14. Dezember || Bildbox
Die Nacht hatte Maurice bei Michael verbracht, nachdem sie sich am Vorabend nochmal ausführlich über Patricks Verhalten unterhalten hatten. Michael hatte ihm erklärt, dass es mit Patricks Vorgesetztem nicht so gut lief, da er dessen Meinung nach zu wenige Informationen aus seinem Privatleben mit der Öffentlichkeit teilte. Zwar hätte Maurice sich auch geweigert, sich auf die Straße zu stellen und den Passanten Fakten aus seinem Leben mitzuteilen, aber in gewisser Weise schien das hier in der Zukunft alltäglich zu sein.
Michael war ein vielbeschäftigter Mann. Er hatte ihn morgens alleine gelassen, mit den Worten: „Ich muss für ein paar Stunden weg. Tu mir den Gefallen und fackle hier nix ab, ja?" Dann hatte er ihm vor seinem Aufbruch noch die Bildbox gezeigt. Die Zukunft war wirklich voller faszinierender Dinge.
Es war eine extrem flache Box, fast schon eine Platte, auf der man andere Menschen in ihrem Leben zuschauen konnte. Michael hatte es als Weiterentwicklung der Zeitungen beschrieben, es wurden Nachrichten überbracht oder auch Theater gespielt und das wurde dann aufgezeichnet, ganz viele Bilder davon gemacht und anschließend in diese Box gesteckt. Am Ende wirkte diese Art der Aufzeichnung so echt, dass man meinen konnte, man stünde tatsächlich bei diesen fremden Menschen im Wohnzimmer oder im Laden. Das einzige, dass Maurice störte, war diese fürchterlich unverständliche Sprache, die sie alle nutzten.
Berlin, das war eine Stadt, die es auch schon zu seiner Zeit gegeben hatte. Er war noch nie dort gewesen, er hatte nicht das Geld für solch enorme Reisen, aber er hatte schon davon gehört, dass der Dialekt dort anders sein sollte. Dass man dadurch aber nur in etwa jedes zweite Wort, das gesprochen wurde, verstand, hatte ihm niemand berichtet. Er wusste auch nur deshalb, dass es Berlin war, weil in der unteren Ecke des Raumes immer ein Schild war, auf dem das draufstand. Es war zudem unheimlich abschreckend gewesen, als er gesehen hatte, wie freizügig die Frauen dort herumliefen. Irgendwann war es ihm zu viel geworden, die unangenehme Scham, die er jedes Mal empfand, wenn er aus Versehen auf die freie Haut blickte, hatte ihn schlussendlich doch dazu verleitet, einfach eine Decke über die Bildbox zu hängen, damit er sich selbst davon abhalten konnte, weiter hinzuschauen. Unglücklicherweise hatte Michael ihm vor seinem Aufbruch nämlich nicht mehr erklären können, wie man diese Box wieder deaktivierte und da er mit der Anweisung zurückgelassen wurde, die Wohnung in gutem Zustand zu behalten, wollte er absolut kein Risiko eingehen.
Die Erleichterung, als er das Türschloss klacken hörte war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Er wollte Michael direkt begrüßen, doch der würzige Geruch seines Gepäcks ließ ihn stutzig werden. „Michael was riecht hier so seltsam?", fragte er also geradeheraus und bekam prompt seine Antwort. „Was für seltsam? Hallo ich hab' Pizza mitgebracht! Ab ins Wohnzimmer, ich hoffe du hast Hunger." Michael nahm sich nicht mal mehr die Zeit, seinen Mantel anständig abzulegen, stattdessen schmiss er seine Tasche in die Ecke, streifte sich die Schuhe von den Füßen und eilte in die Stube, in der auch die Bildbox noch immer Geräusche von sich gab. Maurice wanderte ein wenig verdattert hinter ihm her, wie so oft, wenn er mit seinen Zukunftsfreunden unterwegs war, da bestanden seine Gedanken meist hauptsächlich aus Verwirrung. Als eben dieser Zukunftsfreund die papierne Schachtel öffnete, ströhmte ihm der würzige Geruch noch intensiver entgegen und er blickte gefesselt auf das kreisrunde Gericht. Nachdem Michael alle Zutaten aufgezählt hatte und Maurice mehrfach versichert, dass das ganze trotz der intensiven Farben nicht giftig sein würde, traute er sich schließlich, auch ein Stück zu probieren. An sich war das Ganze nichts weiter als ein sehr, sehr, sehr flaches Brot, bestrichen mit zerkleinerten Tomaten und erhitzten Käsestücken. Dennoch war der Blonde überwältigt von dem Geschmackserlebnis, das er gerade erfuhr. Es widerstrebte ihm zwar ein wenig, die schmalen Brotstücke ohne Besteck zu verspeisen, aber das Opfer nahm er letztendlich doch gerne auf sich.
Als mit einem mal wieder ein Heulen durch die Wohnung schallte, zuckte Maurice instinktiv zusammen, er würde sich wohl nie an diese merkwürdige Methode des Anklopfens gewöhnen. Als er die Stimme hörte, die Michael an der Tür begrüßte, wurde er automatisch hellhörig. Das konnte doch nicht sein.
Patrick klang freundlich.
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