10 - Dumme Nuss
Kennt ihr das Gefühl, nicht die hellste Kerze auf der Torte zu sein? Ein bitterer Moment. Ich strahle und strahle, gebe mir alle Mühe und brenne dabei völlig aus doch die anderen überstrahlen mich scheinbar ohne Anstrengung, tausendmal heller. Sie werden wahrgenommen und bestaunt; ich entfernt und entsorgt.
Noch schlimmer muss es für jemanden sein, der nicht bloss nicht die hellste Kerze auf der Torte ist, sondern der es nicht einmal auf die Torte geschafft hat. Diese Geschichte handelt von der Kerze neben der Torte und einer dummen Nuss.
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Da steht sie: Mächtig, vielschichtig wie eine aztekische Stufenpyramide jedoch verziert wie Spielzeug aus der Barbie-Ecke; rosarot und himmelblau. Die Torte. Alle wollen sie ein Stück vom Kuchen abhaben, alle wollen Teil davon sein, am liebsten weit oben auf dem Treppchen, damit man einzigartiger wird, wenn das Platzangebot sich schmälert. Das vermittelt ein Gefühl von Wichtigkeit und Macht; über den anderen zu stehen, herauszustechen aus der Masse; obwohl sie streng genommen in der Masse stecken, wenn sie genauer darüber nachdenken würden.
Sie können nicht denken, die Kerzen; leuchten ist ihre Aufgabe. Jede Kerze will heller leuchten als die andere, damit man sie beachtet und nie vergisst. Alle wollen ihren Schein wahren und für die Ewigkeit wegschließen, damit man sich an sie erinnern möge. Sie sind nur Kerzen. Sie leuchten einen Moment und verglimmen mit einem zaghaften Räuchlein im nächsten. Sie sind Lichter in der Dunkelheit, über eine kurze Zeitspanne hinweg durchaus wichtig, aber jederzeit ersetzbar.
Nur die hellsten Kerzen schaffen es auf die Torte; und selbst unter ihnen herrscht das Gerangel, denn je heller sie strahlen, desto höher dürfen sie stehen. Die hellste Kerze steht ganz oben. Mächtig, wichtig, strahlend - doch bei genauerem Betrachten, stammt das viele Licht dort oben vor allem von den zahlreichen weniger hellen Kerzen weiter unten auf der Treppe. Sie sind es, die den Schein der Mächtigen nähren.
Neben der Torte liegen die ausgestoßenen, die vergessenen, die unwürdigen Kerzen. Eine davon, sie ist hellblau und krumm, schielt zur Torte und seufzt. "Ich will da hin! Ich will auf die Torte!"
"Vergiss es", murmelt eine halb verbrannte Kerze aus Bienenwachs. "Sieh mich an: Ich rieche unglaublich gut und bin biologisch. Doch auch ich wurde entfernt, weil der Trend sich verändert hat. Der Fortschritt hat mich wegrationalisiert. Nun liege ich halb abgebrannt hier. Du bist krumm und hässlich. Wie willst du es jemals auf die Torte schaffen? Und warum willst du das überhaupt? Diese Torte ist nicht so, wie sie scheint."
"Was soll das?", meldet sich eine Baumnuss, die unweit der Kerzen auf dem Tisch liegt. "Warum beleidigst du die Kleine? Wenn sie es auf eine Torte schaffen will, kann sie das auch!"
"Was weißt du schon von Kerzen? Du bist doch nur eine dumme Nuss!" Die alte, halb abgebrannte Bienenwachskerze lacht spöttisch. "Das einzige, was du tun kannst, ist vom Baum zu fallen."
Die hellblaue Kerze betrachtet die runde, unscheinbare Nuss mit den schwarzen Stellen auf ihrer Schale. "Wie hast du das gemeint?"
"Wenn du unbedingt auf diese Torte willst, dann gibt es tatsächlich wenig Chancen, da muss ich der halben Kerze da drüben zustimmen. Aber muss es denn genau diese Torte sein? Sieh dich um, da stehen noch andere." Die Nuss rollt hin und her, im Kreis und zurück.
"Aber diese Torte ist die wichtigste und schönste Torte weit und breit!", rechtfertigt das Kerzlein seinen Wunsch.
"Im Moment ja; bis sie verzehrt ist oder von einer noch prächtigeren Torte übertroffen wird. Ich bin eine Nuss und liege hier. Ich weiß, meine Chance wird kommen und ich werde einen Zweck erfüllen. Das stimmt mich zufrieden."
Die Kerze rollt sich so gut es geht etwas von der großen Torte weg. Die Torten auf der Ablage sind alle geschmückt und überzuckert; sie sind teilweise mehrschichtig und sehr hübsch, wenn auch nicht so glänzend wie die in pink-hellblau. Die Kerze rollt sich wieder zurück.
"Es hat andere Torten, richtig, aber die interessieren mich nicht. Ich will auf diese hier. Wenn du Erfolg haben willst, musst du auf dieser Torte stehen. Das wissen doch alle."
"Nein, das sagen alle. Von wissen redet hier niemand", korrigiert die Nuss. "Aber wenn es unbedingt diese Torte sein muss, dann lege dich ganz nach vorne; möglichst so, dass man deine krumme Haltung nicht sieht. Vielleicht wirst du dann genommen. Ich wünsche dir Glück."
Zur frühen Morgenstunde erscheinen die Zuckerbäckerinnen und Konfiseure in der Backstube.Sofort geht das Gerangel bei den Kerzen los, jede will zuvorderst liegen. Die Krumme legt sich in perfekter Handdistanz daneben - und sie wird tatsächlich genommen und auf den untersten Rand der mächtigen Torte gesteckt.
Ein Gefühl von Glück und Bestätigung erfüllt sie; in Gedanken sieht sie sich bereits ganz oben auf der Torte stehen und über alle anderen Kerzen bestimmen, wo das Licht hingehen soll. Schnippisch blickt sie auf den Tisch zurück, sucht die Baumnuss. Zu gerne hätte sie ihr gesagt, dass sie doch bloß eine dumme Nuss sei und sich geirrt habe, doch die Nuss ist nirgends zu sehen.
Alle Nüsse waren von einem Lehrling eingesammelt worden, der sie am hinteren Nebentisch vorsichtig mit goldener Farbe überzieht und ihnen eine kleine Schnur anklebt. Die Nüsse werden anschließend im Schaufenster an eine kleine , künstliche Tanne gehängt, zusammen mit glänzenden Kugeln und bunt eingepackter Schokolade. Die Baumnuss erhält ihren Platz fast ganz oben, gleich unter den Spotlichtern, welche das Schaufenster beleuchten. Sie strahlt wie eine Kerze.
Auf der Torte werden die Kerzen entflammt. Jetzt beginnt das Strahlen. Die krumme, hellblaue Kerze hat Mühe, mitzuhalten. Es ist nicht einfach, mit der krummen Haltung das Licht regelmäßig abzugeben. Zudem macht ihr die Wärme der anderen Kerzen zu schaffen. Sie krümmt sich mehr und mehr, ihr Licht wird rasch schwächer.
Bevor sie den Zuckerguss anbrennt, wird sie entfernt, ausgepustet und auf den Stapel mit den abgebrannten Kerzen geworfen. Sofort steht eine andere Kerze an ihrem Platz und strahlt so hell wie die anderen. "Na, Kleine, wie war das Abenteuer auf der großen Torte?"
Die Kerze kann unter sich, tief im Stapel drin die halb abgebrannte Bienenwachskerze sehen. "Nicht so, wie man mir versprochen hatte. Die anderen haben meinen Wert nicht erkannt, ich wurde von ihnen ignoriert."
Die Bienenwachskerze lacht. "Versprochen hatte dir niemand etwas. Du hast dir die schöne Strahlewelt auf der Torte selbst eingeredet. Ich gebe es ungern zu, aber du hättest auf die dumme Nuss hören sollen."
"Wo ist sie überhaupt?" Die Kerzen blicken sich um. Da entdecken sie die Nuss, oben am Weihnachtsbaum, glänzend im Scheinwerferlicht. Sie hängt ruhig da, ohne Gerangel und ohne nach Aufmerksamkeit zu heischen, doch ihren Auftrag als Schmuckstück mit Hingabe erfüllend.
Die Kerzen schämen sich und reden nicht weiter. Drum wisse stets, bevor du urteilst: Auch die dümmste Nuss kann strahlen, heller als die hellste Kerze auf der Torte.
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Ich wünsche euch einen wundervollen 2. Advent. Der Schnee ist zwar wieder verschwunden, aber die Vorfreude auf die kommenden Tage hält an, wird stärker.
Heute habe ich bereits mein letztes Konzert in dieser Weihnachtszeit. I'm dreaming of a White Christmas; so Let it Snow, because I want to be Walking in a Winterwonderland. Listen to the Carol of the Bells - Here Comes Santa Claus: "All I want for Christmas is You - so Have Yourself a Merry Little Christmas!" And then I go Skating with my Baby while there are Chestnuts Roasting on an Open Fire. Happy Christmas to all of you! It's the Most Wonderful Time of the Year.
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