Morgenappell (2|1)
Am nächsten Morgen erwachte ich mit dem fernen Klang von Glocken in den Ohren und Bruins Haaren im Gesicht. Dadurch wurde mir wieder bewusst, was in den vergangenen Stunden vorgefallen war. Ich erinnerte mich an unseren Weg durch die Stadt, in Begleitung einer Eskorte angetrunkener Drachenkrieger, die wie eine vagabundierende Horde durch die Straßen gezogen waren und dabei einen Lärm verursacht hatten, dass es ganz Gronholt aufgeweckt haben musste. Und ich erinnerte mich auch an das bange Warten auf Eldastins Erscheinen.
Doch man konnte über meinen Verlobten sagen, was man wollte, aber er war nicht dumm genug, um sich mit einem ganzen Bataillon Drachenkrieger auf einmal anzulegen. Das bedeutete nur leider auch, dass er immer noch draußen herumlief ...
Mein Blick wanderte durch die Schlafstube meiner kleinen Mietswohnung.
Blasses Morgenlicht drang durch die hölzernen Fensterläden herein und malte streifenförmige Muster auf den Webteppich, den ich vor Jahren auf einem sandalusischen Basar erstanden hatte. Das Bett, das Bruin und ich uns teilten, lag in einer Mauernische und war normalerweise mit einer Gardine vom Rest des Raumes abgetrennt. Doch nicht in dieser Nacht. In dieser Nacht hatte ich die Gardine weit zurückgezogen, damit ich alles hören und sehen konnte, was um mich herum vorging. Allerdings war die Nacht – bis auf das Gesinge und Gegröle der Drachenkrieger – ruhig und ereignislos verlaufen. Trotzdem fühlte ich mich wie gerädert.
Innerlich stöhnend kletterte ich über Bruin hinweg aus dem Bett, das bei jeder Bewegung ein dumpfes Knarzen von sich gab.
Bruin grummelte leise und drehte sich auf die andere Seite. Dabei zog sie die Bettdecke mit sich und rollte sich darin ein, bis sie an einen menschengroßen Kohlwickel erinnerte. Aus Erfahrung wusste ich, dass sie am Morgen immer schlecht gelaunt war. Deshalb beschloss ich, sie schlafen zu lassen und mich auf Zehenspitzen in die angrenzende Wohnstube zu schleichen. Einen eigenen Bereich zum Kochen besaß meine Wohnung nicht. Im alten Hafenbezirk von Gronholt war es noch immer Brauch, dass die Bewohner zum Kochen oder Backen öffentliche Küchen aufsuchten. Dafür besaß ich ein eigenes Bad mit einer fast schon modernen Wasserleitung.
In der Wohnstube wurde ich von den Drachenkriegern empfangen. Ein paar von ihnen wirkten schon wieder recht munter, andere hatten noch mit den Nachwirkungen ihres Alkoholkonsums zu kämpfen. Offenbar war es Teil der Drachenkrieger-Tradition, sich am Tag der Rückkehr in heimatliche Gefilde bewusstlos zu saufen. Außerdem schien es Drachenkrieger-Tradition zu sein, sich in einem fremden Haushalt so zu verhalten, als wäre man selbst dort Zuhause.
Das musste ich jedenfalls vermuten, beim Anblick der ungewaschenen, nur noch nachlässig bekleideten Halbniederlinge, die sich munter an meinen Sachen bedient und jede einzelne Schublade aufgezogen hatten. Dabei hatten sie ein solches Chaos angerichtet, dass ich für einen Moment mit dem Gedanken spielte, sie alle augenblicklich meiner Wohnung zu verweisen.
Aber dann schluckte ich meinen Ärger herunter und machte gute Miene zum bösen Spiel.
Allerdings konnte ich es mir nicht verkneifen, den beiden Männern, die mit einer antiken Maribel auf Blechdosen warfen, das Spielzeug abzunehmen.
Die beiden beschwerten sich lautstark. Einer von ihnen schleuderte einen stinkenden Stofflappen nach mir, von dem ich hoffte, dass es sich nicht um eine Unterhose handelte.
Ein weiterer Drachenkrieger hatte sich meine Vitrine mit den Fundstücken von der Bruchstätte vorgeknöpft und hantierte sorglos mit Objekten, von denen manche immerhin ein schwaches magisches Potential besaßen. Nicht genug, um ihn in ein Kamel zu verwandeln, aber genug, um noch mehr Chaos zu verursachen.
Ich wies ihn an, alles sofort stehen und liegen zu lassen. Dann suchte ich nach Ludvik.
Ich fand ihn im Bad. Er und ein anderer Krieger lagen in meiner Kupferwanne und schwadronierten in blumiger Prosa von ihren Heldentaten – auf dem Schlachtfeld und im Bett. Während Bruin Frauen bevorzugte und Männer lediglich als Nahrung betrachtete, war Ludvik allen Geschlechtern und Kreaturen gegenüber aufgeschlossen, auch wenn er bei seinen Kameraden als Weiberheld galt und auch nichts tat, um diesem Eindruck entgegenzuwirken.
»Ludvik ... kannst du deinen Freunden vielleicht sagen, dass sie die Finger von meinen Sachen lassen sollen?«
»Guten Morgen, meine Zuckerfee«, lallte Ludvik und prostete mir mit einer leeren Blumenvase zu. Was aus den Ilbisröschen geworden war, die bis gestern Abend noch darin gestanden hatten, wollte ich lieber nicht so genau wissen. »Hast du auch so gut geschlafen?«
»Ich habe ausgezeichnet geschlafen. Danke der Nachfrage«, erwiderte ich frostig.
Meine schlechte Stimmung war jedoch nur zum Teil auf das Verhalten seiner Kameraden zurückzuführen. Vielmehr war es so, dass ich eine schreckliche Angst davor hatte, wieder auf mich alleine gestellt zu sein. Aber was sollte ich dagegen unternehmen? Ich konnte mich ja nicht ewig mit einer Horde Drachenkriegern Zuhause verstecken. Immerhin warteten auf der Arbeit jede Menge magische Artefakte auf mich, die überprüft und katalogisiert werden wollten.
»Könnt ihr bitte nicht noch mehr Durcheinander anrichten, bevor ihr geht?«
Ludvik brauchte zwei Anläufe, um sich in der Wanne aufzusetzen. »Musst du echt schon los?«
»Was ist mit euch?«, gab ich zurück. »Werdet ihr nicht auf dem Übungsplatz erwartet?«
»Heute noch nicht«, erwiderte Ludvik und rubbelte sich mit den Händen über das Gesicht. Seine dunklen Augen waren blutunterlaufen. Vermutlich hatte er in der vergangenen Nacht überhaupt nicht geschlafen. »Unsere Kommandanten wissen, dass wir heute zu nichts zu gebrauchen sein werden. Deshalb haben wir frei.« Er ließ die Hände wieder sinken. »Sollen wir dich zur Universität begleiten?«
»Bloß nicht.« Als mir klar wurde, wie das klingen musste, ergänzte ich: »Ihr habt schon genug für mich getan. Außerdem sind Soldaten auf dem Universitätsgelände nicht gerne gesehen. Und Drachenkrieger erst recht nicht.«
Ludvik zog eine Grimasse.
»Bruin kann mich begleiten«, ergänzte ich. »Und auf der Arbeit bin ich von jeder Menge Menschen und Anderlingen umgeben. Da wird Eldastin nicht wagen, mich anzugreifen.«
Zugegeben, der letzte Teil war frei erfunden. Woher sollte ich wissen, zu was Eldastin bereit war? Unser Verhältnis war schon immer angespannt und nicht gerade von Vertrauen geprägt gewesen – und das nicht, weil ich es nicht versucht hätte. Doch Eldastin war ein reinblütiger Alb und das bedeutete, er ließ niemanden an sich heran. Das, was ich mir von ihm gewünscht hätte – irgendeine Form von emotionaler Verbindung – hatte er mir nicht geben können. Und das, was er sich vermutlich von mir gewünscht hatte – reines Blut und ein entsprechendes Benehmen – hatte ich ihm nicht geben können. Es war müßig, darüber nachzugrübeln.
»Alina!«
Die Stimme gehörte Bruin.
Kurz darauf stolperte sie auch schon ins Badezimmer.
Als sie mich entdeckte, hielt sie inne, lehnte sich an den Türrahmen und massierte die Stelle zwischen ihren Augenbrauen.
»Guten Morgen.«
»Als ich aufgewacht bin, warst du nicht mehr da. Ich dachte, dir wär was passiert«, nuschelte Bruin. Ihr zartes Nachtgewand bedeckte kaum die wichtigsten Stellen, was ihr jede Menge aufdringliche Blicke seitens der Drachenkrieger bescherte. Natürlich mussten die meisten von ihnen wissen, dass Bruin eine Buhlerin war, aber das hielt sie nicht davon ab, sie anzustarren, bis ihnen fast die Augen aus dem Kopf kullerten.
»Tut mir leid. Ich wollte dich nicht wecken.«
Bruin winkte ab. »Schon gut.« Sie ließ die Hand zu ihrem Mund wandern, um ein herzhaftes Gähnen zu verdecken. »Wie spät ist es?«
»Die Glocken haben schon zum Morgenappell geläutet«, antwortete Ludvik. »Das heißt ... kurz nach sieben.«
Bruin nickte langsam und schien innerlich Kraft zu sammeln, bevor sie mich ansah. »Machen wir uns auf den Weg?«
Ich stimmte in ihr Nicken mit ein, obwohl ich mich überhaupt nicht wohl dabei fühlte, die Sicherheit meiner Wohnung zu verlassen.
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