08 - Odyssee der Liebe
Ein Roman von Marco Stalder
Erstausgabe; Sihl Verlags AG, Zürich, 2019
ISBN 3 4720 550376 6
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Prolog
Die wahre Liebe bestand für ihn nicht mehr, obwohl er stets geglaubt hatte, sie gefunden zu haben. Unzählige Monate der Begierde, der Lust, der Erfüllung ergossen sich gedanklich vom Hirn direkt in seine Seele; doch mit dem sauren Beigeschmack der ungelösten Trennung wirkten sie wie aufsteigende Magensäure in der Speiseröhre und fraßen sich in Seele und Gesundheit. Sein Herz verkümmerte allmählich zu einer Kartoffel, die man zu lange im Keller hatte liegen lassen. Ein biologisches Geoid, verschrumpelt und verkümmert, unförmig und leer.
Leandro Musio bewegte sich; doch nicht in der Art, welche ihm seine treuesten Freunde vorgeschlagen hatten, nein, er bewegte sich auf der Autobahn. Dieses Mal saß er dabei in einem Auto; es war ein großer Wagen, ausgestattet mit Küche und vier Schlafplätzen, welche er sich erhofft hatte, mit ihr zusammen abzunutzen und mit ihrem gemeinsamen Schweiß zu tränken. Nun lagen sie sauber für ihre Aufgabe bereit, nach Leder riechend, ungebraucht.
Seine Fahrt glich einer Flucht, welche ihn gedanklich an den Film erinnerte, den er vor vielen Jahren mit ihr zusammen im Kino angesehen hatte, obwohl er sich mehr an ihre Hand als an die Handlung erinnern konnte. Ihre Hand auf seinem Schenkel, stetig weiter rutschend, auf neugieriger Entdeckungsreise; die Handlung auf der Leinwand, einem strikten Skript folgend. Er konnte ihr Parfum riechen, ihre Haare in seinem Gesicht spüren und ihre Augen sehen, die ihn verliebt musterten.
Doch das war alles vorbei. Sie hatte sich anders entschieden und einen neuen Weg gewählt, ihm seine Nabelschnur durchtrennt, als wäre sie die Ärztin und nicht der Typ, mit dem sie durchgebrannt war. Leandro hoffte, in seinem Leben niemals krank zu werden um nie von einem selbsternannten Gott in Weiß abhängig zu sein. Manchmal, in seinen vom Alkohol getriebenen Albträumen, malte er sich aus, wie er, mit einer Kettensäge bewaffnet, durch die Gänge des Spitals donnerte, wie ein Orkan durch den Südosten der USA und die Weißkittel allesamt rot färbte. Rot-Weiß - wie die Farben seines Autos.
Seine Wut hatte im realen Leben keinen Platz; sie war längst der Resignation und Einsamkeit gewichen, weshalb er sich dazu durchgerungen hatte, diese Fahrt zu wagen: Die Reise ins Ungewisse. Seine Schwester nannte es eine Reise in die neue Zukunft, doch er wagte kaum mehr an eine solche zu glauben. Eine Zukunft ohne seine wahre Liebe, ohne seine Rhea, schien ihm unmöglicher als Quiddich in der Bahnhofshalle am Zürcher Hauptbahnhof.
An jenem Abend, als sie ihm ohne Vorwarnung eröffnete, ihn durch den Arzt ersetzen zu wollen, als sei er ein lächerliches Spielzeug, welches man durch eine neue Figur mit glänzender Uniform und mehr magischen Kräften, ersetzen könnte, stand die Zeit und mit ihr das gesamte Universum still. Er erinnerte sich daran, auf der Autobahn unterwegs gewesen zu sein, ohne Ziel - und ohne Auto. Eine Streife der Polizei hatte ihn aufgegriffen und in eine Klinik für Psychiatrie gebracht; allem Anschein nach, weil er mitten in der Nacht im Pyjama zu Fuß auf der Autobahn unterwegs gewesen sei - aber sie hatten nichts begriffen. Sie konnten nichts begreifen - sie waren das Ibuprofen gegen den Kopfschmerz, der ihn antrieb.
Nun also saß er in seinem schicken und teuren neuen Wagen, unterwegs nach Italien, um endlich seine Liebe vergessen zu können. Leandro war sich nicht sicher, ob er das tief in seinem Herzen wollte, aber seine Chefin hatte ihm diesen Wagen bezahlt und ihn auf die Reise geschickt, also gehorchte er, ganz der Schweizer, der er war, und bewegte sich südwärts.
Italien. Von seiner Oma wusste er, dass es in Italien mehr als Pizza und schöne Frauen geben würde. Noch immer sah er ihr schelmisches Lachen und das Augenzwinkern, das sie ihm geschenkt hatte, jedesmal, wenn sie diese Bemerkung für angebracht gehalten hatte.
Dieses Lachen fehlte ihm. Seine Großmutter fehlte ihm auch. Rhea fehlte ihm auch. Sein Leben fehlte ihm auch. Kaffee fehlte ihm auch. Wie in Trance setzte er den Richtungsanzeiger nach rechts und fuhr auf den Parkplatz einer Autobahnraststätte, ohne zu wissen, wo er sich befand. Orte waren irrelevant geworden, Punkte auf einer imaginären Landkarte. Keine Ziele, bloß Augenblicke der Reise ohne Ziel, Spuren seiner Flucht ins Nirgendwo.
Leandro bemerkte nicht, wie heiß es war; er hatte keine Augen für die quengelnden Kinder der Familie aus Deutschland, welche ihren vollkommen überladenen Minivan gleich neben seinen Camper geparkt hatten und er bemerkte auch den Hund nicht, der seine Notdurft am überquellenden Abfalleimer verrichtete. Leandro steuerte in die Bar und bestellte sich einen Cappuccino. Der Blick des Thekenmädchens durchdrang ihn wie ein Blitz des Zeus, doch er erinnerte sich an ein Lied, das er einst gehört und an ein Buch, welches er auf einer Internetplattform für Hobbyautoren gelesen hatte, und er beschloß, sich nicht in das Mädchen hinter der Theke zu verlieben, und er lenkte stattdessen mit seinen Gedanken Amors Pfeil in den Stapel übergroßer Nutella-Gläser links hinter sich.
Als befände sich auf einmal seine Oma in seinem Kopf, zumindest eine Miniaturausführung ihrer, hörte er plötzlich ihre Stimme, die ihn daran erinnerte, dass die Kaffee servierende Italienerin sehr attraktiv war. Leandro ließ ein Lächeln zu und erhielt eines im Austausch zurück. Leider konnte er noch wenig damit anfangen, obwohl ihm auffiel, wie außerordentlich hübsch das Lächeln war. Er bedankte sich für den Kaffee und trat wieder auf den sonnenüberfluteten Parkplatz.
Der Kaffee schmeckte ausgezeichnet. Er war mehr als nur ein Kaffee, er war ein ganzes Land mit seinen liebevollen und herzlichen Bewohnern, mit seinem leckeren Daueressen und der ausgelassenen Fröhlichkeit. Der Kaffee war Italien.
Wenige Schritte von ihm entfernt war auch der Parkplatz Italien. Sein neuer Camper war verschwunden.
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Hallo, meine lieben Adventswichtel
Heute habe ich mir einen Spaß daraus gemacht, mein Buch "Die Reise" aus Marcos Sicht, so wie sein Roman beginnen würde, zu schreiben. Ihr könnt somit einen kleinen Einblick in die Romane erhalten, welche mein Protagonist schreibt. Achtung: Es sind gefühlsgetränkte Liebesromane - allesamt mit Happy-End.
Viel Spaß also mit Marco Stalder, dem berühmten Autoren aus der Schweiz, der mit seiner Frau Elena Pignatelli heute das Agriturismo 'Antica Puglia' in Nardò, Apulien, betreibt.
Anmerkung: Sämtliche Personen, der Verlag und die IBAN sind frei erfunden und nicht real. Jede Ähnlichkeit mit existierenden Personen, Firmen oder Nummern ist rein zufällig und absolut nicht gewollt. Aber lustig wäre es allemal. Das Cover ist von mir erstellt und existiert nicht als Buch, das Logo des erfundenen Verlags wurde ebenfalls von mir erstellt.
Euer Bruno
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