Enferische Lunte (4|2)
»Eldastin?«, hauchte ich. »Was ist das?«
Eldastin betrachtete die Feuerraupe mit mäßigem Interesse. »Die enferische Lunte von gestern Nachmittag.«
»Aber ... ich dachte ...«, stammelte ich, während ich die Beine anzog und nach meiner Wolldecke tastete. »Ich dachte, die wäre ich los.«
»Oh nein«, erwiderte Eldastin kopfschüttelnd. »So leicht wird man eine enferische Lunte nicht los.«
Mit einem leisen Schrei sprang ich aus dem Bett, warf meine Decke über die Feuerraupe und trampelte darauf herum, bis die Flammen erloschen waren.
»Das ist leider nur eine vorübergehende Lösung«, sagte Eldastin. »In ein paar Stunden wird sie wieder aufflammen und deine Verfolgung aufnehmen.«
»Und was kann man dagegen tun?«
»Du musst den Verursacher finden und töten.«
»Ach so«, murmelte ich und rieb mir mit den Händen über das Gesicht. »Kleinigkeit ...«
»So klein auch wieder nicht.«
Ich ließ mich wieder aufs Bett sinken und stöhnte. »Das war Sarkasmus.«
Eldastin, der bereits den Mund geöffnet hatte, um seinen Worten noch etwas hinzuzufügen, schloss ihn wieder und schwieg.
Zum Glück ertönten genau in diesem Moment polternde Schritte. Kurz darauf wurde der Schlüssel im Schloss umgedreht, die Tür schwang ruckartig nach innen auf und Ludvik erschien auf der Schwelle. Er war von Kopf bis Fuß mit einer dunklen Schmiere aus Staub, Asche und Blut bedeckt. Trotzdem strahlte er übers ganze Gesicht. »Alina! Du bist wach!«
»Ja ...«, murmelte ich und reckte kurz triumphierend die Arme in die Luft. »Juhu ...«
Ludvik schien meinen mangelnden Enthusiasmus jedoch gar nicht zu bemerken. »Tut mir leid, dass wir dich mit ihm-« Er deutete auf Eldastin. »-hier unten eingesperrt haben, aber er wollte nicht von deiner Seite weichen und ich wollte nicht riskieren, dass er sich heimlich mit dir aus dem Staub macht.«
»Schon gut.« Ich winkte ab. »Was ist mit der Stadt? Wird noch gekämpft?«
»Nein.« Ludviks Lächeln verblasste. Er stemmte die Hände in die Taille und schüttelte den Kopf. »Derzeit nicht. Die Vindr haben sich zurückgezogen. Vorerst jedenfalls.«
»Sie werden zurückkommen«, versprach Eldastin.
Ludvik warf ihm einen gereizten Blick zu. »Und woher weißt du das? Von deiner Vindr-Freundin Zarola?«
»Ich denke, die Art unseres Aufeinandertreffens hat mehr als deutlich gemacht, dass wir keine Freunde sind.«
»Und woher kennst du sie dann?«
»Wir sind uns schon einige Male begegnet. Zuletzt in Vinster.«
Mir fiel buchstäblich die Kinnlade herunter. »Warum warst du in Vinster?«
Vinster war die Hauptstadt der Totlande. Sie lag am Rand der Sickelrimberge, ganz in der Nähe von Sturmbrut, dem Zuhause der Nordvindr. Ein kalter und lebensfeindlicher Ort.
»Das ist jetzt nicht von Belang«, erwiderte Eldastin glatt.
Mein erster Impuls war es, ihm zu widersprechen, aber beim Blick in Ludviks schmutziges Gesicht, auf seinen dichten Bart, den Staub und Asche vorzeitig grau gefärbt hatten, überlegte ich es mir anders und schwieg.
»Na schön, Alben-Lord«, seufzte Ludvik. »Warum tust du uns dann nicht allen einen Gefallen und schwirrst wieder ab? Nach Vinster oder sonst wohin.« Er deutete erst auf mich, dann auf sich selbst. »Lina und ich haben nämlich etwas zu besprechen. Unter vier Augen.«
Eldastin protestierte. »Nach allem, was passiert ist, werde ich meine zukünftige Königin nicht alleine lassen.«
»Ich komme sehr gut ein paar Minuten ohne dich aus«, erwiderte ich mit einem erzwungenen Lächeln.
»Ich denke nicht, dass das eine gute-«
»Eldastin«, fiel ich ihm ins Wort und rieb meine Schläfen. »Deine zukünftige Königin braucht nicht gleich am frühen Morgen schon eine Kopfschmerzattacke. Also ... bitte ...« Ich deutete mit einer vielsagenden Geste zur Tür.
Zu meiner eigenen Überraschung gab Eldastin nach. Wenn auch nur sichtlich widerwillig. Er strich seine Svila glatt, warf Ludvik noch einen drohenden Blick zu und verschwand dann lautlos zur Tür hinaus.
Ludvik grinste breit und winkte ihm zum Abschied. »Hâl viarie. So sagt man doch in Albenheim, oder?« Er wandte sich an mich. »Ich mag diese neue Seite an dir, Alina.«
Ich wechselte schnell das Thema. »Worüber willst du denn mit mir sprechen?«
»Es geht um das hier«, antwortete Ludvik, setzte sich zu mir und zückte eine Boule mit einem roten Papiersiegel.
Rot stand für die höchste Dringlichkeitsstufe. Nur Boules mit dem goldenen Siegel, das Königen, Ratsherren und anderen Würdenträgern vorbehalten war, wurden noch schneller durch das Gronholter Rohrpostsystem geschleust. Dieser Service ging mit einem erhöhten Preis einher. Rote Boules waren alles andere als billig – und meine Neugier war geweckt.
»Was ist damit?«
»Die ist von Bruin.«
Ich reagierte blitzschnell, schnappte Ludvik die Boule aus der Hand, klappte den Deckel auf und fummelte die Nachricht heraus.
Mit zittrigen Fingern strich ich das Papier glatt und musste enttäuscht feststellen, dass ich die darauf befindlichen Linien und Kringel nicht lesen konnte. Den komisch geschwungenen Betonungszeichen nach zu urteilen, handelte es sich um irgendeinen Niederling-Dialekt.
»Das ist Purgarisch«, erklärte Ludvik. »Bruins Muttersprache, wenn man so will.«
»Kannst du das lesen?«
Ludvik lächelte verlegen. »Nein, aber Osvalt hat es für mich übersetzt.«
»Und was steht da?«
Vorsichtig nahm Ludvik mir den Brief ab, als befürchtete er, ich könnte ihn vor lauter Aufregung zerknittern. »Ich hab dir doch gesagt, dass Bruin noch etwas Wichtiges zu erledigen gehabt hätte. Erinnerst du dich?«
Ich nickte stumm. Ludviks geheimnisvolle Art machte mich ganz hibbelig.
»Nun ... Bruin schreibt, dass sie glaubt, etwas über deine enferische Lunte zu wissen. Noch genauer: Sie glaubt, zu wissen, wer sie dir auf den Hals gehetzt hat.«
»Wer denn?«
»Ein Kerl namens Maggott.«
»Kenn ich nicht ... nie gehört.«
Ludvik schmunzelte. »Zum Glück. Maggott ist sowas wie ein Gronholter Unterwelt-Boss.«
»Es gibt eine Gronholter Unterwelt?«, fragte ich entgeistert.
»Na ja, es ist nicht wie in Malachit oder Koseldam, aber auch in Gronholt wird gestohlen und mit verbotener Ware gehandelt.«
»Mit Artefakten?«
Ludvik zuckte mit den Schultern. »Wo wird nicht mit Artefakten gehandelt? Aber ... soweit ich weiß ...« Er räusperte sich und senkte die Stimme zu einem eindringlichen Flüstern. »...und das ist reines Hörensagen ... wird auf dem Gronholter Schwarzmarkt vor allem mit Manroos-Saft gehandelt – und der ungekrönte Manroos-König von Freymold ist niemand anderes als Mak Maggott.«
Ich runzelte die Stirn. Die Ausdrucksweise meines Freundes machte mich misstrauisch. »Hast du mal Manroos-Saft getrunken?«
Ludvik lachte gekünstelt. »Ach was, Lina ... den Saft trinkt man doch nicht, den-«
Er schien zu merken, dass ich ihn ertappt hatte, denn er hielt inne, senkte den Blick und lächelte peinlich berührt.
