11 - Der Pate
Keine Angst, das ist nicht Palermo hier. Keine Schießerei und keinen Mord - zumindest noch nicht heute. Heute geht es friedlich zu und her, festlich. Denn heute ist der Geburtstag meines Patenkindes. Sie heißt Fabienne.
Ich nutze den Tag, kurz innezuhalten und darüber nachzudenken, was es bedeutet, Pate zu sein. In der Schweiz nennen wir das übrigens nicht Pate oder Patenonkel, wir nennen das Götti. Ich bin also Fabiennes Götti. Als ich damals angefragt wurde, ob ich Götti der zweiten Tochter meiner Schwester werden wolle, musste ich nicht lange überlegen. Ich wollte; vor allem auch, weil ich selbst keine Kinder habe.
Götti sein ist cool. Ich kann mit Fabienne spielen, so oft ich das will. Wir können in den Zoo, wir können in den Zirkus, ins Kino oder Skifahren gehen. Wir können zusammen backen und dabei die ganze Küche mit Mehl und Zuckerguss betupfen. Wir können zusammen eine Wand streichen und dabei fast mehr Farbe auf uns und dem Boden verkleckern als auf die Wand. Und wir können tagelang in der Badi liegen und Glacé essen, solange es ihre Mutter nicht sieht.
Später, wenn Fabienne älter ist, kann ich ihre Facharbeiten korrigieren, ihr Tipps zur Berufswahl geben oder ihr beistehen, wenn sie Liebeskummer hat. Götti sein ist also fast wie Großvater, man genießt die schönen Dinge der Kindheit und kann sich rausnehmen, wenn es Ärger gibt. So stellte ich mir das zumindest vor.
Götti sein ist viel mehr. Ich selbst habe meinen Götti und meine Gotte sehr selten gesehen. Sie waren da und die Besuche bei ihnen waren in der Erinnerung immer sehr schön. Aber wir sind nie irgendwo hingefahren, keinen Zoo, kein Kino. Ab und zu gab es Wanderferien in den Bergen und zum Geburtstag oder an Weihnachten gab es die Besuche mit den Geschenken.
Ich wollte das anders machen. Obwohl ich mir viel Mühe gegeben habe, fragte ich mich die ganze Zeit: "Bin ich ein guter Götti? Bin ich so, wie Fabienne es sich wünscht? Habe ich genug Zeit für sie?" Es entsteht so eine Art Wettbewerb zwischen den verschiedenen Göttis und Gottis, die es in einer Familie mit vier Kindern gibt. Wir sind acht Personen, von denen ich nicht einmal alle kenne.
Doch jedesmal, wenn Fabienne erzählte, ihre Schwester habe mit ihrem Gotti einen coolen Ausflug gemacht oder bei ihr übernachten können, machte ich mir ein schlechtes Gewissen. Vor dem Gesetz besteht die eigentliche Aufgabe der Pateneltern darin, die Fürsorge für das Kind zu übernehmen, falls den Eltern etwas zustoßen sollte. Das ist eine Verpflichtung, die man eingeht und von der man gleichzeitig hofft, sie möge niemals eingefordert werden.
Die gesetzliche Verpflichtung erlischt, wenn das Kind volljährig wird. Fabienne wird heute 29 Jahre alt (sorry, meine Liebe, dass ich dich hier oute). Inzwischen ist sie zweifache Mutter. Ihre beiden Söhne sind ebenfalls schon auf den Beinchen unterwegs, plappern und wir spielen jeweils alle miteinander am Strand. Aber Fabienne nennt mich heute noch Götti. Und das macht mich unglaublich stolz. Ich habe wohl einiges richtig gemacht.
Was bitte gibt es Schöneres, als dass jemand nicht aufhört an die Funktion zu glauben, die man einst ausübte, selbst wenn diese schon lange nicht mehr gilt? So etwa stelle ich es mir vor, wenn die eigenen Kinder ein Leben lang Paps oder Mama sagen, auch wenn sie längst erwachsen sind. Es gibt ein Gefühl familiärer Zusammengehörigkeit, vermischt mit Wärme und Liebe. Ein Rezept für die Glückskekse, welche nicht im Chinarestaurant verteilt werden, sondern in der mehlig und überzuckerten Küche hergestellt worden sind.
Inzwischen bin ich auch Götti des kleinen Ennio, er wird im Januar sieben Jahre alt. Auch bei ihm spüre ich ähnliches wie schon bei Fabienne, obwohl Ennios Eltern und ich uns nicht verwandt sind sondern einfach gute Freunde. Er ist ein Saurier-Fan und wir können ins Sauriermueseum gehen oder mit technischen Dingen spielen. Mir gefällt natürlich auch das - Männer bleiben ein Leben lang Kinder. Gib ihnen, auch mit fünfzig, eine Kiste mit Legosteinen und der Tag ist gerettet. Götti sein ist super.
Zum Schluss aber möchte ich einige Worte an Fabienne richten, denn heute ist ihr Geburtstag:
✨✨✨
Liebe Fabienne
Du warst ein Supergöttimädchen! Ich habe jeden Ausflug und jeden Moment mit dir genossen und mache das bis heute. Aus dir ist eine wunderschöne und starke Frau geworden, die mit ihrem tollen Mann zusammen eine liebevolle und herrliche Familie hat. Ich fühle mich geehrt, ein kleiner Teil davon gewesen zu sein. Du bist eine so fürsorgliche Mutter, die mit Ruhe und Liebe an die Erziehung ihrer Kinder herangeht. Ich kann es kaum glauben, dass du schon bald dreissig wirst - wenn du mit deinen zwei Söhnen durch die Stadt gehst, könnte man meinen, du seist ihre ältere Schwester und nicht ihre Mutter.
Genieß deinen Tag! Lass dich heute verwöhnen und mache nur Dinge, an welchen du Freude hast. Du bist großartig! Behalte dein sonniges Gemüt und deine Lebensfreude. In Liebe - dein Götti
✨✨✨
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