
Dunkle Göttlichkeit II
Einer der metallischen Arme Aetherions schloss sich um ihn. Er wirbelte Val durch die Luft und presste sich enger um ihn. Spannung legte sich auf seinen Oberkörper, auf seine Rippen. Ihm fehlte der Atem. Er schlug gegen das Metall, bis schriller Schmerz durch seinen Arm schoss. Ohne Erfolg.
Ein Knirschen erklang. Er stockte und blickte auf Aetherion. Einer der Kreise drehte sich zu ihm und spitze Zähne brachen aus dem Metall.
»Vergiss es«, zischte Val. »Ich bin keine Mahlzeit.«
Er ballte seine Knochenhand zur Faust und schlug sie gegen die einzelnen Scheinwerfer. Glas splitterte. Ein hohes Quietschen erklang, als würde Kreide über eine Tafel gezogen werden.
Der Arm um Vals Körper löste sich. Hart kam er auf dem Boden auf, bekam keine Luft mehr. Über ihm taumelte Aetherion.
Damals hatte er noch mit Matthew gesprochen, doch nun, da er über keine Nahrung mehr verfügte, zeigte sich sein wahres Wesen – ein halbverhungertes Biest. Der Kaiser war nicht mehr als ein Monster.
Er fing sich wieder und die verbliebenden Scheinwerfer – immer noch hunderte von Augen – richteten sich auf die Gestalt, die sich im oberen Stockwerk befand. Kaiton.
Aetherion schwebte auf ihn zu, seine Arme schnellten erneut nach vorn.
Val konnte Kaiton nicht sehen, aber er schien auszuweichen, denn die Bewegungen des Kaisers wurden hastiger, verbitterter. Das Knacken der Zahnräder erhob sich laut, die Ringe drehten sich immer schneller um ihn herum.
Die Luft war noch nicht in Vals Lungen zurückgekehrt, aber er hob seine Hand und ließ den Haken auf Aetherion zufahren. Er bekam einen der metallischen Ringe zu fassen. Was er nicht bedacht hatte, als der Boden unter seinen Füßen verschwand – die Ringe wirbelten um das stählerne Konstrukt herum.
Er krachte gegen die Wand. Sein Arm riss sich fast aus der Verankerung und die metallische Konstruktion biss sich nur tiefer in sein Fleisch, doch er löste den Haken nicht.
Ein Knall ertönte. Aetherion schrie auf, aber der Schmerz machte ihn nur wütender. Dieses Wesen hatten sie einst verehrt. Dieses Monster hatte die Hoffnung der Menschheit sein sollen. Als Engel hatten sie ihn bezeichnet.
Val stieß sich von der Wand ab, um nicht an der nächsten Säule zermahlt zu werden, und zog das Seil ein. Er landete auf dem metallischen Konstrukt. Doch nun bemerkte Aetherion ihn wieder. Er schüttelte sich, drehte die Ringe, auf denen Val stand.
Der Haken blieb fest verankert und half Val, sich zu halten. Er zog seine Pistole, entsicherte sie und schoss. Die Kugel prallte von dem Metall ab und flog in die Wand.
Er knirschte mit den Zähnen. »Findest du da oben irgendwo einen Knopf?«, rief er Kaiton zu. Seine Stimme kam kaum gegen das Rattern der Zahnräder und Zischen des Dampfes an.
»Hier sind viele Knöpfe«, kam von Kaiton.
Natürlich stand nirgendwo ›das hier wird den Kaiser deaktivieren‹. »Zerstör es«, rief er. »Alles. Vielleicht bringt es etwas.« Es war besser, als nichts zu tun.
Sein Magen drehte sich in der Geschwindigkeit der Kreise mit. Val fokussierte einen Punkt auf dem Kaiser, aber seine Organe rebellierten nur lauter.
Abrupt kam er zum Stoppen. Er taumelte, sah jedoch Aetherions Arme auf ihn zu hetzen. Er hob seine Pistole und schoss.
Das Metall zerfetzte in der Mitte und die Gliedmaße fiel zu Boden.
Doch Aetherion besaß etwa so viele Arme wie Augen. Ein zweiter griff nach Val und diesmal konnte er ihm nicht ausweichen. Statt sich aber um ihn zu schließen, bohrte er sich in seine Seite.
Val biss die Zähne zusammen. Er schoss in die Richtung, traf, und auch der zweite Arm ging zu Boden. Heißes Blut strömte aus Vals Seite. Es würde ihn schon nicht umbringen ... vermutete er.
Ein Krachen brachte die Erde zum Beben. Rauch stieg aus dem Raum auf, in dem Kaiton sich befand.
Eine Druckwelle traf Val, doch er hielt sich weiterhin mit dem Haken an Aetherion. Dieser wankte und sank ab. Die Ringe drehten sich langsamer, die Uhr im Inneren der Metallkonstruktion war entblößt.
Val löste den Haken, doch nur, um ihn eine Sekunde später in Aetherions Innerstes niederfahren zu lassen. Etwas ruckte. Ein Ring klirrte zu Boden. Eine Kugel folgte. Der Kaiser sank weiter ab.
Vals Stand wurde wackelig. Er sprang hinunter, kam nur taumelnd auf.
Neben ihm splitterte der Stein, als Aetherion stürzte.
Ein weiterer Knall ertönte aus dem Raum über ihm. Diesmal flog ein Körper aus der nun offenen Glasscheibe und landete auf dem Boden. Kaiton stemmte die Hände in die zersprungenen Marmorfliesen und versuchte, sich aufzurappeln. Er scheiterte, griff sich an die Kehle.
Val warf nur einen kurzen Blick auf Aetherion. Dessen Augen blickten dunkel ins Nichts, die Kreise drehten sich nicht länger und in die Uhr in seinem Innersten hatte sich ein tiefes Loch gefressen.
War das ... das Ende?
Das Licht aus den elektrischen Lampen im Thronsaal erlosch. Taubheit fraß sich durch seinen knöchernen Arm. Er hing leblos an ihm hinab und auch, als Val versuchte, ihn anzuheben, gehorchte er nicht.
Er lief zu Kaiton, der immer noch am Boden kniete, eine Hand an der Kehle. Seine Brust hob sich stockend, röchelnd. »... nicht ... atmen«, brachte er hervor.
Val sank zu ihm und zog Kaiton mit seinem echten Arm – der andere tat weiterhin nicht, was er sollte – zu sich. Sie hatten geahnt, dass es so ausgehen würde, hatten es sogar gewusst.
»Es ist alles gut«, flüsterte er. Seine Stimme wollte kaum seine Kehle verlassen, so eng hatte sich eine Schlinge um seinen Hals gelegt.
Kaitons Auge, das für gewöhnlich immer einen leichten roten Schimmer trug, war nun schwarz wie Kohle. Sein Oberkörper hob sich, als würde er versuchen, Luft zu holen, doch er erstickte. Tränen füllten sein Auge, seine Finger verkrampften sich in Vals Mantel.
»Ich bin bei dir«, hauchte Val. »Hab keine Angst.«
Kaitons Haut war schon immer fahl gewesen, doch nun wurde sie noch bleicher, glich sich mit jeder Sekunde weiter einem Toten an. Die braunen Strähnen in seinem Haar hatten sich gänzlich dem Grau hingegeben.
Vor Vals Augen verschwamm Kaiton und Nässe tropfte auf die blassen Wangen hinab. Val drückte ihn an sich. Ein Schluchzen brach aus ihm heraus. Die Hand, die sich an ihm festklammerte, erschlaffte.
War es das wirklich wert gewesen? Kaitons Leben gegen Aetherions?
Doch schon als Val diese Gedanken kamen, wusste er, dass diese Entscheidung nicht an ihm gelegen hatte. Kaiton hatte sie für sich getroffen, nur ... Warum war ihnen nicht noch mehr Zeit vergönnt gewesen?
Die Lichter flackerten und erhellten den Raum.
Der Körper in seinen Armen bewegte sich, nahm einen tiefen Atemzug, röchelte. Er drehte sich zur Seite und hustete.
Val konnte ihn nur starr beobachten. Die Taubheit in seiner Knochenhand zog sich zurück und langsam war es ihm möglich, sie wieder zu bewegen.
Sein Blick schoss zu Aetherion, aber der lag weiterhin unbewegt am Boden.
Er drehte sich zu Kaiton und wischte sich die Tränen von den Wangen. »Du ... du kannst wieder atmen?«
Kaiton röchelte weiter und winkte ab.
»Ich dachte, ich hätte dich verloren.« Val legte vorsichtig eine Hand auf dessen Schulter.
»Das kann auch immer noch passieren«, krächzte Kaiton. »Hörst du es nicht?«
»Was?«
»Die Stadt schreit, sie klagt, sie weint.« Kaiton rieb sich noch einmal über die Kehle und erhob sich dann. Sein Blick war auf etwas in weiter Ferne gerichtet.
Er setzte sich in Bewegung, humpelte bei jedem Schritt leicht.
Val folgte ihm. Der Schmerz von Aetherions Angriff schnitt ihm weiterhin in die Seite und er presste eine Hand auf seine Wunde. Wenn ihn die Verletzung bis jetzt nicht umgebracht hatte, dann würde er es überstehen.
Vor der Tür des Palastes flackerten die Lichter. Auf dem Marktplatz hatten sich Menschen versammelt und sahen sich verwirrt um.
Kaiton griff Val am Arm und zog ihn in eine Gasse, damit sie nicht – verletzt und zugerichtet wie sie waren – unter den Menschen standen. Dann würden Fragen gestellt werden und sie konnten schlecht sagen, dass sie den Kaiser gestürzt hatten.
»Bitte geht alle wieder in Eure Häuser«, rief eine Wache inmitten der Menschentraube aus. »Wir werden herausfinden, was geschehen ist und so lange befindet sich die Stadt in Notversorgung.«
»Wie lange wird es dauern?«, fragte eine Adelige.
»Wir haben kaum warmes Wasser und auch der Herd funktioniert nicht richtig«, ergänzte ein anderer.
»Die Lichter flackern.«
»Und meine Prothese hat Aussetzer.«
»Wir werden uns um alles kümmern«, versicherte die Wache. »Die Generatoren sollten für einige Wochen reichen und bis dahin werden wir eine Lösung gefunden haben. Geht nun alle zurück in Eure Häuser und lasst uns das regeln.«
»Notversorgung«, murmelte Kaiton. Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab, doch er musste nichts Zusätzliches sagen. Es war die Notversorgung, die Kaiton noch am Leben hielt, aber sobald die letzten Reserven aufgebraucht waren, würde er sterben. Die Menschen hatten all die Technologie nur durch Aetherion erhalten und nun, da er zerstört war, schoben sie die Frist, bis zum Untergang nur auf.
Arme umschlossen Val und ein Körper schmiegte sich an ihn. Dabei streifte er gegen die Wunde und Val biss die Zähne zusammen, um einen Schmerzenslaut zu unterdrücken.
»Ich werde sterben«, nuschelte Kaiton in seine Brust. »Ich weiß nicht, was schlimmer wäre. Sofort zu sterben oder zu wissen, dass mir nicht mehr viel Zeit bleibt. Aber ...« Er sah auf. Tränen rannen über sein immer noch blasses, doch nicht länger totenbleiches Gesicht.
Val hob eine Hand und wischte mit seinem Daumen die Tropfen fort.
Kaiton schob die Augenbrauen zusammen. Er tastete nach seinen Wangen, als würde er erst jetzt bemerken, dass er weinte.
»Doch ich will leben, bevor ich sterbe«, sprach er weiter. »Und ich will nicht in dieser Stadt zugrunde gehen. Und ... ich weiß es ist viel verlangt, aber ich würde mich freuen, wenn du ein Teil meiner letzten Tage wärst.«
Val schenkte ihm ein Lächeln, doch gleichzeitig schnürte sich seine Kehle zu. Aetherion war besiegt, aber Kaiton würde sterben ... irgendwann in den nächsten Wochen. »Es wundert mich, dass du überhaupt fragen musst.«
Kaiton vergrub seinen Kopf wieder in Vals Brust. »Danke.«
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