»Bei allen guten Winden, Lu«, seufzte ich. »Du weißt doch, wie schnell das Zeug abhängig macht.«
»Nur Menschen«, erwiderte Ludvik. »Mein Niederling-Blut macht mich so gut wie immun.« Er präsentierte mir noch einmal Bruins Nachricht. »Aber darum geht es doch jetzt gar nicht. Bruin verdächtigt diesen Maggott, dir die enferische Lunte angehängt zu haben.«
Mein Blick wanderte wie von selbst zu meiner Bettdecke, die noch immer auf dem Boden lag. »Und wieso hätte er das tun sollen?«
»Keine Ahnung«, sagte Ludvik. »Aber der Kerl ist gefährlich und Bruin schreibt, dass sie ihn aufsuchen wollte. Das muss gewesen sein, kurz bevor die Vindr angegriffen haben. Seitdem hab ich nichts mehr von ihr gehört. Ich war sogar am Pittapott, um nach ihr zu sehen, aber sie war nicht da.«
»Sie könnte überall sein, oder?«
Ludvik nickte. »Natürlich. Aber ...«
»Aber du hast ein ungutes Gefühl«, vervollständigte ich.
Ludvik ließ die Schultern hängen und nickte erneut. Seine Sorge war ansteckend, denn aus Erfahrung wusste ich, dass auf das Gefühl eines Niederlings Verlass war. Während Oberlinge ihre Magie aus dem eigenen Ungleichgewicht der Elemente gewannen, bezogen Niederlinge ihre magischen Fähigkeiten aus ihrer Umgebung, von anderen Niederlingen oder Menschen. Aus diesem Grund machten viele von ihnen auch Jagd auf Menschen. Außerdem waren Niederlinge geschickte Beobachter und entwickelten im Laufe ihrer Existenz ein gutes Gespür für die Welt um sich herum – anders als Oberlinge, die meist nur mit sich selbst beschäftigt waren. Das bedeutete, wenn Ludvik ein ungutes Gefühl hatte, war vermutlich irgendetwas geschehen, selbst wenn er es nicht beweisen oder in Worte fassen konnte.
»Verdammt«, murmelte ich, faltete die Hände und verschränkte die Finger ineinander.
Ludvik pflichtete mir bei.
Nach kurzem Schweigen nahm ich es auf mich, unsere Gedanken auszusprechen. »Wir müssen Bruin suchen.«
»Ich werde sie suchen gehen«, sagte Ludvik. »Du regelst diese Königin-Sache.«
»Auf keinen Fall werde ich nach Albenheim aufbrechen, ohne zu wissen, was aus Bruin geworden ist«, hielt ich dagegen. »Immerhin hat sie sich wegen mir in Gefahr begeben. Außerdem muss ich wissen, wer mir diese enferische Lunte angehängt hat.«
Und ihn töten, ergänzte ich in Gedanken, auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, irgendjemanden zu töten. Ich war ein friedliches Wesen, das niemandem wehtat und nur in Ruhe sein Leben leben wollte. Wieso wurde mir dieser Wunsch immer wieder verwehrt?
Hör auf zu jammern, sagte ich zu mir selbst. Wegen dir sind gestern Dutzende Menschen ums Leben gekommen. Du hast kein Recht, dich zu beschweren.
»Lass uns diesen Maggott suchen«, schlug ich vor. »Danach verlasse ich sofort die Stadt.« Entschieden fügte ich hinzu: »Wegen mir soll kein Freymanne mehr leiden müssen.«
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