15 Weihnachtsmarkt
Es ist klirrend kalt, eine wolkenlose Nacht. Der Schnee unter unseren Füßen knirscht bei jedem Schritt und unsere Worte werden in kleine Wölkchen von Dampf gehüllt. Die Augen aber leuchten wie die tausenden von warm-weißen Lichtern bei den Markthüttchen, die im verschneiten Wald stehen. Der Sternenhimmel funkelt über uns, als wäre er eine Fortsetzung des Weihnachtsmarktes.
Um uns herum lachen die Menschen, die diskutieren, albern herum; einzelne Schneebälle fliegen dort, wo gerade nichts zerdeppert werden kann; doch die meisten Menschen schlendern wie wir gemütlich von Stand zu Stand um sich die vielen Handarbeiten anzusehen, welche von den Bewohnerinnen der Stadt dargeboten werden. Wir nähern uns mit offenem und frohem Herzen, einen leeren Schlitten hinter uns herziehend. Du hast deine Bommelmütze tief ins Gesicht gezogen, nur einige braune Strähne fallen über den Fellkragen deiner grünen Winterjacke. Ein verträumter Blick in deine Schokoladenaugen, ein Begrüßungskuss, dann stapfen wir unter dem funkelnden Eintrittsbogen hindurch.
Gleich am Eingang des Marktes schnappen wir uns an einem Stand namens Acheron einen Glühwein in einer hübsch dekorierten Markttasse. Levi, der Barkeeper, erklärt uns, dass wir die Tasse am Ende behalten oder wieder abgeben dürfen; dazwischen aber können wir sie überall zum gleichen Preis wieder auffüllen lassen. Mit dem herrlich duftenden Händewärmer treten wir an den ersten Stand und schauen uns die handgemachten Kerzen an. Das erinnert mich an einen Film, den wir auf Netflix geschaut haben, wo ein junger Mann nicht Sportartikel sondern selbstgemachte Kerzen verkaufen wollte und sich nicht getraute, das seinem Vater mitzuteilen. Ich liebe die kitschigen Weihnachtsfilme auf Netflix.
Gleich neben dem Kerzenstand gibt es allerlei aus Holz. Ein junger Bursche hat wohl stundenlang gesägt, gefeilt und geschliffen. Als Ergebnis stehen hübsche Figuren neben Schneidbrettern oder Salatbesteck. Aus Wurzelholz hat er gar eine hübsche Salatschüssel geformt. Für unsere diesjährige Dekoration nehmen wir zwei Engelfiguren aus Redwood mit. Sie werden neben den Sternen schweben, die wir am letzten Markt gekauft haben.
Den jungen Mann mit den langen Haaren, der seinen Stand gleich gegenüber dem Holzschnitzer hat, kennen wir. Raffael Henneberg, der talentierte Töpfer mit seinen magischen Figuren. Wir begrüßen uns herzlich und der scheue Künstler zeigt uns seine neuesten Figuren. Neben vielen Zwergen und Kobolden steht auch eine Hexe, die seltsam jung zu sein scheint. Raffael erklärt uns lachend, dass seine Schwester Katja Modell gestanden habe. Diese Idee gefällt uns so gut, dass wir die Hexenfigur mitnehmen, in der Hoffnung, sie werde uns nicht als Geiseln nehmen. Mit den Besten Glückwünschen für ihn und Grüßen für Katja verabschieden wir uns von Raffael und schlendern zum nächsten Stand.
Deine Tasse ist kalt und leer; das kann nicht so bleiben. Wir legen einen kleinen Zwischenstopp bei der Sonderbar ein, wo wir heissen Weihnachtspunsch auffüllen lassen. Heute Abend steht Myst hinter der Theke, Wy habe gerade Pause, meint sie und lächelt sogar mit ihren bezaubernden eisblauen Augen. Sie empfiehlt uns einen alkoholfreien Früchtepunsch, den wir sehr gerne annehmen. Es duftet herrlich nach Orange, Zimt und Ingwer.
Nun zieht es uns aber endlich zu den Büchern. Dieser Stand ist nicht nur ein Hüttchen, er ist ein kleines Dörfchen im Weihnachtsdorf. Jedes Genre hat ein eigenes gemütliches Plätzchen. Mich zieht es natürlich gleich zu den zauberhaften Büchern von Fleur, Ideenzauber und Tintenzauberin, während du dich als erstes zu Ria, Jay und zu Jenn verkrümelst. Logisch werden wir hier nicht ohne die neuesten Werke weggehen. Es ist so schön, alle unsere Freunde und Freundinnen an den kleinen Ständen zu sehen; fast wie ein Klassentreffen. Wir lassen uns die Klappentexte erzählen, was viel lebendiger ist, als sie nur zu lesen.
Die aktuellen Krimis aus der Feder eines Würzburg oder eines Stephan Roth klingen vielversprechend spannend, wie auch die Science Fiction von Allan und Bobbie. Auch diese Thriller können wir nicht einfach liegen lassen. Sie verschwinden in unseren Taschen, die bereits ziemlich schwer sind. Wir sind eigentlich nicht hier, aber auch nicht weg. In Gedanken swipen und escapen wir auf unserem Mitternachtspaziergang, immer auf der Suche nach noch mehr Unterhaltung aus dieser gewaltigen Bibliothek der Seelen. Es ist so schön, die vielen Autorinnen und Autoren zu kennen; unsere Herzen sind längst gekapert. Siobhan Flanagan füllt unsere Tassen dazwischen mit einem herrlich duftenden Schokoladegetränk, das sie "Knusper, Knusper" nennt. Das Lebkuchengewürz rieche ich deutlich heraus.
Viel zu früh und gleichzeitig viele Stunden später verlassen wir das Bücherdorf, zusammen mit dem Versprechen, im nächsten Jahr wieder vorbeizuschauen. Die handsignierten Bücher und die restlichen Geschenke ziehen wir auf unserem Schlitten hinter uns her, tragen könnten wir sie längst nicht mehr. Habe ich dir schon einmal gesagt, wie sehr ich das hier liebe? Mit dir Hand in Hand durch den Weihnachtsmarkt zu schlendern; mich mit dir verzaubern zu lassen und im Christmasmood durch den Schnee zu schweben?
Weihnachtsmärkte sind immer magisch, egal in welcher Stadt wir sie besuchen. Aber Whistler ist so speziell, da müssen wir einfach jedes Jahr wieder hin. Während wir zu unserem Haus am Stadtrand ziehen, sind die Gedanken noch bei unseren Freundinnen und Freunden, die mit ihren Worten unzählige wundervolle Welten und Geschichten kreieren; dankbar für jede Reise, die wir mit ihnen unternehmen dürfen.
Liebe Schreibende - es ist so schön, dass es euch gibt!
❄️❄️❄️
In diesem Sinne wünsche ich euch einen verträumten, inspirierenden und wärmenden dritten Advent. - Euer Bruno
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