Blut und Eisen I
»Du bist früh zurück.« Will erhob sich, aber er stockte, als er einen Blick auf ihn warf. Der Kragen von Matthews Hemd war rot von all dem Blut, das er aufgesogen hatte.
Matthew holte tief Luft, um seinen Zorn zu ersticken, doch eine kleine Flamme blieb ebenso wie das dumpfe Pochen in seinem Handgelenk.
»Was ist geschehen?«, fragte Will.
Matthew legte seinen Zylinder ab und entledigte sich seines Gehrockes, während er nach Worten suchte. »Aetherion ist der Meinung, dass ich unbesonnen sei«, sagte er. »Er nahm mir alle Ränge und Vergünstigungen, bis ich mich ihm wieder anschließe, aber das ... das kann ich nicht.«
Schreie und das Dröhnen einer Maschine klangen in seinen Ohren nach. Der Geruch von Blut und verbranntem Fleisch hing noch an seiner Haut, obwohl er dem schon jahrelang nicht mehr nahegekommen war.
Er setzte sich auf das Bett und vergrub sein Gesicht in den Händen. Das Echo der Vergangenheit blieb, obwohl er versuchte, es abzuschütteln. Mal war es eisig kalt gewesen, mal glühend heiß und so hallten auch beide Empfindungen auf seiner Haut nach.
Das ständige Surren der weißen Lichter ließ ihn nicht los, ebenso wenig wie das Rattern der Zahnräder seines einzigen Begleiters.
Will setzte sich zu ihm und legte eine Hand auf seine Schulter. »Lass mich die Wunde sehen.«
Matthew knöpfte sein Hemd auf und warf es auf den Boden. »Nur oberflächlich«, murmelte er. Er wich Wills Blick aus und sah stattdessen auf seine Hände, die er auf seinem Schoß zusammengefaltet hatte.
Die Kette, die schwarz in sein Handgelenk eingebrannt war und sich in seinem Arm verlor, schickte weiterhin heiße Flammen durch seinen Körper.
»Es ging nur darum, mir meinen Stand zu entziehen«, murmelte Matthew.
»Aber warum jetzt?«, fragte Will. »Und so plötzlich. Was ist vorgefallen?«
»Der Kaiser will die Kranken hinter die Stadt schicken«, knurrte Matthew. »Ich habe mich gegen diesen Entschluss gewehrt. Ich ... Ich kann das nicht zulassen, aber ich weiß nicht, wie ich ihn aufhalten kann. Und ...« Seine Brust hob sich in einem schweren Seufzen und er sah auf. »Ich wollte dich damit nicht überfallen. Verzeih mir.«
»Da gibt es nichts zu verzeihen«, sagte Will. »Keine Geheimnisse, so unschön sie auch sein mögen. Das haben wir doch schon vor Jahren beschlossen.«
Matthew nickte langsam. Bisher hatte nichts seinen Freund abschrecken können, so blutig und unmenschlich es auch war.
»Und ich denke, ich kenne jemanden, der uns helfen könnte«, meinte Will. »Ich kann mit ihm in Kontakt treten, sobald er wieder in der Stadt ist.«
»Danke«, flüsterte Matthew. Er war es gewohnt, sich immer um alles kümmern zu müssen, da dies seine Aufgabe als Senator mit sich brachte.
Will schenkte ihm ein Lächeln. »Das ist doch selbstverständlich.«
Damals, als sie sich zum ersten Mal gesehen hatten, hätte er nicht ahnen können, dass sie einander einmal so nahestehen würden. Matthew hatte es sich zwar gewünscht, aber nie gedacht, jemanden wie Will halten zu können.
Ihr erstes Treffen hatte Matthews Grundsätze erschüttert. Es war das erste Mal, dass er den Kaiser nicht als seinen einzigen Lebensinhalt gesehen hatte.
Wie auf Kommando flammte die Kette in seinem Handgelenk auf und Schmerz durchzuckte sein Gesicht.
Wills Finger verschränkten sich in seine. »Ist es wieder schlimm?«
»Seit ich mich gegen Aetherion gestellt habe, mehr als zuvor.« Matthew seufzte schwer. »Aber ich möchte mir gerade keine Gedanken über ihn machen.« Der Kaiser hatte ohnehin schon zu viel Macht über ihn.
»Verstehe«, murmelte Will, behielt aber seine Hand in Matthews.
Matthew zog ihn in seine Arme. Stets glomm in ihm die Angst auf, seinen Engel zu verletzen. Bei jeder Berührung, jedem Kuss. Nie war es geschehen, doch seine Furcht ließ trotzdem nicht von ihm ab.
Eine Hand wanderte in seinen Nacken und strich durch seine Haare. Wärme erblühte auf seiner Haut, wo die Finger ihn streiften.
Matthew lächelte schwach und beugte sich vor. Sanft trafen seine Lippen auf Wills. Der Geschmack von Kaffee lag auf seiner Zunge. Eine bittere Süße ging mit jedem Kuss einher, den sie teilten.
Seine Finger strichen durch die langen blonden Haare. Weich und seidig waren sie unter seiner Berührung. Vielleicht wollte er sich nur ablenken. Der Tag hatte schon zu viel Schlechtes für ihn bereitgehalten.
Er legte eine Hand in Wills Kniekehle und zog ihn sich auf den Schoß. Er strich an Wills Oberschenkel hinauf und schlüpfte unter sein Hemd, um mit dem Daumen kleine Kreise auf seiner Taille zu ziehen.
Will löste sich aus dem Kuss und sah auf ihn hinab. Ihre Nasenspitzen berührten sich fast, so dicht waren sie einander. Das Blau der Augen verschluckte Matthew. Er verlor sich in den kleinen grauen Sprenkeln, die wie Eisberge in der Brandung standen. Jedes Mal, wenn er Will nah war, erblickte er neue Tiefen, neue Muster in den Iriden. Er würde sich nie an ihm sattsehen können.
Als Val erwachte, erkannte er sofort, dass etwas nicht stimmte. Er schlug die Augen auf, bewegte sich aber nicht von der Stelle.
Er lag nicht mehr auf seiner Seite des Bettes. Seine Gliedmaßen waren in andere verschlungen. Metall drückte ihm in die Wade und Kaitons Gesicht war dicht vor seinem eigenen.
Und natürlich hatte er in der Nacht wieder eine von Matthews Erinnerungen haben müssen. Und natürlich war es diesmal eine mit Will. Und natürlich waren sich die beiden nahe gekommen – wer tat so etwas, nachdem ihm gesagt wurde, dass der Kaiser tausende Menschen in den Tod schickte? – und er hatte seinem Körper nicht befehlen können, die Reaktion darauf einzustellen.
Fast schien ihm, als würde Wills Atem noch auf seiner Haut kribbeln und als würde er die bittere Süße der Küsse auf seiner Zunge schmecken. Als wären dessen Arme um ihn geschlungen.
Mit jeder verstreichenden Sekunde wurde er wacher und da erkannte er: Es waren wirklich Arme um ihn geschlungen.
Kaitons Lider waren zwar geschlossen, aber Val war sicher, dass sein unfreiwilliger Gastgeber ihn einen Kopf kürzer machen würde, sollten sie so liegen, wenn er erwachte.
Er entknotete langsam seine Beine aus Kaitons und zog seine Arme unter ihm hervor. Dabei streiften seine Finger die deutlich hervorstechenden Rippen.
Kaiton schlug die Lider auf. Er blinzelte nicht einmal die Müdigkeit aus seinen Augen und sofort verhärtete sich sein Blick, als er Val vor sich sah. »Ich hoffe für dich, dass das, was mir gegen den Bauch drückt, ein Messer ist«, sagte er, seine Stimme noch kratzig vom Schlaf.
Hitze stieg in Vals Wangen und sprang auf die Füße. »Es ist nicht so, wie es aussieht.«
Kaiton richtete sich auf und rückte so weit an die Wand, wie es möglich war. »Ich höre.« Er rieb sich die Augen und strich durch seine Haare, in einem kläglichen Versuch, sie zu ordnen.
»Ich habe Erinnerungen an ein anderes Leben«, erklärte Val schnell. »Erinnerungen an einen Senator und er hatte einen Freund und in der Erinnerung waren sie ... zusammen.«
Der Ausdruck in Kaitons Augen kühlte aus. »Dann bin ich nicht einmal der Grund für ...« Sein Blick wanderte an Val hinab. »Hm.«
Val stockte. Hätte es das besser gemacht, wäre es durch Kaitons Anwesenheit gekommen?
»Bad ist dort«, sagte Kaiton und deutete auf eine Tür. »Komm erst wieder raus, wenn es weg ist.«
Val sah sich nicht in der Position, mit den Augen zu rollen und Kaiton kindisch zu nennen. Er kam nur der Weisung nach.
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