich müsste ein Hellseher sein, um zu ermessen, in welcher Weise dieses Kind betroffen sein könnte und wie es selbst darauf reagieren würde. Da gibt es zu viele Möglichkeiten. Stattdessen werde ich mich darauf konzentrieren, mit ihm zusammen so viel wie möglich über diese Krankheit herauszufinden, damit er dann seine eigene Wahl treffen kann. Eine Wahl, mit der er für den Rest seines Lebens leben muss.
"Ich möchte, dass du weißt, dass ich dich in jeder Weise unterstützen werde, die du dir wünschst oder brauchst. Dein Platz im Haus Cavendish ist auch sicher, unabhängig von deiner Entscheidung."
AJ entschärft damit das Damoklesschwert über Cosimos Kopf und erhält dafür ein erneutes, dankbares Nicken. Ich habe noch nie einen Omega mit solcher Kraft und unbeugsamen Willen gesehen. Seine Jugend macht ihn nur umso beeindruckender.
Gemeinsam erheben wir uns und Cosimo geht zu AJ und zieht ihn in eine Umarmung. Mein Freund sieht mich entschuldigend über Cosimos Schulter hinweg an, zögert aber nicht, die Umarmung zu erwidern und ich zeige ihm meine anerkennende Zustimmung. Er hat ihm eine starke Freundschaft versprochen und ich bin mir sicher, Umarmungen und vielleicht sogar Streicheleinheiten gehören dazu. Ich bin auch nicht eifersüchtig, warum sollte ich? Ich hoffe eher auf meine eigenen Kuscheleinheiten mit diesem bewundernswerten jungen Mann.
"Du musst diese Entscheidung zusammen mit mir treffen, okay? Sobald ich bereit bin, werde ich zu dir kommen und wir werden reden."
AJ ist gerührt von Cosimos Forderung und umarmt ihn etwas fester und ich freue mich, das zu sehen. Komisch, aber wahr. Auch das muss ich baldmöglichst genauer erforschen. Aber jetzt ist nicht die Zeit dafür.
"Das gefällt mir. Aber denk daran, es gibt nur ein kleines Zeitfenster, in dem wir uns noch für eine Abtreibung entscheiden können."
"Ich werde mich darum kümmern, dass wir rechtzeitig zu einer Entscheidung kommen, versprochen."
Mit meiner Zusicherung sind Alpha und Omega bereit, sich wieder zusammenzureißen und der nächsten Herausforderung zu stellen. Eine Versammlung aller Mitglieder, die im Haus Cavendish wohnen und arbeiten, und die er gestern Abend bereits angeordnet hatte.
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