...ein gutes dreiviertel Jahr später - die Produktion des ersten Harry Potter Teils „Der Stein der Weisen" war bereits voll im Gange...

...und Alans Schicksal begann sich in 1300km Luftlinie in Gang zu setzen...

...das Projekt Meeting.

Anna war mittlerweile 28 Jahre alt und hatte in ihrer verhältnismäßig kurzen Karriere doch schon einiges gesehen. Sie hatte gleich nach der Grundschule eine Ausbildung zur Maskenbildnerin mit den zusätzlichen Aufbaulehrgängen, Frisörin/Perückenmacherin und diverse Kurse zur plastischen Gestaltung von Narben und Körperteilen absolviert. Mit diesen ineinandergreifenden Berufen konnte sie hinter der Bühne in der Maske direkt im Showbiz arbeiten.

Diese Branche faszinierte sie schon von klein auf, aber das Rampenlicht war nichts für sie. Wiederum die Prominenten und Schauspieler für ihre Auftritte vorzubereiten war ihr Ding.

Obwohl sie in vielen Projekten tätig war und immer Abwechslung vorhanden war, wurde ihr durch die Routine etwas langweilig.

In der namhaften Agentur, in der sie tätig war, stand wieder einmal nach längerer Zeit ein größeres Meeting mit den Mitarbeitern an.

Anna ging mit einem brühendheißen Kaffee in den großen Besprechungsraum und setzte sich auf einen freien Platz. Die Mitarbeiter waren bunt gemischt von jung bis alt. Sie zählte zwar zu den Jüngeren, hatte aber für ihr Alter mit eine der besten Ausbildungen. Viele hatten nur einen Ausbildungszweig und waren daher nicht für alle Projekte geeignet. Das war Annas Glück, sie hatte immer die größte Auswahl.

Gedankenverloren sah sie aus der großen Fensterfront, die den Blick auf die Donau freigab. Sie nippte an ihrem schwarzen Kaffee, während die neuen Projekte vorgestellt wurden. Anna konnte sich anfangs für nichts davon so richtig erwärmen. Das große Projekt, in dem sie derzeit mit zwei Kollegen mitwirkte, kam gerade zum Ende, somit war sie wieder frei für einen neuen Auftrag.

„So, nun kommen wir zu unserem letzten Mammut Auftrag!", rief der Projektchef und Anna horchte auf. „Dieser Job ist etwas ganz Besonderes! Ich sage euch zu allererst die Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen. Dann erst erkläre ich euch, um was es geht. Und zwar handelt es sich um einen Job für eine einzige Person. Derjenige muss sehr gut Englisch sprechen. Noch dazu kommt, dass es für längere Zeit nach England geht und der Beruf des Maskenbildners, Frisör und Perückenmacher verlangt wurde. Es ist ein bereits länger laufendes Projekt und man wird praktisch mitten in das Chaos geschmissen. Es ist relativ spontan und sie konnten in England niemand Passendes finden, daher wurden wir dafür beauftragt. Derjenige, der dorthin reist, muss sich auch bewusst sein, dass er ein halbes Jahr nicht nach Hause kommt. Daher ist es für Leute mit Familie eher ungeeignet. Deshalb muss ich sagen das nicht wirklich viele in diesem Raum übrigbleiben!", beendete der Chef seinen langen Monolog.

Anna begann es in den Fingern zu kribbeln. Das war doch wie für sie gemacht, alle Voraussetzungen wurden von ihr erfüllt. Ohne lange zu zögern, stand sie auf und sagte: „Ich würde gerne diesen Job übernehmen! Aber es würde mich doch interessieren, um welches Projekt es sich handelt."

„Gut Anna, du hast den Job! Er passt auch wirklich perfekt für dich. Und ja, das kann ich dir auch gleich sagen. Es handelt sich um die Produktion des ersten Teils der Harry Potter Film Reihe ‚Der Stein der Weisen'!", schrie er über das Gequatsche.

Nun waren alle Kollegen im Raum hellhörig geworden, als diese von Harry Potter hörten. Nicht wenige schauten Anna neidisch, oder missgünstig an.

Andy regte sich sogar auf: „Hey warum bekommt sie diesen Job?!"

