18 Von Lecce nach Bensersiel
Der Van steht am Strand, meine Füße scharren im Sand. Neben dem Laptop dampft eine Tasse Kaffee, es sind angenehme fünfundzwanzig Grad; fast fröstelt mich ein wenig, doch die Sonne wird mich schnell auf meine Betriebstemperatur bringen. Ich bin wohl doch eine Mischung aus Mensch und Eidechse, denn ich brauche diese morgendlichen Sonnenstrahlen, damit die Zufriedenheit und die Lebensfreude sich voll entfalten können.
In solchen Momenten denke ich darüber nach, wie schön ich es habe. Ich habe alles, was ich brauche, bei mir, ich wohne und arbeite in meinem Van, den ich immer gerade dort parken kann, wo es mir gefällt. Schreiben, Lektorieren und an der Verlagshomepage arbeiten, das kann ich von überall er, solange meine Internetverbindung stabil bleibt. Das kleine Gerät, welches die Verbindung zur Welt herstellt, liegt im Van und arbeitet zuverlässig. Gerade habe ich ein neues Kapitel der aktuellen Geschichte abgeschlossen; mit der Tasse in der Hand schlendere ich am Strand entlang, halb im lauen Meerwasser, halb im feuchten Sand.
Heute ist es soweit, ich muss Süditalien verlassen. In drei Tagen feiert eine Freundin, die ich vor einigen Jahren in Pompeii, in der Nähe von Napoli, auf einem Campingplatz kennengelernt habe, ihren fünfzigsten Geburtstag. Dieser Einladung werde ich folgen, egal woher ich anreisen muss. Es sind ja nur knappe tausend Kilometer bis an den Zürichsee und ich nehme mir drei Tage Zeit. Umso mehr genieße ich Apulien heute Morgen – hier bin ich zuhause.
Eine Stunde nach dem Morgenritual steht „Balu" abfahrbereit da. Alles ist gepackt und festgezurrt, Wegnahrung in Form von Gummibärchen und M&Ms liegen in Griffnähe, die Wasserflachen lagern im Kühlschrank. Navi brauche ich keines, Balu kennt den Weg. Der kleine Diesel schnurrt zufrieden und wir düsen der Küste entlang in Richtung Bari. Rechts von mir, keine fünfhundert Meter von der Straße entfernt, glitzert das azurblaue Mittelmeer und begleitet mich, bis die Häuser dichter stehen und wir in Bari auf die Autobahn zur Westküste wechseln. Ich habe beschlossen, im Westen über Napoli, Rom und die Etruskische Küste zu fahren, weil mir die Adria im Sommer zu bevölkert ist. Das Wetter ist traumhaft, kein Wölkchen steht am Himmel, selbst über das Gebirge nicht. Kurz nachdem die Adria im Rückspiegel verschwunden ist, taucht die Westküste vor mir auf. Italien ist schmal, hier im Süden. Ich wähle heute die schnellere Variante östlich um Napoli herum, der Vesuv liegt also links von mir. Irgendwo zwischen Napoli und Rom setze ich den Anker; genug für heute. Ich bleibe auf einer sauberen Raststätte der Autobahn; erstens, weil die Straße in diesem Abschnitt zu weit von der Küste entfernt verläuft und zweitens, weil mich diese Art zu Übernachten an meine Fernfahrerzeit erinnert. Kochen, essen und lesen begleiten mich bis zum ruhigen Schlaf.
Am nächsten Morgen, nach dem Cappuccino im Autogrill, düse ich in Richtung Rom. Es ist immer wieder schön, von den umliegenden Hügeln auf die Stadt hinunterzublicken, kurz bevor das Blech-Chaos auf den Ringautobahnen beginnt. Rom ist eine Stadt, die niemals schläft. Hier hat es immer Stau, herrscht Dauergedränge. Lächelnd schippere ich durch den Fluss, darauf achtend keine Abzweigung zu verpassen und meinen Weg zur SS1 zu finden. Mittlerweile brauche ich auch hier kein Navi mehr, doch „Kathrin" plappert fröhlich dazwischen und erzählt mir, welche Ausfahrt ich als nächstes nehmen soll – als Rückversicherung. Das Ziel des zweiten Tages ist Cecina. Dort will ich noch lokale Leckereien einkaufen gehen, bevor ich dann morgen in die Schweiz fahre. In Cecina wähle ich als Übernachtungsplatz einen Camping am Stadtrand, direkt am Meer, wo man auch mitten im Sommer ohne Voranmeldung ein Plätzchen für eine Nacht bekommt. In Italien ist das an vielen Orten möglich. Es bleiben fast überall einige Plätze ohne Reservierung frei, für Reisende wie mich. Die Campingplätze in der Schweiz haben das leider noch nicht begriffen. Zufrieden gehe ich noch eine Stunde dem Strand entlang, setze mich mit einem kleinen Becher Rotwein auf einen Stein und blicke in den Sonnenuntergang. Danach ist gemütliches Lesen angesagt.
Die Strecke von Cecina heimwärts kenne ich im Schlaf. Entsprechend hurtig sind Balu und ich in der Schweiz, gerade rechtzeitig um das gemütliche Geburtstagsfest besuchen zu können. Es ist sehr schön, mit Freunden zusammenzusitzen und zu feiern. In solchen Momenten spüre ich, was mir auf den langen Reisen manchmal fehlt: Freunde und Familie. Es ist ein schmaler Grat zwischen endloser Freiheit und unendlicher Einsamkeit. Glücklicherweise bin ich nicht scheu und komme rasch mit Menschen ins Gespräch, wann immer ich das will. Doch die Geborgenheit der Diskussionen zwischen Freunden oder in der Familie können die oberflächlichen Reisegespräche nicht ersetzen. Umso mehr genieße ich sie.
Am Tag nach der Feier scharrt Balu bereits wieder nervös mit den Rädern. Gewaschene Kleider, frisches Wasser und haltbare Nahrung sind aufgefüllt, das Bett neu bezogen. Das Wetter in der Schweiz ist typisch nasskalt – also nichts wie weg von hier! Doch wohin? Ich könnte wieder in den Süden Fahren, denn dort locken die stabilen vierzig Grad verführerisch. Andererseits komme ich gerade von da und habe keinen Bock drauf, die gleiche Strecke wieder zu befahren. Südfrankreich ist im Sommer keine Option – zu viele Touristen. Also dann, ab in Richtung Deutschland. Keine Ahnung, wohin. Eine ebenfalls reisende Freundin hat mir geschrieben, sie seien auf Deutschlandtour. Vielleicht sieht man sich ja.
Die Autobahnen Deutschlands sind weltweit dafür bekannt, dass ganz legal gerast werden darf. Dürfte, muss ich korrigieren. In den letzten Tagen bin ich tausend Kilometer im Verkehr Italiens gefahren, manchmal leicht im Chaos, aber nie ernsthaft im Stau. Nicht so im europäischen Vorzeigeland nördlich der Schweiz. Stau, wohin man blickt – auf allen Autobahnen wird gleichzeitig gebaut; sehr sinnvoll. Ich lasse mich von Staus nicht stressen, was mich deutlich von den Mercedes, Audi und BMW fahrenden Menschen unterscheidet. Was für ein „Casino" – Rom ist Nasenwasser für Weichlinge. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich zum Schluss, dass wohl gerade die legale Hochgeschwindigkeit für die Staus verantwortlich ist. In Amerika beispielweise dürfen die Trucks gleich schnell fahren wie die Autos, es gibt also nur geringe Unterschiede, weil die Autos nicht stark abbremsen müssen. Das führt zu keiner „Ziehharmonika" und demzufolge auch zu keinen Staus. Von zweihundert auf achtzig zu bremsen, und das mit zu geringem Abstand, lässt aber irgendwann den ersten Wagen stillstehen, der Stau ist vorprogrammiert; auch ohne Unfall. Das ist Physik, die man in Deutschland noch nicht versteht. Viele Staustunden später treffe ich in Bochum ein, wo ich auf einem gemütlichen Stellplatz im Zentrum ein Nachtlager finde. Kochen und lesen, Füße hochlagern.
Darauf folgt ein Tag mit Stadtbesichtigung und einem Ausflug auf eine Halde. Dort hätte ich mich eigentlich mit einer befreundeten Autorin (die ich noch nie gesehen habe und von Wattpad „kenne") treffen wollen, aber sie musste leider arbeiten. Wir verschieben unser erstes Treffen auf Irgendwann. Der Ausflug auf die Halde gefällt mir dennoch sehr gut. Schon sehr eindrücklich, was die Menschen damals noch ohne riesige Maschinen geschaffen haben. Dies ist der Schutt des Fortschritts, auf welchem wir unseren westlichen Wohlstand aufgebaut haben. Es kribbelt in mir vor lauter Geschichte.
Am Tag nach Bochum – Grönemeyer klingt noch im Ohr – fahre ich in Richtung Norden weiter, bis an die Ems. Eigentlich hätte ich noch das Schloss Neuschwanstein besichtigen wollen, doch im Internet habe ich gelesen, dass dies nur mit Ticket und auf Vorbestellung möglich sei. Wahnsinn – die ganze Welt will dieses Schloss sehen (ja, ich auch) und alle gleichzeitig. Ich beschließe, das auf einen verregneten Tag in der Nebensaison zu vertagen. So lande ich in Leer an der Ems. Wunderschön, vor allem das Städtchen Leer. Nun bin ich schon so weit gekommen, da werde ich in zwei Tagen weiter bis an die Nordsee fahren. Hier im Norden ist es auch deutlich angenehmer zu rollen. Die Städte in Deutschland gefallen mir sehr gut. Die Architektur Frieslands, die gemütlichen Ortskernzonen, es wirkt alles so friedlich und aufgeräumt. Ich fühle mich sehr wohl hier, obschon das Wetter sehr unfreundlich ist.
Doch eigentlich, wenn ich so darüber nachdenke, darf das Wetter an der Nordsee garstig sein. Es gehört irgendwie dazu und fast kann ich die Seefahrer und Fischer reden hören, die salzige Dieselluft mit Fisch vermischt riechen und tausende vom Möwen fliegen sehen. So bleibe ich denn auch drei Nächte in Bensersiel, auf einem Campingplatz direkt auf dem Wattenstrand, zweitausend Kilometer von Lecce entfernt, wo ich noch vor einer Woche die Füße im heißen Sand vergraben habe. Irgendwann werde ich meine Reise fortsetzen und die restlichen tausend Kilometer zum nördlichsten Punkt Europas unter Balus Räder nehmen. Und wer weiß, vielleicht schreibe ich dann eine Seefahrergeschichte – an der Küste Norwegens.
***
Ich hoffe, euch hat die stark gekürzte Reise einmal quer durch Europa gefallen. Eines weiß ich sicher: Deutschland werde ich noch viel öfter bereisen, denn da gibt es so viel zu sehen. Nur das Wetter müsste besser sein – denn ich bin und bleibe eine Eidechse.
Habt einen tollen Mittwoch – euer Bruno
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