Kapitel 2
Mara
Ich war überall voller Staub, meine Hände waren von Blut bedeckt und die Haare hingen mir wirr verknotet in die Stirn. All das war mir aber spätestens in dem Augenblick egal, in welchem braune Augen zu mir aufblickten. Im selben Moment nahm ich neben mir ein kollektives Ausatmen war. Erleichterung, die ich zumindest bisher leider noch nicht teilen konnte. Denn auch wenn der junge Mann vor mir nun zumindest wach war, selbstständig atmete und einen einigermaßen stabilen Puls hatte, so wäre doch auch selbst für jemanden ohne medizinisches Fachwissen offensichtlich, dass der schwer verletzt war und eigentlich sofort in ein Krankenhaus gehöre um ihn auf mögliche innere Verletzungen zu untersuchen, die noch immer blutenden Kopfwunde zu versorgen und allgemein weitere Diagnostik vorzunehmen. Von den Splittern, welche sich im Unterbauch durch sein Shirt und in seine Haut gebohrt hatten und dringend in der Klinik fachgerecht entfernt werden mussten mal ganz zu schweigen. Von ihnen ließ ich allerdings konsequent die Finger und kümmerte mich somit wenigstens behelfsmäßig um die Kopfverletzung. Mehr konnte ich kaum tun und ich hasste es.
Trotzdem beruhigte es auch mich ein wenig zu sehen, dass er nun zumindest ansprechbar war und die in nicht allzu weiter ferne ertönenden Sirenen taten das übrige, um meinen nach oben geschnellten Puls zumindest ein wenig zu beruhigen. Jedoch wagte ich es nicht den Blick auch nur eine Sekunde von meinem Patienten abzuwenden. Nicht nur, weil bei vermeintlich so schweren Verletzungen jede Sekunde etwas umschlagen konnte, sondern auch ein wenig, weil ich mir der zahlreichen Blicke die auf mir und den drei Spielern um mich herum ruhten unangenehm bewusst war, Ich hasste es im Mittelpunkt zu stehen. Erst recht während ich arbeiten und mich konzentrieren musste, Und wo sonst bereits ein oder zwei Gaffer mich nervös machten, standen heute etliche Schaulustige von denen manche wirklich dreist genug waren ihre Handys auf die Szene zu halten. Am liebsten hätte ich sie alle angeschrien, ob sie eigentlich komplett den Verstand verloren hatte doch das hatte gerade wirklich keinerlei Priorität.
Nico Schlotterbeckts Blick wurde erst nach mehrmaligem Blinzeln etwas klarer und ich konnte in einen Augen förmlich lesen, wie er vesruchte die ganze Situation irgendwie zu verstehen. Ich wartete gar nicht erst auf den Moment in welchem Verwirrung von Panik abgelöst wurde, sondern hockte mich so, dass ich in seinem Blickfeld war. "Nico? Ich weiß du hast gerade wahrscheinlich Schmerzen und sicher auch Angst aber Hilfe ist gleich da. Ich bin Mara und bin Sanitäterin. Am besten ist es, wenn du jetzt so still wie möglich liegen bleibst und versuchst einfach ganz ruhig zu Atmen. Wie machen das einfach zusammen, okay? Also schau einfach nur zu mir und dann atmen wir beide ganz ruhig und tief ein..." Kurz wanderte sein Blick noch ängstlich umher, schließlich fixierten er sich aber doch auf mich und ich konnte beobachten, wie er tatsächlich mit jedem Atemzug ein klein wenig ruhiger zu werden schien.
Ich hasste es so machtlos hier zu sitzen und kaum etwas tun zu können, denn so sehr er sich auch darauf konzentrierte ruhig zu Atmen, so erkannte ich an seiner komplett verspannten Haltung und den zittern seiner Hände natürlich doch, dass er unglaubliche Schmerzen haben musste, diese jedoch um keinen Preis offen zeigen wollte. Kein Wunder, wenn man wusste, dass wahrscheinlich alles davon in weniger als einer halben Stunde im Internet zu sehen sein würde.
