Türchen 3
Das besondere Weihnachtsgeschenk
Schweigend lehnt sie sich im Türrahmen und beobachtet ihre kleine Tochter Romy beim Spielen in ihrem Zimmer. Manchmal beneidet sie das kleine Mädchen darum, wie unbeschwert sie noch ist, während ihre Mutter jeden Cent umdrehen muss. Zeitweise hatte die junge Frau schon drei oder vier Jobs gleichzeitig, damit sie in der Stadt überhaupt die Wohnung behalten konnten. Seit ihr Mann und Romys Vater sie verlassen hat, passt es vorne und hinten nicht mehr. Alicia denkt nur ungerne an diese Zeiten zurück, denn Markus war schon lange kein Traummann mehr. Mit insgesamt fünf verschiedenen Frauen hat er sie betrogen und seit jeher hat Alicia sich geschworen, allein für ihre Tochter zu sorgen und zu kämpfen. Dennoch kann sie ihr kaum etwas bieten, Spielsachen und Kleidung sind gebraucht und meist vom Flohmarkt oder online Verkaufsseiten. In diesem Jahr möchte sie ihrer Tochter aber mal etwas ganz Besonderes und neues bieten, auch wenn Alicia sich dafür ein Bein ausreißen muss. Romy hat bei ihrer Suche nach Wünschen zu Weihnachten eine Autorennbahn entdeckt und sofort leuchteten ihr die Augen. Alicia erinnert sich nur zu gut an den Abend vor drei Wochen.
„Komm Schatz, heute ist es Zeit, deinen Wunschzettel zu schreiben. Hier ist der Spielzeug- und hier der Bücherkatalog, du sagst, was dir gefällt und ich schreibe es auf, ja?"
„Ist gut!", stimmt Romy zu und setzt sich mit ihrer Mutter an den Esstisch in dem kleinen Wohnzimmer.
Romy beginnt mit dem Bücherkatalog. Alicia hat einen Collegeblock vor sich liegen und hält den Kugelschreiber bereit. Immer wieder hört man das Gemurmel der Achtjährigen: „Das ist doof. Das auch, weil das hat die Lisa. Oh, das sieht gut aus, es ist über Pferde!"
Und so schreibt Alicia Buchtitel für Buchtitel auf, obwohl sie selbst ganz genau weiß, dass sie Romy davon nur eins oder zwei schenken können wird. Je nachdem, zu welchen Preisen sie gebraucht angeboten werden.
„Jetzt das Spielzeug", verkündet Romy und legt den Bücherkatalog beiseite, "Lisa hat sich eine Switch gewünscht und vielleicht bekommt sie die auch. Sowas hätte ich ja auch gerne."
Wieder muss Alicia sie vertrösten, dass das leider nicht möglich ist. Aber vielleicht findet sie ja mal einen günstigen DS auf einem Flohmarkt, sobald wieder welche stattfinden. Das wäre vielleicht ein tolles Geburtstagsgeschenk. Aber den Gedanken schiebt Alicia erst einmal beiseite.
„Tut mir leid mein Schatz, aber so etwas teures können wir uns nicht leisten."
„Das habe ich mir gedacht, Mama. Ich schau dann lieber weiter", seufzt das Mädchen und blättert in dem Katalog.
Immer wieder nennt sie Puzzle, Gesellschaftsspiele und sonstiges Spielzeug, aber ihre Lust scheint doch gemindert zu sein, seit ihre Mutter sie wegen der Konsole enttäuschen musste. Das macht Alicia traurig, aber natürlich zeigt sie ihrer Tochter das nicht. Bis Romy eine Seite aufschlägt, auf der die ganzen Rennbahnen abgebildet sind. Wie Alicia feststellen muss, gibt es die heutzutage in den verschiedensten Variationen, dementsprechend sind auch die Preise. Kaum etwas unter 70€ mit viel Luft nach oben. Romy schaut auf eine Variante mit vielen Kurven, zwei Ebenen und Looping, ihre grünen Augen strahlen und ein Grinsen zeichnet sich auf ihrem Gesicht ab.
„Die ist ja noch cooler als die von Felix! Oh wie gerne ich diese Bahn doch hätte! Aber das kannst du dir nicht leisten, Mama, das weiß ich. Vielleicht gibt es hier ja noch was anderes tolles...", die Traurigkeit in der Stimme ihrer Tochter bricht Alicia das Herz.
Wie gerne würde sie ihr doch diesen Wunsch erfüllen.
Noch am selben Abend hat sich Alicia an ihren alten Laptop gesetzt und das Internet nach dieser Rennbahn durchforstet. Da es sich dabei um ein neues Modell handelt, gibt es das noch nicht in gebraucht. Ganze 90€ soll diese Bahn kosten und in dem Moment, als sie sich an jenem noch mal an den Blick ihrer Tochter erinnerte, fing sie an zu rechnen. Sie schrieb sich alle noch kommenden Ausgaben auf, wählte bedacht noch ein zwei Bücher und ein Gesellschaftsspiel. Alicia fällt ein, dass sie sich die letzten Monate Geld zurückgelegt hatte, um auch sich selbst ein kleines Weihnachtsgeschenk in Form einer Winterjacke zu machen sowie ein etwas schöneres Weihnachtsessen zu bieten, statt nur Kartoffelsalat und Würstchen. Aber wenn sie ihre kleine Romy mit der Bahn so glücklich machen kann, dann wird sie ihr diesen Wunsch auch erfüllen. Und so bestellte sie die Autorennbahn, von der Romy natürlich nichts ahnt.
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Am Weihnachtsabend funkelt der Weihnachtsbaum bunt im Wohnzimmer. Romy darf jedes Jahr an Heiligabend den Stern auf die Spitze setzen. Der Baum ist nur künstlich und schon sehr alt, aber Alicia bedeutet er sehr viel, denn er hat ihren Großeltern gehört.
Zum Abendessen genießen sie ihre Wiener Würstchen mit Kartoffelsalat, den die junge Mutter selbstgemacht hat. Morgen gibt es dann Romys Lieblingsessen, Dino Nuggets. Normalerweise gibt es die Nuggets nur zu Romys Geburtstag. Es ist kein schöner Braten mit Rotkohl, aber sie weiß, dass Romy sich darüber freuen wird. Nichts erfüllt ihr Herz mehr, als ihre Tochter glücklich zu sehen.
„Schmeckt es dir, mein Schatz?", fragt sie.
Im Hintergrund läuft Weihnachtsmusik über Alicias Laptop.
„Schmeckt toll", antwortet Romy und isst ihr zweites Würstchen.
Alicia meint zu glauben, dass sie noch aufgeregter ist als Romy, denn Romy ahnt ja gar nicht, was sie gleich auspacken wird. Doch das große Geschenk mit der Rennbahn hat Alicia noch versteckt, bisher liegen nur die anderen vier Geschenke dort. Bei ihrer Arbeitsstelle im Supermarkt hat sie einen Schokoladenmix mit einem Plüschhund geschenkt bekommen und das hat Alicia für Romy auch noch eingepackt.
Nach dem Essen überreicht Romy ihrer Mutter das Weihnachtsgeschenk. Das Mädchen hat ihr ganzes Taschengeld zusammengespart, um Alicia einen Schlüsselanhänger zu kaufen, auf dem steht „Ich hab' dich lieb" und „Beste Mama", dazu ein rotes Herz. Die Mama ihrer besten Freundin Lisa hat diesen Anhänger mit ihr zusammen gekauft. Alicia wird ganz warm ums Herz und gleichzeitig stimmt es sie so traurig, dass Romy für sie ihr Taschengeld ausgibt. Dabei kann sie ihr doch schon so wenig bieten. Ein paar Tränen kann sich Alicia dabei nicht verkneifen und sie umarmt ihre Tochter fest.
Dann darf Romy dann ihre Geschenke auspacken. Sie freut sich sehr über das Pferdebuch, die Abenteuergeschichte und vor allem über das neue Spiel.
„Mama, das müssen wir gleich ausprobieren!"
„Pack doch erst mal das letzte Geschenk noch aus", antwortet die Mutter lächelnd.
Romy packt nun auch das letzte unter dem Baum liegende Geschenk aus und drückt den Kuschelhund sofort an sich.
„Der ist super! Danke Mama!"
„Ich habe da noch etwas für dich, Liebes. Das habe ich versteckt."
Alicia kniet sich vor die Couch und zieht darunter das versteckte große Geschenk hervor. Sie legt es zu den bereits ausgepackten Geschenken unter den Baum und setzt sich dann wieder neben Romy auf den Fußboden.
„Pack es aus, Romy", Alicia lächelt.
Das Mädchen schaut mit großen Augen auf das noch verpackte Paket. Das lässt sie sich nicht zweimal sagen und reißt das Geschenkpapier von dem Karton. Sofort sieht Alicia wieder dieses Strahlen in den smaragdgrünen Augen.
„Das...das...ist...das ist ja...die Rennbahn!", schreit Romy vor Freude und fällt im selben Moment ihrer Mutter um den Hals.
„Danke Mama! Danke Mama! Danke Mama! Ich habe dich so unendlich lieb!", sie drückt ihrer Mutter mehrere Küsse auf die Wangen.
Natürlich muss die Bahn direkt aufgebaut werden. Und so kommt es, dass Romy den ganzen Abend mit ihrer Mutter Alicia mit der super tollen neuen Rennbahn spielen, während die Musik sie begleitet und draußen der Schnee leise rieselt. Ein gelungenes Weihnachtsfest mit einem mehr als glücklichen Kind.
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