16. Türchen
Louis hat erstaunlich gut geschlafen, stellt er fest, als sein Wecker klingelt. Er ist noch bei Harry. Er liegt auf seinem Sofa und streicht sich die Haare aus der Stirn. Und er trägt Harrys T-Shirt, dass immer noch nach ihm riecht. Oder dieser Geruch hat sich einfach in seiner Nase festgesetzt, das kann auch sein. Die Tür zu Harrys Schlafzimmer ist noch geschlossen. Er zögert einen Moment. Ob er wohl schon wach ist? Sie sollten sich gleich auf den Weg zur Wache machen. Bevor das Risiko besteht, dass er wieder einschläft, steht Louis auf und geht in die Küche. Es ist kühl in Harrys Wohnung, aber er trägt von dem Shirt abgesehen auch nur seine Shorts, die man unter dem Shirt von Harry nicht einmal sieht. Louis ist nicht klein. Harry ist nur zu groß.
In der Küche stellt Louis die Kaffeemaschine an. Gibt es hier auch Tee? Er hält kurz inne. Es ist alles still. Harry schläft also noch. Kurzerhand öffnet er die Schränke. Kein Tee. Kaffee, Milch und Lebensmittel. Aber kein Tee. Er seufzt leise und öffnet einen anderen Schrank. Sehr viele Backutensilien. Was ist das alles? Skeptisch sieht er die ganzen Sachen an.
„Das ist ein Draht, um Böden zu schneiden."
„Was?" Louis dreht sich um und sieht Harry ertappt an. Wann hat der Kerl sich hierher geschlichen? Muss er ihn unbedingt zu erschrecken?
„Was suchst du bei den Backsachen?", fragt Harry hingegen, ohne auf Louis' Frage einzugehen.
„Tee. Oder hast du nur Kaffee?", möchte er wissen. Harry stellt den Wasserkocher an und holt zwei Tassen raus. „Im nächsten Schrank wärst du fündig geworden. Aber ich habe nur grünen Tee hier, keinen Earl Grey."
„Du weißt, welchen Tee ich trinke?"
„Wer von der Academy weiß das nicht? Jeder hat mitbekommen, wie schlecht gelaunt du warst, wenn du morgen keinen Earl Grey getrunken hast", antwortet Harry ihm und nimmt sich von dem Kaffee, der gerade fertig geworden ist. „Danke."
Louis steht dumm da und sieht zu, wie Harry ihm Tee kocht. Er hat ihm Kaffee gemacht, also sollte das keine große Sache sein, oder? Dass er ihm Tee macht. Es fühlt sich allerdings so an. Genau wie die Tatsache, dass er hier immer noch halb nackt steht, während Harry schon angezogen ist – und es ihm die ersten Minuten nicht einmal aufgefallen ist.
„Frühstück?", fragt Harry ihn und öffnet den Kühlschrank.
„Haben wir dafür denn noch Zeit?", fragt Louis und sieht auf die Uhr.
„Ich mache Frühstück, du gehst duschen. Handtücher habe ich dir hingelegt, frische Unterwäsche und Socken auch. Die kriege ich wieder, gewaschen."
Louis nickt knapp und verschwindet in Richtung Badezimmer. Er widerspricht Harry bestimmt nicht, wenn er gerade bei ihm in der Wohnung ist.
Harry beschließt in der Zeit, Omelette zu machen. Das geht schnell und er hat alles da. Er ist ein guter Gastgeber, das hat seine Mutter ihm beigebracht. Er würde Louis nicht ohne Frühstück aus dem Haus gehen lassen.
Er verteilt das Essen gerade auf zwei Teller, als Louis angezogen und mit noch feuchten Haaren wiederkommt.
„Das riecht gut. Hast du das gerade gemacht?"
„Ja", sagt Harry knappt und reicht ihm einen Teller. Den Tisch hat er nicht gedeckt, aber das scheint Louis nicht zu stören. Sie stehen einander gegenüber und essen schweigend. Erst, als die Teller leer sind, ergreift Louis das Wort: „Wir werden hierüber nicht auf der Wache reden."
„Okay. Einverstanden", stimmt Harry zu. Die Wache ist mindestens genauso schlimm wie die Mittelstufe. Er hat ebenso wenig Lust auf Getratsche wie Louis.
„Ich habe mir vorhin Gedanken gemacht", meint Louis, als sie im Auto sitzen.
„Aha?"
„Wir müssen uns die Kneipen noch einmal ansehen."
„Soll ich direkt dorthin fahren?"
„Nein, es reicht, wenn wir in der Wache sind", antwortet Louis. Der Gedanke ist im gekommen, als er unter der Dusche war. Seine Gedanken waren schnell und wir, aber den konnte er zum Glück greifen. Er ist sich nicht hundert Prozent sicher, aber es ist auf jeden Fall etwas, was man in Betracht ziehen sollte.
Harry parkt und sie gehen in die Wache. Louis geht direkt auf die Tafel zu und nimmt sich einen Stift.
„Das sind all die Lokale, in denen wir waren. Hier wurde Mister Smith von Miller gerettet. Hier wurde vielleicht Josh gesehen und dort Allen", sagt Louis und kreist die Kneipen ein. „Das sind alles Studentenkneipen. Was ist, wenn der Täter überhaupt nicht in einer Kneipe tätig ist, sondern die Läden wechselt? Er kehrt nie zu der gleichen Kneipe zurück, aber er geht nur in Studentenkneipen. Damit können wir die alle wegstreichen." Louis nimmt eine andere Farbe und markiert die Lokale, die nicht hauptsächlich von Studenten besucht werden. „Er kehrt nicht wieder, um nicht erkannt zu werden. Es könnte den Angestellten auffallen, wenn er alle paar Tage einen anderen Kerl mitnimmt. Und es würde auffallen, wenn all diese Leute zu Mordopfern werden."
„Das bedeutet, viele Kneipen bleiben nicht mehr übrig."
„Dann könnte er sich auf ganz London ausweiten. Immer weiter von der ersten Kneipe entfernt", überlegt Louis laut. „Irgendetwas ist besonders an East London."
„Er könnte hier aufgewachsen sein."
„Oder hier ist etwas passiert, dass ihn getriggert hat."
„Der Friedhof", wird Harry ein. „Wenn hier jemand beerdigt ist, möchte er vielleicht nicht zu weit weg von dieser Person sein. Er könnte hier in der Gegend wohnen."
Es ist nur eine Vermutung, aber sein Bauchgefühl ist eindeutig. Das ist natürlich kein fester Beweis, aber für ihn Grund genug, weiter in diese Richtung zu ermitteln.
„Lass uns in den Kneipen Bescheid geben. Wenn jemand dort auftaucht, der zu unserer Beschreibung passt, sollen sie uns anrufen. Vielleicht haben wir Glück", schlägt Harry vor und macht sich an die Arbeit, eine Beschreibung auszuarbeiten. Miller wird sie gleich zu den Kneipen fahren.
Danach setzt er sich nochmal an die Fakten des Täters. Sie übersehen etwas. Er überlegt hin und her. Der Trigger fehlt. Der Friedhof.
„Wir brauchen alle Beerdigungen der letzten Wochen. Wenn ein Todesfall die Ursache war und diese Person dort begraben ist, müssen wir die Liste mit den letzten Bestattungen haben. Eine Person darauf ist dem Täter wichtig."
Noch bevor Louis antworten kann, ruft Harry bereits die Friedhofsverwaltung an. Er braucht alle Infos, die er kriegen kann.
„Und du glaubst, das bringt was?"
„Es ist ein Versuch wert", erwidert er und bekommt in diesem Moment die Liste. Es sind nicht allzu viele Personen, die dort kürzlich beerdigt wurden, aber so viele, dass er die Hälfte der Liste Louis rüberreicht. Allein ist er zu lange damit beschäftigt.
„Nach was suchen wir?", will dieser wissen und lässt seinen Blick über die Namen schweifen.
„Das weißt du, wenn du es siehst."
„Hilfreich."
„Niemand hat je behauptet, unsere Arbeit wäre leicht", entgegnet Harry und für einen kurzen Moment glaubt er, Louis daraufhin schmunzeln zu sehen. Bestimmt war das nur eine optische Täuschung.
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