Innerlich verdrehte Anna die Augen. Klar doch musste sich ihr Exfreund wieder dämlich aufspielen. Obwohl er zehn Jahre älter war, war er so unreif und kindisch. Eigentlich bevorzugte sie ja ältere Männer, aber bei Andy nutzte selbst dieser Altersunterschied nichts. Er war einer der männlichen Exemplare, die leider nie erwachsen wurden und ewig unreif blieben. Sie war froh, schon länger wieder Single zu sein. Dieser Auftrag würde ihr gerade recht kommen, nur weg von allem und jeden.

„Ganz einfach Andy, weil sich keiner gemeldet hat außer ihr!", widersprach der Leiter.

„Ja, aber hätte ich gewusst, dass es um Harry Potter geht, hätte ich mich auch gemeldet!", rief Andy nun erzürnt.

„Da kann ich nur eines sagen, Pech gehabt Andy! Ich muss dir jetzt einmal klar und deutlich sagen, dass ich dein Verhalten nicht dulde. Du willst dir immer nur die Sahnestücke aus den Projekten holen, nur damit dein Lebenslauf gut aussieht!", provozierte der Projektleiter Andy.

Anna musste sich ein Lachen verkneifen. Ja, sein Verhalten war einfach lächerlich! Wie konnte sie nur damals mit ihm zusammen gewesen sein.

Daraufhin war die Diskussion schnell beendet und Anna bekam sofort alle Daten und Fakten per Mail zugeschickt. Es würde schon in einer Woche losgehen. Die Besprechung dauerte nicht mehr lange, es wurde nur noch ein paar belanglose Dinge diskutiert.

Sie war froh, endlich aus dem großen Bürokomplex entkommen zu sein. Die Wolken hingen mittlerweile tief am Himmel und kündigten den bereits prognostizierten Regen an. Schnell kaufte Anna noch ein paar Lebensmittel ein, um für den Abend kochen zu können.

Die ersten dicken Regentropfen schlugen am Asphalt auf und verbreiteten den so typischen Duft. Im letzten Moment schaffte sie es noch, mit einem kurzen Sprint, in das Wiener Zinshaus zu gelangen. Als sich die Wolken förmlich öffneten und der Platzregen den Staub von den Straßen wusch. Anna bevorzugte es die Stiegen zu nehmen, um etwas für ihre nicht vorhandene Fitness zu tun. Im 3 Stock angekommen, schloss sie die Türe zur WG-Wohnung auf.

Heute waren anscheinend alle Mitbewohner der WG im eigenen Zimmer oder unterwegs. Jedenfalls genoss Anna die seltene Ruhe in der Gemeinschaftsküche. Schnell schnippelte sie das Gemüse und briet es mit etwas Öl an. Sie mischte den gerade fertiggewordenen Reis hinzu. Als sie das Essen abgeschmeckt hatte, gab sie den Gemüsereis in eine Schüssel und machte in der Küche noch sauber.

Die Mahlzeit würde sie lieber in ihrem eigenen Zimmer einnehmen. Sie schmiss sich auf die Schlafcouch und verschlang ihr Abendmahl. Sie würde die Wohngemeinschaft fürs Erste sicher nicht vermissen! Anna wohnte hier nur, um Geld zu sparen. Das Leben in Wien war recht teuer. Nebenbei überlegte sie bereits, was sie in ihre vorübergehende Heimat England alles mitnehmen musste. Sie begann schon ihre Elektrogeräte und andere Dinge die ihr einfielen auf den kleinen Schreibtisch vorzubereiten.

So also sah das nächste halbe Jahr aus! Ein Aufenthalt in England. Sie konnte es noch immer kaum glauben. Langsam sickerte das Ganze in ihren Verstand und sie konnte ihre eigene Entscheidung nur bewundern. Noch nie war sie so spontan und mutig gewesen, aber am meisten freute sie sich auf das Ungewisse.

Die Woche war schnell vergangen und Anna fuhr mit einem Taxi und jede Menge Gepäck an den Flughafen nach Wien-Schwechat.

Aufgeregt begab sie sich zu ihrem Terminal und gab ihren großen Koffer am Check-in ab. Nach der Sicherheitskontrolle ging sie mit ihrem Handgepäck zum Gate und wartete auf ihren Flug Richtung London-Heathrow.