Die Tatsache, dass er in einem solchen Moment noch so darauf bedacht war keine Schwäche zu zeigen imponierte mir, machte mich zur selben Zeit aber unglaublich traurig und vor allem wütend. Deshalb wagte ich es irgendwann auch doch den Blick kurz abzuwenden und fand dabei ein paar ratlos dastehende Hotelangestellte. "Was steht ihr denn nur da rum. Habt ihr nicht mal Decken oder so damit er hier nicht für diese Idioten mit ihren Handys wie auf dem Präsentierteller daliegt?" ging ich sie etwas patziger als gewollt an, doch zu sehen wie Leute einfach nur dastanden und darauf gafften, wie ein Mensch hier gerade vermeintlich ums überleben kämpfte, machte mich einfach fassungslos und wütend. Wie konnte man nur so sein? Nur weil er als Sportler in der Öffentlichkeit stand bedeutete das noch lange nicht, dass die Massen ein Recht darauf hatten in in einem solchen Moment so verletzlich und schutzlos zu sehen.
Tatsächlich waren es aber nicht die Hotelmitarbeiter die auf mich reagierten, sondern sein Kollege Emre, welcher bis eben nicht von seiner Seite gewichen war. Kurz verschwand er im Mannschaftsbus, kehrte dann mit zwei schwarzen Decken zurück und drückte jedem der Angestellten ein entsprechendes Ende in die Hand, damit uns so zumindest weitestgehend von den neugiereigen Blicken abschirmen konnten. Auch zwei der Polizisten kamen ihm schließlich noch zur Hilfe und so hatte Nico endlich einen einigermaßen geschützten Raum.
Fast sofort änderte sich daraufhin seine gesamte Körperhaltung und plötzlich wirkte er so verletzlich und klein, dass es mir auch nach allem was ich in den letzten Jahren bereits zu Gesicht bekommen hatte noch ein wenig das Herz brach. Da war plötzlich keine mühsam aufrecht erhaltene Kontrolle mehr, sondern Angst, Schmerz und Verzweiflung. Und ich war vollkommen machtlos. Konnte nichts tun als weiter beruhigend auf ihn einzureden, mit ihm gemeinsam gegen den Schmerz anzuatmen und irgendwann, als ich es nicht mehr aushielt das Zittern seiner Finger zu beobachten, seine Hand zu nehmen und mit ihm darauf zu warten, dass endlich ein RTW mit Personal und Equipment kam, damit man ihm richtig helfen konnte.
"Die Anderen, geht es ihnen gut?" Es waren die ersten Worte, die er sagte seitdem ich zu ihm gekommen war und die Tatsache, dass er direkt nach den anderen fragte, traf irgendwo in mir einen wichen Punkt. Dieser Mann war gerade von einem Auto überfahren worden, hatte schwere äußere und wahrscheinlich auch innere Verletzungen, die potenziell seine Karriere beende, oder sogar lebensgefährlich für ihn werden könnten. Von den Schmerzen welche er haben musste mal ganz zu schweigen. Und trotzdem galt seine erste Frage seinen Mitmenschen.
Würde ich danach gehen, was mein Ausbilder mir stets eingetrichtert hatte, würde ich ihn jetzt anlügen. Würde ihm sagen, dass er sich keine Gedanken machen sollte. das alles gut war. Aber das fühlte sich falsch an. Immerhin hatte er das Chaos ja selbst gesehen und gehört und er müsste nur den Kopf etwas nach Links drehen, um zu sehen, dass einer seiner Kollegen noch immer sichtlich unter Schock stehend neben der Tür des Mannschaftsbusses saß und sich den blutenden Arm hielt. Ich entschied mich also für eine abgemilderte Version der Wahrheit. "Du solltest dir wohl tatsächlich am meisten Gedanken um dich selbst machen. Soweit ich gesehen habe, sind die meisten deiner Kollegen unversehrt davongekommen oder zumindest nicht so schwer verletzt wie du." Vielleicht hätte ich auch letzteres laut Lehre nicht sagen sollen aber ich war mir sicher, dass das Adrenalin bei ihm durchaus so weit nachgelassen hatte, dass ihm ohnehin bewusst war, dass er einiges abbekommen hatte.
"Vielleicht solltest du dann trotzdem lieber denen helfen. Ich liege hier doch ohnehin nur rum." Kam es leise zurück und obwohl die Situation alles andere als zum lachen war, musste ich doch zumindest leicht lächeln. "Ich bin genau da, wo ich gerade am dringendsten gebraucht werde", erwiderte ich sanft und meinte als Reaktion sogar zu spüren, wie er leicht meine Hand drückte, welche er inzwischen ohnehin schon so fest umklammerte, als wäre sie das einzige was ihn in diesem Moment davon abhielt, komplett die Kontrolle zu verlieren.
Es fühlte sich an, als wäre eine halbe Ewigkeit vergangen, bis endlich das Orange eines RTW in meinem Sichtfeld erschien und ich konnte in diesem Moment wohl zum ersten Mal nachempfindet, wie erleichtert Angehörige oder Ersthelfer:innen waren, wenn wir an einem Einsatzort eintrafen. Hinter dem ersten Einsatzwagen folgten noch etliche weitere und da einer der bei uns stehenden Polizisten bereits auf dem Weg war, um die Kolleg:innen vom Rettungsdienst in Empfang zu nehmen, blieb ich einfach unverändert neben Nico hocken. "Gleich wird dir richtig geholfen, du hast das Schlimmste also geschafft und bekommst dann direkt auch etwas gegen die Schmerzen." Ich konnte mir eine Floskel a la "Das wird alles wieder" oder "Alles wird gut" gerade noch verkneifen. Denn wer wusste das schon? Wer wusste, ob sie im Krankenhaus nicht schlimme innere Verletzungen finden würden? Ob seine Verletzungen nicht zumindest das Aus für seine Karriere als Profisportler bedeuten würden? Ich konnte nichts davon wissen und so sehr ich ihn auch aufmuntern wollte, falsche Hoffnungen würden ihm auch nicht weiterhelfen.
"Rettungsdienst, wir übernehmen das ab jetzt. Machen sie uns bitte Platz zum arbeiten" ich wurde bestimmt von jemandem zur Seite geschoben, ohne überhaut bemerkt zu haben, dass ein RTW-Team bereits zu uns gestoßen war und sich bereits daran machte das Equipment auszubreiten. Ich spürte noch, wie Nico trotzdem versuchte meine Hand festzuhalten, doch dann schob sich auch ein Notarzt zwischen uns und sperrte mich wie eine bloße Zuschauerin aus der Situation aus.
Ich musste mich zusammenreißen nicht zu widersprechen, doch wusste ich auch, dass es das Beste war die Anderen einfach ihre Arbeit machen zu lassen. Ohne jegliches Equipment hatte ich ohnehin kaum etwas vorzuweisen, was bei einer Übergabe wirklich weitergeholfen hätte und das wichtigste war einfach, dass ihm jetzt schnell richtig geholfen wurde.
Trotzdem fühlte ich mich jetzt, wo Polizei, Rettungsdienst und auch mehrere Notärzte vor Ort waren plötzlich ziemlich überfordert und auch irgendwie hilflos. Ich war es nicht gewohnt in einem solchen Szenario mittendrin zu sein ohne einen klaren Plan und klare Anweisungen zu haben. Ich war zwar hier, mittendrin aber ich konnte nichts weiter tun als zusehen. Ich beobachtete, wie ein Einsatzleiter versuchte endlich etwas Struktur in das ganze Chaos zu bekommen, sah wie Polizisten dafür sorgten, dass Unbeteiligte aus der direkten Umgebung und hinter frisch aufgebaute Absperrungen verschwanden und wie Sanitäter sich systematisch den Verletzen annahmen. Mein Blick wanderte zu zwei schwarzen Planen, die immer das absolut schlimmste bedeuteten und schließlich zu einer Sanitäterin, die fast direkt vor mir auftauchte. Ich war so im Tunnel, dass es einen ganzen Moment dauerte, bis ich realisierte, dass sie mit mir sprach. "Sind sie verletzt? Ist das ihr Blut?" fragte sie auf meinen fragenden Blick hin vermutlich nicht zum ersten Mal. Ich schüttelte schnell den Kopf. "Nein, ich war nur zufällig hier und habe geholfen, da ich auch aus dem Rettungsdienst komme" brachte ich dann zum Glück doch recht klar heraus und mein Gegenüber nickte etwas beruhigt. "Immer gut, wenn jemand vor Ort ist. Bleib am besten in der Nähe. Irgendjemand wird sicher noch mit dir sprechen wollen. Kennst das ja." Mit diesen Worten war sie auch schon im Getümmel verschwunden und ich blieb genauso hilflos wie zuvor zurück, bis sich kurz darauf eine Hand auf meine Schulter legte.
