05 Theo
Triggerwarnung
Die heutige Geschichte ist eine Satire. Menschen, die Mühe damit haben, wenn die Christliche Glaubensgemeinschaft etwas auf die Schippe genommen wird, sollten den Text allenfalls nicht lesen.
Ich betone, dass ich das Theologiestudium ehre und wertschätze. Ebenso respektiere ich den Glauben und alle Menschen, welche danach leben und handeln. Meine Geschichte dient der Unterhaltung und ist keinesfalls als Kritik zu verstehen.
Das ist mir wichtig. Nun dürft ihr den Text lesen, wenn ihr wollt. Viel Vergnügen.
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Vor vielen Jahren lebte ein einfacher Ziegenbauer am Rande der Arabischen Wüste, am See Genezareth, nahe der Ortschaft Nazareth. Er war ein einfacher Bauer und hörte auf den Namen Theodoris, doch seine Freunde nannten ihn alle Theo den Dummen. Theodoris wusste nicht viel, doch was er wusste, das beherrschte er genau. Er kannte die umliegenden Gebirgszüge. Anhand der Wolken konnte er das Wetter voraussagen und er wusste stets genau, wie es jeder einzelnen seiner weit über hundert Ziegen ging.
Theodoris lebte bei seinen Ziegen, er führte ein einfaches Nomadendasein. Manchmal sehnte er sich nach einer liebevollen Frau, doch seine zerrissene Kleidung, die schiefen Zähne und das struppig lange Haar waren in dieser Hinsicht nicht hilfreich. So saß er abends jeweils allein am Lagerfeuer, sang seine Lieder für die Ziegen und teilte das Gebräu aus getrockneten Bohnen nur mit sich selbst. Die Ziegen kümmerten sich wenig um den schiefen Gesang ihres Hirten, sie ergriffen höchstens die Flucht, wenn er damit anfing.
Eines Tages kam der Sohn des Metzgers vorbei, um einige junge Ziegen für das bevorstehende Fest abzuholen. Er berichtete Theodoris von einem seltsamen Mann aus Nazareth, der wirre Geschichten erzähle. "Der Kerl ist ähnlich schräg drauf wie du, mein Freund", scherzte der Metzgerssohn und Theodoris verstand nicht, weshalb er dazu lachte.
Diese Nachricht faszinierte den Hirten, weshalb er mit seinen Ziegen in Richtung der Stadt weiterzog, in der Hoffnung, diesen sonderbaren Geschichtenerzähler aufzufinden. Der Weg war beschwerlich, viele Tage und Nächte über Geröllhalden, durch ausgetrocknete Flussläufe und über staubige Ebenen. Die Ziegen fanden kaum Zeit zu fressen und magerten vor sich hin, doch Theo wollte unbedingt den seltsamen Mann treffen. Nach einem halben Mondzyklus lagerte er schließlich mit seiner Herde vor den Toren der Stadt. Jeden Tag fragte er die Händler nach dem Geschichtenerzähler, dessen Namen er nicht kannte, doch die Händler wussten nichts. "Geh dich waschen!", sagten sie bloß und beeilten sich, von ihm wegzukommen.
Theodoris wurde traurig, doch aufgeben wollte er nicht. Wenn es einen anderen Verrückten gäbe, so wollte er ihn kennenlernen. Er wusch sich am Brunnen vor der Stadtmauer und schnitt sein Haar kürzer. Aus einer alten, hellen Zeltplane schneiderte er sich ein neues Gewand, damit er sich in die Stadt wagen konnte. So viele Menschen auf engen Straßen war sich Theodoris nicht gewohnt. Er bewegte sich unsicher, die Männer stießen ihn, die Frauen schimpften; Theo wurde durch die Gassen geschoben und hatte die Orientierung längst verloren. Er wusste nicht, ob er am Abend seine Ziegen wiederfinden würde.
Auf einmal bemerkte er, dass die Menschen alle in die gleiche Richtung liefen und folgte ihnen. Auf dem großen Platz bei der Synagoge entdeckte er einen Mann mit Bart und langem Haar, einen hübschen, jungen Mann, der auf einer Kiste stand und eine Geschichte erzählte. Theodoris musste ich anstrengen, damit er verstand, was der Mann berichtete, doch die Stimme fasziniert ihn. Der Erzähler sprach mit einer ruhigen, warmen Stimme; Theodoris hätte ihm stundenlang zuhören können.
"Wie heißt der Mann?", fragte der Ziegenhirte einen Zuhörer.
Dieser blickte ihn nur kopfschüttelnd an. "Du kennst ihn nicht? Das ist Jesus. Er berichtet vom Vater im Himmel und dem Paradies, wo alle Menschen gleichberechtigt sind."
Theos Augen begannen zu leuchten. Er mochte die Geschichte vom Paradies und von einem Land, in dem es nur Liebe und Frieden gab. So beschloss er, mit dem jungen Mann zu ziehen; seine Ziegen wollte er auf die Reise mitnehmen. Er folgte der Schar Männer, denn dieser Jesus hatte schon einige Männer, die mit ihm zogen, in gebührendem Abstand, die Ziegen hinterher. Seine Wachhunde hatten viel Arbeit, die Herde zusammenzuhalten.
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Während Monaten und Jahren folgte Theodoris dem Geschichtenerzähler. Jede Rede, alles, was Jesus sagte, sog der Hirte in sich auf. Viele Nächte lang saßen die beiden am Lagerfeuer und diskutierten über Gott, über die Menschheit und über eine Möglichkeit, ins Paradies zu gelangen. Theodoris lernte gar schreiben, die Männer aus der Gruppe brachten es ihm bei. Jesus hatte viel Geduld mit ihm und lehrte ihn viele Dinge, von denen Theo bisher nie gehört hatte.
Doch dann geschah es, dass Jesus verraten und verurteilt wurde. Die Gruppe der Männer war zerrüttet; es gab Streit unter ihnen und die meisten zogen von dannen. Theodoris aber blieb. Er hatte begonnen, die Erlebnisse aufzuschreiben; seine und auch die von Jesus, seinem Idol und Freund. Der Tag der Kreuzigung war der härteste Tag in seinem Leben. Stundenlang wachte und trauerte er mit den engsten Gefolgsleuten, den Freunden und mit der Freundin ihres geliebten Jesus.
Ihr Leben war danach nicht mehr dasselbe. Die meisten der Freunde gingen ihren eigenen Weg, einige führten fort, was Jesus angefangen hatte, andere begaben sich wieder auf den Pfad der Gesellschaft. Theodoris aber schrieb weiter. Er füllte Seite über Seite, schrieb Tag und Nacht, eine Arbeit, die er gut auch bei den Ziegen erledigen konnte. Weil nun niemand mehr bei ihm war, der ihn hätte korrigieren können, musste der Ziegenhirte sich immer stärker konzentrieren, damit er keine Erlebnisse und Ereignisse verwechselte.
Wenn er sich in einem bestimmten Fall nicht mehr genau an die Fakten erinnern konnte, so erfand er Dinge dazu, damit die Geschichte wieder zusammenpasste. Er hatte Freude an seiner Schrift, war sichtlich stolz darauf, als einfacher Hirte ein solches Buch geschrieben zu haben. Viele Male ging er sein Manuskript durch und veränderte es, bis es ihm gefiel. Dann wagte er den Gang zu einem Geistlichen, den er aus Kindstagen kannte.
"Was hast du hier, Theo?" Der alte Prediger staunte nicht schlecht, dass ein Hirte ihm so viele Schriftrollen überreichte.
"Das ist eine wörtliche Niederschrift des Predigers aus Nazareth, von Jesus. Ich habe alles aufgeschrieben, was er berichtete und auch seine Taten und Reisen."
Der Geistliche nahm das Manuskript entgegen und begann es zu lesen. "Das ist alles von dir?"
"Ja, Herr. Ich habe das geschrieben; aber nein, Herr, die Worte sind nicht meine sondern seine." Theo wusste, dass dies eine Lüge war, doch er versuchte, dem Text mehr Gewicht zu geben. Er hatte sich so daran gewöhnt, geschätzt und wichtig zu sein, das wollte er keinesfalls aufgeben.
Die Schriften gefielen dem Geistlichen; er zeigte sie anderen Männern aus seiner Religionsgemeinschaft. Alle hatten Freude daran, rühmten die Erlebnisse und hinterfragten sie nicht. Der Hirte hatte ihnen immer wieder versichert, es handle sich um eine wörtliche Niederschrift des Lebens des Geschichtenerzählers mit Namen Jesus. Zahlreiche Ratschläge, die sie aus den Dokumenten herauslasen, formulierten sie zu Regeln um, sie begannen ein eigenes Regelwerk für die Gläubigen zu erstellen.
Mit den Jahren entwickelte sich eine neue Religion, die auf den Schriften des ehemaligen Ziegenhirten aufbaute. Theodoris wurde fürstlich entlöhnt, er lebte in einem Palast und konnte sich ganz und gar seinen Schriften widmen. Ziegen hüten musste er schon lange nicht mehr. Es ging ihm gut, er trug teuer Gewänder, badete in einer Woche mehr als früher in einem Jahr und verzehrte mehr Ziegenfleisch als in einem Monat nachwuchs.
Weil er sich aber an keine neuen Geschichten mehr erinnern konnte, musste er welche erfinden. Er war gut darin und verkaufte sie den reichen Kirchenmännern immer als die Geschichten von Jesus. Sie füllten ein dickes Buch damit, ein Buch, das in jedem Kirchenhaus stand und von den Priestern gelesen, von den Mönchen abgeschrieben wurde. Die Wahrheit des Theodoris, des einzigen übrig gebliebenen Augenzeugen von Jesus. Nur Theo wusste, dass dies nicht stimmte, aber er traute sich nicht, das zu erzählen. Es freute ihn, dass den Menschen seine Worte gefielen und sie seine Geschichten glaubten.
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Viele Jahre waren ins Land gezogen. Kriege entbrannten und erloschen, der Jordan schwemmte das Blut der Konflikte zum Meer. Erst auf dem Sterbebett gestand Theo, dass er gelogen hatte, doch es war zu spät. Die neuen Machthaber der noch jungen Kirche hatten bereits einen Lehrgang für das Studium der Geschichten, die ihnen Theo berichtet hatte, geschaffen. Sie wollten daran nichts mehr ändern; alle zukünftigen Generationen sollten diese Geschichten erfahren, sie lehren und ehren. Die Flunkerei des alten Ziegenhirten war bekannt und wurde dennoch verschwiegen. Wie aber Jesus wirklich gelebt und was er gefühlt oder gedacht hatte, das ging in diesen vielen Jahren leider vergessen. Theo hatte gelogen und so nannte man den Studiengang über die vielen Schriften fortan ganz simpel «Theologie».
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