25 Happy Birthday
Lieber J.C.
Schon wieder ist ein Jahr um, wir werden älter, du und ich; herzliche Gratulation zum Geburtstag. Es ist eine kleine Tradition geworden, dass ich dir mit einem Brief gratuliere. Setz dich an den Kamin und folge meinen Zeilen; die Tasse Tee steht bereit.
Das war ein richtig turbulentes Jahr, denkst du nicht? Es ist viel geschehen – Gutes und Schlechtes; liegt das alles in deinem Plan? Handeln wir Menschen eigentlich nach deinem Plan oder nach unserem eigenen? Es gibt jene, die gerne die Verantwortung für ihr Handeln an dich abgeben. Ich persönlich finde das dir gegenüber nicht ganz fair. Ich denke, wir sollten für unser eigenes Handeln einstehen, weil wir dadurch eventuell erst überlegen, ob eine Handlung sinnvoll, gewinnbringend ist.
Stell dir eine Welt vor, in welcher jeder Mensch zuerst nachdenkt, bevor er handelt. Das wäre erstens eine langsamere Welt, weil wir Menschen mehr Zeit mit Nachdenken verbringen würden. Weniger Tempo bedeutet aber auch mehr Leben. Wahrscheinlich würden wir danach bedachter handeln und eventuell weniger egoistisch entscheiden. Dies würde zweitens zu einer friedlicheren Welt führen, ganz im Sinne, wie du uns das einst vorgelebt hast.
Warum lachst du? Wir Menschen sind lernfähig, daran glaube ich ganz fest. Natürlich trifft das nicht auf alle Menschen zu, aber wenn wir möglichst viele davon überzeugen können, dass es uns besser geht, wenn wir aufeinander achtgeben und füreinander einstehen, dann gibt es eine Chance.
Ich? Ein Träumer? Mag sein, aber warte, lass es mich dir erklären. Nahezu hundert Jahre ist es nun her, dass die Menschen in Europa falschen Ideen und tödlichem politischen Gedankengut gefolgt sind. Sie hofften auf Besserung und erhielten das Chaos. Die Generationen, welche wie Phönixe aus der Asche Europas emporstiegen, erinnerten sich an diese schrecklichen Fehlentscheidungen und handelten in der Folge friedlich, gemeinsam. Sie hatten aus den Fehlern ihrer Eltern gelernt. Es entstand ein erfolgreiches Europa des Miteinanders, und ich bin auf ewig dankbar, genau in dieser Zeit gelebt haben zu dürfen.
Ja, du hast recht. Wir Menschen vergessen leider zu schnell; das weißt du besser als ich, mit der zweitausendjährigen Erfahrung. Heute ist kaum mehr ein Mensch am Leben, der die schlimmen Zeiten von damals hat miterleben müssen. Und weil Geschichtsunterricht in den Schulen nur theoretisch vermittelt wird, interessiert sich niemand dafür. Es ist vorbei; wir sind moderner und damit unbesiegbar, fast wie der Glaube an die Titanic. Nur sehr wenige Menschen bemerken, dass in vielen Ländern Europas im Moment genau die gleichen Sprüche und politischen Aktionen wie damals Erfolg haben und Zustimmung finden. Die Geschichte wiederholt sich. Stimmt, vielleicht bin ich ein Träumer.
Aber weißt du, es braucht Träumer wie mich; und wie dich, nebenbei bemerkt. Hast du nicht auch von einer besseren Welt geträumt? Bist du nicht auch kritisch mit den damaligen Lebensregeln umgegangen und hast versucht, deinen Mitmenschen einen anderen, friedlicheren Weg zu zeigen? Die Menschen haben aus deinen Ideen später eine weltweit erfolgreiche Religion gemacht; sie feiern dich heute noch. Deine Lebensart wurde in einem Bestseller zusammengefasst und in nahezu alle Sprachen der Welt übersetzt – was willst du mehr? Du hast viele Menschen, ganze Generationen inspiriert. Mit deinem einfachen Handeln.
Schon wieder lachst du. Ich spüre, dass du langsam die Hoffnung für uns Menschen verlierst. Nicht doch, wir brauchen dich heute mehr denn je. Logisch gab es in der Folge zu viele Menschen, welche deine Ideen für ihren eigenen Reichtum zweckentfremdet haben. Sie rühmen sich, deine Stellvertreter zu sein, sammeln Millionen von den ärmsten Menschen und leben im eigenen Reichtum. Das war nicht deine Idee, schon klar. Aber deswegen gleich den Glauben an das Gute im Menschen verlieren? An deinem Geburtstag? Lass das bitte nicht zu, denn wir brauchen dich und deine Ideen.
Erinnerst du dich an die Zeilen, die ich dir im letzten Jahr geschrieben habe? Bemerkst du, dass mich in diesem Jahr ähnliche Dinge beschäftigen? Das liegt daran, dass heuer in vielen Ländern der Erde das giftige Klima die Politik übernommen hat. Stell dir vor, in den USA, nach vier Jahren der Hoffnung, haben sie tatsächlich ihren eigenen Widersacher erneut zum Präsidenten ernannt; und für Europa sieht es nicht besser aus. Aber es gibt Hoffnung, irgendwo, dessen bin ich mir sicher. Denn erst, wenn wir diese verlieren, werden wir untergehen. Ich weigere mich, das Gute im Menschen zu vergessen.
Aber eigentlich hätte ich heute mit dir über etwas ganz anderes nachdenken wollen. So ist es mit den Briefen; man hat eine Idee, beginnt zu schreiben und plötzlich ist man ganz woanders. Ich möchte eigentlich von dir einen Rat, was die Vergebung angeht. Wie machst du das? Wie kannst du Menschen vergeben, die morden, betrügen, hintergehen oder psychisch foltern? Ich spüre Wut in mir aufkommen, es fällt mir schwer, mich in diese Menschen hineinzuversetzen und ihnen ihr Handeln zu vergeben. Du aber bleibst cool, gehst auf diese Menschen zu und spiegelst ihnen ihre Taten. Das fällt mir oft schwer; hier hätte ich gerne etwas mehr von dir.
Wir Menschen brauchen viel Vergebung, weil wir nicht immer intelligent handeln. Somit habe ich für heute drei Worte, die ich von dir für unser nächstes Jahr mitnehmen werde: Verantwortung, Hoffnung, Vergebung. In der festen Überzeugung, dass uns diese drei Worte langfristig zu einer friedlichen Umwelt bringen, werde ich sie für mich ins Zentrum stellen und dir im nächsten Brief von meinen Erfahrungen berichten.
Nun aber wünsche ich dir einen entspannten Geburtstag und uns allen ein frohes Weihnachtsfest. Wir lesen uns in einem Jahr wieder. Tragt alle Sorge zu euch und findet Freude in eurem Leben. Alles Gute, J.C. und danke, dass du uns das Gute vorgelebt hast.
Dein Bruno
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro