Epilog
Val warf einen Blick zurück. Die Sonne ging hinter den Mauern auf und erhellte die Gassen und Straßen mit ihren Strahlen. Es war das erste Mal, dass er die Stadt nicht mit einem grauen Schleier verhüllt gesehen hatte.
Er war bisher nie für längere Zeit fortgewesen. Seit er denken konnte, lebte er in dem Grau, in dem Regen und mit dem ständigen Summen von Generatoren im Ohr.
Gestern hatten sie sein Bäumchen noch zu seiner Mutter gebracht und sich von Mrs. Richardson verabschiedet.
Über seinen Schultern hing der Riemen eines Rucksackes. Er hatte leicht gepackt und auch seine Wohnung nicht aufgegeben. Spätestens Weihnachten würde er wieder in der Stadt sein.
»Kommst du?«, holte ihn Kaitons Stimme aus seinen Gedanken.
Val riss sich von dem Anblick der Stadt los und richtete seine Aufmerksamkeit auf Kaiton. Er war den Hügel schon weiter hochgegangen. Das Licht der aufgehenden Sonne umsäumte ihn und legte einen goldenen Schimmer um seine Konturen. Sein Hut warf einen Schatten über seine Augen, aber seine Mundwinkel waren erhoben.
»Gib dem alten Mann ein bisschen Zeit«, meinte Val, aber erwiderte das Lächeln.
Kaiton wartete geduldig, bis Val auf seiner Höhe angekommen war, bis er sagte: »Wenn überhaupt, dann bist du nur ein paar Jahre älter.«
»Aber ich bin verletzt. Und ich leide.« Die Wunde, die Aetherion hinterlassen hatte, hatten sie gestern noch genäht – mit anderen Worten: Val hatte sie genäht, Kaiton hatte mit gerümpfter Nase danebengesessen.
Kaiton gab ihm nur ein Augenrollen und machte sich wieder auf den Weg. Er ging aber tatsächlich ein wenig langsamer und warf dann und wann einen Blick auf Val neben sich, um sicherzustellen, dass er nicht zurückfiel.
»Eine Tagesreise meintest du?«, fragte Val. Noch trugen die Bäume am Wegesrand keine Blätter und streckten ihre toten Äste in die Leere.
Kaiton nickte. »Dann sollte es langsam anfangen, dass die Vegetation sich erholt.« Sein Blick schweifte in die Ferne, als versuchte er, nun schon das Grün zu sehen, doch vor ihm erstreckte sich noch die graue tote Fläche.
»Danke«, flüsterte er. »Dass du mich begleitest.«
Val schlang einen Arm um ihn und zog ihn zu sich. »Wie oft möchtest du mir das noch sagen?«
Kaiton wich seinem Blick aus und murmelte: »So lange, bis ich das Gefühl habe, dass ich nicht irgendwas Schreckliches von dir verlange.«
Val beugte sich vor und stupste Kaitons Nasenspitze mit seiner eigenen an. »Das tust du nicht.« Er drückte noch einmal seine Schulter und ließ von ihm ab. »Dann auf auf, zeige mir diese andere Welt.«
In einiger Ferne schrien Krähen auf und ein Schwarm dieser Vögel flatterte in den Himmel.
Den Hut tief in das Gesicht gezogen, bewegte er sich durch die Straßen. So früh am Morgen waren nur wenige Menschen unterwegs.
Das Gefieder der Krähe war weich unter seinen Fingerspitzen. Der schwarze Vogel schmiegte sich an ihn und genoss die sanfte Berührung. Das Sonnenlicht verfing sich in den Federn und ließen sie rötlich schimmern, sodass sie wie ein flammendes Meer erschienen.
»Der Kaiser ist tot«, sprach Corak. »Die Welt ist gerettet.«
Die Krähe drehte ihren Kopf in seine Richtung und neigte ihn.
»Fürs Erste zumindest«, sagte er. »Andere werden seinen Platz einnehmen. Andere werden sich fremder Macht bedienen und von ihr verdorben werden. Jetzt mag noch die Sonne scheinen, aber wie lang wird es dauern, bis der Regen wiederkehrt? Jetzt mag sich die Welt in Farben kleiden, doch wie lang, bis sie zurück in finsterstes Grau wechselt. Jedes Ende ist ein weiterer Anfang, jeder Anfang leitet nur ein Ende ein.«
Der Vogel krähte und plusterte das Gefieder auf.
»Ich sage nur die Wahrheit«, sprach Corak. »Menschen sind nicht dazu geschaffen, Frieden zu wahren oder das Gute in ihren Herzen gedeihen zu lassen. Irgendwann werden sie alle verderben, so nobel sie sich anfangs auch zeigen.«
Er sah an den Himmel, über den einige Vögel zogen.
»Doch Maschinen können es offenbar ebenso wenig«, fuhr er fort. »Aetherion hätte sein sollen, was Menschen nicht vermochten. Aber warum scheiterte er?«
Die Krähe krächzte auf.
»Du hast recht, wir hätten ihn mit etwas anderem als lebendiger Masse ernähren sollen.« Er stieß ein Seufzen aus. »Aber es war so einfach, an sie zu kommen.«
Seine schwerfälligen Schritte hallten von den Wänden wider.
»Und nun?«, fragte er. »Wollen wir es noch einmal mit einem Engel versuchen und diesmal aus unseren Fehlern lernen?«
Er lauschte und nickte letztlich langsam. »Wir können zunächst abwarten und schauen, ob die Menschen mittlerweile in der Lage sind, sich selbst zu führen. Und wenn nicht, dann greifen wir später erneut ein.«
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