10 Alpha
"Glaubst du, sie kommen zu diesem Termin?"
Justin steht dicht bei mir und blickt neugierig zwischen dem Haupteingang und mir hin und her. Ich sitze auf einem der Stühle, die im Wartebereich in einer Reihe installiert sind, lehne mich zurück, auch wenn es unbequem ist und wirke so entspannt und selbstbewusst, wie man es von einem Alpha-Erben erwartet.
"Ich habe nicht den geringsten Zweifel!"
Die letzten zwei Wochen habe ich hart daran gearbeitet, dass mein Vater in Rente geht, aber er begreift es einfach nicht. Heute Morgen habe ich ihm gesagt, wenn ich heute Abend mit meinem Verlobten und meinem ungeborenen Kind nach Hause komme, wird es zu spät sein für einen freiwilligen Rücktritt. Er hat mich ausgelacht. Armer alter Dad, ich fange an zu glauben, dass ich ihm nichts Unrechtes tue mit dem, was ich für ihn geplant habe.
Ich habe auch dafür gesorgt, dass sich mein zukünftiger Mann bei mir sicher und geborgen und sogar ein bisschen verwöhnt fühlt, auch wenn ich ihm nicht nahe sein konnte. Ich habe ihm fast täglich kleine Geschenke geschickt und dafür gesorgt, dass sein Vater ihn nicht wieder vom Internet abschneidet. Wenn wir uns jeden Abend per Face Call unterhielten, hörte ich ihm aufmerksam zu und stellte sicher, dass jeder seiner Fragen anständig beantwortet wurde. Gleichzeitig habe ich mehr über ihn erfahren.
Er muss nicht wissen, dass ich alles einsehen kann, was er mit meinem Gerät im Internet recherchiert. Es hilft mir dabei, Richmonds Pläne herauszufinden, der nicht so dumm ist wie mein Vater. Allerdings ist Robert auch viel älter als Richmond und vielleicht schon ein bisschen senil. Richmonds Anwalt ist auch schon von der älteren Sorte und wahrscheinlich nicht auf dem neuesten Stand bei den Änderungen im Familienrecht, insbesondere was Omega-Rechte betrifft.
Cosimos Recherche über die Möglichkeit, die Klasse des Babys vor der Geburt herauszufinden, sowie die Risiken, die dieser invasive Eingriff birgt, sagten mir mehr über Richmonds Pläne als ein Gespräch mit ihm.
"Solange ich noch nicht die Führung von Haus Cavendish übernommen und den Vertrag für ungültig erklärt habe, muss er sich an ihn halten, wenn er seinem Wunsch nach einem Erben nahe kommen will. Sobald das geschieht, will er mir die Hand seines Sohnes verweigern, um mich zur Fortführung des Vertrages zu zwingen."
Justin sieht mich ungläubig an, bevor er einmal kurz und bellend auflacht. "Wo lebt der eigentlich, hinterm Mond? Oder soll ich fragen ... ah, muss ich nicht mehr."
Die Familie Richmond ist angekommen und wird auch von ihrem Anwalt begleitet. Er ist älter als mein Vater und einer der größten Kämpfer gegen Omega-Rechte. Sein Anblick alleine gibt meinem Freund die Antwort, nach der er gesucht hat.
"Ich brauche einen kurzen Moment mit Cosimo alleine. Kannst du die anderen ablenken?"
Mein Freund nickt und nähert sich der Gruppe mit einem breiten Grinsen und einem großen Hallo. Es ist faszinierend zu sehen, wie er in die Gruppe eintaucht, Silko bezaubert und die Alphas alarmiert, während er Cosimo ignoriert und ihn versehentlich von den anderen trennt, so dass ich ihn noch etwas mehr zur Seite ziehen kann.
"Wie geht es dir, Cosimo?"
Er strahlt mich an, sichtlich erfreut mich hier zu sehen, und nickt. "Sehr gut. Ich habe mich fast nur mit meiner Schwangerschaft beschäftigt und alles über Ernährung, geeigneten Sport wie Yoga und die Vorteile eines regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus herausgefunden."
Ich mag seinen Eifer und dass er bereit ist, sich trotz der Schicksalsschläge, die ihm seine Eltern beschert haben, in sein Leben zu fügen und das Beste daraus zu machen. Er ist erst achtzehn und soll erst mit einundzwanzig reif genug für eigene Entscheidungen sein, aber im Moment wirkt er erwachsener als alle anderen in diesem Spektakel.
"Freut mich zu hören. Irgendwelche Bedenken?"
Er zögert, dann nickt er langsam. "Einige der Probleme, die ich in Bezug auf Schwangerschaftsverläufe herausgefunden habe, machen mich nervös, sogar ein paar der Verfahren bei der Schwangerschaftsvorsorge."
Ich nehme seine Hände in meine und halte sie fest. Gut, dass ich schon weiß, wovon er spricht, das spart uns Zeit, die wir nicht haben.
"Bitte nimm dir gleich bei dem Termin alle Zeit, die du brauchst, um alle Fragen anzusprechen. Erzähl dem Arzt auch von deinen Sorgen und frag ihn nach seinen Empfehlungen. Sprich auch an, was du willst und was nicht. Es ist dein Körper und niemand hat das Recht dir zu sagen, was damit passiert, außer dir."
"Obwohl ich erst achtzehn bin?"
Ich sehe, dass dies neu für ihn und wichtig ist und ihm daher tief in die Augen; ignoriere dabei bewusst den Pfleger, der seinen Namen ruft ebenso wie die Anderen. Die bemerken erst jetzt, dass ihr Schützling bei mir und nicht bei ihnen steht und kommen deshalb näher.
"Ja!" erkläre ich unverblümt und lasse ihn die Wahrheit dieses einfachen Wortes in meinem Gesicht mit einem harten Blick und einem sanften Lächeln sehen.
Er nickt, dreht sich um und nähert sich dem Pfleger, welcher große Augen bekommt, als er die dem Patienten folgende, riesige Entourage bemerkt.
"Auf keinen Fall! Nur einer darf mit rein. Wer ist der Vater des Babys?"
Ich muss darüber schmunzeln und trete vor. "Das bin ich."
"Aber er ist unser Sohn und er ist erst achtzehn, also werde ich oder sein Om mit ihm reingehen." Richmonds Worte lassen mein Lächeln wachsen, während ich beobachte, wie der Pfleger die Stirn runzelt.
Meinem Freund entkommt ein leises Stöhnen. "Zu einfach."
Der Pfleger konzentriert sich derweil wieder auf Cosimo, legt schützend einen Arm um dessen Schultern und zieht ihn mit sich. "Also, wen möchtest Du bei dir haben? Und denk daran, keinen ist auch eine Möglichkeit."
Ich mag den Pfleger jetzt schon, und als Cosimo seine Blicke hilfesuchend auf mich richtet, zeige ich ihm einen Daumen nach oben, der ihn zum Lächeln bringt. Ich mag es, dass er meine Meinung der seiner Eltern vorzieht.
"Keiner klingt gut!"
Beide Eltern versuchen dagegen Einspruch zu erheben, aber an der Tür beendet der Arzt diese Störung ein für allemal. "In diesem Raum geht es um den Patienten und Sie werden das respektieren und geduldig hier draußen warten."
Damit schließt der Arzt die Tür und das Warten beginnt.
Richmond wird umso aufgeregter, je länger es dauert. Anders als ich. Jede weitere Minute bedeutet, dass Cosimo eine weitere Frage stellt und die Antworten bekommt, die er braucht, um sich entscheiden zu können, was er als nächstes tun will. Natürlich möchte ich, dass er in meinem Interesse entscheidet, aber dabei habe ich durchaus auch seine eigenen Interessen im Blick. Deshalb setze ich große Hoffnung in das Personal dieses Hauses und das gerade stattfindende Beratungsgespräch.
"Mit zwei Fremden und ohne Anleitung ist es für ihn nicht sicher. Wer wird ihm all die Sachen erklären und wer wird ihn beschützen? Der ganze Termin dauert schon länger als geplant, er ist offiziell vor ein paar Minuten abgelaufen." Richmonds Worte, die er mit seinem Anwalt wechselt, werden mit der Zeit immer lauter und mittlerweile zieht er die Aufmerksamkeit des anderen Personals und schließlich auch eines Alpha-Arztes auf sich.
"Viel zu einfach!" Mein Freund schüttelt ungläubig den Kopf, während er Richmond zusieht, der den Zettel mit dem Termin und die aktuelle Uhrzeit auf seiner Uhr dem Arzt zeigt und dessen Eingreifen fordert. Als der Arzt sich hilfesuchend nach weiteren Erklärungen umsieht, bietet ihm mein Freund welche an.
"Es geht um seinen Omega-Sohn. Er hat meinen Mandanten kennengelernt, als er in Hitze war, und jetzt ist er schwanger und zu seinem ersten Termin für die Schwangerschaftsvorsorge hier."
Ein Stirnrunzeln ist bei jedem Einzelnen des herumstehenden, medizinischen Fachpersonals zu sehen, das dem Drama lauscht.
"Warum war ein geschützter achtzehnjähriger Omega während seiner Hitze außerhalb seines Schutzraums unterwegs?" Die Ablehnung in der Stimme des Arztes ist kaum zu überhören und ich muss mir ein weiteres Lächeln verkneifen. Ich halte den Atem an, um zu sehen, ob Richmond die Bedrohung wahrnimmt, aber er tut es nicht. Vielleicht hätte er eine Chance gehabt, indem er Lügen über unregelmäßige Hitze und regelmäßiges Ausreißen erzählt hätte. Doch stattdessen greift sein Anwalt ein.
"Er war nicht außerhalb des Hauses, das war er nie. Mein Mandant weiß, wie er seine Omegas schützen muss."
Er spricht das mit der gleichen Ignoranz gegenüber Omega-Rechten aus, die auch Richmonds Beschwerden beinhalten, was damit die perfekte Wirkung auf das gesamte OCC-Personal hat. Jetzt ist es an der Zeit, meinen eigenen Senf dazuzugeben und mich in das Gespräch einzubringen.
"Er hat Recht, es ist bei ihm zu Hause passiert. Sie haben mich eingeladen und ich wurde in die Nähe des unverschlossenen Raums geführt, in dem der Omega verweilte. Ich wusste bei meiner Ankunft nichts von dem Geschenk, das man dort für mich bereit hielt. Aber ich habe es auch nicht lange hinterfragt und jetzt werde ich Vater."
Ich schaue glücklich aus und rede stolz daher, scheinbar zufrieden mit dem Verlauf der Geschehnisse und begierig darauf, mich um alles zu kümmern. Ich zeige mich als den Alpha, der ich bin und lasse jeden wissen, dass mich keine Schuld an all dem trifft.
"Sie sind Andrew Cavendish?" Fragt der Mann an der Rezeption und ich nicke. "Er hat den Termin gemacht", erklärt der Rezeptionist daraufhin dem Arzt und vollendet damit das Bild, das ich mich bemüht habe, aufzuzeigen. Ich bin nicht nur unschuldig an dem, was passiert ist, sondern auch bereit, die volle Verantwortung für das zu übernehmen, was daraus entstanden ist und mich dabei um das Wohlergehen des Omegas zu kümmern. Ich bin nicht der Böse in dieser Tragikomödie.
Endlich öffnet sich die Tür des Behandlungsraums und Cosimo kommt heraus, flankiert von dem Arzt und dem Pfleger.
"Alpha Richmond?" fragt der Arzt mit strenger Miene in die Runde und konzentriert sich dann auf die richtige Person, als dieser sich bemerkbar macht. "Haben Sie für Ihren Sohn bereits einen Termin zur invasiven Pränataldiagnostik vereinbart, ohne ihn nach seiner Meinung zu fragen oder mit ihm über die Risiken für ihn und das Baby zu sprechen?"
Ein verärgertes Gemurmel vom umstehenden Personal und sogar einigen anderen Patienten bringt Richmond zum Verstummen. Leider sieht sein Anwalt die Zeichen der Zeit nicht und beginnt sich aufzuplustern. Wirklich tragisch, aber auch komisch.
"Um Gottes Willen, der Junge ist erst achtzehn, sein Vater ist derjenige, der ihn führt und schwierige Entscheidungen für ihn trifft. Es gibt sonst niemanden, der sich um ihn kümmert."
Das ist mein Stichwort. Ich trete vor und gehe auf ein Knie. Ich ziehe den Ring aus meiner Tasche, den ich extra dafür habe anfertigen lassen und überreiche ihn dem Om meines Babys. "Cosimo Richmond, wir wurden ungefragt zusammengewürfelt und jetzt trägst du mein Kind unter deinem Herzen. Ich habe das Meinige für dich geöffnet und frage dich: Willst du mir auch einen Platz in deinem Herzen geben und mich heiraten?"
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro