11 Wüstenrose
Sie sagen, ich sei ein König; wenn sie nur wüssten. Ein König würde stark sein, mir aber zittern die Knie, wenn ich dieses wunderschöne Geschöpf um die Ecke biegen sehe. Ein König wüsste genau, was er sagen sollte, doch mir bleiben die Worte im Hals stecken und außer einem verlegenen Lächeln, kriege ich nichts hin. Ich senke den Blick, doch ein König würde niemals auch nur blinzeln. Unmöglich kann ich ein König sein.
Kürzlich habe ich meine Mutter danach gefragt, wieso ich beim Anblick eines Mädchens mehr Angst verspüre, als wenn ein Skorpion über meinen Fuß krabbelte. Mutter lächelte nur sanft und meinte, das werde ich wohl selbst herausfinden müssen. Es sei kaum die Angst vor dem Mädchen, sondern viel eher die Liebe für die junge Frau, erklärte sie mir.
„Was ist Liebe?"
„Unser Leben besteht aus Liebe, mein Sohn." Dabei lächelte sie wieder. Aus Mutters Worten werde ich selten schlau. Sie scheint eine wissende Frau zu sein, hat auf alle Fragen eine Antwort und erzählte mir die interessantesten Geschichten, als ich noch ein kleiner Junge war. Von meiner Mutter habe ich alles gelernt, was ich über die Natur, über die Menschen und über Gott im Himmel weiß. Mutter nennt ihn „unseren Vater" und manchmal denke ich, sie hat in der Tat etwas Göttliches an sich. Andererseits kann es nicht sein, dass ein Gott der Vater einer Menschenfrau ist; das erzählen schon die Geschichten aus dem großen Römerreich.
Mein Vater kann dieser Gott unmöglich sein, denn Vater hat seine Tischlerei und stellt dort Möbel für die Menschen in unserem Ort her. Er repariert gebrochene Tischbeine und Türen für die Häuser. Vater redet nicht viel, aber er hat mich in der Holzbearbeitung unterrichtet oder mir von den Römern erzählt. Von ihm weiß ich, was Politik ist und wie eine Landesregierung funktioniert. Die Regierung der Römer sitzt in einem fernen Land am Meer. Sie haben eine starke Armee und deshalb regieren sie auch unser Land, hat mir Vater erzählt. Ich möchte gerne einmal nach Rom fahren und diese mächtigen Krieger und Herrscher ansehen. Ich würde gerne von ihnen lernen, wie ich stark werden kann.
Liebe bedeute Stärke, erklärte mir Mutter. Ich glaube, mein Gefühl für Maria Magdalena kann unmöglich Liebe sein, denn da ist keine Stärke. Ich betrachte sie auf dem Markt, wie sie Früchte und Gemüse für ihre Familie einkauft. Wie gerne wäre ich die Orange, welche sie gerade in ihrer zarten Hand hält und daran riecht. Ich würde meinen süßesten Duft verbreiten, damit sie mich anlächelt. Ob ich hingehen und ihr den schweren Korb tragen soll? Ich getraue mich nicht.
Meinen Freunden werde ich nichts davon berichten. Sie lachen mich nur wieder aus. Abraham hat schon eine Freundin. Von ihm weiß ich, dass Mädchen gerne Geschenke erhalten. Wenn wir am Fluss angeln, erzählt er mir davon, was Mädchen gerne machen und wie wir Jungs mit ihnen sprechen können. Johannes und Mohamed gehen lieber klettern oder schwimmen, sie zeigen wenig Interesse für Mädchen. Sie messen sich im Nahkampf und werfen Steine in der Gegend rum. Beide wollen Krieger werden, Abraham wäre am liebsten Lehrer, sagt er. Was meine Zukunft mir bringen wird, weiß ich nicht.
Mutter sagt, mein Weg sei von Gott vorgegeben. Wie aber soll ich einem Weg folgen können, wenn ich ihn nicht kenne? Ich frage mich, ob es auf meinem Weg einen Platz für Maria Magdalena gibt. Was, wenn ich sie nicht mitnehmen darf? Seltsam, wie meine Gedanken immer wieder zu ihr zurückkehren, als ob sie sich in meinem Kopf eingenistet hat wie die Vögel unter den Dächern der Häuser. Immer wenn meine Gedanken abschweifen, piepst sie kurz und holt mich zu ihr zurück.
Heute habe ich keinen Fisch gefangen; meine Freunde haben mich ausgelacht, als ich vergessen hatte, einen Wurm an der Angel zu befestigen. Auf dem Heimweg sehe ich einen blühenden Rosenbusch; ich pflücke eine große Blume ab, fest überzeugt davon, sie Maria Magdalena zu geben, wenn ich sie das nächste Mal treffe. Dass sie gleich in meiner Straße steht, konnte ich nicht wissen. Sie blickt mich an und lächelt, meine Rose fällt in den Staub.
„Hallo Jesus. Ich dachte, die Rose sei für mich. Aber nun liegt sie auf der Straße; schade – es ist eine schöne Rose."
Wenn es einen Gott gibt, dann lasse mich bitte hier zu Staub werden. Bitte lass die Straße mich verschlingen, wie die Nacht Schatten verschlingt. Ich bücke mich umständlich und hebe die Rose auf. Maria steht bereits sehr nah bei mir, als ich mich wieder erhebe. Unsere Nasen berühren sich fast; sie riecht gut, meine Blume.
„Ich habe dich heute am Markt gesehen und fast habe ich gehofft, du würdest meinen schweren Korb tragen", flüstert sie in mein Ohr.
„Diese Blume ist für dich; ich habe sie am Bach gepflückt." Damit strecke ich ihr die Blume entgegen, die rosafarbenen Blätter sind leicht staubig. Maria lächelt, dann lehnt sie sich vor und küsst mich auf die Wange. Sie bleibt etwas länger dort, als ein Kuss meiner Mutter dauert. Ich lege meine Hand auf ihre Schulter. Mein Körper bebt, bestimmt hört sie mein Herz schlagen.
Wieder flüstert sie sanft. „Ich mag dich Jesus, vielen Dank für die wunderschöne Blume." Dann legt auch sie ihren Arm um mich und wir bleiben einen Moment stehen wie die Zeit um uns herum.
Sie sagen, ich sei ein König. Wie recht sie haben, denn im Moment fühle ich mich wie der König der Welt. Und Maria Magdalena wird meine Königin sein.
***
Ach, die erste Liebe ist nie einfach.
Ich wünsche euch einen wunderschönen 11. Dezember. Heute hat meine Patentochter Geburtstag. Ich gratuliere dir herzlich und sende dir auf diesem Weg eine wunderschöne Wüstenrose.
Mit den besten Wünschen und Grüßen – euer Bruno
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