17. Türchen
Ich seufzte und starrte die lange, gewundene Einkaufsstraße hinunter. Funkelnde Lichter erhellten den dunklen Abendhimmel, ließen meine Schuppen in einem seltsamen, beigen Schimmer flackern.
Ein weiteres Seufzen entkam meinem Mund und meine gespaltene Zunge schnellte hervor.
Baran, ein weiches, süßes Mittllarnan-Gebäck, nicht weit von hier. In einer anderen der unzähligen, kleinen Hütten hatte jemand Minztee gekocht.
Der künstliche Schnee, den die Adligen wie jedes Jahr dem Markt spendeten, knirschte unter meinen Füßen und ich setzte mich in Bewegung.
Miriam und Hanna warteten auf mich. Ich wusste, sie in der kühlen Abendluft alleine stehen zu lassen, wäre mehr als ungünstig.
Der Llarnan-Markt war kein sicherer Ort für eine Siebenjährige und eine Fünfjährige. Und erst recht nicht, wenn Mirco da sein würde mit seinem Gefolge und seinem Kumpel, Prinz Leonidas.
Ich hatte den Dämon schon gesehen und auch die neun feuerroten Schweife des Thronfolgers. Sie waren in eine der gut besuchten Tavernen abgestiegen und machten sich dort sicher nun eine spaßige Zeit.
Meine Schritte beschleunigten sich unwillkürlich.
Wenn der Mobber betrunken war, rechnete ich mit allem. Schließlich hatte er auch schon eine Vampirdame abgeschleppt, sich mit der Palastwache angelegt und war natürlich immer siegreich hervorgegangen. So jedenfalls benahm er sich in der Akademie.
Die Geschwister fand ich schließlich zusammengedrängt in einer hell beleuchteten Ecke hinter einem Kattenstand. Sie stürzten zu mir, verbargen ihre Köpfe und die spitzen Ohren unter meinem langen, dunklen Mantel.
Ich fuhr ihnen beruhigend über die Köpfe. Hanna lächelte mich an, die Lücke zwischen ihren zwei Vorderzähnen so prominent wie immer. Miriam umarmte mich von der Seite, die kleine Kuschelelfe, die sie nun einmal war, und murmelte leise: „Kommt Giron auch für James?"
Giron, der Meister, der alle erschaffen hatte. Ich glaubte nicht daran, denn ich war mir sicher, wir waren alle Kinder Llarnans und Zinvas.
James hatte es geliebt, wenn ich begann, über meinen Glauben zu reden, über Firnva, Zinva oder Arnuan. Ihn hatten die Mythen unfassbar interessiert, die vielen Geschichten, die sich hinter jeder dieser Gottheiten verbargen.
Nuiva war seine Göttin gewesen, die Dame im Mond, die eine Frau, der Tasva immer nachjagte und die eine, die sie für die Unendlichkeit lieben würde.
Eine heiße, salzige Träne lief meine Wange herunter. Es war auf den Tag zwei Monate her, seit ich - seit wir ihn verloren hatten.
Warum hatte ich nichts getan? Warum hatte ich ihn nicht aufgehalten? Warum war er fort?
Kinderhände zogen mich zurück in die Wirklichkeit. Hanna hatte meine Hand in die ihre genommen und grinste mich nun unschuldig an.
Ich spürte schon beinahe, wie ein sanfter, vorsichtiger Finger über meine Haut fuhr, meine Trauer wie einen Schleier beiseite strich. Das letzte Mal, als James mich so berührt hatte, hatte ich ihn fast geküsst.
Meine Gedanken verloren sich.
Ich sitze auf dem kalten Fliesenboden, mein Kopf in meinen Händen vergraben, warme Nässe quillt aus meinen Augen in meine Handflächen.
Ein leises Klicken, dann ein erschrockener Aufschrei. Ein Arm umfasst mich, packt mich fest und zieht mich hoch.
James.
Er sollte mich nicht so sehen, so verletzt, so entblößt. Ich ziehe meine dünne Jacke enger um meine nackte Brust, versuche, die weichen Schuppen zu verbergen.
Das Blut hält der Stoff jedoch nicht auf.
Flecken breiten sich darauf aus und ich weiß, Mater wird wieder wütend werden, wenn sie bemerkt, dass ich mich „geprügelt" habe.
Zum Glück hat Mirco mir meine Unschuld gelassen und sich mit meinem Oberkörper begnügt. Ich seufze und lehne mich an James, der einen niedlichen roten Hauch auf den Wangen hat und mir nicht ins Gesicht sehen kann.
Die Wände sind schief, schwanken, nein, ich schwanke. Der Boden kommt mit einem Mal ganz nah und meine empfindliche Haut brennt, als sie auf den kalten Steinplatten aufschlägt.
Mein Elf beugt sich über mich, seine Augen sind vor Sorge ganz dunkel.
„Merian. Komm, bleib wach. Du darfst nicht schlafen, bekommst du das hin? Für mich?"
Ich nicke, unfähig, meinen Blick von seinen Lippen zu lösen, die so nah und doch so unglaublich fern sind. Mit einem Mal wundere ich mich, was passieren würde, wenn ich ihn küsse.
Wie ein samtweiches Tuch fahren seine Fingerspitzen über meine Wangen und fangen die Tränen auf, die sich dort gesammelt haben.
Meine Gedanken rasen auf Höchstgeschwindigkeit, Feuer flammt dort auf, wo er mich berührt hat. Und mit einem Mal beginnen meine brennenden Wunden, zu heilen, schließen sich, lassen nichts außer kleinen, weißen Linien zurück.
Erschöpft zieht sich James zurück, ich richte mich langsam auf und lehne mich gegen seine Schulter.
„Du bist der beste beste Freund, den jemand haben kann, weißt du das, James?"
Er lächelt nur und zieht mich in seine Arme. Meine Dämme brechen in sich zusammen und Tränen sammeln sich in meinen Augen. Mit einem Schluchzen presse ich meine Stirn an seine Brust, weine seinen Pullover voll.
„Verlass mich nicht", murmele ich tränenerstickt, „bitte, verlass mich niemals."
Ich spürte, wie mir Salzwasser über die Wangen lief und sich mit dem Dreck vermischte, der dort immer noch von meiner Arbeit in der Diamantschmiede haftete. Miriam und Hanna starrten zu mir hoch, die Nasenspitzen rot von der Kälte, die Augen weit und erschrocken.
„Meri, was ist los?", fragte die Jüngere der beiden scheu und sah mich besorgt an. Miriam war wirklich ein Goldstück. Hanna machte ein paar schnelle Gesten mit den Händen, fasste dann meine Finger und zeigte auf das Katten-Häuschen, hinter dem wir standen.
Ein trauriges Lächeln huschte über meine Lippen. Katten waren James' Lieblingsessen gewesen, denn die flachen, mit Gemüse gefüllten Teigtaschen durften auf keinem Speiseplan der Elfen fehlen.
Ich schnappte mir seine kleinen Schwestern und lud sie zu einem Katt ein. Wenn ich ihnen ihren Bruder schon nicht zurückgeben konnte, würde ich ihnen wenigstens das Gefühl geben, geliebt zu sein.
Das war ich meinem Elfen schuldig.
- Donnerwolke1
- Teil aus ihrem zukünftigen Buch
(Ideenklau ist strafbar, Copyright liegt bei Donnerwolke1 und nur bei ihr!)
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro