one
Willow hatte sich die Fahrt und die Gesellschaft, in der sie sich während der Fahrt befand, anders vorgestellt. Gegen ihre Erwartungen waren die Männer in dem Lastwagen freundlich und unterhielten sich miteinander. Man könnte auf den ersten Blick gar nicht sagen, dass sie an die Kriegsfront fuhren. Ab und an redete Willow auch mit ihrem Sitznachbarn, einem Jungen in ihrem Alter mit dunkelblonden Haaren. Sie erzählte ihm davon, dass sie bei der medizinischen Versorgung der Verwundeten helfen wollte. Außerdem erfuhr sie, dass sie die einzige Frau wäre, die überhaupt in die Nähe der Front käme. Sie war die Erste ihres Geschlechts, die freiwillig ihre Hilfe anbot.
Die Fahrt dauerte lange und war auf engem Raum, doch als das nach vielen Stunden geschafft war, sprang Willow munter von dem Lastwagen und schaute sich um. Eine lange Wiese erstreckte sich vor ihr, auf der Kirschbäume blühten. Es war April und bald würden sie Steinfrüchte tragen.
»Nicht stehen bleiben«, teilte der Blondhaarige ihr mit. »Du stehst nämlich im Weg.«
Willow hielt ihm die Hand hin, auf die er sich stützte und ebenfalls auf die Weise sprang. Viele Soldaten taten es ihm nach, indem sie sich an dem Rahmen des Lastwagens festhielten und mit der anderen Hand leicht an Willows Schulter abstützen. Jedes Mal bedankten sie sich. Willow war fasziniert davon, wie jeder Danke sagte. Zuhause waren die Menschen nicht so höflich, sondern hatten über alles und jeden gemeckert. Als der Wagen leer war, schloss sie sich den Soldaten an und folgte ihnen.
Der Weg zur Front war gar nicht so lang wie erwartet. Sie durchquerten lediglich die Weise, hinter der sich die Front befand. Die Front bestand größtenteils aus tiefen Gräben, die mehrere hundert Meter weit bis zu einem dichten Stacheldraht führten.
»Was sind das für Gräben?«, fragte Willow einen Soldaten neben sich, dessen Gesicht sie noch nicht kannte.
»Schützengräben. Dort übernachten wir und warten bis zum Angriff. Im besten Fall werden wir dabei verwundet«, antwortete er. »Was machst du eigentlich hier? Du bist wohl kaum älter als zwanzig und auch kein Mann.«
»Ich habe mich für die medizinische Versorgung gemeldet«, war ihre Antwort.
»Dann musst du zu Niall Horan. Er kümmert sich eigentlich um die Verletzten, aber er wurde verwundet... ich denke, er wird bald sterben...«
»Kannst du mich zu ihm bringen?«, wollte Willow wissen.
Der Mann nickte lediglich und brachte sie zu einem offenen weißen Zelt. Mehrere Liegen waren dort, jedoch war keine besetzt. Ein Mann mit blauen Augen saß auf einem Stuhl und blätterte durch ein Buch. Leise stellte Willow sich hinter ihn und warf einen Blick über seine Schulter. Kräuter.
»Es kann nur einen Grund geben, dass ein junges Mädchen wie du hier ist. Von wo kommst du?«, sprach er. Seine Stimme passte nicht zu seiner jungen Erscheinung. Sie klang rau, aufgebraucht. Man hörte, dass er müde war.
»Aus dem Norden Britanniens, Bradford«, sagte sie. Sie verkniff es sich, hinzuzufügen, dass man jemanden angucken solle, wenn man mit demjenigen sprach. »Ich melde mich für die medizinische Versorgung.«
»Ich weiß, ich weiß...«, meinte er, »mein Ende naht... gut, dass du hier bist... du musst alles wissen, bevor... wir fangen direkt an.«
Willow hatte noch immer keinen genauen Blick auf sein Gesicht - bis auf seine Augen - werfen können und sie erwartete auch nicht, dass er sich umdrehen würde.
»Gehe raus und frag' nach jemandem, wer eine offene, unversorgte Wunde hat.«
Sie befolgte sofort die Anweisung und trat aus dem Zelt. »Entschuldigung«, rief sie. »Hat hier jemand eine offene Wunde?«
»Na endlich.« Ein Mann mit verwuschelten Haaren trat in Willows Sichtfeld. »Ich habe eine.«
»Folge mir.« Sie führte ihn in das Zelt, wo er sich sofort auf einer Liege niederließ und seinen Ärmel hochkrempelte. Er entblößte somit eine noch immer blutende Wunde an seinem Unterarm, die bereits seine Uniform weinrot getränkt hatte.
»Louis... wie geht's dir?« Niall Horan stand langsam auf und trat neben den Mann; Louis.
»Ganz gut... tut nur verdammt weh.«
»Was würdest du machen, Mädchen?«, verlangte Niall Horan zu wissen. Sein Blick war auf Louis' Wunde fixiert.
»Verbinden?«, probierte die Dunkelhaarige ihr Glück.
»Falsch. Du musst noch viel lernen«, erwiderte Niall, seufzte leise und griff nach einer beschrifteten Glasflasche. Jene entkorkte er, und tat ein bisschen von der herausfließenden Flüssigkeit auf ein Stück Stoff. »Bei einer tiefen Wunde ist die Desinfektion am wichtigsten. Ist die Wunde bis zum Knochen oder Muskel, muss die Gliedmaße amputiert werden. Hast Glück gehabt, Louis.« Mit den Worten drückte er ihr den Stoff in die Hand und deutete auffordernd auf Louis' Wunde. »Na los, keine Scheu. Es brennt nur etwas, Louis.«
Willow drückte den Stoff vorsichtig auf Louis Wunde. Der Mann stöhnte vor Schmerz leicht auf und kniff die Augen zusammen. Niall allerdings bedeutete ihr, nicht aufzuhören, bis er nach einer Minute ihr den Stoff wegnahm und eine Mullbinde in die Hand drückte.
»Viermal umwickeln wird reichen«, teilte Niall ihr mit.
Willow tat wie ihr gehießen und wickelte langsam und bedacht die Mullbinde um Louis' Unterarm. Sie hatte erwartet, dass sein Blut sofort durchsickern würde, doch sie irrte sich. Man sah nichts mehr von dem Blut.
»Und das war erst der Anfang. Du bist fertig, Louis.« Louis stand auf und verließ nach einer dankbaren Geste das Zelt. »Nach einer Schlacht werden die Wunden viel schlimmer. Wie heißt du?«
»Willow.«
»Gut... ist leicht zu merken... aber bevor ich dich an die ernsthaft Verletzten lasse, wirst du zuschauen. Morgen früh ist ein Angriff geplant. Du wirst mir assistieren, vorerst. Geh' nun zu dem befehlshabenden Kommandant. Er wird dir sagen, wo noch Hilfe benötigt wird.«
Willow verließ das Zelt. Sofort wusste sie, wer der Kommandant war. Im Gegensatz zu den Soldaten trug er eine andere, hellere Uniform. Er blickte auf die Schützengräben, in denen sich viele hunderte Soldaten befanden und die Ruhe genossen.
»Sir?«, sprach sie ihn an. »Ich bin die Hilfe für Niall Horan und er hat mir den Befehl erteilt, zu helfen, wo Hilfe gebraucht wird.«
Der Mann drehte sich um und zeitgleich erschrak sie. Seine linke Gesichtshälfe zierte mehrere tiefe Narben, sodass sein gleichseitiges Auge leicht hervorstand. »Du kannst beim Haare schneiden helfen«, sagte er. Er trat neben die Schützengräben, wo mehrere Stühle standen, auf denen Soldaten saßen. Einige schnitten sich gegenseitig die Haare oder rasierten sie komplett ab.
Willow stellte sich hinter einen Braunhaarigen, der müde ins Leere starrte. »Soll ich dir deine Haare schneiden?«, fragte sie und drückte ihn sanft auf einen der alten Stühle.
»Komplett abrasieren, bitte«, sagte er leise. Sein Blick wanderte hoch zu ihrem Gesicht, das er genau musterte, ehe er wieder in die Ferne schaute. »Meine Haare werden mich nur stören.«
Willow nahm sich eine Rasierklinge und eine Schale mit Wasser von einem kleinen Tisch, befeuchtete die Klinge und kürzte sorgsam die Haare des Soldaten, der sich kurz darauf als Liam vorstellte. Ansonsten herrschte Stille, während Willow ihm die Haare kürzer machte. Allerdings ließ sie ihm die Ansätze, denn eine komplette Glatze erschien in ihren Augen nicht zu ihm passend.
»Danke«, sagte er, nachdem er einen kurzen Blick in seinen dreckigen Handspiegel geworfen hatte. Er erhob sich, bedankte sich ein zweites Mal bei ihr und ging fort.
Willow wollte kurz durchatmen, da er zufrieden war, als sie eine kleine Schlange bemerkte. Da hatten sich doch tatsächlich Soldaten angestellt, damit sie ihnen die Haare kürzte. Ein Junge, der bestimmt jünger als Willow war, setzte sich direkt auf den Stuhl und lehnte sich kraftlos zurück.
»Kannst du mir bitte meine Haare kürzen und meinen leichten Bartansatz abrasieren? Meine Schwester sagte einmal, ein Bart stünde mir nicht...«, fragte er schüchtern.
»Natürlich.«
Willow schnitt seine Haare ein bisschen kürzer und machte sich daran, seinen Bartansatz wegzurasieren. Dafür, dass sie einen Bart zum ersten Mal entfernte, gelang es ihr wirklich gut. Sie ließ kein Haar aus und war zufrieden mit dem Endergebnis.
Sie arbeitete bis zum Sonnenuntergang und als die Schlange nicht mehr vorhanden war, da sie jeden abgearbeitet hatte, der sich angestellt hatte, ging sie wieder in das Versorgungszelt, wo Niall sie mit einem Stück trockenem Brot erwartete. Es war nicht das beste Mahl, aber besser als - wie Zuhause - zu hungern. Sie aß auf, was er ihr gab und legte sich auf seinen Befehl hin schlafen. Dafür hatte sie einen langen Stoff auf dem Gras ausgebreitet und sich in diesen eingemummelt. Das Gesicht gen Firmament gerichtet, schlief sie ein.
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