
Türchen 6
Nikolaus
Es ist eisig kalt auf den Straßen und in den Gassen. Die Menschen mummeln sich ein in dicken Jacken, Mützen und Schals. Die Hände stecken in Handschuhen oder Taschen. Die Gradzahl ist nachts unter null, über den Tag nur ein paar wenige darüber. Überall in der Stadt verteilt stehen Weihnachtsmärkte und Buden, an denen sich die Menschen tummeln. Grade der Glühwein ist im wahrsten Sinne des Wortes heiß begehrt.
Gleichzeitig sitzen an den Rändern der Wege diejenigen, die keine andere Chance haben, als Tag für Tag zu hoffen, dass ein paar Soziale Münzen in ihre Becher werfen oder sie beim Suchen von Flaschen Erfolg haben. Manche von ihnen tun sich zu Gruppen zusammen oder sie haben einen Hund dabei, um sich nicht alleine zu fühlen. Einige probieren sich mit Musik, singen Weihnachtslieder vor den Toren des Weihnachtsmarktes, um mehr zu verdienen. Wer Glück hat, bekommt ein warmes Bett in einem der Heime, aber die Anzahl ist stark begrenzt.
An jenem Nachmittag des 05. Dezember schlendert Yannis mit seinen Freunden Kerem und Chloé über die Adventmärkte ihrer Stadt. Sie kaufen sich Mutzen und Crêpes, trinken alkoholfreien Glühwein und heiße Schokolade. Es ist ein entspannter später Nachmittag, auch auf der Eisbahn sind sie schon gewesen. Doch immer wieder fallen Yannis die Obdachlosen ins Auge, wie sie dort sitzen und frieren. Ein älterer Mann hat sich in drei Schlafsäcke gelegt und schläft. Skeptisch überlegt der Schüler einen Moment, ob nachschauen sollte, ob der Mann noch lebt. Zum Glück rührt er sich ein Stück und Yannis kann aufatmen.
„Alles okay?", hakt sein bester Freund nach.
„Ja, doch, alles super", Yannis bemüht sich um ein Lächeln.
„Du hast doch irgendwas", meint Chloé, die gerade gebrannte Mandeln für ihre Eltern an einer Bude gekauft hat.
Yannis gibt sich letztlich doch geschlagen.
„Mir tun diese Menschen leid, die hier Tag und Nacht in der Kälte ausharren müssen und kaum eine Möglichkeit haben, sich aufzuwärmen. Kein vernünftiges Essen, kein vernünftiges Trinken. Ich finde das nicht fair", erzählt er seinen Freunden.
„Hast du plötzlich deine soziale Ader entdeckt, oder was?", scherzt Kerem, bemerkt aber den ernsten Blick seines Kumpels, „Okay ich gebe zu, du hast ja schon recht. Aber wir können doch sowieso nichts weiter dagegen tun, außer ihnen Geld zu geben."
„Was sie dann vermutlich versaufen oder Drogen kaufen", wirft Chloé ein.
Das soll man nicht sagen. Es geht um die Geste, was die Obdachlosen damit macht, ist deren Sache. Meist macht er oder sie sich damit glücklich und wenn in dem Fall Alkohol das einzige ist, was ihn oder sie glücklich macht, dann wird der oder die Wohnungslose eben eine Flasche Bier oder billigen Korn davon kaufen. Daran erinnert Yannis seine Freundin. Im letzten Schuljahr hatten sie eine Art Workshop-Tag mit einem ehemaligen Obdachlosen, der ihnen unter anderem dies erklärt hatte.
Die Teenager laufen weiter über den Markt, an einer Budenecke spielt eine Frau in mehreren Mänteln auf ihrer Gitarre, dazu singt sie Last Christmas. Neben ihr liegt ein kleiner Hund, der entspannt die Menschen beobachtet. Das Trio kann sich denken, dass diese Frau vermutlich mehr für ihren vierbeinigen Freund als für sich selbst. Der Besitzer der Glühweinbude scheint nichts dagegen zu haben, dass seine Gäste ein wenig Unterhaltung erhalten.
„Ich habe eine Idee!", ruft Yannis plötzlich und zieht seine Freunde aus dem Getümmel.
„Die da wäre?", hakt Chloé überrascht nach.
„Morgen ist ja Nikolaus. Was haltet ihr davon, wenn wir ein paar Lebensmittelsets mit Essen, Wasser, Hundefutter, einem Weihnachtsmann und vielleicht dazu einen Kaffee oder Kakao an die obdachlosen Menschen verteilen? Vielleicht morgen in der Früh."
„Wie jetzt?", Kerem versteht nicht ganz.
„Bist du schwer von Begriff? Wir spielen den Nikolaus. Also ich finde die Idee gut, aber haben wir für sowas überhaupt genug Geld?"
Die drei Freunde zählen ihr Geld zusammen. Auch wenn sie bereits viel ausgegeben haben, so haben sie doch noch etwas übrig, was für ein paar Nikolaus Geschenke reichen könnte. Es wird zudem nicht schwer sein, die Obdachlosen zu finden, da sie sowieso überall auf den Gehwegen an den Einkaufsläden und den Parks nächtigen.
Sie machen sich auf den Weg zum nächsten Supermarkt. Wie Yannis vorgeschlagen hat, kaufen sie mehrere Dosen Hundefutter, Wasserflaschen (natürlich mit Pfand) und Nahrungsmittel wie eine kleine Kiste Mandarinen, ein Beutel Äpfel, Schokobrötchen und Reiswaffeln. Zusätzlich kaufen sie noch ein paar Weihnachtsmänner aus Schokolade.
Mit entsprechend vielen Tüten bepackt machen sie sich auf den Weg zu Kerem, bei dem sie sowieso übernachten wollten. Seine Eltern sind über das Wochenende nicht da. Dort teilen sie alle Geschenke gerecht auf die Tüten auf. Morgen früh werden sie noch zum nächsten Bäcker gehen und heißen Kakao sowie frische Brötchen holen.
„Hoffentlich freuen sie sich auch darüber. Ich habe mal ein Video gesehen, da hat ein älterer Obdachloser gepöbelt, weil in dem gespendeten Essen keine Zigaretten bei waren", erzählt Kerem.
„Ich habe auch schon von welchen gehört, die das nicht wollen", fügt Chloé hinzu.
„Sie werden sich bestimmt darüber freuen, ihr werdet sehen. Vor allem zählt die Geste und wenn sie es nicht wollen, können sie es doch immer noch weitergeben", meint Yannis daraufhin.
Dem stimmen seine Freunde zu.
Den restlichen Abend verbringen die Teenies mit einem Film, vollgefuttert sind sie schon. Yannis ist besonders aufgeregt, hoffentlich wird den Obdachlosen ihr kleines Geschenk gefallen. Er wollte schon immer mal helfen, wusste aber nie wirklich wie und Nikolaus ist das sicher ein super Ansatz.
Am darauffolgenden Morgen sucht das Trio mit ihren beladenen Tüten einen Bäcker auf. Es ist grade mal kurz nach sieben, die meisten in der gesamten Stadt schlafen noch. Es ist ein kalter Samstag, wenigstens hat es die Nacht über nicht geschneit.
Die Bäckereiverkäuferin schaut nicht schlecht, als die Kids mehrere Becher Kakao bestellen. Sie vermuten, dass der besser ankommen würde als Kaffee.
„Ihr seht mir aus, als wäret ihr auf Mission."
„Es ist doch heute Nikolaus und wir wollen ein paar Obdachlosen eine Freude machen", erklärt Yannis lächelnd und nimmt die ersten vier Becher Kakao entgegen, die in einer Pappschale stehen.
„Wow, ich wünschte mehr Jugendliche würden sich so um die Mitmenschen kümmern. Bei uns dürfen sich diese Menschen gegen Abend kostenlos Brot, Brötchen und Co. abholen, die noch vom Tag übrig geblieben sind. So schmeißen wir nichts weg und die Menschen haben immerhin etwas", erzählt die Verkäuferin.
Eine wunderschöne Aktion, findet Yannis. Er bemängelt schon lange, dass Lebensmittel einfach weggeschmissen werden. Lieber solle man viel mehr den Tafeln oder Organisationen spenden, die sich zum Beispiel um das Mittagessen der Obdachlosen kümmern.
„Dann mal viel Erfolg. Und kleiner Tipp, in der Einkaufsstraße nächtigen häufig ein paar Obdachlose vor den Geschäften, wegen der Wärme der Heizungen. Dort ist der Boden wärmer", erklärt die freundliche Verkäuferin noch und wünscht zum Abschluss einen schönen Nikolaus.
An diesem kühlen Nikolausmorgen erwacht der eine oder andere Obdachlose mit einer Tüte vor seinem Schlafplatz, mit Grüßen vom Nikolaus. Die Freude ist riesig über das Essen, besonders das Obst, das Wasser und vor allem über den warmen Kakao. Manch einer von ihnen teilt mit seinem Gefährten oder der Gruppe. Aber alle von ihnen haben eines gleich: Mit glitzernder Dankbarkeit in den Augen schauen sie den drei Jugendlichen nach, die von heute an kleine Helden der Stadt sind. Und jedes Mal hörten sie nur zwei Worte von ihnen, die sie mit solcher Selbstverständlichkeit sprachen, dass es manch einen zu Tränen rührte: „Fröhlichen Nikolaus."
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