Vor mir stand Emre und hielt mir eine der Trainingsjacken hin, wie auch er eine trug. "Du bist voller Blut... So lassen die dich sicher nicht rein und ich dachte du möchtest dich vielleicht zu uns setzen, während wir warten wie es jetzt weitergeht." er lächelte mich etwas gequält an und mit einem Blick auf mein einst weißes, jetzt aber eher rotes Shirt, nahm ich die Jacke dankbar entgegen und zog sie mir über, ehe ich Emre aus dieser Horrorszene heraus, ins Hotel folgte.
Ohne wirklich darüber nachzudenken, folgte ich ihm hinter einem aufgewühlten Hotelangestellten her durch die Lobby und irgendwo in einen angrenzenden Bereich des Hotels. Vor den Damenwaschräumen blieb der Angestellte schließlich stehen und ließ uns alleine. "Ich warte auf dich, du willst das sicher kurz abwaschen...", sagte er und deutete auf das Blut an meinen Händen. Mit einem mechanischen Nicken verschwand ich in die Luxuriösen Waschräume. Außer mir war zum Glück niemand hier und so machte ich mich direkt daran das Blut irgendwie von meinen Händen zu schrubben.
Erst als ich dabei draußen die ersten Fahrzeuge mit Sirenen abfahren hörte und auf den roten Strudel im Waschbecken blickte, legte sich in meinem Kopf ein Schalter um und ich realisierte was dort gerade eben direkt vor meinen Augen passiert war. Ein kurzes Schluchzen kam mir über die Lippen und dann konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten.
Nico
Alles fühlte sich einfach unglaublich surreal an. Die Fragen der Sanitäterinnen und des Notarztes drangen nur wie durch einen Tunnel zu mir und ich vermisste die beruhigende Stimme, der jungen Frau, die bis eben bei mir gewesen war. Wie war ihr Name noch gleich gewesen? Ich konnte mich einfach nicht daran erinnern, so ein Chaos herrschte in meinem Kopf. Da war die ganze Zeit dieses Piepen, das blaue Blinken, welches von draußen durch die kleinen Fenster nur schwach hereinkam, aber trotzdem immer irgendwie in meinem Augenwinkel seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Dazu kamen diese verdammten Schmerzen, die ich trotz des Schmerzmittels, welches ich angeblich schon vor einer ganzen Weile bekommen hatte, einfach nicht ausblenden konnte. Ich versuchte weiter so ruhig zu atmen, wie die Frau es mir vorhin gezeigt hatte, doch es fühlte sich mit jedem Atemzug mehr so an, als würde ein ein immer schwerer werdender Stein auf meinen Brustkorb drücken und mir sämtliche Luft aus der Lunge pressen. Auch der Sanitäter, der meine Panik zu bemerken schien und daraufhin begann auf mich einzureden konnte nichts daran ändern, dass das Gewicht einfach immer größer zu werden schien. Ich sah zwar, dass er mit mir sprach, doch die Worte kamen einfach nicht bei mir an. Die Luft schien immer dünner zu werden und graue Schlieren schlichen sich immer weiter in mein Sichtfeld. Ich wünschte die Sanitäterin von vorhin wäre noch da und würde wieder meine Hand halten. Denn wenn sich sterben so anfühlte wie das hier, dann wollte ich auf jeden Fall, dass jemand dabei meine Hand hielt.
Da ist das Kapitel heute wohl doch wieder etwas länger geworden... ups. 🙈 Aber seht es einfach als Geschenk zum Start ins Wochenende von mir. ☺️
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro